Mannheim/Rhein-Neckar, 03. Dezember 2016. (red/pro) Aktualisiert. Uffze, uffze, uffze – zwischen 10.-12.000 Personen feiern in der Maimarkthalle eine Techno-Party. Die meisten sind „gut druff“ – viele allerdings weniger gut auf Drogen. Die Polizei Mannheim führt mit erheblichem Aufwand die gesamte Nacht Kontrollen bei der Toxicator 2016 durch. Um 22:18 Uhr gibt es bereits 32 „Vorgänge“, die meisten Drogendelikte, ein Mal Widerstand gegen Vollzugsbeamte, ein Verstoß gegen das Waffengesetz und ein Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz – jemand hatte einen Böller mit TNT dabei. Um 23:30 sind es bereits 50 Drogenbesitzfälle sein. Mit 143 Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz wurde ein neuer „Rekord“ aufgestellt.
Von Hardy Prothmann
Man kann der Polizei einen gewissen Humor trotz des ernsten Themas nicht absprechen – bei der aktuell laufenden Techno-Party Toxicator haben Polizeibeamte Verdächtige aus der Menge gezogen und kontrollieren die Personen auf Drogenbesitz. Einer der Beamten, der wie ein Partygänger aussieht, trägt einen Rucksack „Kinderüberraschung“.
Toxicator ist gegenüber der Time-Warp eher „Kindergarten“, aber nicht minder drogendurchsetzt
Im Gegensatz zur Time-Warp, wo gut die Hälfte der Partygänger aus dem Ausland anreist, ist die Toxicator eine deutsche Veranstaltung mit einem Einzugsgebiet von rund 150 Kilometern. Bei der Time-Warp sind die meisten Teilnehmer zwischen 25-45 Jahre alt, bei der Toxicator zwischen 16-30 Jahre. Über 60 Prozent sind Männer. Wie hoch der Anteil der Jugendlichen ist, kann man nur schwer beziffern, aber es sind sehr viele Jugendliche unter 18 Jahre in Begleitung „Erwachsener“ dabei.
Was wir hier machen ist vor allem auch Jugendschutz,
sagt Polizeioberrat und Einsatzleiter Frank Hartmannsgruber. Nachdem in den vergangenen zwei Jahren die Kontrollen klar gezeigt haben, dass es einen massiven Missbrauch von Drogen gibt, hat die Polizei dieses Jahr nochmals aufgerüstet. Rund 200 Beamte des Polizeipräsidiums Mannheim sind im Einsatz – insbesondere um Jugendliche vor sich selbst zu schützen.
Allesamt sind Beamte der Schutzpolizei, darunter auch welche, die jede Menge „Blech“ im Gesicht haben, gemeinhin „Piercing“ genannt. Herr Hartmannsgruber kommentiert trocken: „Für diesen Einsatz in zivil ist das ok, beim Dienst in der Uniform ist das nicht erwünscht. Bei manchen muss auch ich echt zwei Mal hingucken, um zu erkennen, ob das ein Beamter ist.“
Kinder warten auf ihre Eltern
Dafür ist extra ein Jugendsachbearbeiter zur Betreuung und Belehrung abgestellt worden und im Verwaltungsgebäude der Maimarkthalle gibt es einen Warteraum für Minderjährige, die auf Abholung durch die Eltern warten – intern „Kindergarten“ genannt.
Es geht hier um Verantwortung und soziale Kontrolle. Für die Jugendlichen ist die Abholung durch die Eltern sehr peinlich und für die Eltern hoffentlich ein Hinweis, mit dem Nachwuchs ernste Gespräche zu führen,
sagt Frank Hartmannsgruber und lächelt nicht. Wir arbeiten seit langem mit dem Beamten sehr gut zusammen. Ein insgesamt immer freundlicher Mensch, bei dem aber Schluss mit lustig ist, wenn es um illegale Handlungen geht. Insbesondere bei Drogenverstößen kennt er kein Pardon.
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Kriminalkommissarin Juliette Gaedicke kommt ins „Chefzimmer“, was angesichts des Platzproblems die Küche in der Wache ist: „Guckst Du mal draußen nach der Lage“, sagt Herr Hartmannsgruber. „Geht klar“, sagt seine „Einsatzassistentin“ für diese Nacht. Die junge Beamtin ist im „Umlauf“ für den höheren Dienst und bekommt ein fettes Lob vom Chef: „Die Kollegin hat den Einsatz sehr gut vorbereitet und unterstützt mich hervorragend.“
Draußen begehren noch Hunderte Einlass, durch die starken Kontrollen geht es nicht recht voran. Auch der leitende Polizeidirektor Karl Himmelhan ist vor Ort. Er ist der Leiter der Polizeireviere und schaut sich den Einsatz selbst an – auch, um den Kollegen zu signalisieren, dass der Einsatz eine hohe Bedeutung hat.
Die Wache ist voll – da ist es noch nicht einmal Mitternacht
In der Wache am Maimarktgelände herrscht Hochbetrieb. Während draußen die Kollegen auf der Suche nach „Kundschaft“ sind, wird drinnen vollständig durchorganisiert abgearbeitet. Von den Warteplätzen geht es in die „Vernehmungskabinen“, dafür hat man in den Räumen Stellwände aufgestellt. Um 22:18 Uhr herrscht bereits Hochbetrieb, um 23:30 Uhr meldet Herr Hartmannsgruber: „Die Wache ist voll.“
2016 deutet sich ein Rekord an. Mit 50 Drogenbesitzdelikten bis 23:30 Uhr wird man die Rekordmarke von 2015, wo es 76 waren, mit Sicherheit in dieser Nacht nicht nur knacken, sondern deutlich anheben. Um 01:00 sind es bereits 75 Besitzdelikte.
Wir kriegen nicht alle, aber viele
Auf die „Kundschaft“ warten Strafanzeigen, die von der Staatsanwaltschaft bearbeitet werden. Auf die meisten warten Bußgelder:
Besonders interessant für viele dürften auch unsere Meldungen an die Führerscheinstelle sein. Die unter 21-Jährigen bekommen ein Problem, aber auch Ältere, wenn diese bereits mehrfach wegen Drogendelikten aufgefallen sind. Dann wird ihre Verkehrstauglichkeit geprüft,
sagt Herr Hartmannsgruber. Auffällig ist, das viele Teilnehmer mit dem ÖPNV anreisen – oder gar von den Eltern zur Party gebracht werden. Damit kommt es nicht zu Fahrten unter Drogeneinfluss – das aber ist egal, die Meldung an die Führerscheinstelle erfolgt trotzdem. Zusätzlich zu den Kontrollen auf dem Gelände führt die Polizei natürlich auch Kontrollen im Straßenverkehr durch – sowohl bei der An- wie bei der Abfahrt.
Wir kriegen bei weitem nicht alle, das steht fest, aber wir bemühen uns, möglichst viele zu erwischen,
sagt Frank Hartmannsgruber. Die Maßnahmen vor Ort sind repressiv, doch Herr Hartmannsgruber widerspricht:
Das ist nicht unser primäres Anliegen. Ganz klar nehmen wir eine rigorose Strafverfolgung vor und bringen jeden Verstoß zur Anzeige. Aber das Social Media Team der Polizei hat auf Facebook und Twitter die Kontrollen angekündigt und begleitet – offensiver können wir nicht sein. Party gerne, Drogen Nein.
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Für die Personen, die die Polizei abgefischt hat und auf die angezeigt werden, ist die Party vorbei. Die erhalten ein Hausverbot vom Veranstalter. Der muss nach der Sicherheitsverfügung der Stadt Mannheim als Polizeibehörde den Einsatz eines Rettungsdienstes leisten und bezahlen. 40 Ehrenamtler der Malteser leisten Dienst unter Leitung von Matthias Geist, dazu vier Notärzte. Herr Geist sagt:
Aktuell ist es noch überschaubar. Im Laufe der Nacht werden wir aber vermutlich gut zu tun bekommen und Entgiftungsmaßnahmen leisten.
Die Entwicklung ist eindeutig: 2014 waren es 180 Hilfeleistungen, 2015 noch 100 – ein Effekt, der zeigt, dass die polizeilichen Maßnahme wirken, die Drogenkonsumenten schon frühzeitig zu erkennen. Trotzdem mussten im vergangenen Jahr sieben Personen ins Krankenhaus eingeliefert werden – das sind sieben Fälle zu viel. Alkoholmissbrauch ist übrigens laut Herrn Hartmannsgruber „nicht so das Thema“.
Drogenhunde sind keine im Einsatz. Ein Ermittler sagt zynisch: „Die wüssten ja gar nicht, wohin sie zuerst hinbeißen sollten bei diesem Schlaraffenland hier.“ Sollten Kontrollen notwendig werden, ist die Hundestaffel aber sofort vor Ort – dort ist man 24/7 einsatzbereit.
Traurige Wahrheiten
Eine traurige Wahrheit wird sein, dass der erhebliche Fahndungsdruck, den die Polizei aufgrund der Erfahrungen der vergangenen Jahre heute Nacht ausüben wird, ein Rekordergebnis bringen wird. Übersetzt: Je stärker die Kontrollen, desto mehr Fälle werden aufgedeckt und dokumentiert. Das nennt man „Hellfeld“ – also Straftaten die polizeilich bekannt werden. Je höher der Anteil ist, umso mehr deutet sich an, dass das „Dunkelfeld“ noch größer ist.
Zur traurigen Wahrheit gehört auch, dass die Stadt Mannheim Veranstaltungen wie Toxicator weiterhin zulässt, obwohl im Vorfeld schon klar ist, dass es zu massivem Drogenmissbrauch kommen wird. Doch das ist nicht das Problem der Polizei und des Einsatzleiters Frank Hartmannsgruber – das ist ein Problem, dass vor allem die Lokalpolitik fordert. Einzelne Parteien und Stadträte kümmert aber bislang eher die Ruhestörung durch laut wummernde Bässe. Politische Verantwortung sollte darüber hinausgehen.
Jede Menge „Kinderüberraschungen“ wird die Nacht bringen
Ob es in der Nacht noch zu Gefangenentransporten kommt, ist noch nicht abzusehen. Vorbereitet ist die Maßnahme, wenn Besitzdelikte in erheblichem Umfang oder Drogenhändler festgestellt werden sollten.
Derweil sind die Beamten mit der Kontrolle ihrer Kundschaft draußen fertig. Für zwei junge Männer ist die Party vorbei, sie warten auf der Bank auf die Abarbeitung. Mittlerweile geht es in der Wache zu wie am Fließband in Akkord-Arbeit.
Der Beamte mit dem lustigen Rucksack macht sich wieder auf den Weg in die Menge und ganz sicher wird es in der Nacht noch häufig heißen: „Kinderüberraschung“.
Aktualisierung, 04. Dezember 2016, 17:56 Uhr:
Am Sonntagnachmittag steht die Bilanz fest: 143 Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz wurden festgestellt und zur Anzeige gebracht. Bei 11 Fahrzeugführern wurden wegen Verdacht auf Drogeneinfluss Blutentnahmen entnommen. Durch den Rettungsdienst mussten 70 Personen behandelt werden, 15 davon wegen Drogenmissbrauchs.
Die hohe Zahl an Treffern zeigt, dass die Kontrollen durch das Polizeipräsidium Mannheim leider mehr als gerechtfertigt sind.
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