Mannheim, 21. Mai 2015. (red/ms) Wie sehr bedroht religiös motivierter Extremismus Mannheim und die Region? Die Polizei will die Gefahr durch Präventionsarbeit auf ein Minumum reduzieren – und gleichzeitig dafür sorgen, dass Muslime nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Außerdem soll das Verhältnis zwischen Polizisten und Migranten verbessert werden – „Beide Seiten haben Vorurteile“, so Polizeipräsident Thomas Köber. Auf einer Pressekonferenz wurde gestern ein entsprechendes Programm vorgestellt.

Polizeipräsident kooperiert gern so lange, wie Kooperationswille vorhanden ist.
Von Minh Schredle
Wir wollen kein Sturmfeuer, das ein paar Wochen brennt. Wir wollen eine nachhaltige Entwicklung.
Polizeipräsident Thomas Köber denkt langfristig. Und das muss er, wenn sich wirklich etwas verändern soll. Denn die Probleme sind tief verankert: Das Verhältnis zwischen Polizei und insbesondere der muslimischen Bevölkerung bezeichnet Herr Köber als angespannt – und das schon seit Jahrzehnten:
Auf beiden Seiten gibt es teilweise massive Vorurteile. Es hilft nichts, sich hier irgendetwas schön reden zu wollen. Wir müssen uns dieser Realität stellen.
Jetzt macht die Polizei einen ersten Schritt: Mit einem umfassenden Programm soll der gegenseitige Umgang zwischen Polizei und Muslimen verbessert werden, außerdem will das Mannheimer Polizeipräsidium aktiver daran arbeiten, religiös motiviertem Extremismus vorzubeugen. Gestern wurden diese Pläne gegenüber der Presse vorgestellt.

Das neue Präventionsprogramm wurde unter der Leitung von Kriminalrätin Heidrun Hassel erstellt.
Herr Köber verwies auf verschiedene Studien, die eine besorgniserregende Entwicklung in der Mentalität der Bevölkerung deutlich machen würden: Etwa die Hälfte der Deutschen empfindet das Land als „in einem gefährlichen Maß überfremdet“. 57 Prozent der befragten Nicht-Muslime gaben an, den Islam als Bedrohung zu empfinden. 61 Prozent meinen, dass der Islam nicht in die westliche Welt passt.
Die 30.000 Muslime in Mannheim sind fast alle ganz normale Menschen und haben mit Extremismus überhaupt nichts zu tun,
betonte Herr Köber mit Nachdruck:
Es wäre fatal, diese aus der Gesellschaft auszugrenzen und unter Generalverdacht zu stellen.
Doch man könne, so Herr Köber, nicht leugnen, dass es signifikante Probleme zwischen vielen Muslimen und vielen Polizeibeamten gibt. „Eine verlässliche Vertrauensbasis exisitiert noch nicht“. Viele Muslime hätten ein problematisches Anzeigeverhalten: Oft würden Straftaten verschwiegen, etwa um die Ehre der Familie zu wahren. Aber auch unter „seinen“ Polizisten käme es zu Verfehlungen, weil diese zum Teil ebenfalls vorurteilsbelastet sind.
„Der Großteil ist gesetzestreu“
„Die Polizei muss sich Gedanken darüber machen, was sie leisten kann, um eine Stadtgesellschaft zu gestalten“, sagte Herr Köber. Dafür sei man auf ein gutes Vertrauensverhältnis zur Bevölkerung angewiesen – dieses müsse aber zu vielen Muslimen erst noch hergestellt werden. Es käme mit erschreckender Häufigkeit vor, dass diese sich etwa Zeugenbefragungen verweigern würden, auch dann, wenn sie selbst die Leidtragenden gewesen sind.

Im Juni 2014 kam es zu einer Massenschlägerei im Jungbusch. Trotz über 60 Beteiligten gab es im anschließenden Gerichtsprozess große Schwierigkeiten, glaubwürdige und aussagewilllige Zeugen zu finden – kein Einzellfall. Foto: privat, EC
Um eine erste Vertrauensbasis zu schaffen, soll in jedem der siebzehn Mannheimer Reviere mindestens ein Ansprechpartner für Muslime arbeiten. Das neue Programm, das von der Mannheimer Polizei unter der Leitung von Kriminalrätin Heidrun Hassel erstellt worden ist, soll nun einerseits gegenseitige Vorurteile ausräumen und andererseits religiös motiviertem Extremismus vorbeugen. Präsident Köber sagt dazu:
Der Großteil verhält sich gesetzestreu und unauffällig – aber wer gegen das System arbeitet, wird konsequent verfolgt.
Zur Lage: Zwei Menschen aus Mannheim sind nach Syrien geflogen, um sich dem Islamischen Staat anzuschließen. Es gibt eine Salafistenszene, deren genaue Größe aus Sicherheitsgründen nicht öffentlich bekannt gegeben werden soll. Außerdem existiert nach unseren Recherchen ein Netzwerk gewaltbereiter Kurden.
Es ist – auch nach Ansicht der Polizei – im Bereich des Möglichen, dass auch Mannheim zum Ziel von Extremismus und Terrorismus werden kann. Um das zu verhindern, will die Polizei Präventionsarbeit leisten. Herr Köber kommentiert:
Uns ist klar, dass kein Extremist dadurch geheilt wird, dass wir in freundlich in den Arm nehmen.
Man wolle daher schon früh anfangen, Jugendliche für das Thema zu sensibilisieren und darüber aufzuklären, welche Anzeichen es für zunehmend extremistische Gesinnungen geben kann. Bereits jetzt besucht die Mannheimer Polizei Schulklassen der achten oder neunten Klassen und informiert auch Lehrer und Eltern über mögliche Indikatoren.
Das Präventionsprogramm definiert fünfzehn verschiende Zielgruppen, für die jeweils unterschiedliche Strategien verfolgt werden. Ein wesentlicher Bestandteil ist dabei die Zusammenarbeit mit Personen in Schlüsselpositionen, die „als Multiplikatoren für die Botschaften der Polizei“ dienen sollen, wie etwa die Imame – das sind die religiösen Oberhäupter einer muslimischen Gemeinde, deren Wort traditionsgemäß einen hohen Stellenwert genießt.
Aufgabe für die gesamte Gesellschaft
Alleine wird es der Polizei nicht gelingen, die Gesellschaft in ihren Grundstrukturen zu verändern und den Extremismus zu besiegen – und das ist Herrn Köber und Frau Hussel bewusst. „Religiöse Radikale sind meistens Grenzgänger, die es in der Gesellschaft nicht geschafft haben,“ sagt der Polizeipräsident. Es braucht also eine groß angelegte Kooperation.
Zahlreiche Unterstützer des Programms gibt es bereits: Die Städte Mannheim und Heidelberg, der Rhein-Neckar-Kreis, das Regierungspräsidium Karlsruhe, etliche Vereine. Jetzt braucht es allerdings auch handfeste Zusammenarbeit und gemeinsame Strategien, nicht bloß ein Lippenbekenntnis zur Kooperation.
„Wir Muslime haben auch Angst“
Talat Kamran leitet das Mannheimer Instituts für Integration und interreligiösen Dialog. Er steht im regen Austausch mit der Mannheimer Polizei unterstützt das Projekt ebenfalls. Er sagt:
Wir Muslime haben genau so Angst vor Extremismus, wie alle anderen normal denkenden Menschen auch.
Er sei dankbar für alle, die Aufklärungsarbeit leisten und dazu beitragen, eine Verständigung zwischen Kulturen zu ermöglichen.
Dass die Polizei aus eigenen Stücken aktiv wird und erste Schritte geht, ist lobenswert. Und es wurde Zeit – schließlich leben nicht erst seit gestern zahlreiche Muslime in Deutschland. Dass es nach mehreren Jahrzehnten immer noch so vielgegenseitiges Misstrauen gibt, zeigt ein dramatisches gesellschaftliches Versagen der Integrationsarbeit.
Nichtsdestotrotz ist es gut und richtig, dass jetzt etwas unternommen wird, um die Missstände zu beheben oder zumindest zu reduzieren. Die Ziele von Herrn Köber und Frau Hassel sind keine, die sich in ein paar Wochen verwirklichen lassen. Zehn bis zwanzig Jahre sind als Ziel einer „Normalisierung“ eher die Zeitdimension. Trotzdem ist das Projekt geeignet, zum Vorbild für ganz Deutschland zu werden.