Mannheim, 20. Juli 2013. (red/ld) Stephanie Neigel ist eine gute Sängerin: Sie beherrscht ihre Stimme bis zur Perfektion. Sie schreibt Musik, die träumerisch klingt, jazzig und tanzt auf der Bühne, als wäre das alles „ganz nett“. Mit anderen Worten: Stephanie Neigel ist langweilig. Sie macht sich selbst langweilig. Was muss passieren, damit diese Frau endlich aufdreht? Gestern spielte sie beim Seebühnenzauber im Luisenpark, als Anhzeizer vor der 80’er-Jahre-Künstlerin Tanita Tikaram.
Von Lydia Dartsch
Ende Januar habe ich Stephanie Neigel bei ihrem Album-Release-Konzert erlebt: Nett, brav, bloß nicht aus der Rolle fallen, bloß nicht auffallen – und das in einem Bühnenberuf. Und ich habe nett über sie geschrieben, weil man einer jungen Künstlerin ja gerne einen guten Start wünschen darf. Ein halbes Jahr später ist aber genau nichts passiert. Sie ist weiter brav und irgendwie ist alles ganz nett, mehr aber auch nicht.
Tolle Augen, wenig Begeisterung
Sie sang Stücke aus ihrem aktuellen Album „Stephanie Neigel“ und zwar genau so, wie sie sie eingespielt hatte. Da wippte beim Publikum hin und wieder mal ein müder Zeh im Takt. Ansonsten saß es stumm und unbewegt da und schaute zur Bühne, zu der jungen sympathischen Frau mit den langen braunen Haaren und den tollen braunen Rehaugen.
Mannheim, seid Ihr gut drauf?
fragte sie ihr Publikum, dem sie gerade Gelegenheit gab, sich von einer stressigen Arbeitswoche auszuruhen, anstatt es zu begeistern. Und es antwortete genauso müde:
Jaaaa!
Das könnten sie noch besser, sagte die Sängerin und fragte noch einmal: Diesmal war die Antwort des Publikums lauter, aber nicht begeisterter. Auch die anschließenden Sing-Spielchen, die Künstler gerne mit ihrem Publikum treiben, um es aufzuwärmen, halfen nicht weiter.
Kalte Perfektion statt heißer Begeisterung
Woran liegt das? Stephanie Neigel ist ausgebildete Jazz- und Popsängerin. Ihre Stimme ist warm, sanft und doch kraftvoll. Sie beherrscht sie. Und sie beherrscht sich und das ist ihr Problem: In ihren Songs schließt sie verträumt die Augen, lächelt geheimnisvoll in ihr Mikrofon und manchmal tanzt sie auch. In ihren Liedern erzählt sie Geschichten von Liebe, beschreibt perfekte Momente mit dem Liebsten oder einfach schöne Stimmungen – alles sehr spießig, wenig authentisch.
Alles an ihr wirkt zu perfektioniert beherrscht. Ihre Stimme trifft jeden einzelnen Ton – es ist kein Raum für Modulation und Leben. Kein Platz für die wahre Stephanie Neigel. Wenn sie lächelt, wirkt es trainiert. Manchmal wiegt sie sich und biegt sich dabei um die Taille. Alles andere an ihrem Klangkörper ist fest. Begeisterung sieht anders aus, und deshalb kann sie mich nicht begeistern.
Zurück in die wilde Zeit!
Das begeistert auch nicht die Zuschauer. Das Publikum – größtenteils zwischen 40 und 55 Jahre alt – will Tanita Tikaram sehen: Eine Frau, die nur einen großen Hit in den Achtziger Jahren hatte, die sie aber an genau diese Zeit erinnert: Eine wilde, ungezwungene Zeit. Vor 25 Jahren, waren die meisten Zuschauer des Abends vielleicht gerade mit der Schule oder der Lehre fertig. Manche studierten. Hatten die Zeit ihres Lebens, bevor die Kinder kamen und bevor der Berufsalltag sie auch am Wochenende um 23:00 Uhr totmüde ins Bett fallen ließ.
Manche haben zu „Twist in My Sobriety“ vielleicht ihren ersten Stehblues getanzt; ihren ersten Kuss erlebt. Das Publikum ist gekommen, um eine Zeitreise zu machen, zurück zu ihren wilden Jahren. Dazu taugt der Auftritt von Stephanie Neigel leider wenig.
Lass endlich die Sau raus!
Dreh an Deinem tollen Klangkörper endlich mal den Verstärker auf Anschlag, will ich ihr zurufen, mache es natürlich nicht. Lass es endlich mal dreckig klingen, verruchter, lass die Sau raus und lass Dich fallen in Deine Musik. Riskier’s, dass Du mal nen halben Ton daneben liegst und verkaufe es als Blue-Note. Vergiss Dein Jazz- und Popstudium.
Da hast Du Musik schreiben gelernt. Jetzt musst Du sie machen und Menschen damit begeistern und das verlangt Authentizität. Die haben die großen Musiklegenden. Damit begeistern sie die Menschen – nicht mit einem Studium. Deshalb, liebe Stephanie Neigel, hör auf zu lächeln, fang an zu lachen.