Mannheim, 06. September 2013. (red/ld) Die Böckstraße 14 im Mannheimer Jungbusch hat seit gestern abend wieder fließendes Wasser. Eine Woche lang waren die 60 Bewohnerinnen und Bewohner des Mehrfamilienhauses ohne Wasser. Die MVV hatte ihnen am 29. August den Hahn zugedreht, weil die Rechnungen für Wasser seit Monaten nicht mehr bezahlt worden waren. Die Bewohner sind ratlos. Sie sagen, sie haben Miete und Nebenkosten bezahlt: Monat für Monat.
Von Lydia Dartsch
„Morgen werden wir die Wassersperrung wieder aufheben“, sagte Roland Kress, Pressesprecher der MVV Energie-AG, am Mittwochnachmittag. Dieser Anruf überraschte. Kurz zuvor hatten wir bei ihm nachgefragt, warum die Bewohner seit einer Woche kein fließendes Wasser mehr hatten, obwohl sie die geforderten 3.034 Euro für die Aufrechterhaltung der Wasserversorgung am 30. August bezahlt hatten – auch wenn die Frist dafür bereits abgelaufen war. Die Forderungen ein paar Tage nach Ablauf der Frist zu bezahlen, sei kein Problem, sagte Herr Kress am Telefon und versprach nachzuhaken.
Rückblick auf Montag 02. September:
Milo Dinev (Name von der Redaktion geändert) kommt nach seinem langen Arbeitstag als Lkw-Fahrer aus der Dusche und ist froh, sich waschen zu können. Er duscht bei seinem Cousin, der nur ein paar Straßen weiter weg wohnt. In seiner eigenen Wohnung in der Böckstraße 14 ist das nicht mehr möglich, obwohl er Miete und Nebenkosten bezahlt habe, wie er sagt.
Der Bulgare lebt seit 13 Jahren in Deutschland. In der Böckstraße 14 wohnt er seit fünf Jahren. Zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn. Insgesamt leben hier in 23 Wohnungen 60 Menschen, darunter viele Kinder. Alltägliche Dinge wie waschen, kochen oder die Toilettenspülung benutzen, sind nicht mehr möglich.
Wasser vom Spielplatzbrunnen
Seit dem 29. August gehen die Hausbewohner mit Eimern zum Brunnen auf dem benachbarten Kinderspielplatz, um sich mit Wasser zu versorgen. Hermann Rütermann vom soziokulturellen Zentrum „Kulturbrücken Jungbusch“ hat davon ein Video gedreht und es auf der Facebookseite veröffentlicht, mit der er auf die Situation aufmerksam macht:
Die MVV hatte am 29. August das Wasser abgestellt, weil Rückstände für Wasser und Treppenhausstrom entanden sind. Wie hoch die Schulden sind und seit wann die Wasserrechnung nicht mehr bezahlt worden ist, will uns das städtische Unternehmen aus Datenschutzgründen nicht mitteilen. Angesichts ihres Vorgehens bei Zahlungsrückständen müssen es aber mehrere Monate sein.
Eine Wassersperre sei die letzte Konsequenz bei Zahlungsrückständen, schrieb uns Roland Kress auf unsere Anfrage, wie in der Regel in solchen Fällen vorgegangen werde. Zuvor würde immer versucht, eine Einigung mit dem Vertragsnehmer zu erreichen – in diesem Fall der Hausverwalter:
So kann es in dem Mahnverfahren zu Vereinbarungen zu Stundungen, Ratenzahlungen, Zahlungsplänen und ähnlichen Lösungen kommen, die dann aber auch von den Zahlungspflichtigen eingehalten werden müssen. Wir sind dies gerade auch unseren korrekt zahlenden Kunden schuldig.
Scheitert eine Einigung, werde versucht, eine Regelung mit den Mietern zu erreichen, um das Abstellen der Wasserversorgung zu verhindern. Die Ankündigung, das Wasser abzustellen und die Forderung von 3.034 Euro zur Aufrechterhaltung der Wasserversorgung war am 12. August verschickt worden. Eine viel zu kurze Frist, sagt Hermann Rütermann:
Viele der Mieter sprechen nicht richtig deutsch und konnten mit dem Brief erstmal nichts anfangen. Den brachten sie erst ein paar Tage später zu mir.
Ihm ist die Lage sofort klar: Die Mieter müssen bezahlen. Sonst sitzen sie auf dem Trockenen. Also sammelten sie und bezahlten am 30. August. Trotzdem kam Tage danach noch kein Wasser. Erst auf unsere Nachfrage, teilte uns Herr Kress am Mittwoch mit, man werde die Wassersperre am folgenden Tag aufheben. Das Zahlungsproblem sei dadurch zwar noch nicht beseitigt, aber es sei ein Entgegenkommen, um mit den Vertragsnehmern wieder „ins Gespräch zu kommen“.
Gerüchte, Undurchsichtige Verhältnisse und Schulden
Wer ist Schuld an der Situation? Wer hat nicht gezahlt? Wurden Nebenkosten veruntreut? Diese Fragen sind schwierig zu beantworten: Das Haus gehört sieben Teileigentümern. Laut Grundbucheintrag gibt es 13 Wohneigentumseinheiten und 5 sogenannte Teileigentumseinheiten, die nach §1 Wohneigentumsgesetz nicht zu Wohnzwecken bestimmt sind. Das können Garagen, Schuppen oder Gewerberäume sein. Diesen 18 Einheiten stehen den genannten 23 Wohnungen gesprochen. Hier liegt also noch mehr im Argen.
Die Verhältnisse sind undurchsichtig. Die Mieter kommen überwiegend aus Bulgarien. Manche überweisen ihre Miete an den Eigentümer ihrer Wohnung. Andere bezahlen sie bar. Einige sollen angeblich gar keine Miete bezahlen. Es gibt Gerüchte, dass die Hausverwaltung das Geld für die Nebenkosten veruntreut haben soll und auch solche, dass die Eigentümer keine Nebenkosten abführen. Hausverwalter Mehmet Isiker hat keine Lust mehr:
Die Leute behaupten vieles, ohne, dass es auch so sein muss.
Es gebe Rückstände in der Kasse der Wohnungseigentümergemeinschaft, sagt Herr Isiker. Mit dem Geld, das er für die Hausverwaltung von den Eigentümern bekommt, sei er immer dabei, Löcher zu stopfen und die Schulden abzustottern: Beispielsweise für die Sanierung der Elektronik. Das habe gemacht werden müssen, sagt er. Auch dafür gebe es noch Außenstände.
Als Mehmet Isiker im Jahr 2010 mit der Verwaltung des Hauses beauftragt worden ist, habe es schlimmer ausgesehen, sagt er: Ratten im Treppenhaus, marode Elektrik, im Hof stand die Gülle. Es sei schon besser geworden. Trotzdem will er nicht mehr – genauso wie die Hausverwalter vor ihm, wie er sagt.
Auch die Eigentümer wollen das Haus nicht behalten, wegen der vielen Schulden bei Handwerkern und der MVV. Die könnten einige von ihnen nicht mehr bezahlen. Das sagt uns eine Miteigentümerin. Die Eigentümergemeinschaft würde das Haus gerne verkaufen. Sie erzählt uns von zwei Familien in dem Haus, die keine Miete bezahlen würden:
Denen macht das nichts aus. Die gehen dann eben woanders duschen.
Sie zeigt uns das Haus und die Zweizimmerwohnung, die sie an einen Bulgaren vermietet hat – einen ehrlichen Bulgaren, wie sie betont. Im Treppenhaus fehlt ein Fensterglas, Kabel liegen offen in den Kanälen. Der Frau gehören zwei Wohnungen hier. Die zweite steht leer.
Die Wohnung hat der Mann aus Bulgarien selbst hergerichtet. Es ist eng, aber sieht ordentlich aus – vor allem im Vergleich zum Treppenhaus. Seit neun Jahren lebt er hier. Vor kurzem hat er seine Frau und seinen Sohn aus Bulgarien nach Mannheim geholt. Der Sohn geht ab Montag in die Schule. Für Mieter wie ihn, die pünktlich ihre Miete und Nebenkosten bezahlen, ist eine Wassersperre besonders ungerecht – ihn kann die MVV beim Hinweis auf „Gerechtigkeit“ nicht meinen. Trotzdem trifft es ihn und seine Familie auch.
Seit gestern Abend läuft das Wasser also wieder. Ob das so bleibt, ist allerdings fraglich. Werden die Verhältnisse nicht geklärt, dürfte auf Mahnungen wieder eine Sperre folgen.