Mannheim, 02. Oktober 2015. (red/ms) Die Mehrheit im Gemeinderat für die Straßenverlegung Am Aubuckel ist nach aktuellem Stand mehr als fraglich. Bei einem “nein” würde vermutlich nicht nur die Bundesgartenschau vor dem Aus stehen – sondern auch der Grünzug Nordost. Ein sinnvolles Gegenkonzept gebe es nicht, sagte Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz auf einer Pressekonferenz am vergangenen Mittwoch. Eigentlich sollte hier nur der Zwischenstand des Planungsprozess und das Konzept eines Architekturbüros zur Gestaltung des Grünzugs präsentiert werden – stattdessen war der Streit um die Straßenverlegung das dominante Thema.
Von Minh Schredle
Ein bisschen wirkt es, als wolle sich Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz (SPD) mit jedem seiner Worte nicht nur an die Medien, sondern gleichzeitig auch an den gesamten Gemeinderat wenden: Auf einer Pressekonferenz am 30. September stellt er den aktuellen Planungsstand zum “Grünzug Nordost”, der über die Bundesgartenschau 2023 (Buga) mit entwickelt werden soll.
Gerade hat ein “Ideen- und Realisierungswettbewerb” seinen Abschluss gefunden: Schon im Juni 2014 hatte der Mannheimer Gemeinderat mit klarer Mehrheit 40:9 die Eckpunkte für den Grünzug verabschiedet, der Mannheimer Parklandschaften miteinander verbinden und die Frischluftzufuhr insbesondere in der Innenstadt verbessern soll.
Um diese “Vision der Stadtentwicklung”, wie der Oberbürgermeister das Projekt bezeichnet, zu verwirklichen, haben verschiedene Unternehmen und Architekturbüros Konzepte entwickelt.
Am 30. September, nur wenige Momente bevor die Pressekonferenz stattgefunden hat, hatte sich das Preisgericht für einen Siegerentwurf enschieden. Er stammt von RMP Landschaftsarchitekten. Das Problem: Aktuell ist unklar, ob der favorisierte Entwurf des Preisgerichts, auch wie geplant verwirklicht werden kann – denn eine Mehrheit im Gemeinderat für eine Verlegung eines 700-Meter langen Teilstücks der Straße “Am Aubuckel” steht auf der Kippe.
An sich ist das Vorhaben, den Grünzug Nordost zu verwirklichen, fraktionsübergreifend unumstritten. Doch wird der gepante Grünzug auf Höhe der Feudenheimer Au von der Straße Am Aubuckel durchtrennt. Dabei handelt es sich nicht um die einzige Unterbrechung im Grünzug, der eigentlich “durchgehend” sein soll – aber wohl um die markanteste. Axel Lohrer, Vorsitzender des Preisgerichts, sagt dazu:
Mir als Landschaftsarchitektem würde das Herz bluten, wenn die Straße Am Aubuckel dort bleibt, wo sie ist. Das Areal um die Feudenheimer Au ist die spannendste und gleichzeitig empfindlichste Stelle des Grünzugs und hat ein riesiges Entwicklungspotenzial. Davon kann aber nur wenig genutzt werden, wenn die Straße nicht verlegt wird.
Die Straßenverlegung ist im Mannheimer Gemeinderat allerdings mehr als umstritten: Ob ein entsprechender Beschluss eine Mehrheit finden könnte, ist unklar bis unwahrscheinlich, nachdem Teile der CDU angekündigt haben, dagegen zu stimmen. Selbst wenn eine knappe Mehrheit zustande kommen könnte, sagt Oberbürgermeister Dr. Kurz:
Ich stehe ganz sicher nicht dafür, ein Verfahren, komme was wolle, durchzudrücken. Eine Vision der Stadtentwicklung, noch dazu in dieser Größenordnung, muss von einer breiten Mehrheit getragen werden.
Wie und ob es aber zu einer “breiten Mehrheit” kommen kann, erscheint momentan fraglich.
“Andere Argumente sind intellektuell nicht redlich”
Dr. Kurz wirkt angespannt, aber entschieden. Eigentlich würden sich ja alle die Verwirklichung des Grünzugs wünschen, sagt er. Er könne daher nicht nachvollziehen, weswegen viele Fraktionen die Straßenverlegung ablehnen würden – “aus rein fachlicher Sicht” sei dies “ganz eindeutig und unstrittig die sinnvollste Variante”:
Wer zum jetzigen Zeitpunkt der Planung kein plausibles Gegenkonzept vorlegen kann, hat keine Glaubwürdigkeit.
Er hoffe darauf, dass der Gemeinderat schließlich “rein sachlich” und nicht “politisch-ideologisch” entscheide, um so die beste Entwicklung für die Stadt zu ermöglichen:
Das einzige Argumt gegen die Straßenverlegung, das zum jetzigen Zeitpunkt noch nachvollziehbar ist, ist die Überzeugung, dass der Aufwand, das Projekt umzusetzen, die Stadt aktuell überfordern würde und man das lieber den nächsten Generationen überlassen sollte.
Alle anderen Argumente seien “intellektuell nicht redlich” oder würden im Widerspruch zu Studien und Gutachten stehen. So könne man nach Aussage von Dr. Kurz auch keine ökologischen Gründe gegen den Grünzug anführen. Schützenswerte Arten könnten ohne große Probleme umgesiedelt werden. Die Feudenheimer Au würde durch die Maßnahmen erheblich aufgewertet werden und wieder als Au erlebbar sein. Und:
Beim Grünzug Nordost handelt es sich um Mannheims größtes ökologisches Projekt der Nachkriegszeit. Dagegen ökologische Gründe vorbringen zu wollen – das ist doch ein Treppenwitz.
Als wäre es ein Mantra, wiederholt der Oberbürgermeister im Verlauf der Pressekonferenz, dass es zur Verlegung der Straße “keinen sinnvollen Gegenvorschlag gebe”. Dem stimmte auch Umweltbürgermeisterin Felicitas Kubala (Grüne) zu – das ist auch deswegen spannend, weil die Gemeinderatsfraktion der Grünen die Straßenverlegung ablehnt.
Grüne Bürgermeisterin dafür – grüne Fraktion dagegen
Frau Kubala zufolge sei der Grünzug “ein Projekt für die nächste Generation, das seinesgleichen sucht”, ein “echter Zugewinn für Mensch und Natur”. Wie aber mehrfach von Oberbürgermeister Dr. Kurz und Landschaftsarchitekt Axel Lohrer betont wird, gebe es in der aktuellen Konzeption des Grünzugs keinen “Plan B”:
Die Planung geht fest davon aus, dass die Straße verlegt wird.
Rein theoretisch wäre es möglich, die Planung erneut anzupassen, erklärt Oberbürgermeister Dr. Kurz auf Rückfrage. Ob dann aber ein zufriedenstellendes Konzept auf dem gleichen Niveau möglich sei?
Da setze ich aktuell ein dickes Fragezeichen.
Der Grünzug und die Entwicklung der Spinelli-Kasernen und der Feudenheimer Au würden somit bei einem “nein” zur Straßenverlegung voraussichtlich vor dem Aus stehen.
Laut Jochen Sandner, dem Geschäftsführer der Deutschen Bundesgartenschau-gesellschaft, würde man damit eine womöglich einmalige Gelegenheit vertun, das Stadtbild auf Jahrzehnte zu prägen und die Lebensqualität in Mannheim spürbar zu verbessern:
Die Bundesgartenschau 1975 war ein riesiger Erfolg – die Stadtgesellschaft und das Image Mannheims profitieren noch heute davon.
Eine Bundesgartenschau sei “nicht einfach ein halbes Jahr lang Blümchen zeigen” – sondern “ein Impulsgeber für Stadtentwicklung”.
Die Konzeption für den Grünzug sei vielversprechend und überzeugend. Es habe in der Geschichte der Bundesgartenschauen noch keine einzige Stadt gegeben, die bei einer so weit ausgereiften und fortgeschrittenen Planung noch abgesprungen ist.
Kostenfragen
Auf der Pressekonferenz wurden ganz eindeutig und unverholen die Bundesgartenschau und die Straßenverlegung beworben. Kritische Stimmen und Gegenpositionen hörte man keine – laut dem Oberbürgermeister gebe es ja auch kaum sinnvolle Argumente dagegen.
Allerdings würde die Verlegung der Straße Am Aubuckel nach Kalkulationen der Stadt Kosten in Höhe von etwa 16 Millionen Euro verursachen. Mit der Entwicklung und Umgestaltung der Feudenheimer Au und der Spinelli-Kasernen käme man auf Gesamtkosten von gut 100 Millionen Euro.
Ein Gegenargument ist: Die Finanzierung der Bundesgartenschau und des Grünzugs Nordost würde die Stadt vor enorme Herausforderungen stellen. Zwar gäbe es bei der Austragung einer Bundesgartenschau voraussichtlich Zuschüsse um die 40 Millionen Euro. Doch damit verblieben immer noch gewaltige Investitionskosten für die Stadt.
Das Gegenargument zum Gegenargument: Ohne Zuschüsse kann das Investitionsvolumen nicht gestemmt werden. Dann würde alles bleiben, wie es ist. Eine Kasernenbrache. Eine viel befahrene Straße. Keine Entwicklung. Kein Grünzug Nordost.
Buga und Grünzug: Finanziell zu verantworten?
Gerade vor der aktuellen Haushaltslage ist die Herausforderung gewaltig: Im gesamten Stadtgebiet müssen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten eine Reihe von Generalsanierungen durchgeführt werden – allen voran die des Nationaltheaters mit einem Kostenrahmen von etwa 80 Millionen Euro.
Der Schuldenstand der Stadt liegt aktuell bei 1,1 Milliarden Euro – den hat allerdings nicht Oberbürgermeister Dr. Kurz zu verantworten. Er hat in seiner ersten Amtszeit Schulden abgebaut und viele Projekte vorangebracht, die Image und Wertigkeit der Stadt gesteigert haben. Der neue Aufbruch der Stadt ist ganz entscheidend sein Verdienst.
Die Straßenverlegung und die Bundesgartenschau könnten durchaus wegen der Kosten abgelehnt werden – allerdings muss ebenfalls klar sein, dass sich der Grünzug Nordost ohne Bundesgartenschau nicht nur nicht günstiger verwirklichen lassen wird, sondern ersatzlos zu entfallen droht.
Alle angrenzenden Wohn- und Stadtgebiete lägen dann an einer riesigen, ungenutzten Brache. Wertsteigernd ist das weder für die Stadt noch für alle Immobilienbesitzer im Umfeld. Zukunftsorientiert im Sinne einer Generationenverantwortung ist es schon gar nicht.