Rhein-Neckar, 19. September 2017. (red/pro) Die Frage ist nicht nur, wer gewählt wird, sondern wer wählen darf und wer das auch tut. Die Wahlbeteiligung sinkt seit der Bundestagswahl und betrug 2013 bundesweit 71,5 Prozent, während in früheren Jahrzehnten Werte über 80 Prozent normal waren. 2009 gab es mit nur 70,8 Prozent die historisch niedrigste Wahlbeiteiligung bei Bundestagswahlen. Wird die Wahlbeteiligung dieses Jahr höher liegen? Und was weiß man über “den Wähler”?
Von Hardy Prothmann
Die klassischen Eigenschaften hat “der Wähler” längst verloren. Früher sprach man von “Milieus”, der Arbeiter wählte SPD, der Bauer CDU und Unternehmer gerne die FDP. Der erste Umbruch dieser Wählerbindung erfolgte in den 80-Jahren mit den Grünen, die stark im linken Milieu wilderten. Und mindestens in Baden-Württemberg konnten die Grünen bei der vergangenen Landtagswahl auch viele frühere CDU-Wähler für sich begeistern. Doch dürfte das vor allem an Winfried Kretschmann liegen, der einen konservativen Pragmatismus an den Tag legt.
Aktuell gibt es laut Bundeswahlleiter rund 61,5 Millionen Wahlberechtigte (2013: 61,9), davon 31,7 Millionen Frauen und 29,8 Millionen Männer. In Baden-Württemberg sind es 7,8 Millionen, in Hessen 4,5 Millionen und in Rheinland-Pfalz 3,1 Millionen.
Wahlberechtigte werden immer älter
Spannend ist die Altersverteilung. Auch hier zeigt sich die demografische Entwicklung. Obwohl Deutschland durch den Zuzug in den vergangenen Jahren deutlich auf fast 83 Millionen Menschen gewachsen ist, sind nur rund drei Viertel wahlberechtigt – und die werden immer älter. 12,7 Millionen Wahlberechtigte sind 70 Jahre und älter, 9,5 Millionen zwischen 60 und 70 Jahre alt und 12,3 Millionen sind zwischen 50 und 60 Jahre alt. Zusammen sind das 34,5 Millionen Wahlberechtigte, also deutlich mehr als die Hälfte aller Wahlberechtigten ist jenseits der 50 Jahre alt. Dem stehen gerade mal 3,6 Millionen Neuwähler gegenüber, die seit der vergangenen Bundestagswahl 2013 18 Jahre und älter sind und zum ersten Mal wählen dürfen. Die Zahl der Wahlberechtigten ist zwar leicht gesunken, dafür die der alten Wähler/innen gestiegen – was zu einer höheren Wahlbeteiligung führen könnte, die sich aus Zahl der Wahlberechtigten durch die Zahl der tatsächlichen Wähler errechnet.
Traditionell gehen mehr ältere Menschen zur Wahl und damit auch deren Interessen. Wem es gut geht, wählt vermutlich eher CDU oder SPD, wem es nicht so gut geht, sympathisiert vielleicht mit Die Linke und wer sich um die Sicherheit sorgt, vielleicht eher AfD. Die jungen Wähler/innen könnten sich hingegen mehr für Bündnis90/Die Grünen interessieren – nur ist fraglich, ob sie überhaupt wählen gehen.
Milieuänderungen treffen vor allem SPD
Der dramatische Abstieg der SPD bei vielen Wahlergebnissen der vergangenen Jahre hat ebenfalls mit den Milieuänderungen zu tun. Die Masse der klassischen “Arbeiter” ist gesunken und damit auch das Wählerpotenzial. Die CDU ist zur Mitte gerückt und hat der SPD viele Stimmen abgenommen, ebenso die Grünen und vor allem Die Linke. Was die Linke für die SPD ist, könnte die AfD für die CDU werden, wo sich sehr konservativ eingestellte Menschen möglicherweise besser aufgehoben fühlen. Erstaunlich ist, dass die AfD beiden großen Parteien Wählerstimmen abnehmen konnte. Profiteur des Aufstiegs der AfD scheint die FDP zu sein, die wieder deutlich zulegen konnte und als eine Art demokratische Alternative zur AfD für alle die gilt, die mit den großen Parteien unzufrieden sind.
Bei der kommenden Bundestagswahl bewerben sich 885 Personen nur in einem der 299 Wahlkreise sowie 2.269 Kandidatinnen und Kandidaten ausschließlich auf einer Landesliste. 1.674 Personen kandidieren sowohl in einem Wahlkreis als auch auf einer Landesliste. Auf den 272 Landeslisten der 34 Parteien (2013: 233 Landeslisten von 30 Parteien), die in den Ländern mit Landeslisten für die Bundestagswahl 2017 zugelassen wurden, treten insgesamt 3.943 (2013: 3.446) Personen an. Davon sind 1.249 oder 31,7 Prozent Frauen (2013: 1.027 beziehungsweise 29,8 %), teilt der Bundeswahlleiter mit.
Wahlbeteiligung in Baden-Württemberg am Höchsten
Die Wahlbeteiligung bei der vergangenen Wahl lag in Baden-Württemberg mit 74,3 Prozent am höchsten. In Heidelberg betrug sie sogar 76,7 Prozent, in Mannheim lag sie mit 69,4 unter Bundesdurchschnitt, im Wahlkreis Bruchsal-Schwetzingen meist deutlich über 70 Prozent (Ausnahme Philippsburg mit 66,1 Prozent), im Wahlkreis Rhein-Neckar teils auch über 80 Prozent (Ausnahme Schönau: 55,8 Prozent), im Wahlkreis Odenwald-Tauber ebenfalls deutlich über Bundesdurchschnitt (Ausnahme Schwarzach: 59,6 Prozent).
Bei der vergangenen Bundestagswahl scheiterte die AfD an der fünf-Prozent-Hürde und erreichte nur 4,7 Prozent. Aber: Die Partei war erst im Frühjahr gegründet worden und trat nicht in allen Wahlkreisen an, dafür war das ein beachtlicher Erfolg. Vor einem Jahr lag sie nach Umfragen bei 15 Prozent, sank dann rapide auf unter 7 Prozent und wird aktuell wieder auf ein zweistelliges Ergebnis geschätzt. Zahltag ist der Wahltag.
Auch wenn die Wahlbeteiligung in den vergangenen Jahren gesunken ist – im internationalen Vergleich ist sie hoch. Wie genau eine sinkende Wahlbeteiligung zu interpretieren ist, ist umstritten. Es gibt Argumente dafür, dass manche Wahlberechtigte mit der Politik insgesamt zufrieden sind und deshalb nicht wählen, andere argumentieren entgegensetzt – weil der Bürger politikverdrossen und unzufrieden sei, würde nicht gewählt, “weil man ja eh nichts ändern” kann. Dafür sprechen die Erfolge der AfD, denen es als neue Partei häufig gelungen ist, frühere Nicht-Wähler an die Urnen zu locken. So genannte Protestwähler sind Wähler, die entgegen ihrer Präferenz einer anderen Partei ihre Stimme geben, um der eigenen “eins auszuwischen”.
Warum überhaupt wählen?
Wahlberechtigte, die nicht ihre Stimme abgeben, treffen trotzdem eine Wahl. Sie schwächen die Partei, die sonst über die Zweitstimme gewählt worden wäre. Und jede Stimme zählt für die Parteien, weil diese staatliche Zuschüsse für jede Stimme erhalten – und zwar Jahr für Jahr. Selbst wenn das Ergebnis bei kleineren Parteien nicht so hoch ausfällt, ab einem Ergebnis von 0,5 Prozent erhalten die Parteien Gelder, die sie für die Organisation und damit auch die nächste Wahl brauchen können.
Weiter achten die meisten Politiker sehr genau auf die erreichten Stimmzahlen. Wer als Direktkandidat mit hoher Stimmenzahl gewählt wird, weiß, dass ihm viele Menschen das Vertrauen geschenkt haben, ist es knapp, weiß der Kandidat, dass er sich anstrengen muss, um wieder gewählt zu werden – in beiden Fällen erzeugt mal also eine Motivation.
Wichtig ist, die Funktion von Erst- und Zweitstimme zu kennen. Die Erststimme gilt nur für den gewählten Direktkandidaten – es ist also sinnvoll, diese einem Kandidaten zu geben, der auch Chancen auf den Gewinn des Wahlkreises hat. Man kann natürlich auch den Kandidaten einer Kleinpartei wählen, aber dann ist die Stimme ohne direkte Wirkung. Mit der Zweitstimme wählt man die Wahlliste, also eine Partei oder eine Wählergemeinschaft. Diese Stimme entscheidet, wer weitere Abgeordnete in den Bundestag entsenden darf – hier gilt die fünf-Prozent-Hürde. Erst- und Zweitstimme können also unterschiedliche Parteien wählen.
Klar: Vermutlich ist niemand rundherum so wirklich mit einer Partei zufrieden, aber wie sollte das auch gehen? Parteien binden viele Strömungen und haben mal bessere, mal nicht so gute Kandidaten. Andererseits sind bis heute Parteien die wirksamste Form, um sich politisch zu organisieren und die generellen Politiklinien zu beraten und zu beschließen.
Also: Gehen Sie wählen. Wenn Sie Fragen haben, können Sie uns jederzeit anschreiben: redaktion (at) rheinneckarblog.de.