Mannheim, 27. Mai 2019. (red/pro) Nach dem „Stimmzettelergebnis“ liegen Bündnis90/Die Grünen knapp vor der SPD und klar vor der CDU. Bis Dienstagnachmittag soll die Feinauszählung vorläufig feststehen. Hier sind noch durch kumulierte und panaschierte Stimmen deutliche Veränderungen zu erwarten. Davon werden vor allem die FDP, die Mannheimer Liste und Die Linke profitieren, aber auch die Grünen.
Von Hardy Prothmann
Nach Analyse von RNB ist noch mit Überraschungen bei der Auszählung der Stimmen der Kommunalwahl in Mannheim zu rechnen. Denn insbesondere die Grünen haben bei der Wahl 2014 deutlich mehr Panaschierungsgewinne erreicht als die SPD und vor allem die CDU.
Beim Panaschieren erhalten Kandidaten anderer Parteien auf einem Stimmzettel zusätzliche Stimmen, beim Kumulieren können Kandidaten bis zu drei Stimmen erhalten, ob als Kandidat auf einem Stimmzettel oder als panaschierte Stimmen.
Grüne in der Vergangenheit Panaschierungsgewinner
Der verstorbene Stadtrat und Landtagsabgeordnete Wolfgang Raufelder (Grüne) hatte beispielsweise bei der Kommunalwahl 2014 insgesamt 11.033 über die Liste von Bündnis90/Die Grünen erhalten, aber über Panaschierung deutlich mehr, insgesamt 19.519. Elke Zimmer, Nachfolgerin im Landtag, konnte bei weitem nicht so stark von Panaschierungen profitieren. Sie erhielt 9.748 Stimmen über die Wahlliste und 6.247 über Panaschierungsgewinne. Die von Herrn Raufelder erreichten Stimmen werden bei der aktuellen Wahl klar fehlen.
Trotzdem haben die Grünen bei der Kommunalwahl 2014 deutlich mehr als die SPD von Panaschierungsgewinnen profitiert, die CDU am wenigsten – auf diese drei Parteien betrachtet. Damit ist davon auszugehen, dass der Abstand der Grünen auf die SPD wächst und das CDU-Ergebnis tendenziell im Verhältnis schlechter wird als nach der Stimmzettelauszählung, die aktuell nur etwa 36 Prozent der abgegebenen Stimmen erfasst.
Erheblich profitieren werden – sollten die Wählerinnen und Wähler in ähnlicher Weise kumuliert und vor allem panaschiert haben – die Mannheimer Liste (6,4 Prozent), die FDP (5,1 Prozent) und Die Linke (5,4 Prozent), aber auch MfM (1,1 Prozent). Panaschierungsgewinne, die sich hier ergeben, werden zu Lasten der vorderen drei Parteien gehen, insbesondere der CDU.
Ergebnis für die kleinen Parteien beeinflusst das der großen
Nach der Stimmzettelauszählung verliert die NPD (0,5 Prozent) ihren Sitz und ist nicht mehr vertreten. Panaschierungsgewinne spielen hier keine Rolle. Ob das auch für die „Mannheimer Volkspartei“ von Julien Ferrat gilt, bleibt abzuwarten. Aktuell ist der Stadtrat, der ursprünglich über die Liste von „Die Linke“ gewählt worden war, mit 0,5 Prozent nicht mehr im Gemeinderat vertreten. Dafür scheint es mindestens einen Sitz für „Die Partei“ (2,8 Prozent) zu geben, eventuell sogar für die Tierschutzpartei (1 Prozent). Diese beiden Kleinstparteien kosten vermutlich die Grünen Prozentpunkte. Die AfD (9,3 Prozent) konnte 2014 nicht von Panaschierungen profitieren – deren Ergebnis von rund 9 Prozent wird sich deshalb eher nicht verbessern, sondern möglicherweise verschlechtern.
Hohe Wahlbeteiligung
Mit 49,7 Prozent lag die Wahlbeteiligung mit 11 Prozentpunkten erheblich höher als 2014. Davon profitieren überwiegend die größeren Parteien und offensichtlich ist es den Grünen gelungen, in enormem Umfang Wähler zu mobilisieren. Hinzu kommt der „Thunberg“-Effekt – die auch medial inszenierte Panikstimmung in Sachen Klima dürfte sehr viele Stimmen gebracht haben, aber auch das manipulative „Rezo-Video“, das vor allem junge Wähler angesprochen hat. Hinzu kommt, dass die Grünen sich klarer als Europa-Partei aufgestellt haben als andere und auch das AfD-Bashing dürfte eher den Grünen als den anderen Parteien genutzt haben, mal abgesehen davon, dass die Grünen als „Gegenkraft“ zur AfD deutlich von der Existenz der AfD profitieren. Lokal dürfte die AfD unter dem Dauerstreit des Kreisverbands mit dem im Mannheimer Norden direkt gewählten Landtagsabgeordneten Rüdiger Klos gelitten haben – nach Stimmzettelergebnis hat man zwar 1,8 Prozentpunkte hinzugewonnen, was aber weit entfernt von einem klaren zweistelligen Ergebnis ist.
Wie fallen die Stimmen auf die Kandidaten?
Überhaupt nicht klar ist, wer ein Mandat im Gemeinderat erhält. Bekannte Namen bei den verschiedenen Wahllisten haben die besten Chancen. Da aber sehr viele bisherige Stadträte von CDU und SPD nicht mehr angetreten sind, kommt Bewegung in die Sache – wie konnten die einzelnen neuen Bewerber ihre Wähler erreichen? Das wird auch bei den Grünen wesentlich sein, die mit vielen unbekannten Kandidaten angetreten sind und allein unter den ersten zehn Kandidaten drei Studenten haben, darunter Melis Sekmen. Die wird von ihrer Bekanntheit profitieren, aber auch die anderen beiden Studenten? Eher nicht. Deshalb ist hier offen, inwieweit Panaschierungsgewinne realisiert werden können.
Die SPD konnte überhaupt nicht vom „Oberbürgermeister-Effekt“ profitieren. Vielleicht wird aber auch andersherum ein Schuh draus und sie hat von der großen Wertschätzung der Mannheimer gegenüber Dr. Peter Kurz profitiert und deshalb nicht noch schlechter abgeschnitten.
Grüne als stärkte Fraktion und CDU nur noch mittlere Fraktion?
Nach RNB-Prognose bewegt sich die Sitzverteilung in diesem Rahmen (in Klammern unsere Schätzung): Grüne 11-12 Sitze (11), SPD 9-11 Sitze (10), CDU 8-10 Sitze (9), Mannheimer Liste 5-6 Sitze (6), AfD 5-6 Sitze (5), Die Linke 2-3 Sitze (3), FDP 2-3 Sitze (3), MfM 1 Sitz, Die Partei 1 Sitz (0), Tierschutzpartei 1 Sitz (0).
Die kleinen Wahllisten wie ML, Die Linke, FDP können zufrieden mit der Wahl sein, sie werden nicht verlieren, sondern gewinnen. Die AfD konnte nur schwach zulegen, wird vermutlich aber auch einen Sitz mehr erreichen. Die SPD kann überhaupt nicht zufrieden sein, aber am meisten Sorgen muss sich die CDU machen. Sollte sie nur 9 Sitze erreichen, ist sie keine große Fraktion mehr, was sich in erheblich weniger Mitteln für die Fraktionsarbeit niederschlägt.
Voraussichtlich gibt es keine Mehrheit mehr für eine „große Koalition“ aus SPD und CDU, aber auch keine konservative Mehrheit, denn CDU, Freie Wähler, AfD und MfM passen inhaltlich nicht zusammen. Daher ist eine grün-rot-rote Mehrheit aus Grünen, SPD und Die Linke wahrscheinlich. Sollte unsere Prognose aus 11, 10 und 3 Sitzen zutreffen, wären das 24 Stimmen, die zusammen mit dem Oberbürgermeister eine kleine, aber entscheidende Mehrheit (25:24 Stimmen) bei strittigen Entscheidungen bringen könnte.
So gesehen wären die Grünen zwar die neue dominante Kraft vor der SPD, aber keine dieser Parteien kommt ohne Die Linke aus, was dieser kleinen Partei im Verhältnis gesehen sehr viel Gewicht geben wird. Damit wäre Die Linke der heimliche zweite Wahlsieger.
Hinweis der Redaktion: Für die Analyse haben wir das Ergebnis der Kommunalwahl 2014 herangezogen. Hier lassen sich die Kumulierungsgewinne der einzelnen Kandidaten in Summen bilden und im Verhältnis betrachten. Da die Wahlbeteiligung sehr viel höher als 2014 lag, könnten die großen Parteien eher profitieren, andererseits wurden aber 64 Prozent der Stimmzettel verändert abgegeben, was erhebliche Verschiebungen nach sich ziehen kann. Betrachten Sie deshalb unsere Analyse sportlich – wir sind selbst gespannt, wie gut wir prognostiziert haben. Der alte Gemeinderat hat eine deutliche Veränderung befürchtet und eine Anpassung der Fraktionsgrößen vorgenommen – große Fraktion ist man deshalb in dieser Wahlperiode mit 10 Sitzen statt vorher 12 Sitzen.