Mannheim/Rhein-Neckar, 02. Oktober 2020. (red/pro) Aktualisiert. Ein Ermittlungsverfahren gegen eine Demo-Teilnehmerin wegen eines mutmaßlichen Zeigens des „Hitlgrußes“ ist von der Staatsanwaltschaft Mannheim eingestellt worden. Die Strafverfolgungsbehörde teilte mit, „insbesondere die Auswertung der zur Verfügung stehenden Lichtbilder hat ergeben, dass die Beschuldigte nach dem objektiven Erscheiungsbild keinen „Hitlergruß“ und auch keine einem „Hitlergruß“ ähnliche Geste gezeigt hat“. „Verdächtig“ wurde die Frau, weil der Mannheimer Morgen sie an den Pranger gestellt hatte und dies weiterhin tut.
Kommentar: Hardy Prothmann
Stellen Sie sich vor, Sie gehen auf eine öffentliche Demo, um sich selbst ein Meinungsbild machen zu können und danach stehen sie als mutmaßlich „rechtsradikale Straftäterin“ am Pranger, weil eine Zeitung diesen Verdacht gegen Sie öffentlich äußert. Gibt es nicht? Gibt es doch.
Journalist fotografiert, informiert Polizei und prangert eine unschuldige Frau an
So passiert am 18. Juli 2020 im Ehrenhof des Mannheimer Schlosses. Eine Teilnehmerin steht vor dem Podium und hebt den Arm. Sie winkt. Der Journalist Dieter Leder fotografiert das und informiert die Polizei darüber, dass die Frau nach seiner Beobachtung einen Hitlergruß gezeigt habe. Die Polizei geht der Sache nach und belehrt die Frau noch vor Ort. Dieses streitet ein solches Verhalten ab. Sie spricht den Journalisten sogar persönlich an – dieser hatte also jede Möglichkeit, durch Nachfragen in der Sache seiner Sorgfaltspflicht nachzugehen. All das ist auf Video festgehalten.
Noch am selben Tag veröffentlicht der Mannheimer Morgen online einen Artikel zum angeblichen „Hitlergruß“ und zeigt dazu ein Foto der Demo-Teilnehmerin. Zwar nur von hinten, aber selbstverständlich ist die Frau identifizierbar.
Foto mit angeblichem Hitlergruß bis heute online
Später löscht die Redaktion Teile des Textes (möglicherweise hatte der Justiziar nochmals drüber gelesen), stellt aber bis heute das Bild weiter online, mit dem scheinheiligen Hinweis: „Das Foto, das die Situation festhält, haben wir an dieser Stelle belassen, damit sich jeder Nutzer ein Bild von der Situation machen kann.“
Polizeipräsident Stenger macht die Causa zur Chefsache
Am Montag, den 20. Juli 2020 nimmt die Zeitung die Sache in den Titel „Aufregung um mutmaßlichen Hitlergruß“. Insgesamt vier Mal benennt der Text auf Seite 10 den „Hitlergruß“ und sogar Polizeipräsident Andreas Stenger lässt sich ein: „„Solche Dinge sind keine Bagatelle. Wir haben die Personalien ermittelt und werden nun weitere Prüfungen im Umfeld vornehmen. Wir ermitteln nach Paragraf 86a des Strafgesetzbuches, also wegen des Verdachts des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.“ Mit diesen Worten bestätigt Polizeipräsident Andreas Stenger dieser Redaktion am Sonntag Ermittlungen gegen die Frau. Ermittlungen nach Paragraf 86a befassen sich mit Nazi-Schmierereien genauso wie mit dem verbotenen Zeigen des Hitlergrußes. Alles Weitere, so Stenger, müsse die Justiz entscheiden: „So ein Foto lässt Interpretationsmöglichkeiten zu.“

Welche „Interpretationsmöglichkeiten“ lässt dieses Foto zu, möchte man den Polizeipräsidenten Andreas Stenger fragen. Die Polizei war vor Ort und hat gegenüber dem RNB eine absolut friedliche und geordnete Veranstaltung bestätigt.
Das sind erstaunliche Aussagen eines Polizeipräsidenten, der offenbar noch niemals etwas von der Unschuldsvermutung gehört hat, sondern sich zum Komplizen der Zeitung macht, die zum Halali auf Nazis bläst. Warum sich ein Polizeipräsident höchstselbst dazu äußert, dazu noch an einem Sonntag (den Artikel schrieb Chefredakteur Dirk Lübke) und damit der Causa eine „hochoffizielle“ Note gibt, Motto: Schau an, das hat der Polizeipräsident zur Chefsache gemacht, weiß nur Herr Stenger ganz alleine. Die Auskunft hätte durch einen Pressesprecher, die vor Ort waren, auch derart sein können: „Es besteht ein mutmaßlicher Verdacht des Zeigens verfassungsfeindlicher Kennzeichen. Dem gehen wir nach.“
Framing durch Kontaktschuld
Doch das ist nicht im Sinne der Zeitung – die Berichterstattung zielte in erheblichem Maße darauf ab, alle Teilnehmer als mutmaßlich rechtsradikal oder dafür anfällig, zu brandmarken. Neudeutsch heißt das Framing durch Kontaktschuld. Weil einzelne Personen einem rechten oder sogar rechtsradikalen Lager zugeordnet werden, sind alle verdächtig, die zur Demo gegangen sind. Und als „Beleg“ konstruiert man dann noch eine „mutmaßliche Straftat“.
Das ist übelster Kampagnenjournalismus im Deckmantel einer angeblich seriösen Zeitung, die vollständig verantwortungslos handelt. „Personalienfeststellung, Ermittlungen, Prüfung im Umfeld“ – was die Dame durchmachen musste, nur weil jemand ein Foto machte, das „Interpretationsmöglichkeiten“ zulässt, die aber schon sehr eindeutig hingeframed worden sind, kann sich dort offenbar niemand vorstellen. Sorgfaltspflicht? Unschuldsvermutung? Persönlichkeitsrechte? Alles egal, Hauptsache der Aufmacher sorgt für „Aufregung“ – bei wem eigentlich? Vor Ort hat sich niemand aufgeregt – die Aufregung wurde erst durch den Reporter selbst erzeugt, die Zeitung transportierte die Sache dann begierig.
Zweieinhalb Monate unter Verdacht
Das Rheinneckarblog steht mit der Dame in Kontakt. In verschiedenen Gesprächen beklagte sie schlaflose Nächte, äußerte ihre Empörung, aber auch Hilflosigkeit. Sie musste sich eine Anwältin nehmen, was ihr zusätzlich zum versuchten Rufschaden auch noch erhebliche Kosten verursachte. Nun muss sie sich entscheiden, ob sie juristisch gegen die Zeitung vorgeht oder auf dem Schaden sitzen bleibt. Die Frau aus dem Süden Baden-Württembergs geht einem sehr ehrbaren Beruf nach, für den es viel Vertrauen bei den „Kundinnen“ braucht. Auch hier war die Sorge groß, dass der öffentliche Pranger negative Auswirkungen haben könnte. Gut zweieinhalb Monate musste die Frau damit leben, dass sie als mutmaßliche Straftäterin gesehen wird, gar als rechtsradikale Person – bis zur Einstellung der Ermittlungen.
Personen, die sich aktiv politisch oder gesellschaftlich im öffentlichen Raum betätigen, müssen sich einen kritischen (und hoffentlich fairen) Umgang durch Medien gefallen lassen. Privatpersonen, die an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen, möglicherweise auch – hier ist aber eine besondere Sorgfaltspflicht durch Abwägung zu wahren, wenn man seriösen Journalismus anbieten will. Die Botschaft an Teilnehmer unliebsamer Demos ist klar: Überlege genau, ob Du da hingehen willst, eine falsche Bewegung, eine falsche Aussage und wir machen Dich zum Nazi.
Ich selbst während der Veranstaltung anwesend. Sie verlief völlig friedlich. Ja, mutmaßlich rechtsradikale Personen waren in sehr kleiner Zahl vor Ort, auch einige Leute, die den Eindruck auf möglicherweise psychische Schwierigkeiten machten – aber die absolute Mehrzahl der 1.300 Menschen vor Ort waren ganz normale Leute.
Medien können nicht nur, sie müssen sich kritisch mit öffentlichem Geschehen auseinandersetzen – dazu gehört aber eine inhaltliche Auseinandersetzung und nicht nach Gutdünken Menschen an den Pranger zu stellen. Viele Redeinhalte damals waren eher banal und empört und argumentefrei – aber kein einziger war volksverhetzend oder rassistisch oder irgendwie rechtsextrem.
Aktualisierung, 02. Oktober 2020, 17:02 Uhr. Und die Zeitung betreibt weiter Framing. Lokalchef Stefan Proetel schreibt heute zur Einstellung der Ermittlungen: „Die Frau hatte am 18. Juli bei einer Protestveranstaltung gegen Corona-Regeln im Ehrenhof des Schlosses mit erhobenem und ausgestreckten rechten Arm vor der Bühne gestanden, als gerade AfD-Mitglied Ralph Bühler sprach.“
Noch ein Hinweis: Ende 2019 waren Herr Leder und ich als Berichterstatter bei einer AfD-Veranstaltung in Feudenheim. Wir hatten dessen „Bericht“ damals in Teilen als „Fake News“ bezeichnet – der Mannheimer Morgen forderte uns auf, eine Unterlassungserklärung abzugeben. Wir haben geantwortet, dass wir einer Klage gelassen entgegensehen – es kam nicht zur Klage.
„Einer Gruppe von rund 50 Personen war es dennoch gelungen, bis kurz vor den Eingang der Kulturhalle vorzustoßen, wo sie zunächst von der Polizei aufgehalten worden waren. Nach intensiven Gesprächen wurden die Personen durchgelassen und durften die öffentliche Veranstaltung besuchen. (Anm. d. Red.: Der MM “berichtet, diese Personen seien nicht in den Saal gekommen, ebenso wie weitere AfD-Anhänger. Dies ist falsch, Fake News.)“
Dokumentation der Antwort der Staatsanwaltschaft Mannheim auf unsere Anfrage:
„Das Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigte wegen des mutmaßlichen Zeigens des sog. „Hitlergrußes“ am 18.07.2020 im Ehrenhof des Mannheimer Schlosses wurde nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Insbesondere die Auswertung der zur Verfügung stehenden Lichtbilder hat ergeben, dass die Beschuldigte nach dem objektiven Erscheinungsbild keinen „Hitlergruß“ und auch keine einem „Hitlergruß“ ähnliche Geste gezeigt hat (§ 86a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 StGB). Unabhängig davon haben die Ermittlungen keinen Beleg dafür erbracht, dass die Beschuldigte den – für die Tatbestandserfüllung erforderlichen – Vorsatz hatte, einen „Hitlergruß“ oder eine ähnliche Geste zu zeigen. Die Beschuldigte hat den Tatvorwurf von Anfang an glaubhaft bestritten. Zudem haben die Ermittlungen keinerlei Anhaltspunkte für eine rechtsradikale oder rechtsextreme Gesinnung der Beschuldigten ergeben.
Die Ermittlungen kamen in Gang durch den Hinweis eines am 18.07.2020 anwesenden Reporters/Fotografen. Auf den Hinweis hin wurde die Beschuldigte durch die Polizei noch im Ehrenhof als solche belehrt.“
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