Mannheim/Heidelberg/Rhein-Neckar, 16. Februar 2016. (red/cr) Der Bolzplatz ist heruntergekommen, die Skaterampe ist zu kurz und nirgendwo ein Ort zum Chillen – die Probleme von Kindern und Jugendlichen werden von Erwachsenen oft ganz anders wahrgenommen. Viele Heranwachsende haben Ideen, wie man etwas verbessern könnte – aber wer hört die an? Sie wollen sich selbst einbringen – aber wie? Und wo? Die Möglichkeiten zur politischen Teilnahme unterscheiden sich von Ort zu Ort erheblich – auch in der Metropolregion.
Von Christin Rudolph
„Politik – das machen hauptsächlich alte Leute. Und immer die, die das schon seit zwanzig Jahren machen. ‚Die Jugend‘ und ihre Interessen bleiben oft auf der Strecke“ – das dachte ich zumindest, solange ich noch im ländlichen Raum „auf dem Dorf“ wohnte. Immerhin gibt es in vielen Gemeinden Jugendgemeinderäte. Hier engagieren sich Leute, die sind in meinem Alter und hören zu.
Dann in Mannheim die große Überraschung – kein Jugendgemeinderat. In so einer großen Stadt. Wie beteiligen sich dann die Kinder und Jugendlichen hier? Wie kann man sich außerhalb von Jusos, Junger Union und Co. einbringen?
Seit dem 01. Dezember gilt in Baden-Württemberg die neue Gemeindeordnung. Damit gibt es ein Recht auf einen Jugendgemeinderat, auch wenn nur wenige Kinder und Jugendliche dies wünschen. Warum also nicht in Mannheim?
Großes Interesse in Heidelberg
In Heidelberg gibt es schon seit 2006 einen Jugendgemeinderat. Er hat bei allen jugendrelevanten Themen ein festes Rederecht im Gemeinderat. Darüber hinaus kann er sachkundige Jugendliche berufen, die zwar bei den Entscheidungen kein Stimmrecht haben, aber an den Beratungen teilnehmen dürfen.
Gewählt wird das Gremium alle zwei Jahre, zuletzt erst im Dezember 2015. Am 25. Februar wird der frisch gewählte Jugendgemeinderat seine erste Sitzung abhalten. Wählen dürfen Heidelberger Jugendliche zwischen 14 und 19 Jahren. Das Interesse ist beträchtlich: 48 Prozent der Stimmberechtigten haben gewählt – das ist eine höhere Beteiligung als bei der vergangenen Oberbürgermeisterwahl.
Jugendliche wählen Jugendliche
Gewählt werden 30 Personen im Alter von 14 bis 19 Jahren. Davon zehn aus Gymnasien, zehn aus beruflichen Schulen, fünf aus Realschulen und fünf aus Haupt- und Förderschulen. Diese Aufteilung spiegelt den prozentualen Schüleranteil der verschiedenen Schultypen wieder. Zudem beraten sechs Mitglieder aus der Mitte des Gemeinderates den Jugendgemeinderat.
Die Jugendlichen sind im „normalen“ Gemeinderat mit zwei beratenden Mitgliedern im Jugendhilfeausschuss und je einem beratenden Mitglied im Sport-, im Kultur- sowie im Stadtentwicklungs- und Verkehrsausschuss vertreten. Außerdem organisiert der Jugendgemeinderat Podiumsdiskussionen, Parties, Konzerte und Sport-Events für Jugendliche. Er tagt alle sechs Wochen öffentlich im Rathaus und verwaltet sein eigenes Budget selbst.
Im badischen Teil der Metropolregion gibt es außer in Heidelberg noch in Schriesheim, Dossenheim, Ladenburg, Weinheim, Brühl, Oftersheim, Leimen, Mosbach und Wiesloch solche oder ähnliche Gremien.
Warum nicht auch in Mannheim?
In Mannheim hingegen gibt es kein jugendliches Pendant zum Gemeinderat. Das sogenannte „Mannheimer Modell“ ist dezentral ausgerichtet. Anders als in einem Jugendgemeinderat mit festen Mitgliedern und Sitzungsplänen finden dezentral in jedem Mannheimer Stadtteil Stadtteilversammlungen statt. Bei diesen Versammlungen können junge Bewohner ihre Anliegen formulieren und diskutieren anschließend mit Vertretern der Lokalpolitik, in welchem Rahmen diese berücksichtig werden können.
Es ist also beteiligungsoffen. Das heißt: Es gibt keinen „festen Kern“ – bei jeder Aktion im Rahmen des Beteiligungsmodells können andere Kinder und Jugendliche mitmachen. So kann man sich bei den Themen einbringen, die einen am meisten interessieren und hat kein dauerhaftes Amt inne, also weniger Verpflichtungen als ein Mitglied im Jugendgemeinderat.
Bei jeder Stadtteilversammlung werden mindestens eine Schule und eine Jugendeinrichtung aktiv beteiligt. Kinder und Jugendliche werden also vor Ort in ihrem Umfeld angesprochen. Dadurch sollen insgesamt mehr Personen, unterschiedliche Gruppen und somit eine möglichst repräsentative Vertretung erreicht werden. So wird zum Beispiel darauf geachtet, dass der Anteil von Jungen und Mädchen ausgeglichen ist und dass genug Menschen mit Migrationshintergrund mitmachen.
Viele sollen mitreden
Zusätzlich zu den jährlichen Stadtteilversammlungen finden alle vier Jahre abwechselnd stadtweit ein ein- bis zweitägiger Kindergipfel und ein Jugendgipfel statt. Dabei ist der Kindergipfel für Kinder ab sechs Jahren, der Jugendgipfel ab 14 Jahren. Dabei werden stadtteilübergreifende Themen erarbeitet und gemeinsam mit hochrangigen Vertretern aus Politik und Verwaltung diskutiert. Die Ergebnisse werden in der jeweils darauf folgenden Sitzung des Bezirksbeirats von den Kindern oder Jugendlichen vorgestellt und beraten. Der Bezirksbeirat nimmt diese Anliegen entgegen und sorgt nach Möglichkeit für deren Bearbeitung.
Das Kinder- und Jugendbüro “68Deins” koordiniert die Kinder- und Jugendversammlungen in den Bezirken und die Kinder- und Jugendgipfel, verwaltet die vom Kinder- und Jugendgipfel verabschiedeten Anliegen und Anfragen, bildet die Schnittstelle zu den kommunalen Gremien und in die Verwaltung, verwaltet das Beteiligungs-Budget, betreibt Öffentlichkeitsarbeit und wertet die Aktivitäten aus.
Die zwei Mitarbeiter betreiben auch eine Facebook-Seite. So sollen möglichst viele Kinder und Jugendliche über ihre Möglichkeiten zum Meinungsaustausch und zur Meinungsbildung vor Ort und stadtweit informiert werden. Alle, die keinen Facebook-Account haben, erhalten auf der Informationsseite der Mannheimer Jugend online alle wichtigen Informationen und Termine.
Zusammenarbeit aller Altersgruppen
Außerdem gibt es themen- und anlassbezogene Beteiligungsangebote. Ein Beispiel aus dem Stadtteil Sandhofen: 2012 sollte die Planung für einen neuen Spielplatz im Neubaugebiet Gerauer Straße anlaufen. Kindern und Eltern aus dem Wohngebiet nahmen an zwei Nachmittagen an Planungsworkshops teil, in denen erarbeitet wurde, wie sich die Kinder ihren neuen Spielplatz vorstellen. Bei der Planvorstellung im Februar 2013 zeigte sich, dass so gut wie alle Wünsche umgesetzt werden konnten. Anfang August 2013 erfolgte der Spatenstich des mit Kindern und ihren Eltern geplanten Kinderspielplatzes Maria-Rigel.
Dieses dezentrale Modell wurde zwischen 2008 und 2010 in Workshops durch eine Arbeitsgruppe von Kindern und Jugendlichen sowie Erwachsenen aus der Kinder- und Jugendarbeit, der Politik und der Verwaltung erarbeitet. Mitgewirkt haben der Fachbereich Kinder, Jugend und Familie – Jugendamt, der Stadtjugendring Mannheim e.V., die Vertretung von Kinderinteressen, der Fachbereich Bildung, das Staatliche Schulamt Mannheim, die jugendpolitischen Sprecherinnen und Sprecher der Fraktionen im Gemeinderat, das Jugendzentrum in Selbstverwaltung, die Begegnungsstätte Westliche Unterstadt sowie Vertreterinnen und Vertreter von Jugendverbänden und aus kommunalen Jugendeinrichtungen.
Von 2010 bis 2013 wurde das Konzept erprobt und evaluiert. Bei den Veranstaltungen der Erprobungsphase von 2011 bis 2013 konnten über 1.700 Kinder und Jugendliche erreicht werden.
Entwicklung dauert an
Im Zuge der Weiterentwicklung des “Mannheimer Modells” wird aktuell ein Konzept für einen „Beirat zur Förderung der Kinder- und Jugendbeteiligung in Mannheim“ entwickelt. Nach derzeitigen Stand soll sich dieser Kinder- und Jugendbeirat zweimal im Jahr treffen und folgenden Aufgaben haben:
Er begleitet vor allem die Kinder- und Jugendbeteiligung in Mannheim. Dazu gehört, die Weiterentwicklung und Implementierung der neuen Angebote der Kinder- und Jugendbeteiligung in Mannheim kritisch zu begleiten, zu fördern und für deren Einsatz zu werben. Auch neue Ideen sollen entwickelt werden. Ganz besonders dazu, wie man Jugendliche anprechen, für Beteiligungsformen gewinnen und noch wirkungsvoller beteiligen kann.
Über eine neue Kooperation mit dem Büro des Integrationsbeauftragten der Stadt Mannheim werden mit Mitteln aus dem Programm „Demokratie leben!“ dem Kinder- und Jugendbeirat in den nächsten fünf Jahren Sachmittel in Höhe von 5.000 Euro zur Verfügung gestellt werden, mit denen das Gremium eigene Projekte finanzieren kann. Das können auch Anliegen sein, die sich aus Veranstaltungen von 68DEINS! ergeben. Darüber entscheidet der Kinder- und Jugendbeirat.
Kinder und Jugendliche gezielt aktivieren
Die Zusammensetzung ist folgendermaßen geplant: Vier Kinder und Jugendliche der offenen Kinder- und Jugendarbeit, jeweils zwei aus der Altersgruppe neun bis 13 und 14 bis 17, vier Kinder und Jugendliche als Delegierte der verbandlichen Kinder- und Jugendarbeit, ein Vorstandsmitglied des Schülerbeirats Mannheim, jeweils eine Vertretung der Jugendorganisationen der Parteien, die im Gemeinderat aktiv sind.
Nach Angaben der Stadt Mannheim wurden bei den Haushaltsberatungen sowohl neue Mittel für die Entwicklung eines Kinder- und Jugendbeirats und als auch einer stadtweiten SchülerInnenvertretung beschlossen. Die Konzeptentwicklung werde nun angegangen, um neue Beteiligungsangebote schaffen zu können.
Themenbezogen wird außerdem eine stärkere Kooperation mit den Schulen angestrebt, zum Beispiel bei der Vorstellung und Erarbeitung des Beteiligungsmodells im Schulunterricht, der Freistellung von Schülerinnen und Schülern zur Teilnahme an Veranstaltungen, Beteiligung von Delegierten der Schülermitverwaltung (SMV).
Kleinere und größere Projekte
In Orten ohne Jugendgemeinderat oder Vergleichbares wird in der Regel ebenfalls auf ein dezentrales Modell gesetzt. Kinder und Jugendliche werden dort themen- und projektbezogen beteiligt. Manchmal findet die Beteiligung auch innerhalb von größeren sozialen Programmen statt, die oft für alle Altersgruppen offen sind.
Beim Programm „Soziale Stadt“ etwa erarbeiten Bewohnerinnen und Bewohner gemeinsam mit Vereinen, Institutionen und Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern Handlungskonzepte zur sozialen und baulichen Verbesserung ihres Quartiers. Bei diesem Programm von Bund und Ländern sollen sich auch Jugendliche einbringen können.