Mannheim, 26. April 2013. (red/ld) So raumgreifend, wie diese Ausstellung, sei noch keine in den „Strümpfen“ gewesen, sagt Eric Carstensen. Seit fast vier Jahren betreiben er und Andreas Zidek die Galerie in der Jungbuschstraße. Wo einst wirklich Strümpfe und Miederwaren verkauft wurden, kommen heute Menschen, um Kunst zu sehen oder sich einfach zu treffen.
Von Lydia Dartsch

Seit knapp vier Jahren betreiben der Schmuckkünstler Andreas Zidek und der Fotograf Eric Carstensen die Galerie „Strümpfe“ im Jungbusch.
Sich mit Eric Carstensen und Andreas Zidek zu treffen, ist nicht so einfach. Beim vereinbarten Termin, eineinhalb Stunden vor der Vernissage der Ausstellung „Komm zu mir“ von Birgit Schuh und Michael Volkmer, sind die „Strümpfe“ noch zu. Licht brennt, aber niemand reagiert auf Klopfen und Klingeln. Der Hausherr Carstensen fragt per Facebook, ob die Künstler schon da seien. Sind sie nicht. Und er schreibt, er schaffe es erst eine Stunde später.
Beim zweiten Versuch klappt’s
Unwirtlich wirkt die Jungbuschstraße an diesem frühen Freitagabend: Der Aprilwind pfeift, die Luft ist feucht und die Autos, die vom Luisenring in die Straße einbiegen, verspritzen das Wasser aus den Pfützen, die der letzte Aprilschauer hinterlassen hat. Noch gibt es am Himmel ein paar blaue Löcher, aber es dauert keine 20 Minuten, bis es wieder aus Eimern regnet.

Der Schriftzug ist dem Messingschild des ehemaligen Strumpf- und Miedergeschäfts angelehnt. Das Schild hängt immer noch über der Eingangstür.
Gegenüber dem Eingang zu den Strümpfen stehen biertrinkende Männer vor dem Jungbuschmarkt und schauen neugierig herüber. Ein Café, in dem man es sich gemütlich machen und die Zeit vertreiben kann, gibt es nicht. Also heißt es erst einmal Rückzug. Dass dies die richtige Entscheidung war, zeigt sich, als die Redaktionstür ins Schloss fällt und es draußen Hunde und Katzen regnet.
Früher ein Geschäft für Strümpfe und Miederwaren
Beim zweiten Versuch, pünktlich zur Vernissage, ist die Tür offen und die beiden sind da, stehen an der Bar und begrüßen die Gäste des Abends. Die Frage, wie viele Menschen im Jahr hierherkommen, weil sie kalte Füße haben, leitet nicht wie erhofft zu einem lockeren Gespräch über die „Strümpfe“, die Kunst und das Leben ein. Ständig kommen Gäste herein und wollen begrüßt werden. Das Gespräch versickert, bevor es angefangen hat. Erst später, als das Bier ausgetrunken ist, gerät es in Fahrt.

Wer sich nicht für Kunst interessiert, trifft sich in den Strümpfen mit Freunden zum gemütlichen Plausch.
Aber noch ist die Flasche voll und die Gastgeber mit ihrem Publikum beschäftigt. Es ist Zeit, sich umzusehen. Hinter der Bar geht es ein paar Stufen nach oben. Dort steht ein Schreibtisch mit Computer und ein Fußballtisch. Das ist der Arbeitsplatz, an dem der Foto- und Videokünstler Carstensen seine Werke erschafft. An der Wand daneben hängen kleine Rahmen mit Stücken von Nylonstrümpfen.
Das war früher ein Geschäft für Strümpfe und Miederwaren. Wir haben sogar noch das original Schild von damals über der Tür hängen,
sagt Eric Carstensen. Um das zu sehen, müssen selbst große Menschen den Kopf ziemlich in den Nacken legen. Neben den Strümpfe-Bildern geht es in einen Korridor mit einem Stuhl und einem Schild: „Privat“ steht da. Weiter hinten sieht man eine hinterleuchtete Schrift: „Ach!“

Die Nylonstrümpfe erinnern noch an die alte Zeit der Galerie als Geschäft für Strümpfe.
Ist das auch Kunst? Ja! Der ganze Raum ist Eric Carstensens Kunstprojekt, das er seit 2009 führt: Es war seine Wohnung und sein Wohnzimmer teilt er mit Künstlern, Kunstliebhabern und den Menschen, die sich hier einfach nur im Nachtleben austoben wollen. Gut 9.000 seien das im Jahr:
Ich liege manchmal hier auf dem Sofa und ruhe mich aus. Ansonsten arbeite ich an meinen Projekten. Früher hab ich auch richtig hier gewohnt. Letztes Jahr habe ich geheiratet und bin seitdem sesshafter geworden,
sagt der Künstler.

Verkehrspurpur heißt die Farbe, in der die Künstler Birgit Schuh und Michael Volkmer die Wand gestrichen haben.
Galerie als Kunst- und Lebensprojekt
Sein Kunstprojekt besteht darin, anderen Künstlern Ausstellungsfläche zu bieten. Renovierungsarbeiten inklusive: Im hauptsächlichen Ausstellungsraum, wo sich die Besucher an der Bar ein Glas Wein einschenken lassen, ist eine der Wände knallpink angemalt. Verkehrspurpur heißt die Farbe. Die Säule, die die hohe Stuckdecke hält, hat den gleichen Anstrich bekommen. Auf der anderen Seite ist die Wand in Elfenbein gestrichen.

„Des Kaisers neues Kleid“ könnte dieses Werk heißen. Doch der Kleiderbügel scheint nur leer.
Das war vorher alles weiß. Ich habe die Wände nur für die Künstler gestrichen und die Wand oben, beim Kicker, habe ich gestern noch verputzt. Hast Du das Kleid gesehen?
fragt er unvermittelt und zeigt hinter die Bar auf die Wand neben dem Kicker, an die ein Kleiderhaken geschraubt ist. Ein leerer Kleiderbügel hängt dort im Licht eines Scheinwerfers und wirft einen schwarzen Schatten auf die elfenbeinfarbene Wand. Wo ist das Kleid?
Sieh mal genau hin,
sagt er und tatsächlich: Dort scheint die Silhouette eines Kleides am Schatten des Bügels. Raffiniert! Die übrigen Kunstwerke des Künstlerduos bestehen aus dem Wort „Still“, das sie elfenbeinfarben als Hochrelief in Rahmen gesteckt haben. Jetzt heben sie sich von der verkehrspurpurnen Wand ab. Ihr gegenüber hängt eine Jesusfigur an dem Wort „Fun“, in der gleichen Farbe.

Fun heißt es an der anderen Wand. Im U hängt eine gekreuzigte Jesusfigur.
Geringe Hemmschwelle für Kunstinteressierte
Die Strümpfe seien beliebt bei den Künstlern und den Besuchern. Wer will, kann kommen und sich die Werke ansehen und auch gleich kaufen. Bei 25 Prozent Provision sei das günstig für die Künstler, sagt Eric Carstensen. Häufig seien Kollegen aus der Szene zu Besuch. Wer sich nicht für Kunst interessiert, könne sich hier mit Freunden treffen und etwas trinken.
Wir haben erstaunlich viele Erstkäufer unter unseren Kunden. Die Menschen haben keine Berührungsängste.
Finanziell einträglich sei das Geschäft mit der Kunst aber nicht. Um die Galerie unterhalten zu können, seien sie angewiesen auf das Kulturamt und auf Spenden, sagt er.

Bilderrahmen mit dem Wort „Still“ in Elfenbein. Die Ausstellung dauert noch bis zum 26. Mai.
Eric Carstensen wurde im Jahr 2001 mit dem Förderpreis für junge Künstler der Stadt Mannheim ausgezeichnet. Die Alte Feuerwache hatte ihn damals angekündigt als „Fotograf, der keiner ist.“ Das sei kurz nach seinem Kunststudium in Essen und in Paris gewesen. Von 2005 bis 2008 lehrte er Videokunst an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg. Seitdem hat der in der Bretagne geborene Künstler zahlreiche eigene Ausstellungen gemacht.
Gewinner des Förderpreises der Stadt 2001
Bei der Verleihung des Förderpreises der Stadt Mannheim habe er Andreas Zidek getroffen, dem das Schmuckatelier „Gamblers Jewels“ im Quadrat G7 gehört. Die Kette „Violet Bar“, die er entworfen hat, trägt Eric Carstensen an diesem Abend um den Hals.
Ob ihm meine Kunst gefallen hat, weiß ich nicht. Wir haben uns gut gefallen. Das ist wichtig,
sagt er. Im Jahr 2009 eröffneten sie ihre eigene Galerie im alten Strumpf- und Miedergeschäft „Strümpfe“. Elf Ausstellungen zeigen sie dort im Jahr. Geöffnet ist die Galerie dienstags bis donnerstags von 11:00 bis 17:00 Uhr sowie freitags und samstags von 20:00 bis 02:00 Uhr. Die Ausstellung „Komm zu mir“ von Birgit Schuh und Michael Volkmer ist noch bis zum 26. Mai zu besichtigen.

Die Stuckdecke in den Strümpfen stammt noch von dem alten Geschäft. Die Beleuchtung sorgt jetzt für eine angenehme Baratmosphäre.