Rhein-Neckar/Frankfurt, 14. November 2012. (red/pro) Gestern wurde bekannt, dass die Frankfurter Rundschau, die seit dem 01. August 1945 erscheint, insolvent ist. Pleite. Wirtschaftlich am Ende. Der FAZ-Herausgeber Werner D’Inka hat dazu einen Kommentar verfasst, der gar nicht so unklug ist, aber zu einem Schluss kommt, der kommentiert werden muss.
Von Hardy Prothmann
Sehr geehrter Herr D’Inka,
wenn die letzte anständige Zeitung verschwunden ist, bleibt nur noch das Geschwätz.
Mit Verlaub. Das ist dummes Geschwätz. Seit mehr als 20 Jahren digitalisiert sich die Welt und der Informationsreichtum wächst und wächst. Um ihn erfassen zu können, braucht man Technik und das nötige Wissen. Aber das war schon immer so. Von der Steintafel, übers Papyrus zum Papier, dem Buchdruck, den elektronischen und gedruckten Massenmedien und heute dem Internet.
Der geniale Erfinder Dr. Carl Benz (der bei mir um die Ecke gewerkelt hat) hatte enorme Schwierigkeiten, seine Erfindung, das Automobil gegen Pferdekutscher, wie Sie einer sind, verständlich zu machen. Verstehen Sie mich richtig. Mir liegt es fern, Sie zu beleidigen. Aber ich frage mich, warum Sie mich und meine Mitarbeiter als Schwätzer beleidigen. Ich verstehe Ihre Not – aber Sie haben kein Recht dazu.
Bin ich kein anständiger Journalist, nur weil ich vor drei Jahren begonnen habe, ein internetbasiertes Netzwerk für Lokaljournalismus aufzubauen? Sind meine Mitarbeiter unanständige Leute, weil sie bei mir mit Freude und viel Freiheit arbeiten?
Muss ich mir von Ihnen sagen lassen, wir leisten nur Geschwätz? Oho, vielleicht sagen Sie, meine Mitarbeiter und ich seien gar nicht gemeint? Wer dann? Ich fühle mich persönlich angesprochen.
Ich bin ein journalistischer „Spätzünder“. Der Beruf, der mir heute der beste der Welt ist, war kein Wunsch für mich. Ich habe keine Schülerzeitung gegründet und meine ersten Artikel im Alter von 25 Jahren für den Uni-Report der Universität Mannheim geschrieben. Mit der Schreibmaschine. Auf Papier. Klebeumbruch und so. Ab 1990 mit einem Computer. Die Texte habe ich dann ausgedruckt und gefaxt und irgendjemand hat sie später für die Zeitung Mannheimer Morgen abgeschrieben und Fehler gemacht, die nicht meine waren.
Und seit 1991 verdiene ich Geld mit meiner journalistischen Arbeit. Ich war immer „Freier“. Aus Überzeugung, weil ich nie FAZ oder taz oder Rundschau oder sonstwas sein wollte. Mich haben immer die Menschen und die Inhalte interessiert, ich musste immer eine sehr gute Arbeit abliefern, um im Markt bestehen zu können.
Und ich habe immer die Grenzen meiner Überzeugung gezeigt bekommen. Weil ich nicht auf „Linie“ war, weil ich nicht Teil von Systemen war. Und ich habe mich durchgeschlagen. Insgesamt ganz erfolgreich, weil es mir gelungen ist, meine Texte in diesen Systemen unterzubringen ohne Teil der Maschine zu sein.
Als ich 2003 einen Artikel auf Basis investigativer, monatelanger Recherchen in der FAZ untergebracht hatte, wurde ich mit 70 Euro für den 100-Zeiler „entlohnt“. Da fehlte eine Null. Meine Beschwerde führte dazu, dass mir der Medienredakteur Michael Hanfeld klar machte, dass ich als Autor nichts mehr unterbringen würde und Ihr Herausgeberkollege Frank Schirrmacher beantwortete doch tatsächlich meinen Brief und bestätigte ein „übliches Zeilenhonorar“ im Feuilleton der FAZ. 70 Cent pro Zeile. Bei einer Auflage von damals rund 400.000 Exemplaren.
Mit Verlaub, Herr D’Inka, das ist und war für mich persönlich die Verarschung meiner freien, anständigen, mutigen und harten Arbeit. Was verdienen Sie sonst so?
Ich habe mich trotzdem weiter durchgeschlagen. Ging ganz gut.
Vergangenen Samstag war ich um 9 Uhr morgens in Stuttgart und habe 30 jungen Journalisten meine heutige Arbeit als lokaler Blogger vorgestellt. 30 junge Talente haben mir zugehört und ich bin sicher, dass die allermeisten davon träumen, irgendwann mal für die FAZ, die Zeit, die Süddeutsche, die ARD usw. zu arbeiten. Die Rundschau fällt aktuell weg.
Ehrlich, wie ich bin, habe ich den Teilnehmern gesagt, dass ich es toll finde, dass sie Journalisten sein wollen, aber dass die Zukunftsaussichten katastrophal sind. Jedenfalls, wenn sie auf Karrieren in den traditionellen Medien hoffen.
Ich habe versucht, die jungen Kolleginnen/en dafür zu sensibiliseren, dass Deutschland ihren Journalismus braucht, sie dafür aber selbst unternehmerisch tätig werden müssen. Ich habe mich sehr angestrengt, um sie für unsere wichtige Arbeit zu begeistern – auch wenn es kein Karriere-Job sein wird. Aber wo gibt es die heute noch?
Ab 14 Uhr war ich später an diesem Samstag in München bei einer Veranstaltung von Netzwerk Recherche – einem Verein, dessen Gründungsmitglied ich bin, dem ich aber nicht mehr angehöre. Im Haus der Süddeutschen Zeitung – einer tollen Zeitung, die aber eigentlich auch pleite ist.
Auch dort habe ich zusammen mit Kollegen vorgestellt, was mit großer Sicherheit die Zukunft des Journalismus ist: internetbasierte Informationsvermittlung.
Und auch dort musste ich mich fragen lassen, ob das denn ein Geschäftsmodell sei. Und Ihnen, Herr D’Inka sage ich dasselbe wie den jungen Journalisten in Stuttgart und dem Auditorium in München. Ja, es ist eins. Eins, das sich entwickelt, eins, bei dem die Reichweiten und Umsätze wachsen, aber auch eins, dass ganz bescheiden anfängt.
Weil die Zeitungsverlage so viele Fehler gemacht haben, dass ich manchmal verzweifeln könnte. Erst wurde das Internet belächelt, dann hat man versucht sich groß zu tun, die heute auch von Ihnen angeprangerte Gratiskultur selbst entwickelt und dann alles, wirklich alles, um den neuen Markt zu beschädigen.
Ich komme mir manchmal wie ein Trümmerjunge vor, weil ich Stein auf Stein sammle, bearbeite, um etwas neues aufzubauen. Zusammen mit Kollegen überall in ganz Deutschland. Ob am Tegernsee, in Regensburg, in Berlin, in Bretten, Weiterstadt, im Bayerischen Wald oder sonstwo.
Und dann muss ich lesen, dass nach der Ära der „anständigen Zeitungen“ nur Geschwätz bleibt? Herr D’Inka – schämen Sie sich. Für Ihre Eitelkeit. Für Ihren kurzen Verstand. Für Ihr dummes Geschwätz – dass ich übrigens online gelesen habe. Was das bedeutet? Ich möchte Sie nicht überfordern.
Als Kenner der Medienbranche habe ich und werde ich auch weiter „stacheln“ und das „System“ kritisieren. Weil es viele Schwächen hatte. Es bildet sich seit langem ein neues System aus. Mit Stärken, die es noch nie gegeben hat – aber auch vielen Schwächen, die man im Blick haben muss.
Was bleibt, ist für mich die Überzeugung, dass Journalismus ein wunderbarer Beruf ist, den ich mit heute 46 Jahren nach 21 Jahren Berufserfahrung neu lerne. Dafür bin ich bereit. Und ich lebe meine Überzeugung der Freiheit weiter.
Ich schule meine Mitarbeiter, möchte, dass sie gut und besser werden als ich – ob sie mir das danken, werde ich erfahren müssen. Ich nehme ihre Arbeit ernst – so ernst, wie ich auch die Leserinnen und Leser nehme. Ich fordere meine Mitarbeiter auf, ihre Texte zu verteidigen, wenn das gelingt, erscheinen diese so wie sie verfasst worden sind – ganz egal, ob mir das „gefällt“.
Es ist mir vollkommen egal, ob meine Mitarbeiter links, mittig oder konservativ sind, solange sie eine ordentliche und vernünftige Arbeit machen und diese unserem redaktionellen Anspruch genügt. Dazu gehört die Verpflichtung der demokratischen Meinungsfreiheit. Die Fakten müssen stimmen, die Arbeit muss korrekt sein und sie muss für die Menschen da sein. Sie im Leben abholen.
Wir veröffentlichen auch Standpunkte von Meinungsträgern, die uns nicht gefallen. Aber wir betreiben keine Lobby-Arbeit, wie Sie, Herr D’Inka und Ihre Kollegen und Ihr System das über Jahrzehnte getan haben. Die FAZ war noch nie eine unabhängige Zeitung, sondern immer auch Trägermedium von lobbyistischen Interessen.
Sie schreiben:
So oder so sollte das ungewisse Schicksal der „Frankfurter Rundschau“ einer an die Gratismasche der digitalen Welt gewöhnten Gesellschaft Anlass zum Nachdenken darüber geben, was ihr unabhängige Zeitungen und eine Vielfalt der Stimmen wert sind.
Das ist, mit Verlaub, hohles Geschwätz. Die FAZ hat noch niemals eine „Vielfalt der Stimmen“ abgebildet. Und die Gratismaschine, wie sie das antidemokratisch bezeichnen, ist die demokratisch wertvollste Entwicklung zu einer grundgesetzlich garantierten Meinungsbildung, die es je gab. Was Sie stört, ist, dass Sie daran nichts verdienen. Dass Sie sich nicht bereichern können. Und das halten Sie, Herr D’Inka, für „unanständig“, dass ist das, was Ihnen nicht gefällt.
Verzeihen Sie die vermeintlich persönliche Ansprache, die ich nur metaphorisch meine. Mit „Sie“ meine ich natürlich Sie und jeden anderen im gedruckten System, der so wie Sie in alten Denkmustern rumdruckst und weder den Mut, noch die Ehrlichkeit, noch die Einsicht hat, sich den Herausforderungen der Zukunft zu stellen. Und damit auch den jungen Kolleginnen/en, die ich am Samstag getroffen habe, die Zukunft verbaut.
Aktuell hat es die Frankfurter Rundschau getroffen – die FAZ wird folgen.
Carl Benz hat den Verbrennungsmotor erfunden – die Zukunft werden Elektro-Autos, Hybrid-Autos oder vielleicht sogar wieder Pferdekutschen sein. Wer weiß?
Ganz sicher ist, Herr D’Inka, dass, wenn die letzte anständige Zeitung verschwunden sein wird, nur noch Geschwätz bleibt, Sie aber nicht mehr mitreden dürfen. Außer, Sie haben sich irgendwann durchringen können, mitschwätzen zu wollen.
Denken Sie mal drüber nach.
In diesem Sinne
P.S. Ich habe wirklich keine Ahnung, wann ich das letzte Mal eine FAZ-Printausgabe in der Hand hatte. Vermute mal, das ist so zwei Jahre her. Können Sie sich das vorstellen?