Mannheim, 19. Mai 2017. (red/momo) Im Prozess gegen Christian Hehl kam das Amtsgericht Mannheim heute kaum voran. Der Beschuldigte erschien wegen gesundheitlicher Probleme erst nach Untersuchung durch einen Amtsarzt mit dreistündiger Verspätung. Nach Verlesung von Abhörprotokollen und einer Zeugenbefragung vertagte der Vorsitzende Richter Volker Schmelcher den Prozess auf kommenden Dienstag.
Von Moritz Bayer
Schöffengericht Mannheim. 10 Uhr. Alle warten auf den Angeklagten Christian Hehl. Doch der lässt sich entschuldigen:
Mein Mandant hat mir kurzfristig mitgeteilt, dass er sich stark im Unterzucker befindet und körperlich derartige Beschwerden hat, dass er derzeit nicht aufstehen kann.
Die Worte von Verteidigerin Nicole Schneiders auf die Frage des Richters, wo denn ihr Mandant sei, sorgte für lange Gesichter im Gerichtssaal 32 des Amtsgerichts Mannheim. Ihr Mandant ist Christian Hehl, der Ende des Monats 48 Jahre alt wird. 14 Verurteilungen seit Anfang der 90-iger Jahre. Früher bekannt als Teil einer rechtsradikalen und gewaltbereiten Szene. NPD-Mitglied und seit 2014 für diese Partei Stadtrat im Mannheimer Gemeinderat.
Wegen illegalen Waffenbesitzes und Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz in den Jahren 2010-2011 wird ihm vor dem Schöffengericht am Amtsgericht Mannheim der Prozess gemacht.
Nur ohne den Angeklagten kann der Prozess nicht fortgeführt werden. Richter Schmelcher blieb nichts anderes übrig, als mit Herrn Dr. Jakobi einen Amtsarzt zur Wohnung des Stadtrats zu schicken, um dessen Verhandlungsfähigkeit zu prüfen. Seine Verteidigerin sagt:
Herr Hehl ist motiviert, die gesundheitlichen Probleme in den Griff zu bekommen und schnellstmöglich zu erscheinen.
Nach zweimaliger Unterbrechung war es dann schließlich auch soweit. Um 12:45 Uhr waren Christian Hehl und Dr. Jakobi im Gerichtssaal. Richter Schmelcher wollte vom Arzt wissen, wie der Zustand des Angeklagten einzuordnen sei. Dieser sagte, dass der Blutzuckerwert bei seinem Eintreffen in der Wohnung zwar tatsächlich extrem hoch gewesen wäre, aber Herr Hehl dennoch orientiert und geistig klar, damit vernehmungsfähig sei.
Fit sah er allerdings absolut nicht aus. Die von Dr. Jakobi kurz umrissene Krankengeschichte verdeutlicht, wieso. Neben der Diabetes, welche seit 2005 Insulinbehandlungen unumgänglich macht, leidet Herr Hehl an Herz- und Niereninsuffizienz. Dazu kommen Gichtprobleme. Letztere waren in der vergangenen Woche so schlimm, dass er stationär ins Krankenhaus musste, wo er bis vor wenigen Tagen gelegen hatte. Aufgrund des Gesamtzustandes könne es sein, dass Herr Hehl für Reaktionen und Gedanken länger brauche als ein „normaler“ Mensch, aber sonst seien derzeit keine Bedenken gegen eine Fortführung des Prozesses vorzubringen.
Abgehörte Telefonate und abgefangene Chats
Erleichtert ließ Richter Schmelcher Hauptkommissar Axel R. in den Saal bringen. Der Kriminalbeamte war an den Abhöraktionen von Christian Hehls Telefon beteiligt und hatte mit Kollegen eine Auflistung der Gespräche sowie SMS-Chats angefertigt, die zwischen dem Angeklagten und einem weiteren Zeugen, Alex K., stattgefunden hatten.
Zeuge K. gibt an, zwischen April 2010 und November 2011 zehn bis zwanzig Mal Drogen bei Christian Hehl gekauft zu haben. Aus den Gesprächsprotokollen ist klar zu hören, dass die beiden Männern sich zumindest verabredet haben, um etwas auszutauschen. Allerdings sprechen sie möglicherweise in Codes, das Wort „Drogen“ fällt kein einziges Mal. Stattdessen gibt es Formulierungen wie:
Ich habe nochmal eine Frage wegen des Geburtstages der Tante. Wie alt wird sie? Ich muss das wissen wegen Kerzen und so, ich hab das ja nicht vorrätig.
Ein anderes Mal fragt Herr K. Herrn Hehl:
Hast du eigentlich noch von den Silvesterraketen? Sind die Preise wie letztes Jahr?
Hehl entgegnet:
Die schnellen Heuler? Na klar. Wie viele willst du denn? Ich gehe auch noch für ein paar andere welche kaufen.
Freilich sind das keine Beweise für tatsächlich vorgefallene Drogenan- und -verkäufe. Die Miene des Richters lässt dennoch kaum Zweifel an dessen Gedanken zu. Auch war im Gerichtssaal vereinzelt leises Lachen zu hören. Für eine Verurteilung ist die Beweislage sehr dünn. Es könnte Drogengeschäfte gegeben haben – für „könnte“ wird man aber nicht verurteilt, sondern nur, wenn Straftaten klar nachgewiesen werden können.
Christian Hehl scheint zu schwach zum Antworten
Nach der Anhörung des Zeugen Axel R. fragt Richter Schmelcher Herrn Hehl, was denn nun mit der Tante war.
Ich meine, Sie werden doch nicht die gleiche Tante wie Herr K. haben, nehme ich an?
Der Angeklagte antwortet in möglichst wenigen Worten und das so leise, dass man fast nichts versteht. Es ist lediglich herauszuhören, dass er angibt, es nicht (oder nicht mehr) zu wissen. Als der Richter nachfragen will, wird es Verteidigerin Schneiders zu bunt.
Sie sehen doch, dass mein Mandant augenscheinlich nicht in der Lage ist, hier und heute ordentlich am Prozess teilzunehmen!
Von der verärgerten Betonung lässt sich Herr Schmelcher nicht beeindrucken:
Der Arzt sagt etwas anderes. Sie verstehen mich doch, Herr Hehl?
Nach einem kurzen Disput zwischen dem Vorsitzenden Richter und der Strafverteidigerin geht es weiter. Nicole Schneiders beantragt, bevor der Zeuge Alex K. aufgerufen werden kann, ein psychologisches Gutachten über ihn.
Wortreich beschreibt sie, weshalb ein solches Gutachten zur Entlastung ihres Mandanten beitragen würde. Primär zielt sie darauf ab, dass der Zeuge K. aufgrund seines jahrelangen Drogen- und Alkoholmissbrauchs nicht imstande sein könne, sich an zehn Termine zu erinnern, bei denen er Drogen von Herrn Hehl gekauft haben will. Auch erwähnt sie einige Fälle, in denen Herr K. bereits der Lüge überführt worden sei und möchte so seine Glaubwürdigkeit bezogen auf die möglichen Drogenkäufe zunichte machen. Die Szene-Anwältin verteidigt in München auch Ralf Wohlleben im NSU-Prozess.
Das Ganze zieht sich so lange hin, dass Volker Schmelcher den Prozess vertagen muss. Speziell der nicht aufgerufene Zeuge K. äußert, nachdem er kurz zum Entlassen in den Saal geholt wurde, seinen Unmut durch Gesten und seinen Tonfall. Herr Schmelcher gibt in gekonnt souveräner Art zurück:
Ja meinen Sie, ich habe darauf Lust?
Er erklärt ihm noch die Möglichkeit, seine entstandenen Fahrtkosten und Verdienstausfälle abrechnen zu lassen, was dieser nicht will. Dann schließt er die Verhandlung, die am Dienstag, 23. Mai um 08:45 Uhr ihre Fortsetzung findet.