Weinheim, 01. September 2015. (red/ms) Die Sorgen waren groß: Aus dem Nichts verkündete das Landratsamt Ende Juni, ab August Asylbewerber im ehemaligen GUPS-Hotel in Weinheim unterzubringen. Jetzt leben hier 80 Menschen mit zehn unterschiedlichen Nationalitäten. Die Weinheimer Bevölkerung wurde vor vollendete Tatsachen gestellt und hatte bei dieser Entscheidungsfindung nichts mitzureden. Und trotzdem gelingt die Flüchtlingsunterbringung hier bislang vorbildlich. Das ist allerdings kein Verdienst des Rhein-Neckar-Kreises – sondern der Weinheimer Bevölkerung. Denn trotz der desaströsen Informationspolitik des Landratsamts gibt es ein beeindruckendes ehrenamtliches Engagement, ohne das alles zusammenbrechen würde.
Von Minh Schredle
Vor dem Weinheimer GUPS-Hotel – das inzwischen eine Unterkunft für Asylsuchende ist – sitzen am frühen Montagmorgen vier Menschen und rauchen. Sie unterhalten sich in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Aber als ich etwas näher komme, begrüßen sie mich offen und auf Deutsch mit “Guten Tag”. Einen Akzent hört man deutlich heraus. Ich versuche, mich ein bisschen mit ihnen zu unterhalten. Das gelingt nicht besonders gut: Sie sprechen kaum englisch und nur sehr bruchstückhaft Deutsch.
Dann kommt ein Mann auf mich zugelaufen, als er sieht, wie ich versuche, mich mit den Asylsuchenden zu unterhalten. Er stellt sich als “der Deutschlehrer” vor. Eigentlich ist er ein Dolmetscher, wie er erzählt. Er spricht Deutsch, Englisch, Französisch und arabisch – vor allem Letzteres sei sehr entscheidend, weil viele Asylsuchende hier nur bruchstückhaft englisch sprechen und sonst keine Möglichkeit hätten, sich zu verständigen.
“Die meisten sind unglaublich motiviert”
Die Asylsuchenden im GUPS-Hotel werden in zwei Gruppen jeweils sechs Stunden pro Woche in Deutsch unterrichtet. Dazu kommen zwei Lehrer von der Mannheimer Abendakademie nach Weinheim.
Der eine von ihnen erzählt, er befinde sich noch im Master-Studiengang und wolle das Unterrichten üben. Da eigne sich das GUPS-Hotel ideal, um erste Erfahrungen zu sammeln. Bislang seien seine Erfahrungen “ganz überwiegend positiv” gewesen:
Die meisten Menschen hier sind unglaublich motiviert und machen riesige Fortschritte. Es gibt leider auch welche, die überhaupt keine Lust haben und das auch deutlich zeigen – aber die gibt es immer.
Dann wendet sich “der Deutschlehrer” seinen Schülern zu und fordert sie auf, mit in das Hotel zu kommen, damit er den Unterricht beginnen können. Drei der Männer springen regelrecht auf. Der Vierte folgt eher widerwillig und verzieht das Gesicht.
“Landespolitik muss sich ein besseres Bild machen”
Wenig später, etwa gegen 09:00 Uhr, trifft der Landtagsabgeordnete Georg Wacker (CDU) ein. Er will sich ein Bild von der Lage vor Ort machen. “Die Kommunen, die die Asylbewerber aufnehmen, haben den direktesten Kontakt zu diesen Menschen,” sagt er:
Es ist also sehr wichtig, dass auch die Landespolitik Bescheid weiß, was in den Unterkünften gut läuft – und wo es Verbesserungspotenzial gibt.
Georg Wacker hat seit 1996 vier Mal in Folge das Direktmandat im Wahlkreis Weinheim für die CDU gewonnen. Unter der schwarz-gelben Rergierung war er zwischen 2006 und 2011 Staatssekretär. Aktuell ist er der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion.
Auf Landesebene finden im August keine Ausschusssitzungen statt und der Landtag tagt nicht. Von einer “Sommerpause” zu reden, ist etwas übertrieben – vor allem jetzt im Zusammenhang mit den zunehmenden Flüchtlingszahlen gibt es für die Politik dringlichen Handlungsdruck. Aber zumindest bleibt den Abgeordneten etwas mehr freie Zeit als für gewöhnlich. Viele Mandatsträger arbeiten üblicherweise mehr als 60 Stunden pro Woche.
Seit 2012 veranstaltet Georg Wacker in der sitzungsfreien Zeit mehrtägige Radtouren. In der laufenden Woche wird er insgesamt vierzehn Termine in den zehn Kommunen seines Wahlkreises wahrnehmen. Den Auftakt machte heute morgen ein Vor-Ort-Termin im GUPS-Hotel in Weinheim.
“Außergewöhnlich harmonisch”
Das Zusammenleben laufe bislang “außergewöhnlich harmonisch” ab, sagen die beiden Sozialarbeiter Dennis Eling und Karen Maas. Das sei bei so vielen Nationalitäten lange nicht selbstverständlich. Die 80 Menschen in Weinheim kommen ihren Angaben zufolge aus Syrien, Togo, Nigeria, Kamerun, Serbien, Mazedonien, Kosovo, dem Irak, dem Iran und der Türkei.
Frau Maas und Herr Eling sind täglich von 09:00 Uhr bis 12:00 Uhr vor Ort. Dann müssen sie weiter, um in anderen Kommunen zu helfen. Sie betreuen außerdem Asylsuchende in Hemsbach, Laudenbach und Schriesheim. Bald kommt auch noch Dossenheim dazu. Aktuell sind sie für rund 250 Menschen zuständig. Herr Eling sagt:
Natürlich ist das eine große Arbeitsbelastung – aber ziemlich normal in diesen Zeiten.
Man würde allerdings niemals ohne die Mithilfe von Ehrenamtlichen zurecht kommen: “Das ist ganz entscheidend für eine gelungene Unterbringung,” sagt er. Gefühlt würde auf jeden Asylbewerber ein ehrenamtlicher Helfer kommen. Auch Christine Münch vom Arbeitskreis Asyl sagt, es gebe “mindestens 80 Helfer”.
_____________________
Lesetipp: Landrat Dallinger versucht die Weinheimer nach kläglicher Informationspolitik zu beschwichtigen
“Ich bin für Ihren Unmut verantwortlich”
_____________________
Ohne das Ehrenamt würde in Weinheim alles zusammenbrechen. Das Landratsamt kann sich glücklich schätzen, dass es mit seiner “unglücklichen” Informationspolitik nicht jegliche Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung vergrault hat. Herr Wacker zeigt sich beeindruckt:
Ich glaube, ich habe in noch keiner anderen Gemeinde so viel entschlossenes Engagement gesehen wie hier in Weinheim.
Rund um das GUPS-Hotel stehen rund 50 Fahrräder – Spenden aus der Bevölkerung. Frau Münch sagt, es sei “nahezu rund um die Uhr” mindestens ein ehrenamtlicher Helfer vor Ort, um die Asylbewerber zu betreuen.
Es sei ausgesprochen wichtig, dass für die Asylbewerber Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden, erklärt Dennis Eling. Die Deutsch-Kurse seien aktuell die “einzige wirkliche Konstante” in ihrem Tagesablauf. Daher wäre es wünschenswert, ein größeres Angebot zu schaffen. Mit dem TSG Lützelsachsen gebe es bereits eine Kooperation und drei der Asylbewerber würden dort schon mittrainieren. Herr Eling sagt dazu:
Wir wollen die Zusammenarbeit mit den Vereinen unbedingt weiter ausbauen.
Ein-Euro-Probleme
Fünf Personen würden 1-Euro-Jobs bei der Caritas übernehmen, sagt die Sozialarbeiterin Frau Maas. Und gerne würden noch mehr der Asylsuchenden arbeiten. Man sei in Verhandlungen mit der Stadt Weinheim, um mehr Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen:
Der große Knackpunkt ist: Der eine Euro pro Stunde wurde früher vom Kreis bezahlt. Jetzt muss das die Stadt finanzieren. Das sorgt für Probleme.
Nach Auskunft der Sozialarbeiter erhält ein Asylsuchender ohne Nebenverdienst in Weinheim je nach Alter und Familienstand zwischen 210 Euro und 320 Euro – das muss für alles reichen. Auch für das Essen. Die Asylbewerber kochen für sich selbst. Das funktioniert offenbar ohne größere Probleme oder Reibereien. Im Inneren des Hotels fällt außerdem auf, wie sauber alles ist – insbesondere die Küchen.
Doch lange nicht alles in Weinheim läuft optimal: Im GUPS-Hotel ist keine ständige Verwaltungskraft rund um die Uhr vor Ort. Die Sozialarbeiter sind jeden Tag nur drei Stunden in Weinheim. Meistens sind zwar ehrenamtliche Helfer anwesend. Dass die Flüchtlinge aber jederzeit einen Ansprechpartner haben, ist nicht mit Sicherheit gewährleistet.
Weil die Landeserstaufnahmestellen Baden-Württembergs stark überbelegt sind, kommt es außerdem zu absurden Szenarien: Teilweise wurden nach Angaben der Sozialarbeiter schon Flüchtlinge nach Weinheim verwiesen, bevor sie überhaupt erst ihren Asylantrag stellen konnten. In diesem Fall müssen sie einige Tage später nach Karlsruhe fahren, um das nachzuholen. Zeitgleich wird dann das erste Interview des Asylverfahrens geführt.
Groteskes Prozedere
In den ersten zwei Wochen ihres Aufenthalts bekommen Flüchtlinge in Deutschland noch keine Geldleistungen. Das Ticket nach Karlsruhe müssen die Asylbewerber aber im Voraus zahlen, um es anschließend erstattet zu bekommen. Besonders grotesk wird es also, wenn ein Asylsuchender von Karlsruhe auf eine Kommune verteilt wird, um dann wenige Tage später dorthin zurückfahren zu müssen.
Das Geld muss er dann aus seinem eigenen “Vermögen” vorfinanzieren – sofern das überhaupt noch existiert. Ansonsten müssen die Asylbewerber Schulden machen – “auch das ist hier schon vorgekommen,” sagt ein Sozialarbeiter:
Wir appellieren daher an das Land, den Interviewtermin nicht mehr auf die ersten beiden Wochen des Aufenthalts anzusetzen, wenn ein Mensch in dieser Zeit schon einer Kommune zugewiesen wurde.
Ansonsten gibt es in Weinheim aktuell wenig Anlass zur Sorge – solange die ehrenamtliche Unterstützung weiterhin auf diesem hohen Niveau bleibt.
Momentan gelingt die Unterbringung der Asylsuchenden im GUPS-Hotel gut und somit deutlich besser als in vielen umliegenden Gemeinden. Schwierig sei eigentlich nur die Verständigung mit den Asylsuchenden, wenn kein Dolmetscher zugegen ist, sagt Frau Maas:
Es gibt immer wieder Kommunikationsprobleme. Mit Hand und Fuß kriegt man das aber irgendwie hin.
Auch wenn sie einander nicht immer verstehen – die Stimmung unter den Asylbewerbern ist sehr gut. “We are endlessly grateful to be here,” sagt mir ein junger Afrikaner. Und seine Dankbarkeit wirkt zutiefst aufrichtig.
Als er sieht, dass ich eine Kamera dabei habe, bittet er mich darum, ein Foto zu machen und ruft ein paar seiner Freunde zu sich. Schnell hat sich eine große Gruppe um mich gebildet und sie alle reden auf mich ein. Ich verstehe kein Wort – und weiß trotzdem genau, was sie wollen. Mit Händen und Füßen klappt die Verständigung irgendwie.
Ich mache das “Picture” – die Flüchtlinge wollen ein Gesicht haben und gezeigt werden. Sie wollen zeigen, dass sie froh sind, hier in Deutschland zu sein.