Mannheim, 11. März 2019. (red/pro) Der Einzelstadtrat Julien Ferrat (MVP) ist vom Amtsgericht Mannheim per Strafbefehl zu einer Geldstrafe von 3.000 Euro wegen Beleidigung gegenüber dem Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz (SPD) verurteilt worden. Herr Ferrat hat gegen den Strafbefehl Einspruch eingelegt. Damit ist das Urteil nicht rechtskräftig und wird vor dem Amtsgericht verhandelt werden müssen.
In der Begründung des am 19. Februar 2019 ausgestellten Strafbefehls gibt das Amtsgericht an, dass viele Zeilen und damit Inhalte des Rap-Songs “Disstrack” ohne jeglichen Sachbezug ausschließlich eine Schmähung des Oberbürgermeisters als Person darstellten. Diese Textzeilen seien einer “sachbezogenen Auslegung nicht zugänglich”. Laut Gericht habe Herr Ferrat den “objektiv beleidigenden Charakter” in Kauf genommen. Der Strafbefehl lautet auf 60 Tage zu 50 Euro, in Summe 3.000 Euro.
Was ist noch Kunst oder schon eine Beleidigung?
Gegen den Strafbefehl hat Herr Ferrat (Mannheimer Volkspartei, MVP) nach eigenem Bekunden fristgerecht Einspruch eingelegt – bislang offenbar ohne Anwalt, was in dieser Instanz möglich ist. Damit ist der Strafbefehl nicht rechtskräftig. Er begründet den Einspruch mit Hinweis auf eine Urteil des Landgerichts Berlin (Az. 512 Qs 69/13) aus dem Jahr 2014, das sich mit einem Rap-Song gegen den früheren regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, auseinandersetzte und zum Schluss kam, dass das streitgegenständliche Werk durch die grundgesetzlich geschützte Kunstfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gedeckt sei. Diese Kunstfreiheit gelte nach Auffassung von Herrn Ferrat auch für die Kunstform des Disstracks.
Die Auseinandersetzung zwischen Herrn Ferrat und dem Oberbürgermeister ist damit auf lokaler Ebene prinzipiell ähnlich zum weiter anhängigen Rechtsstreit zwischen dem türkischen Präsidenten Erdogan und dem ZDF-Moderator Jan Böhmermann. Dieser hatte Herrn Erdogan mit einem “Schmähgedicht” mit übelsten Beschimpfungen überzogen, bei denen auch sexuelle Anspielungen gemacht worden waren. Das Landgericht wie auch das Oberlandesgericht Hamburg verboten daraufhin einzelne Textzeilen. Böhmermanns Anwalt Christian Schertz hat dagegen im Januar 2019 Nichzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt und angekündigt, bis vors Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Das Oberlandesgericht sah eine nicht gegebene “Schöpfungshöhe” und damit die Möglichkeit, das “Kunstwerk” Gedicht eben nicht als Kunstwerk anzusehen, was nach Auffassung des RNB problematisch sein wird.
Herr Ferrat erklärte in einem Anschreiben an RNB: „Ich sehe der Sache recht gelassen entgegen. Die entscheidenden Rechtsfragen wurden bereits höchstrichterlich entschieden. Ich werde den Marsch durch die Instanzen beschreiten. Spätestens am Bundesverfassungsgericht sollte entschieden werden, dass das streitgegenständliche Werk von der grundgesetzlich geschützten Kunstfreiheit gedeckt war.“
Kontext entscheidend
Das Amtsgericht Mannheim hat in der Strafbefehlsbegründung exakt die zwei Stellen herausgehoben, die RNB in seiner Berichterstattung im Dezember hervorgehoben hatte: “Dazu ist lautmalerisches ein Pups zu hören: “Das ist der Disstrack gegen Peter Kurz, auf seine Meinung geb ich einen feuchten Furz”, heißt es im Text. Daraufhin kommt es zum “politischen Schwanzvergleich” – zwei skizzierte Penisse werden eingeblendet, Ferrat hat einen “langen” und der OB einen “kurzen”. Er fordert den OB auf, ihn “am Arsch zu lecken, ich glaube, es wird Dir sogar schmecken”.”
In der höchstrichterlichen Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts wird immer wieder auf den Kontext abgehoben, Inhalte dürfen also nicht in Teilen, sondern müssen in der Gesamtschau eingeordnet werden. Insbesondere die Meinungs- wie auch die Kunstfreiheit genießen dabei einen sehr hohen Stellenwert. Allerdings werden dabei immer auch andere Rechtsgüter abgewogen, beispielsweise die persönliche Ehre und insbesondere Artikel 1, GG: “Die Würde des Menschen ist unantastbar.” Dies wird wiederum in der Abwägung betrachtet, in welcher Art ein Angriff auf eine Person stattfindet und ob dieser im Rahmen eines politischen Meinungskampfes zulässig ist oder nicht.
Das Dummschwätzer-Urteil als Beispiel für Abwägung
Herausragend ist hier die”Dummschwätzer”-Entscheidung. Ein Gemeinderat hatte in einer öffentlichen Sichtung einen anderen mit diesem Begriff belegt. Der Streit ging dann bis nach Karlsruhe vor das Bundesverfassungsgericht. Dieses entschied nach umfangreicher Abwägung, dass der Begriff “Dummschwätzer” eine Beleidigung darstellen könne, im Zusammenhang gesehen aber eine zutreffende Tatsachenbehauptung sei, da der Kläger dem Beklagten vorgehalten habe, dieser habe noch nie eine Schule von innen gesehen, was dieser mit “Dummschwätzer” konterte. Hier wirkt auch das Recht auf Gegenschlag – dem Beklagten wurde Unbildung vorgeworfen, wogegen sich dieser gewehrt hat. Jemand, der dummes Zeug schwätzt, ist eben zutreffend ein Dummschwätzer.
Entsprechend wird die Sache im Fall des Disstrack abgewogen werden müssen. Im Sinne der Meinungs- und Kunstfreiheit können auch sehr polemische Formulierungen möglich sein. Allerdings ist diese Freiheit nicht grenzenlos, sondern muss in Abwägung mit anderen Rechten beurteilt werden. In diesem Zusammenhang hat Herr Ferrat eine bessere Position als Herr Böhmermann, da Herr Ferrat als Lokalpolitiker tatsächlich an der politischen Meinungsbildung, wie auch immer, teilnimmt. Allerdings wird hierbei trotzdem zu beachten sein, mit welchen Mitteln dies geschieht. Insbesondere für sexuelle Anspielungen auf die Privatsphäre des Oberbürgermeisters gibt es nach Auffassung des RNB keinerlei rechtfertigenden Kontext, der zu beachten wäre. Andere vulgäre Äußerungen des Disstracks hingegen könnten durchaus zulässig sein – auch, wenn man diese inhaltlich voll ablehnt, was eindeutige Position beim RNB ist.
MVP will mit 48 Kandidaten antreten
Auch ein Vergleich zu Xavier Naidoo kann gezogen werden. Dessen Liedinhalte sorgen auch immer wieder für Debatten, zuletzt “Marionetten”. Doch es macht einen Unterschied, ob jemand wie Naidoo ziemlich sinnfreies Zeugs vor sich hinmurmelt und die politische Klasse von irgendwelchen Mächten an Fäden gezogen sieht oder konkret Personen angesprochen werden. Auch hier sei auf das Bundesverfassungsgericht verwiesen: “Soldaten sind Mörder” ist eine zulässige Meinungsäußerung in der Verallgemeinerung – konkret auf einen Soldaten bezogen, könnte es sich um ein nicht zulässige Schmähung handeln. Irgendwelche verschwörungstheoretische Gedankenäußerungen sind etwas anderes, als konkrete Beleidigungen.
Aus Sicht von Herrn Ferrat kommt der Streit sicherlich im Wahlkampf gelegen – er positioniert sich als oppositioneller Politiker, der in Jugendsprache “Probleme anspricht”. Tatsächlich zeichnet sich Herr Ferrat vor allem durch immer neue Provokationen aus und zeigt sich selbst auch klagefreudig. Im Dezember 2018 verklagte er die Stadt Mannheim, weil er sich als Einzelstadtrat finanziell benachteiligt fühlt, während andere als Gruppen oder Fraktionen Gelder für Mitarbeiter und Sacharbeit erhielten.
Wahlstrategisch gesehen, könnte es ihm gelingen, erneut in den Gemeinderat gewählt zu werden. In der aktuellen Wahlperiode kam er über Die Linke in den Gemeinderat, wechselte dann zur Familienpartei und dann zur von ihm 2018 gegründeten MVP, die nach seinen Angaben über 70 Mitglieder hat und mit einer vollen Wahlliste, also 48 Kandidaten antreten wird.