Mannheim/Stuttgart/Rems-Murr-Kreis, 02. August 2018. (red/pro) Die Redaktion von KontextWochenzeitung (Stuttgart) hatte im Mai zwei Artikel veröffentlicht, in denen ein Mitarbeiter der AfD-Landtagsabgeordneten Dr. Christina Baum sowie Heiner Merz thematisiert wird. Oder vielmehr menschenverachtende, rechtsradikale und nationalsozialistische Äußerungen, die der Mann in privaten Chats auf Facebook mutmaßlich geschrieben haben soll. Gegen diese Berichterstattung ist der Mitarbeiter juristisch vorgegangen, verlangt deren Löschung sowie die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung. Die Landgerichtskammer unter Vorsitz von Richter Matthias Stojek will nach einem gescheiterten Vergleichsangebot am Freitag das Urteil verkünden.
Von Hardy Prothmann
Gut 50 Personen verfolgen die Verhandlung im Gerichtssaal. Gut 20 davon sind Reporter verschiedener Medien, auch überregionaler wie Spiegel und Süddeutsche. Dazu Mitglieder der Redaktion von KontextWochenzeitung, deren Träger „Verein für ganzheitlichen Journalismus e. V.“, AfD-Mitglieder und Personen, die dem linken Politiklager zugeordnet werden können.
KontextWochenzeitung wurde im April 2011 gegründet und veröffentlicht Texte im Internet sowie als Wochenendbeilage in der „taz“. Im Mai hatten die Redakteure Anna Hunger und Minh Schredle je einen Text zum Kläger verfasst und diesen mit angeblichen Äußerungen zitiert. (Anm. d. Red.: Minh Schredle war bis September 2016 Mitarbeiter von RNB und hatte hier ein 20-monatiges, journalistisches Volontariat absolviert. Er wechselte dann zu KontextWochenzeitung. Seither gibt es so gut wie keine privaten oder beruflichen Kontakte mehr.)
Man könnte meinen, hier findet etwas Weltbewegendes statt. Dabei wird es eine staubtrockene juristische Erörterung. So richtig prickelnd ist das nicht,
führt Richter Stojek ein und merkt nicht mal ansatzweise, dass er mit dieser Einschätzung vollständig danebenliegt. (Anm. d. Red.: Das ist derselbe Richter, der der Klage des Mannheimer Morgen gegen Hardy Prothmann stattgegeben hatte. Das Oberlandesgericht Karlsruhe kassierte dieses Urteil und Hardy Prothmann gewann vollumfänglich gegen die Zeitung.)
Es geht ums Eingemachte
Was „hier stattfindet“, ist von fundamentaler Bedeutung.
Verliert der Kläger gegen Kontext, wird sein Ruf als Rechtsextremist zunächst vollumfänglich gerichtlich bestätigt. (Anm. d. Red.: Hier ist natürlich formal die Rechtskraft maßgeblich, was nicht immer der öffentlichen Meinung entspricht.) Er wäre dann als Mitarbeiter der Landtagsabgeordneten ohne Zweifel nicht länger tragbar. Die politischen Gegner der AfD könnten behaupten, dass diese Partei nicht nur „rechte Parolen“ verbreite, sondern auch Rechtsextremisten beschäftige.
Verliert Kontext den Prozess, wird erstens der Mitarbeiter zufrieden sein, zweitens aber die AfD und andere rechte Gruppen behaupten können, dass die „linke Lügenpresse“ gerichtlich festgestellt worden ist.
Richter Stojec mag das als „nicht prickelnd“ empfinden, seine Meinung ignoriert dabei vollständig die seit Jahren äußerst heftig geführte politische und gesellschaftliche Debatte durch, über und zur AfD.
Die Sachvorträge
Der Anwalt der Redaktion beginnt und beschreibt die Sachlage aus deren Sicht: Man habe eine Datei zugespielt bekommen, über 17.000 Seiten lang, deren Ausdruck zehn breite Aktenordner fülle. Hier sei die Kommunikation des Klägers über gut vier Jahre in Chats auf Facebook mit rund 70 Personen festgehalten. Dies habe die Redaktion ausgewertet und sei dabei auf äußerst widerwärtige, menschenfeindliche, rechtsextreme und verfassungsfeindliche Äußerungen gestoßen. Man halte diese für echt und habe diese berichtet. Zudem behalte man sich eine Strafanzeige gegen die Unterlassungserklärung des Klägers vor, in der dieser behaupte, dass diese Äußerungen nicht von ihm stammten.
Der Kläger habe Politikwissenschaften studiert, sei NPD-Mitglied gewesen und jetzt eben wissenschaftlicher Mitarbeiter von AfD-Abgeordneten und habe inhaltlich mindestens an zwei großen Anfragen sowie einem Gesetzentwurf mitgearbeitet. Er sei deshalb kein „kleines Licht“, sondern gestalte aktiv politisch im Landtag von Baden-Württemberg mit und die Öffentlichkeit habe ein Recht, seine „verabscheuungswürdigen Aussagen“ zu erfahren.
Der Klägeranwalt entgegnet, dass sein Mandant eine eidesstaatliche Versicherung abgegeben habe, dass die zitierten Äußerungen nicht von ihm stammten. Zudem habe er sich von solchen Äußerungen klar distanziert. Er gehe davon aus, dass irgendjemand die Datei manipuliert habe. Dies sei mit einfachsten Mitteln möglich, da es sich um eine HTML-Datei handle (Anm. d. Red.: Eine HyperText-Markup-Language-Datei ist im Grunde eine reine Textdatei, die mit einfachsten Texteditoren erstellt werden kann. Durch die HTML-Befehlszeilen interpretieren Browser diese Dateien mit entsprechenden Formatierungen. Auch alle Artikel auf RNB sind im Kern HTML-Dateien sowie entsprechend die meisten Internettexte insgesamt. In solchen Dateien werden keine Veränderungen festgehalten.) Manipulationen seien nicht nur einfach durchzuführen, sondern ebenso nicht nachzuweisen, weil es nur diese eine Datei gäbe und unklar sei, ob sie ein Original oder eine Kopie darstelle.
Die Gegenseite erklärte, die Datei sei authentisch – was auch das Gericht so sieht – und es sei unvorstellbar, eine Datei dieser Größe mit so vielen „Puzzle-Teilen“ in diesem Umfang zu fälschen.
Dem hielt die Klägerseite entgegen, dass man das als Beweis sehen kann, dass manipuliert wurde: Die Basis sei echt und glaubwürdig, wer darin Änderungen vornehme, erzeuge mit einfachen Mitteln eben das Bild eines „wutschnaubenden Rechtsradikalen“.
Vergleichsvorschlag scheitert
Nach den Sachvorträgen schlug Richter Stojek einen Vergleich vor. Beide Seiten seien sich einig, dass die inkriminierten Zitate inhaltlich „indiskutabel“ seien. Die Klägerseite solle die Möglichkeit erhalten, sich von diesen Inhalten und der Berichterstattung zu distanzieren und die Beklagtenseite könne weiterhin anderer Auffassung sein. Die Kosten des auf 40.000 Euro taxierten Streitwerts würden gegenseitig aufgehoben. Das „wirbele nicht so viel Staub auf“ und erspare langwierige Verfahren, die sonst im Extremfall bis 2025 dauern könnten:
Man muss es doch nicht auf die Spitze treiben?
Die Klägerseite zeigte sich offen für einen Vergleich, aber nur mit einer zusätzlichen Unterlassungserklärung, die von der Beklagtenseite aber nicht akzeptiert wurde. Zudem kündigte die Klägerseite an, dass, wenn man es eskalieren lassen wolle, zahlreiche Strafanzeigen, Vermögens- und weitere Klagen auch gegen einzelne Journalisten gestellt würden, worauf der Beklagtenanwalt, der zuvor selbst mit Strafanzeige gedroht hatte, sagte, er empfinde „diese Drohungen als Zumutung“.
Nach einer Unterbrechung wurde in der zweitstündigen Verhandlung klar, dass beide Seiten eine Entscheidung wollen. Vor Ende der Verhandlung stellte der Beklagtenanwalt die angekündigte Strafanzeige gegen die eidesstaatliche Versicherung des Klägers.
Laut Vorsitzendem Richter Stojek sei die Sache auch durch die Verhandlung nicht endgültig entschieden worden und benötige eine weitere richterliche Beratung. Das Urteil soll nach abschließender richterlicher Beratung am 03. August um 9:30 Uhr verkündet werden.
Allen Anwesenden dürfte klar gewesen sein, dass die unterlegene Seite, welche auch immer das sein mag, mit Sicherheit die nächste Instanz anrufen wird. Das wäre in der nächsten Stufe das Oberlandesgericht Karlsruhe.
Der Fall wurde im Zuge des „fliegenden Gerichtsstands“ in Mannheim verhandelt. Üblicherweise ist das Landgericht zuständig, bei dem der Kläger seinen Wohn- oder Firmensitz hat. Da KontextWochenzeitung überwiegend Artikel zu Themen aus Baden-Württemberg veröffentlicht und diese auch über das Internet zugänglich macht, kann jedes Landgericht angerufen werden. Die Klägerseite entschied sich für Mannheim, weil man hier offenbar die besten Erfolgsaussichten erkannte.
Anm. d. Red.: Sie finden aktuell in unserer Berichterstattung keine Namensnennung des Klägers. Aus gutem Grund: Es handelt sich um einen Zivilprozess und nicht um einen Strafprozess. Der Kläger ist aus unserer Sicht keine öffentliche Person und hat damit ein höheres Schutzrecht auf Privatsphäre als Prominente oder sonstige öffentliche Personen. Hinzu kommt, dass die Vorwürfe derart schwer wiegen, dass diese eine berufliche Existenz auf Jahre hinaus vernichten können. Für uns gilt daher wie immer: In dubio pro reo, auch wenn „Im Zweifel für den Angeklagten“ hier den Kläger meint, der sich allerdings durch öffentliche Berichterstattung einem Rufmord ausgesetzt sieht. Die gerichtliche Entscheidung ist offen – je nach Entwicklung könnte es sein, dass wir unsere Haltung ändern und den Namen öffentlich nennen oder zumindest abgekürzt.
Anm. d. Red.: Auch der Journalismus, den Ihnen das RNB bietet, ist eine kulturelle Leistung – allerdings müssen wir ohne jede staatliche Förderung auskommen. Doch auch wir benötigen dringend Geld, um unsere Leistung erbringen zu können. Dabei reden wir über im Vergleich sehr bescheidene Geldsummen, obwohl wir in Summe deutlich mehr Menschen in der Metropolregion, bundesweit und weltweit erreichen als das Nationaltheater Mannheim. Natürlich ist eine kleine Redaktion nicht mit einem Theaterbetrieb vergleichbar.
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