Rhein-Neckar, 24. Dezember 2019. (red/pro) Heute Abend kommen viele Menschen zusammen, um gemeinsam Weihnachten zu feiern – man wünscht sich eine besinnliche Zeit. Doch was heißt das eigentlich? Wir haben einen langen sprachwissenschaftlich-philosophisch-soziologischen Text für Sie, der am Ende politisch wird und mit einem großen Dank an alle endet, die für andere in diesen Tagen da sind.
Von Hardy Prothmann
Weihnachten ist für viele das Symbol für ein friedliches Fest, bei dem Familien zusammenkommen. Auch, wenn der christliche Glaube dabei immer weniger eine tragende Rolle spielt.
Man wünscht sich ein „besinnliches“ Fest oder besinnliche Weihnachten. Das sagt man häufig so dahin ohne darüber nachzudenken, was der Wortstamm eigentlich bedeutet. Sinn geht auch indogermanisch „sent“ zurück, was „gehen, reisen, fahren“ bedeutet und wurde im Althochdeutschen zu „sinnan“, „reisen, streben, trachten“ oder „sin“.
Sinn als „Gang, Reise, Weg“ hat also mit Ruhe und Entspannung wenig zu tun, sondern ist viel eher ein geradezu dynamisches Wort. Und auch die Besinnlichkeit kann eine Reise sein, zum inneren Selbst. Sinn ermöglicht uns, über unsere Sinne die Welt zu betrachten und mit unseren Gedanken zu begreifen zu versuchen.
Sehr abstrahiert entwickeln sich Sinnbilder, griechisch sýmbolon. Das sind Erkennungssymbole, von denen unsere Welt schier überquillt. Ob das Markenzeichen oder Verkehrsschilder sind oder einfach nur Buchstaben, die wir in Wörtern so zusammensetzen, dass sie einen realen oder abstrakten Sinn ergeben.
Buchstabe geht auf mittelhochdeutsch buochstap, althochdeutsch buohstab zurück. Damit war ursprünglich ein Stab mit eingeritzten Zeichen gemeint, ein frühes Informationsmedium, wenn man so will.
Eine grundlegende Überlebenstechnik des Menschen ist seit Anbeginn seine Fähigkeit zu lesen – selbst zu Zeiten, als es keine Schriftsprachen gab. Auch so ein Wort: Lesen. Wir tun es ständig und denken nicht darüber nach, was wir da eigentlich tun.
Wir finden das Wort im Germanischen als les–a, „aufpicken, auflesen“. Griechisch ist es légein aus dem sich lateinisch legere entwickelte, was für suchen und sammeln steht. Man las also etwas auf, ob Beeren oder Knollen oder Feuerholz oder las Spuren. Zeigte die Spur ein gefährliches Tier an, machte man sich besser in entgegengesetzter Richtung davon, um nicht gefressen zu werden. Zeigte die Spur ein Beutetier an, beeilte man sich, um sich was zu fressen zu besorgen.
Das heutige Verständnis von Lesen ist im Grund das frühere – wir sammeln damit Informationen, wählen diese aus und ordnen sie ein. Eins ist gleich geblieben, probieren Sie es mal aus. Stellen Sie sich hin, stellen Sie sich vor, sie hätten ein Buch, ok, ein Smartphone in der Hand, nehmen Sie das weg, behalten Sie aber Ihre Körperhaltung bei. Sie werden feststellen, dass Sie auf den Boden vor sich schauen – um Spuren zu lesen.
Spuren können alt oder neu, bekannt oder unbekannt sein. Wir Menschen hinterlassen immer Spuren und sind auf der Suche nach ihnen. Übrigens mit ganz erstaunlichen Entwicklungen. Schauen Sie auf Ihr Smartphone. Was sehen Sie? Von außen nach innen betrachtet, sehen Sie ein Wunderwerk der Technik, auf denen Ihre Wegführer sind. Die Komplexität von Schrift und Sprache wird auf eine Art „Höhlenmalerei“ reduziert, inklusive aller Zeichenkommunikation über Smileys und sonstige Zeichen.
Schon die alten Griechen nannten Bilder eikon, später ikon. Heute sagen wir „icons“ dazu. Die kann man anschauen und „begreifen“. Da bin ich beim nächsten schönen Wort, das selbstverständlich verwendet wird, ohne weiter darüber nach-zu-denken. Das kant’sche „Anschauung und Begriff“ ist hier wunderbar vereint. Um die Welt zu verstehen, müssen wir sie „be-greifen“.
So beginnt jedes Menschenleben, wenn ein Säugling die Brust der Mutter drückt und damit den Milchfluss fördert. Wenn ein Kleinkind alles, aber auch wirklich alles anfassen muss und „schmecken“ also „sinnlich“ erfahren will. Und was machen Frauen in einem Bekleidungsgeschäft? Auch sie „begreifen“ den Stoff, fühlen, ob er sich wertig und gut anfühlt, welche Beschaffenheit er hat. Und um bei Klischees zu bleiben, ebenso fährt die Hand des Mannes über den polierten Lack eines Autos.
Zurück zum Sinn. Wir sind ab Zeugung auf unserer Reise, jeder für sich und immer wieder mit anderen zusammen. Ob geschäftlich, zum Urlauben oder auch auf der Flucht. Damit „er-fahren“ wir die Welt – allerdings immer nur in Teilen. Niemand kann je die ganze Welt bereisen und jede Welt ist immer eine andere, ähnlich dem philosophischen Bild, dass man niemals zwei Mal in denselben Fluss steigen kann.
Warum schreibe ich das alles auf? Weil ich Sie mit auf die Reise nehmen will, zu Ihnen selbst und zu anderen. In Deutschland und anderen europäischen Ländern haben wir seit dem 24. Mai 1949 mit Inkrafttreten des Grundgesetzes eine 70-jährige Reise hinter uns, die ganz überwiegend von Frieden in (West-)Europa geprägt ist.
Das ist historisch einmalig – noch nie gab es eine derart lange Zeit des „inneren Friedens“. Dieser Friede wurde und wird immer gestört. Mal sind es Naturgewalten, die Menschen in Gefahr oder Not bringen oder sogar tödliche Folgen haben. Mal sind es Verbrecher, die nach Hab und Gut und manchmal nach Leib und Leben trachten. Mal sind es Extremisten, die aus welchen ideologischen Scheingründen auch immer, andere Menschen töten und Leid und Schrecken unter die Menschen bringen wollen.
Es gab in der Nachkriegszeit immer Streit, teils auch erbitterten, wie unsere Gesellschaft sich am besten organisieren sollte. Der wesentliche Wegweiser ist dabei immer das Grundgesetz (GG) gewesen und das gilt auch für die Zukunft.
Hier sind wesentliche Grundrechte definiert. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ heißt der erste Satz, Artikel 1, GG. Das klingt „be-deutend“ und ist es auch. Nur, welche Deutungen gehen damit einher, wenn doch in so vielen Gebieten der Welt ständig dieser Grundsatz verletzt, Menschen verfolgt, gefoltert und auch getötet werden? Einfach beantwortet: Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gilt nur auf dem Staatsgebiet und damit ist der Wirkungsbereich begrenzt. Darüber hinaus hat das Grundgesetz keine Rechtskraft. Gleichwohl eine moralische – natürlich kann Deutschland, können wir Deutsche auch im Ausland für unsere Grundsätze einstehen.
Artikel 5 über die Meinungsfreiheit garantiert, dass man seine Meinung frei bilden und äußern kann. Insbesondere 2019 gab und gibt es daran erhebliche Zweifel, wie auch eine Allensbachstudie belegt. Darf man noch alles sagen, was man sagen will? Ganz einfach: Das durfte man noch nie „alles“. Die Meinungsfreiheit ist wie andere Grundrechte auch begrenzt – wenn sie mit anderen Rechten kollidiert und diese verletzt. Kommt es zum Rechtsstreit, muss abgewogen werden, was schwerer wiegt.
Aber muss es immer erst zum Rechtsstreit kommen? Was viele beim Pochen auf alle möglichen Freiheitsrechte vergessen – Freiheit ist ohne Verantwortung nicht möglich. Wer sich „alle Freiheiten herausnimmt“, aber für eine „Ver-antwortung“ im Diskurs nicht zur Verfügung steht, der entleert jede Suche nach sinnvoller Ordnung, die wesenstypisch in der Demokratie meist auf Kompromissen beruht.
Aus meiner beruflichen Beobachtung heraus warne ich seit vielen Jahren vor dieser Entwicklung. Statt sich komplexen Sachverhalten „sinnig“ zu stellen, werden komplexe Zusammenhänge derart vereinfacht, dass am Ende nur noch eine Dialektik aus dafür oder dagegen, gut oder böse, Freund oder Feind bleibt. Siehe die Ereiferer auf allen Seiten zum Thema Flüchtlinge/Zuwanderung oder Klimawandel.
Der wesentliche Erfolg für unser insgesamt friedliches Zusammenleben ist Wissen. Auch hier lohnt es, sich auf die Wortherkunft zu besinnen. „Der Ausdruck ‚Wissen‘ stammt von althochdeutsch wizzan bzw. der indogermanischen Perfektform *woida ,ich habe gesehen‘, somit auch ,ich weiß‘. Von der indogermanischen Wurzel *ue(i)d (erblicken, sehen) bzw. *weid- leiten sich auch lateinisch videre ,sehen‘ und Sanskrit veda ,Wissen‘ ab“, heißt es kompakt bei Wikipedia.
Sie erinnern sich? Erst kommt das anschauen, dann das begreifen, lesen und sammeln. Daher ist es geradezu absurd, wenn eine junge Generation den Ort bestreikt, an dem Wissen und der Umgang damit, vermittelt werden soll – die Schule.
Der Wissenserwerb ist vielgestaltig – ob durch eigene Erfahrung, eine Reise vor Ort, die Erzählung von Nachbarn, den Bericht eines Mitarbeiters, egal, welches Beispiel man heranzieht, Wissen erwirbt man nur durch Kommunikation, was auf lateinisch „communicare“, teilen, mitteilen, teilnehmen lassen und hier communis „gemeinsam“ zurückgeht.
Wer anderen den Mund verbietet, schließt Kommunikation aus und auch sein „Interesse“ (lateinisch inter-essere, dazwischen, aber auch dabei sein). Vor der massiven Ausbreitung des Internets und all seiner Kanäle, gab es in der Kommunikationsforschung das „Sender-Empfänger-Modell“ – einige wenige waren „Gatekeeper“ und entschieden, welche Information auf die öffentliche Weide durchkam und welche nicht. Heutzutage kann jeder zu jeder Zeit Millionen von Menschen erreichen – allerdings erheblich verkürzt auf wenige Worte, meist durchsetzt mit „icons“, statt etwas abzuschreiben und so zu vervielfältigen, wird heute „geshared“ und „augenblicklich“ auf die Reise in die Welt geschickt.
Viele Medien organisieren keinen Überblick mehr, trennen nicht mehr wichtige von unwichtigen Informationen, sondern achten zunehmend auf moralische und emotionale Dimensionen – sie befördern damit teils absolut verantwortungslos duale Weltbilder, die am Ende zum radikal-kategorischen Imperativ, Freund oder Feind, führen.
Damit wird niemand die Welt retten oder irgendein Problem lösen.
Moralisch fühlt sich ein grüner Robert Habeck auf der sicheren Seite, wenn er aktuell fordert, 4.000 „Kinder“ aus Griechenland nach Deutschland zu holen. Laut Süddeutscher Zeitung sind aktuell in Griechenland „nur“ rund 5.300 „unbegleitete minderjährige Ausländer“ (UMA) registriert, rund 9 Prozent seien Kinder, also unter 14 Jahre alt. Das sind dann also knapp 500 – woher Herr Habeck die anderen 3.500 „Kinder“ nehmen will, weiß nur er selbst. Vielleicht meint er auch andere Minderjährige – er nutzt aber bewusst und populistisch „Kinder“, weil das mehr Mitleid auslösen soll.
Aus Regierungskreisen wird dies zurückgewiesen – ein deutscher Alleingang sei nicht möglich, zudem wolle man keine Anreize schaffen. Es brauche eine europäische Lösung, die aber werde schwierig.
Nach meiner Einschätzung halten sich viele Medien noch zurück – tendenziös würden sie gerne Herrn Habeck stützen, weil moralisch ja „gut“, aber noch ist man unschlüssig, ob dessen Forderung bei Erfüllung nicht erhebliche Probleme nach sich ziehen würde – und damit ist nicht nur der Nachzug weiterer Familienmitglieder gemeint.
Jeder UMA muss in Deutschland in Obhut genommen werden – eine enorme Herausforderung für Kommunen, verbunden mit erheblichen Kosten von 3.-5.000 Euro pro Monat. Die Zahl von 4.000 UMAs erzeugt also sofort monatliche Kosten von 12-20 Millionen Euro und das solange, bis diese volljährig sind. Besteht Schulpflicht, ist eine Beschulung gesetzlich vorgeschrieben.
Klingt das unmenschlich, wenn man über Kinder und gleichzeitig Kosten nachdenkt? Wer nur in gut oder böse denkt, kommt vermutlich zu diesem Urteil. Wer verantwortlich denkt, erkennt, dass hier ein Abwägungsprozess geboten ist, der am Ende auch zu einer ordentlichen Umsetzung führt.
Der Zustand in den griechischen Lagern ist allein schon anhand der Zahlen dramatisch. Über 40.000 Menschen sollen dort leben, wo nur 7.500 vorgesehen sind. Das muss zu fürchterlichen Zuständen führen. Die Bundesregierung behauptet, bereits Hilfe zu leisten – wer überprüft das? Das RNB hat dazu keine Mittel. Weiter heißt es, die griechischen Behörden wollten sich nicht helfen lassen – wer überprüft das?
Der Blick ist mal wieder fokussiert, verengt und vereinfacht – denn die Zahl der Zuwanderer in den osteuropäischen Ländern ist in den vergangenen Monaten beträchtlich gestiegen, der Menschenschmuggel findet täglich statt, Tote sind absehbar zu erwarten, wie der aktuelle Fall von mehreren jungen Afghanen zeigt, die aus Serbien in einem Lkw geschmuggelt worden sind und die unmittelbar vor dem Ersticken gerettet worden sind.
Und in der Türkei herrscht der „Gatekeeper“ Erdogan, der jederzeit zehntausende oder auch hunderttausende Menschen aus dem Land lassen kann. Und Europa hat dafür keine Lösung. Herr Habeck auch nicht und auch, wenn es gut gemeint sein sollte, ist es nicht gut durchdacht und längst nicht gut gemacht. Rechtlich ist es mehr als fragwürdig und auch moralisch: Denn würde man nicht besser Minderjährige aus Libyen holen, denn aus Griechenland?
Die „Guten“ blenden häufig reale Probleme aus – lösen sollen das dann andere. Die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel hat vielleicht 2015 eine „große humane Geste“ gezeigt, vor Ort geschuftet haben die Kommunen und sehr viele ehrenamtliche Helfer, bis zur Erschöpfung. Ähnlich wie das Versprechen von den „blühenden Landschaften“ hat sich das „wir schaffen das“ nur oberflächlich erfüllt, die enormen Probleme dauern an.
Das Rheinneckarblog bietet Ihnen gerne und mit viel Einsatz geprüfte Informationen zur Meinungsbildung an – allerdings stellen wir fest, dass wir zwar täglich tausende Nutzer haben, aber nur ein paar hundert, die uns auch dafür bezahlen. Damit müssen wir darüber nachdenken, wie lange wir das noch leisten wollen. Sie persönlich entscheiden mit.
Die AfD galt vielen als Schreckgespenst und viele AfD-Politiker schimpften auf die „Altparteien“. Man kann nur sagen: Willkommen in der Wirklichkeit. Es stellte sich heraus, dass auch oder gerade hier viele „Staatsknete“ abschöpfen wollen und erstaunt feststellen, dass Politik harte Arbeit ist, für die sich nicht jeder interessiert. Andererseits wird die AfD noch viele Jahre weiter existieren, solange andere Parteien zu wenig Rücksicht auf die Bedürfnisse dieser Wähler nehmen. Rücksicht heißt nicht bedingungslose Akzeptanz beispielsweise von fremdenfeindlichen Positionen, sondern harte Arbeit durch Diskurs, Aufklärung und vor allem die Beweisführung, dass „wir das schaffen“ und zwar mit tatsächlicher Integration und nicht nur einer Alimentierung.
Die Grünen mögen auf einer Welle des Erfolgs schwimmen – diese hat sich aber parallel zur AfD entwickelt. Oder anders: Wären die Grünen so obenauf, wenn es keine AfD gäbe? Darüber kann und sollte man nachdenken. Ebenso, wenn die Wirtschaft abflaut, es kein Geld mehr zu verschenken geben wird und die FFF-Demonstrantin abends erfährt, dass Papa gerade den Job verloren hat, weswegen man sich Bio nicht mehr leisten kann.
Die Bürgerinnen und Bürger, die sich immer nur dann interessieren, wenn es um ihre unmittelbare Betroffenheit geht, sollten in sich gehen und überlegen, wohin das führt, wenn man nur egoistisch individuell und nicht gemeinsam denkt und handelt.
An dieser Stelle mache ich für heute Schluss – die Fortsetzungen werden geschrieben. Mein Team und ich wünschen allen Leserinnen und Lesern, unseren Kunden und vielen Kontakten besinnliche Tage.
Ich persönlich schließe da insbesondere die in meine Gedanken ein, die für andere auch über die Feiertage im Dienst sind, ob Polizeibeamte, Pflegepersonal, Feuerwehr und Rettungsdienste wie auch Menschen in der Gastronomie, in den Kraftwerken, beim Straßendienst. Die Reihe lässt sich lange fortsetzen – eben alle, die nicht streiken, sondern arbeiten, damit andere ein paar ruhige Festtage verbringen können.