Mannheim, 09. Februar 2018. (red/pro) Zur “Causa Rechtsanwalt” haben wir mit Prof. Dr. Matthias Jahn über den Vorwurf gesprochen, ein Rechtsanwalt handle bei eigenen Straftaten als “Organ der Rechtspflege” besonders verwerflich. Der Experte hat den Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Rechtstheorie an der Universität Frankfurt inne und ist Richter am Oberlandesgericht Frankfurt. Er sieht das Thema differenziert und stärkt – obwohl selbst Richter – der Strafverteidigung den Rücken.
Interview: Hardy Prothmann
Herr Professor Jahn, im Vorgespräch haben Sie gesagt, dass sie den Fall kennen.
Prof. Dr. Matthias Jahn: Ich kenne das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg zum Streit zwischen dem Land und dem Großverlag und bin dadurch auf den Sachverhalt aufmerksam geworden.
Ein zentraler Inhalt des Verfahrens war eine mögliche Strafschärfung, weil ein „Organ der Rechtspflege“ angeklagt worden ist. Was halten Sie davon?
Jahn: Es gibt dazu Rechtsprechung, auch des Bundesgerichtshofs, die besagt, dass eine solche Strafschärfung jedenfalls bei Taten mit einem Berufsbezug zulässig ist. Typisches Beispiel ist die Veruntreuung von Mandantengeldern. Wenn ein Anwalt das Vertrauen der Mandanten enttäuscht, ist das strafschärfend – hier ist das auf den ersten Blick anders.
Es kommt auf den Zusammenhang an
Inwiefern?
Jahn: Hier geht es um Drogendelikte. Wenn die Staatsanwaltschaft einen Zusammenhang herleiten will, muss sie einzelfallbezogen darlegen, dass diese Taten einen Berufsbezug haben. Beispiel könnte sein, dass der Angeklagte die Straftaten unter Ausnutzung seiner Stellung begangen hat. Vielleicht ist das aber auch nur ein Versuchsballon der Staatsanwälte, um auszutesten, ob und inwieweit sich die Strafkammer darauf einlässt – von außen ist das schwer zu beurteilen.
Könnte die Übergabe der Drogen in der Kanzlei ein Beispiel sein? Oder dass einer der Kronzeugen zunächst ein Mandant und später ein Freund des Angeklagten war?
Jahn: Das sind Grenzfälle. Es kommt darauf an, welchen Zusammenhang die Strafkammer hier sieht. Nur die Tatsache, dass der Angeklagte Rechtsanwalt ist oder nur die Tatsache, dass Drogen in den Kanzleiräumen übergeben wurden, erscheint mir noch nicht ausreichend, wenn das beispielsweise außerhalb der üblichen Bürozeiten geschah. Die Tatsache, dass die persönliche Bekanntschaft ursprünglich aus einem Mandantsverhältnis entstanden ist, ist eine solche Überlegung wert, aber das muss die Strafkammer entscheiden.
Rechtsanwälte sind zwar per Gesetz „Organ der Rechtspflege“ – im Gegensatz zu Richtern oder Staatsanwälten oder Polizeibeamten hat ein Anwalt aber kein Amt inne und ist auch nicht zur Strafverfolgung verpflichtet. Passt die Zuordnung in die heutige Zeit?
“Organ der Rechtspflege” als “dunkler Begriff”
Jahn: Man muss das differenzierend betrachten. Technisch handelt es sich beim „Organ der Rechtspflege“ um einen sogenannten „unbestimmten Rechtsbegriff“. Dessen Konkretisierung wird der Rechtsprechung überlassen. Der Begriff selbst stammt aus dem 19. Jahrhundert. Damals waren die Anwälte noch Staatsorgane, haben sich dann in der weiteren historischen Entwicklung letztlich staatsfrei organisiert und verwalten sich heute selbst. Diese Rede vom „Organ der Rechtspflege“ ist ein letzter, aus meiner Sicht ahistorischer Rest von hoheitlichem Tätigkeitsanteil, den die Rechtsprechung der Anwaltschaft ansinnt. Konkret heißt das: Der Strafverteidiger ist nach der Rechtsprechung auf Wahrheit und Gerechtigkeit verpflichtet. Ich halte diese Zuordnung persönlich für falsch, prominentester Vertreter meiner Sicht war der verstorbene Roman Herzog. Der hat schon 1972 gesagt, dass „Organ der Rechtspflege“ sei ein dunkler Begriff – dem sollte keinerlei Verbindlichkeit zukommen, vor allem nicht, um Rechte von Anwälten beschneiden zu können. Bis heute werden Strafverteidiger häufig noch als Störer begriffen, die der Rechtspflege Sand ins Getriebe streut. Das ist fast immer falsch.
Es handelt sich also immer um eine Einzelfallabwägung?
Jahn: Ja. Es muss betrachtet werden, ob der Berufsbezug so eindeutig ist, dass die Drogendelikte im tatsächlichen Zusammenhang der anwaltlichen Tätigkeit begangen worden sind oder nicht. Dass die Staatsanwaltschaft dies angenommen und vorgetragen hat, geht erstmal so in Ordnung. Die Kammer ist dem aber, legt man das Prozessergebnis zugrunde, wohl nicht gefolgt. um das genauer sagen zu können, muss man die schriftlichen Urteilsgründe abwarten, die erst in einigen Wochen vorliegen.
Verfahren könnte sich über Jahre hinziehen
Ab einer Strafe von einem Jahr muss die Zulassung durch die Rechtsanwaltskammer entzogen werden – ist das eine Abwägungssache, wie lange das erfolgt?
Jahn: Nein, das ist ein Automatismus, der in der Bundesrechtsanwaltsordnung geregelt ist. Der Anwalt kann nach Entzug einen erneuten Antrag zur Zulassung stellen. Das hängt von den Umständen ab, warum die Zulassung entzogen wurde.
Wie läuft das ab?
Jahn: Das entscheidet die Rechtsanwaltskammer. Wird die Zulassung widerrufen, kann der Anwalt Rechtsmittel einlegen und beim Anwaltsgerichtshof dagegen klagen.
Das heißt, der ganze Prozess inklusive Fristen und Einlegen verschiedener Rechtsmittel könnte sich über Jahre hinziehen?
Jahn: Richtig, das könnte mit Anhörung des Anwalts, Erlass eines Bescheides und danach einem Klageverfahren mit mündlicher Verhandlung im Rechtsmittelzug so sein. Allerdings könnte die Kammer auch ohne rechtskräftiges Urteil die sofortige Vollziehung des Zulassungswiderrufs anordnen. Üblich ist das allerdings nicht.
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