Mannheim/Berlin/New York, 29. Januar. (red/ld) Der in Mannheim gebürtige Bildhauer Gustav Seitz erschuf Ende der 1950er Jahren das Denkmal der Berliner Bildhauerin Käthe Kollwitz in Berlin Prenzlauer Berg. Mit dem „Spätzle-Attentat“ vor einem Jahr schaffte es das Käthe-Kollwitz-Denkmal im Januar 2013 sogar in die New York Times. Die Werke des Künstlers sind aber auch in Mannheim zu finden – bei freiem Eintritt.
Von Lydia Dartsch
Käthe Kollwitz schaut ein wenig mürrisch – oder sehr ernst – von ihrem Podest. Im nach ihr benannten Park und Kiez im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. In der rechten Hand hält die Statue der Bildhauerin ihr Arbeitsgerät, einen Pickel. Mit der Linken greift sie nach einer Mappe neben ihr. Spätestens seit dem Spätzle-Attentat im vergangenen Januar (hier der Bericht von unserem Partnerblog Prenzlauerberg-Nachrichten.de in Berlin) ist das Käthe Kollwitz-Denkmal des Mannheimer Bildhauers Gustav Seitz berühmt. Die Statue schaffte es mit einer Story über „Schwäbische Separatisten“ sogar in die New York Times („Swabian Separatists Fling Spätzle to Make Their Point“).
Damit könnte man die Bronze von Gustev Seitz durchaus als sein berühmtestes Werk bezeichnen. Ihren Ursprung hat sie in Mannheim-Neckarau, wo der Bildhauer am 11. September 1906 als Sohn des Stukkateurmeisters Johannes Seitz und dessen Frau Jakobine geboren wurde. Neben der Schule machte Gustav Seitz eine Ausbildung im Betrieb seines Vaters und wechselte 1922 in den Bildhauerbetrieb von August Dursy in Ludwigshafen, wo er im Jahr 1924 seine Gesellenprüfung als Stukkateur ablegte. An der Gewerbeschule Mannheim nahm er zudem Unterricht in figürlichem Zeichnen und kunstgewerblichen Entwerfen.
Von Mannheim über Karlsruhe nach Berlin
Es folgten ein Studium an der Landeskunstschule Karlsruhe bei Georg Schreyögg und im Herbst 1925 die Aufnahme in die Vereinigten Staatsschulen für Freie und Angewandte Kunst in Berlin-Charlottenburg, wo er bei Ludwig Gies, Fritz Diederich und später als Meisterschüler bei Wilhelm Gerstel lernte. Ab 1933 arbeitete Gustav Seitz unter Hugo Lederer im Meisteratelier an der Preußischen Akademie der Künste.
In dieser Zeit reist Gustav Seitz viel durch die Welt: Paris, Prag, Budapest, Warna, Konstantinopel und Smyrna gehören zu seinen Zielen. Ihn interessieren vor allem naturgetreue Abbildungen von Menschen. In dieser Zeit entstanden Plastiken wie „Wäscherin“, ein „Weiblicher Akt“ oder „Pommersches Bauernmädchen. Im Jahr 1934 kaufte die Nationalgalerie im Berliner Kronprinzenpalais die Terrakottagruppe „Musik“. Das sei eine Auszeichnung gewesen, sagt der Heidelberger Kunsthistoriker Dr. Christmut Präger.

Am 14. Januar 2013 wurde das Spätzleattentat auf das Käthe-Kollwitz-Denkmal verübt. Foto: Prenzlauer Berg Nachrichten, Thomas Trappe
Zudem war er an mehreren kleinen Ausstellungen beteiligt und arbeitete als freischaffender Künstler. Ermöglicht habe ihm dies seine Frau, die Architektin Luise Zauleck, sagt Dr. Präger. In der Familie Seitz habe die Frau das Geld verdient.
Seine Kollegin Käthe Kollwitz lernte Gustav Seitz ebenfalls in den 1930er Jahren kennen. Dr. Präger schätzt, dass es 1938 gewesen sein muss. Die Bildhauerin hatte zu diesem Zeitpunkt bereits die Leitung der Meisterklasse Grafik an der Akademie der Künste verloren und war unter Zwang der Nationalsozialisten aus der Akademie ausgetreten. Ausstellen durfte sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Allerdings fand sie in der Künstlervereinigung in der Berliner Klosterstraße einen neuen Ort zum Arbeiten. Ob sie sich dort getroffen haben, weiß Dr. Präger nicht genau. Es sei wahrscheinlich, sagt er:
Die Kollwitz war sehr offen und hat viele Künstler empfangen.
Der zweite Weltkrieg unterbrach Seitz‘ Schaffen. Zwar habe er sich nie öffentlich zum Regime des Nationalsozialismus geäußert, sagt Dr. Präger. Er sei aber Demokrat gewesen. Dafür sprächen Werke wie beispielsweise die Plastik „Der Lehrer“. Dennoch muss Gustav Seitz ab 1940 bis 1945 Wehrdienst leisten. Seine Werke sind währenddessen auf Ausstellungen in Berlin und Wien vertreten. Im Jahr 1943 wird seine Atelierwohnung in Berlin durch Bomben zerstört. Dabei gehen alle seine Werke verloren. Während dieser Zeit gerät er auch in amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der er im August 1945 nach Berlin zurückkehrt.
Noch im selben Jahr bezieht Gustav Seitz eine Wohnung in der Zähringer Straße in Berlin-Wilmersdorf und ein eigenes Atelier in der Kantstraße. Im Juni 1946 wird er auf den Lehrstuhl für plastisches Gestalten an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg berufen. Er schafft das „Totenmal für Weißwasser“ im Auftrag der Vereinigung „Opfer des Faschismus“. Ein Jahr später wird er Mitglied der „Neue Gruppe“ München, der „Darmstädter Sezession“ und der „Pfälzischen Sezession“. Außerdem wird er an die Hochschule für bildende Künste in Berlin-Charlottenburg berufen.

Gustav Seitz portraitierte viele berühmte Zeitgenossen. Käthe Kollwitz lernte er vermutlich in deren Künstlervereinigung in der Klosterstraße kennen. Den Vorschlag zu dem Denkmal machte Seitz selbst.
Für Aufruhr sorgte Gustav Seitz 1949. Als er im ostdeutschen Weimar einen Nationalpreis entgegennimmt, erntet er Kritiken seitens der westdeutschen Presse. Ein Jahr später wird er aus der Hochschule für Bildende Kunst in Charlottenburg geworfen, weil er der von der DDR neugegründeten Deutschen Akademie der Künste beigetreten und in dem – ebenfalls von der DDR gegründeten – Verband bildender Künstler Deutschlands aufgenommen worden war.
In dieser Zeit zieht Gustav Seitz nach Ostberlin in die Treskowstraße im Bezirk Pankow. Die Provokation könnte beabsichtigt gewesen sein, sagt Dr. Präger. Friedfertig sei Seitz nämlich nicht gewesen. Im Gegenteil, sagt er:
Er war ein wahrer Zankapfel.
Vor dem Hintergrund dieser Geschehnisse richtet die Kunsthalle Mannheim im Jahr 1950 eine Ausstellung über Gustav Seitz aus. Mutig sei das von der Kunsthallenleitung gewesen, sagt Dr. Präger. Auch die Kunsthalle Bremen widmet ihm in diesem Jahr eine Ausstellung. Fünf Jahre später wird Seitz Mitglied der Nürnberger Künstlervereinigung „Der Kreis“ sowie der „Societé Européenne de Culture“ in Venedig und dem Ernst-Barlach-Kuratorium in Güstrow.

Von ihrem Sockel schaut die Figur dorthin, wo früher das Haus der Familie Kollwitz stand.
In den folgenden Jahren fertigt Gustav Seitz neben anderen Plastiken viele Portraits: Beispielsweise Heinrich Mann, Thomas Mann, Theodor Brugsch und Paul Dessau. Auch Bertold Brecht gehört zu den von ihm Portraitierten. Die Kunsthalle Mannheim widmet ihm 1956 – zu seinem 50. Geburtstag – wieder eine Ausstellung. Auch die Kunsthalle Bremen. Es erscheinen Bücher über Gustav Seitz‘ Werk. Ihm werden Preise verliehen.
In der zweiten Hälfte der 50er Jahre schlug Gustav Seitz vor, seiner Kollegin Käthe Kollwitz ein Denkmal zu schaffen, das auf dem – bereits damals nach ihr benannten – Kollwitzplatz aufgestellt werden sollte. Das Gipsmodell für das Denkmal wurde 1958 fertig. Die Plastik im Herbst 1960 dort aufgestellt.
Immer im Blick der Statue ist die Kollwitzstraße 25, die vor 1947 Weißenburger Straße hieß. Dort hatten die 1945 gestorbene Käthe Kollwitz und ihr Mann, der als „Armenarzt“ bezeichnete Dr. Karl Kollwitz gelebt und gearbeitet.
Im Jahr 1958 zog Gustav Seitz nach Hamburg, wo er an der Hochschule für bildende Künste lehrte. Dort lebte er bis zu seinem Tod im Jahr 1969. Bis dahin schuf er eine Vielzahl von Skulpturen, Bronzen und Plastiken. Viele von ihnen sind im öffentlichen Raum zu finden.
Im Mannheimer Herzogenriedpark liegt beispielsweise die Flensburger Venus. Die sei ursprünglich für eines der Schwimmbäder in Auftrag gegeben, dort aber nie aufgestellt worden, sagt Dr. Präger:
Die Plastik war den Verantwortlichen dann wohl doch zu eindeutig.
Im Käfertaler Kulturhaus steht beispielsweise die Plastik „Sappho“. In Neckarau gibt es 12 Reliefs seiner „Porta d’Amore“ – der Liebestür – am Standesamt zu besichtigen. Zudem besitzt die Kunsthalle einige seiner Werke. Beispielsweise eine Büste von Bertold Brecht sowie die Gipsform von „the Catcher“, mit der Gustav Seitz gearbeitet hat.

Die ruhende Sappho von Gustav Seitz geht im Innenhof des Kulturhauses in Mannheim Käfertal ihren Gedanken nach.

Im Herzogenriedpark sonnt sich die Flensburger Venus bei jedem Wetter. Foto: Stadtpark Mannheim

Im Neckarauer Trauzimmer geben sich Paare vor Gustav Seitz‘ „Porta d’Amore“ – der Liebestür – das Ja-Wort.

Die Reliefs der Porta d’Amore von Nahem.