Rhein-Neckar, 19. September 2013. (red/aw) Nach dem juristischen Erfolg der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen vor dem Bundesgerichtshof steht fest: RWE und andere Gasversorger müssen Hunderttausenden von Kunden auf unzulässige Preiserhöhungen entfallende Beträge zurückzahlen – zum Teil über viele Jahre hinweg. Ein Test unter dreißig Anbietern zeigt, dass die Transparenz in dieser Branche aber immer noch nicht ausreichend ist. Die Verbraucherorganisation Stiftung Warentest hat für bereits Geschädigte Tipps veröffentlicht, wie Sie sich Ihr Geld zurückholen können.
Auch Monate nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) verwenden viele Versorger immer noch unwirksame oder zumindest zweifelhafte Regeln für Preiserhöhungen. Das zeigt die Recherche von test.de. Insgesamt untersuchte die Stiftung Warentest 30 Gasangebote und kam zu dem Ergebnis, dass es alles andere als transparent in der Energieversorger-Branche zugeht.
Das Urteil ist eindeutig
Das Urteil der Richter am EuGH in Luxemburg sei klar, so Stiftung Warentest:
In Bezug auf die Beurteilung einer Klausel, die es (…) erlaubt, die Entgelte (…) einseitig zu ändern, hat der Gerichtshof bereits darauf hingewiesen, dass (…) dafür von wesentlicher Bedeutung ist, ob (…) der Vertrag den Anlass und den Modus der Änderung der Entgelte für die zu erbringende Leistung so transparent darstellt, dass der Verbraucher die etwaigen Änderungen dieser Entgelte anhand klarer und verständlicher Kriterien vorhersehen kann.
Zusammengefasst: Die Unternehmen müssen Verbraucher vor einem Vertragsabschluss klar und verständlich über die grundlegenden Voraussetzungen für Preiserhöhungen informieren.
Auch der Bundesgerichtshof bestätigte mit seinem Urteil von 31. Juli 2013: Die Vorgaben des EuGH sind verbindlich. Ein Recht zur Preisänderung steht Gas- und anderen Energieversorgern nur zu, wenn Voraussetzungen und Verfahren in den Geschäftsbedingungen klar und nachvollziehbar geregelt sind.
Wettbewerb und Verbraucherschutz
Doch tun sich viele Unternehmen offensichtlich immer noch schwer damit. Den Grund dafür sehen die Experten im fehlenden Wettbewerb auf dem Gasmarkt der vergangenen Jahre.
Wer Gas wollte, bekam es vom örtlich zuständigen Versorger. Die Regeln dafür gab die Regierung per Verordnung vor,
so Stiftung Warentest. Nachträgliche Preiserhöhungen seien daher gültig – auch heute noch – ohne sie dem Kunden erklären zu müssen. Die Versorger müssten ihre neuen Preise lediglich sechs Wochen vor dem Inkrafttreten öffentlich bekannt machen.
Doch mittlerweile kann sich jeder Verbraucher aussuchen, von wem er sich mit Gas versorgen lässt. test.de beruft sich auf Informationen der Bundesnetzagentur, die zeigen, dass etwas über 60 Prozent der Kunden von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht haben und so vom Grundversorgungs- zum Sonderkunden avanciert sind. Diese Anzahl an Wechseln sei nicht verwunderlich, denn mit den sogenannten Sondertarifen lassen sich gegenüber der Grundversorgung oft viele Hundert Euro sparen, so die Tester.
Denn: Für die Sondertarife gelten die für die Grundversorgung verordneten Regierungsregeln nicht. Maßgeblich seien die jeweiligen Geschäftsbedingungen des Anbieters. Doch die verweisen oft auch auf die Grundversorgungsverordnung oder übernehmen die dort geltenden Regeln. Die Richter des EuGH allerdings urteilten, dass dies nicht den Verbraucherschutzregeln genüge.
Ansätze zur Fairness
Immerhin: Acht Anbieter – darunter auch die EnBW als einer der Großen der Branche, der auch viele Orte an der Bergstraße mit Energie versorgt – wollen Preisänderungen strikt an die Änderung der Kosten knüpfen und verpflichten sich, auch Einsparungen an Kunden weiterzugeben. Das sei im Ansatz fair und entspreche dem Anliegen des EuGH, so test.de.
Allerdings blieben die Regelungen schwammig und nur schwer zu durchschauen. Denn auch mit ihnen könne kein Gaskunde ahnen, unter welchen Bedingungen die Preise steigen oder sinken. test.de hält daher auch diese Regeln für unwirksam. Einschlägige Urteile gibt es allerdings noch nicht.
Fadenscheinige Gegenargumente
Laut Stiftung Warentest behauptet aber die Mehrzahl der Anbieter, dass die jeweiligen Geschäftsbedingungen wirksam seien. Die Verbraucherorganistation berichtet von fadenscheinigen Gegenargumenten dieser Anbieter:
Das EuGH-Urteil sei zu älteren Regelungen mit abweichendem Wortlaut gefallen und betreffe die aktuellen Geschäftsbedingungen nicht.
test.de allerdings hält das für falsch. Das EuGH-Urteil betreffe alle Klauseln, mit denen Anbieter sich eine Preiserhöhung unabhängig von ausreichend klaren Kriterien erlauben. Die Richter aber sagen in der Urteilsbegründung ausdrücklich: Es reicht nicht aus, wenn Unternehmen eine Preiserhöhung rechtzeitig ankündigen und sie ihren Kunden ein Sonderkündigungsrecht einzuräumen. Hintergrund: Kunden müssen sich auch darauf verlassen können, dass die Preise rechtzeitig sinken, wenn die Unternehmen von geringeren Kosten profitieren.
Ein Urteil für Gaskunden
Die MVV Energie, Großversorger im Rhein-Neckar-Raum, erklärt auf Nachfrage, dass man derzeit den Prozess der Informationsstrukturen prüfe.
Das Urteil wurde in der ganzen Branche mit Spannung erwartet,
sagt Dirk Pohlmann, stellvertretender Pressesprecher der MVV Energie. Bisher habe man, wie in der Branche üblich, mit dem Hinweis auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu möglichen Preiserhöhungen informiert. Ob an diesem Verfahren nach dem Urteil des EuGH nun etwas geändert werde müsse, sei noch nicht klar. Man werde aber sicherlich das tun, was das Gesetz vorgibt, verspricht Pohlmann.
Die Stadtwerke Viernheim verwenden nach eigener Aussage, die vom EuGH bemängelte Vertragsklausel, nicht. Wie man uns auf Nachfrage mitteilte, weder aktuell noch in der Vergangenheit. Außerdem habe man „seit dem 01.01.2010 außer zwei Preissenkungen einen stabilen Erdgaspreis zu verzeichnen“. Die Stadtwerke Viernheim führen mögliche Preisänderungen nach der Billigkeitsprüfung § 315 BGB ein, erklärt Vera Milus, Abteilungsleiterin Vertrieb. Der Vertragstext lautet:
Die Stadtwerke Viernheim verpflichtet sich, Preisanpassungen nach billigem Ermessen durchzuführen. Hiernach werden Kostensenkungen nach den gleichen Maßstäben weitergegeben wie Kostenerhöhungen.
Durch die in den Jahren gewachsenen Widrigkeiten und dem dadurch entstehenden Handlungsbedarf des Gesetzgebers steige die Komplexität und die Notwendigkeit, rechtsgelehrte Personen mit Sachverhalten zu beauftragen, so Milus. Die Stadtwerke Viernheim „bedauern diese Entwicklung und hoffen, dass die gesamte Energiewirtschaft sich in naher Zukunft wieder auf einem gesunden und fairen Maß wiederfindet“.
Ähnlich lautet die Stellungnahme der Stadtwerke Weinheim:
Derzeit gehen wir davon aus, dass wir nicht direkt betroffen sind,
sagt Helmut Röder, Prokurist der Stadtwerke Weinheim. Die Thematik und ihre Auswirkungen auf die Versorgungsverträge werden aber ständig geprüft, so Röder. Man habe ein grundsätzliches Interesse daran, rechtliche Klarheit zu schaffen:
Wir entwickeln uns, auch aufgrund der Veränderungen in der Rechtssprechung, weiter. Unser Interesse an einem transparenten Austausch zwischen Energieversorger und Kunde ist groß.
Tipps für den Endverbraucher
Aber welche Möglichkeiten habe ich als Kunde, wenn der Anbieter trotz unwirksamer Klausel eine Preiserhöhung fordert? Stiftung Warentest zeigt zwei Wege auf:
- Widerspruch. Sie können der Preiserhöhung sofort widersprechen. Bestehen Sie darauf, Ihren monatlicher Abschlag weiterhin auf Grundlage der alten Preise zu zahlen. Kündigen Sie an, Lastschriften zu stornieren, wenn sich der Versorger daran nicht hält. Beachten Sie: Der Gasversorger ist berechtigt, den Vertrag mit Ihnen zu kündigen. Wenn er’s tut, müssen Sie sich einen neuen Gasversorger suchen. Gas bekommen Sie so oder so weiter. Wenn Sie nicht rechtzeitig einen neuen Anbieter finden, erhalten Sie es automatisch vom jeweiligen Grundversorger. Das ist allerdings in aller Regel ziemlich teuer.
- Abwarten. Sie machen zunächst gar nichts und warten ab. Sie können dann im letztmöglichen Zeitpunkt widersprechen und das bis dahin überzahlte Geld zurückfordern, ohne das Risiko einzugehen, dass Ihnen der Energieversorger kündigt. So können Sie so lange wie möglich profitieren, wenn für Sie aktuell ein besonders günstiger Gaspreis gilt. Beachten Sie: Kaum ein Gasversorger wird freiwillig zahlen.
Hat der Versorger seine Preise bereits rechtswidrig erhöht, haben Sie ein Recht auf Erstattung. Dafür müssen Sie zunächst der Rechnung widersprechen, in der ihr Versorger erstmals erhöhte Preise verlangt. Dafür gibt der BGH drei Jahre nach Erhalt der Rechnung Zeit.
Soweit Sie in dieser und den folgenden Rechnungen höhere Preise gezahlt haben, hat der Energieversorger den Betroffenen die Differenz zu erstatten. Es gilt der Preis, der vor der Preiserhöhung galt. Bei der Formulierung des Widerspruchs und der Rückforderung hilft empfiehlt die Stiftung Warentest sich an einem Musterschreiben der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen zu orientieren. Es könnte außerdem hilfreich sein, Ihr Forderungsschreiben per Einschreiben mit Rückschein zu verschicken.
Letzter Ausweg: Rechtsanwalt
Allerdings ist sich test.de sicher, dass kaum ein Energieversorger ohne weiteres Erstattung leisten wird. Wie also kann man sich gegen die Weigerung auf Rückzahlungen wirklich wehren? Die Experten zeigen zwei Möglichkeiten auf:
- Verbraucherinkasso. Ganz neue Option: Sie können die Metaclaims Sammelklagen GmbH einschalten. Sie hält unter www.gasurteil-inkasso.de ein Online-Formular bereit. Wenn Sie alle erforderlichen Daten liefern und der Fall geeignet ist, versucht Metaclaims, das überzahlte Geld für Sie einzutreiben. Wenn Ihr Gasversorger zahlt, erhalten Sie 80 Prozent Ihrer Erstattungsforderung, den Rest behält Metaclaims. Wenn der Gasversorger nicht zahlt, wird Metaclaims prüfen, ob das Unternehmen eine Sammelklage gegen den Gasversorger startet. So lange der Gasversorger nicht zahlt, entstehen Ihnen keine Kosten jenseits des Portos für den Versand der Unterlagen.
- Rechtsanwalt. Der sicherste Weg zum Erfolg: Sie schalten einen in derartigen Sachen erfahrenen Rechtsanwalt ein. Beachten Sie: Für Rechtsanwälte lohnt sich das nur, wenn sie entweder genügend Parallelfälle bearbeiten oder die Erstattungsforderung hoch genug ist.Das Einschalten eines Rechtsanwalts lohnt sich besonders, wenn Sie eine Rechtsschutzversicherung haben. Dann übernimmt diese die Kosten – auch wenn Sie verlieren sollten. Wenn Sie gewinnen, muss der Energieversorger am Ende alle Gerichts- und Anwaltskosten übernehmen. Suchen Sie am besten nach einem Rechtsanwalt, der Erstattungsansprüche wie Ihren schon mit Erfolg durchgesetzt hat.
Tarife über Testportale vergleichen
Vorher informieren hilft. Bereits den günstigsten Tarif vor Vertragsabschluss zu finden, ist heutzutage eigentlich kinderleicht. Preisrechner im Internet bieten die einfachste Möglichkeit, viele Preise verschiedener Anbieter zu vergleichen. Auf Portalen wie Verivox.de oder Check24.de lässt sich so eine Übersicht über die verschiedenen Angebote erstellen.
Doch nicht selten, gibt es auch bei den vermeintlich unabhängigen Vergleichsportalen einen Haken: Viele arbeiten auf Provisionsbasis. Entscheidet sich ein Kunde nach der Recherche auf einem der Portale für einen Gasanbieter, zahlt dieser den Betreibern der Internetplattform eine Provision. Negative Auswirkung dieser Praxis: Die Tarife einzelner Anbieter werden auf dem Internetportal prominenter beworben als andere – ein hundertprozentiger Vergleich ist also auch auf diesem Wege nicht möglich.