Schriesheim/Rhein-Neckar, 4. September 2015. (red/sl) Sie haben ihr altes Leben hinter sich gelassen und oft alles, was sie hatten, aufgegeben, um Unterdrückung und Tod zu entgehen. Wie werden die Asylsuchenden aus Syrien in Schriesheim aufgenommen? Wie gestaltet sich ihr Alltag? Sie haben kaum etwas zu tun und die umliegenden Anwohner beschweren sich über Lärmbelästigung. Im „kleinen Mönch 5“ leben derzeit 25 Syrer – 16 davon sind noch Kinder.

Der Landtagsabgeordente Georg Wacker (Zweiter von rechts) und einige Kollegen aus der CDU haben am vergangenen Dienstag die Asylbewerberunterkunft im „Kleinen Mönch 5“ besucht.
Von Sandra Ludwig
In der Flüchtlingsunterkunft werden Stühle zurechtgerückt und der Schwarztee aufgegossen. Am vergangenen Dienstag bekamen die Bewohner Besuch von Georg Wacker, Landtagabgeordneter der CDU.
Er hat es sich zur Gewohnheit gemacht, seinen Wahlkreis zwischen Bergstraße und Neckar in der sitzungsfreien Zeit im Sommer mit dem Fahrrad abzufahren. Heute will er sich über die Situation der Flüchtlinge in Schriesheim informieren – gern auch im Beisein der Presse. Die Bewohner der Flüchtlingsunterkunft empfangen ihn gastfreundlich.
Zankapfel Fensenbäume
Die Aufnahme von Asylbewerbern ist für viele Schriesheimer ein heikles Thema: Zahlreiche Bürger stehen dem Bauprojekt in der Straße „In den Fensenbäumen“ skeptisch gegenüber – sie sehen den „sozialen Frieden“ in ihrer Nachbarschaft bedroht und empfinden eine Flüchtlingsunterkunft in ihrer Nähe als Belästigung, die möglicherweise auch noch den Wert ihrer Immobilen senken könnten.
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Derartige Berührungsängste hat Georg Wacker nicht. Er nimmt sofort Platz, bedankt sich für den angebotenen Tee und kommt schnell mit einigen Asylsuchenden ins Gespräch. Den Schilderungen der Bewohner hört er aufmerksam zu – er hat Zeit mitgebracht.
Neben dem Landtagabgeordneten sind einige Kollegen aus der CDU sowie die Sozialarbeiter Karen Maas und Denis Elling anwesend. Fadi Abad, ein junger Palästinenser und Sohn von Herrn Wackers Freunden, übersetzt für ihn.
Integrationswille auch bei Schriesheimer Flüchtlingen
„Wie geht es ihnen? Gibt es Probleme?,“ erkundigt sich der Landtagsabgeordnete bei den anwesenden Bewohnern. „Wir fühlen uns hier wohl“, berichtet ein Bewohner. Nur mit dem Deutschunterricht für Erwachsene sei man nicht zufrieden. Zwei Stunden in der Woche an der Volkshochschule reichen nicht aus:
Da vergisst man die ganze Grammatik schnell wieder,
sagt ein älterer Mann und verzieht den Mund. Dennoch zeigen die Bewohner viel Bereitschaft, Deutsch zu sprechen. Für eine freundliche Begrüßung und ein bisschen small talk reicht es schon. Die Kinder lernen Deutsch in der Schule. Noch sind sie in Anwesenheit der Besucher etwas schüchtern. Der 17-jährige Mohammad aber spricht bereitwillig Deutsch. Er will gern in Deutschland bleiben und eine Ausbildung zum Automechaniker machen.
Wenig Privatsphäre im „Kleinen Mönch“
Im Mehrfamilienhaus „Im kleinen Mönch 5“ wohnen 25 syrische Flüchtlinge auf drei Etagen – man lebt deshalb eng beieinander. Die fünf Familien haben insgesamt 16 Kinder. Das Haus ist in einem guten Zustand, die Küche sauber. Die Einrichtung allerdings ist spartanisch.
Die Enge mache den Bewohnern zu schaffen, sagt Sozialarbeiterin Karen Maas:
Es besteht für die einzelnen Familien zu wenig Privatsphäre.
Ein syrischer Familienvater berichtet Georg Wacker auf dessen Nachfrage über seine Flucht und deren Gründe. In Syrien habe man seinen Bruder verhaftet. Da das Assad-Regime oft Sippenhaft praktiziert, sei die Familie kurz darauf zu Fuß in den Libanon geflüchtet. Von dort erreichte der Vater Ägypten mit dem Flugzeug. Seine Familie schickte er in der Zwischenzeit nach Jordanien. Er zog allein weiter nach Libyen und holte seine Familie nach. Ab Libyen reisten die fünf mit einem Schiff von Schleppern nach Italien.
Seine Frau zeigt auf ihrem Smartphone Fotos von der Familie an der Reling des Flüchtlingsschiffs. Die Aufnahmen stehen in einem krassen Kontrast zur täglichen Berichterstattung von havarierten Flüchtlingsbooten: sie erinnern an Fotos eines unbeschwerten Familienurlaubs – sonniger Himmel, blaues Meer. Hier zeigt sich die Fähigkeit von Menschen, sich auch in den unmöglichsten mit Situationen zu arrangieren.
Nach der Flucht: Zermürbendes Warten

Kleiner Mönch: Hier sind die syrischen Familien untergebracht.
Für die Überfahrt verlangten Schlepper 5.000 Euro von der fünfköpfigen Familie. Herr Wacker hakt nach, erkundigt sich nach der Versorgung an Bord. Man habe Wasser und Essen gehabt, berichtet der Vater. Allerdings habe man nicht viel mitnehmen dürfen. Auch wenn er arabisch spricht und ich ihn nicht verstehe, erstaunt mich, wie nüchtern und wenig selbstmitleidig er bei seinen Schilderungen wirkt.
Von Italien aus schlug sich die Familie in Zügen nach Deutschland durch. Die Nächte verbrachten sie oft auf der Straße. „Wir hatten kein Geld mehr, um ein Zimmer zu zahlen“, erklärt der Vater. Acht Tage brauchten sie von Italien nach Deutschland. Hier haben sie Verwandte.
Asylverfahren ziehen sich hin
Nach der beschwerlichen Reise erlebte die Familie ein anderes Extrem – das Abwarten in der Erstaufnahme und nun in der Flüchtlingsunterkunft in Schriesheim, wo es wenig Beschäftigungsmöglichkeiten gibt. Seit über einem Jahr leben die Asylsuchenden nun in Deutschland. Den Termin für die Antragstellung auf Asyl haben sie aber erst für November 2015 erhalten.
Mohammad versteht diese langwierige Bürokratie nicht. „Verwandte, die in Bremen untergekommen sind, sagten, dass man nach drei bis sechs Monaten einen Antrag stellen kann,“ erzählt er. Auch Georg Wacker ist irritiert: „Hier ist die politische Verfolgung doch offensichtlich. Warum werden da keine Prioritäten in der Verwaltung gesetzt?“
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Bis das Asylverfahren in Gang kommt, können insbesondere die Erwachsenen ihr neues Leben nur begrenzt gestalten. Auf Georg Wackers Frage, wie der Alltag der Familien aussähe, antwortet eine Frau lachend auf Deutsch:
Schlafen, essen, fertig!
Das ist allerdings etwas überspitzt. Denn auch wenn es wenige sind – ein paar Beschäftigungmöglichkeiten gibt es. Wie der Familienvater wenig später erzählt, gingen sie immer Mittwochs Fußball spielen. Außerdem kämen regelmäßig Ehrenamtliche vorbei, insbesondere um sich um die Kinder zu kümmern.
Die beiden Sozialarbeiter Karen Maas und Denis Elling betonen, wie wichtig ausreichende Beschäftigungsmöglichkeiten für Asylsuchende sind. Die beiden sind für die Betreuung von etwa 250 Flüchtlingen im Rhein-Neckar-Kreis zuständig. Überall dort, wo diese Menschen etwas zu tun haben, gelinge die Unterbringung deutlich ruhiger und reibungsloser.
Konflikte mit Anwohnern
Gegen Ende seines Besuchs fragt Herr Wacker, wie sich die Flüchtlinge mit den Schriesheimern verstehen. „Wunderbar!“ ruft Mohammad als erste Reaktion. Es bestehen aber doch Probleme mit manchen Nachbarn, berichtet die Sozialarbeiterin Karen Maas. Einigen seien die spielenden Kinder und die Gespräche der Bewohner zu laut.
„In dieser Wohngegend verbringen viele Rentner ihren Altenteil“, erklärt Frau Maas. Die wünschten sich Ruhe. Die Flüchtlinge hingegen fühlen sich von den Anwohnern mitunter respektlos angesprochen. Die Sozialarbeiter versuchen zu vermitteln:
Beide Parteien müssen aufeinander zugehen.
Die Problematik ist also ähnlich wie die in den „Fensenbäumen“ – es soll doch bitteschön alles so bleiben, wie es war. Wahrscheinlicher ist aber, dass sich noch einiges ändert. Viele syrische Bürgerkriegsflüchtlinge werden in Deutschland bleiben wollen – zumal sich eine Lösung des Konflikts in der nächsten Zeit nicht abzeichnet.
Auf Herrn Wackers Frage, ob die Flüchtlinge irgendwann zurückkehren wollen, erhält er unterschiedliche Antworten. Mohammads Mutter möchte in Deutschland bleiben, sein Vater ist sich nicht sicher. Der Vater der fünfköpfigen Familie kann sich eine Rückkehr nicht vorstellen. Er ist schwer traumatisiert, selbst vor der deutschen Polizei fürchtet er sich. Und:
Wenn es gewittert, zucke ich bei jedem Donnerschlag zusammen