Mannheim/Rhein-Neckar, 27. Juni 2013. (red/aw) „Guten Tag Herr Professorin“: Diese neue Sprachreform an der Universität Leipzig sorgte in den vergangenen Wochen für viel Aufsehen. Wo früher die sogenannte Schrägstrich-Variante genutzt wurde (Professorin/Professor) soll künftig ausschließlich die weibliche Personenbezeichnung stehen. „Das ist Quatsch und nicht sehr zukunftsträchtig“, findet Dr. Annette Trabold vom Mannheimer Institut für Deutsche Sprache (IDS). Im Interview erzählte uns die Germanistin, welche Schreibweise sie bevorzugt und warum Sprache tatsächlich zu einer Gleichberechtigung der Frauen in unserer Gesellschaft beitragen kann.
Interview: Alexandra Weichbrodt
Frau Dr. Trabold, die Universität Leipzig hat in den letzten Wochen viel Häme und Kritik einstecken müssen. Grund dafür, war der Beschluss des Senats fortan nur noch das „generische Femininum”, also die weibliche Personenbezeichnung, zu verwenden. Können Sie das Aufsehen um diese interne Sprachregelung nachvollziehen?
Dr. Annette Trabold: Es wird leider im Zusammenhang mit der Uni Leipzig immer wieder falsch zitiert. Es geht bei dieser internen Sprachregelung in der Grundordnung der Uni nicht darum, die Ansprache der Studierenden in “Guten Tag Herr Professorin” zu ändern. Das ist Quatsch. Da wurde vieles von den Medien falsch aufbereitet.
Worum geht es dann?
Trabold: Die Universität Leipzig hat das generische Femininum eingeführt. Es war wohl so, dass die gesplittete Schreibweise oder beispielsweise beide Formen durch einen Schrägstrich getrennt zu verwenden oder gar auszuschreiben, als zu umständlich empfunden wurde. Also entschied der Senat, nur noch das generische Femininum zu verwenden. Also in einem Brief z.B.: Mitteilung an alle Dekaninnen. Aber natürlich nicht in der persönlichen Anrede. Das ist oftmals viel zu überspitzt wiedergegeben worden.
Die Uni Leipzig provoziert
Wie beurteilen Sie diesen Schritt der Uni Leipzig?
Trabold: Insgesamt ist das von der Uni Leipzig natürlich eine Provokation. Aber es ist auch mal eine Überlegung wert. Aus meiner Sicht ist aber der richtige Weg, dass man Männer und Frauen gleichermaßen deutlich und erkennbar macht. Nicht nur bei Berufsbezeichnungen, sondern auch bei der Sichtbarmachung von Leistungen der Frauen. In Deutschland wurde beispielsweise immer von den “Vätern des Grundgesetzes” geredet. Aber es gab darunter auch vier Frauen, wovon eine dafür gesorgt hat, dass der Gleichberechtigungs-Artikel im Grundgesetz verankert wird. Diese Frauen kann man in diesem Zusammenhang doch mal nennen.
Seit wann unterscheiden wir in der deutschen Sprache zwischen den Geschlechtern?
Trabold: Bis vor dreißig Jahren war es im deutschen Sprachgebrauch üblich, dass man von dem “Lehrer”, dem “Pressesprecher” usw. gesprochen bzw. geschrieben hat. Es war klar, es handelt sich dabei nur um ein grammatisches Geschlecht und auch Frauen sind damit gemeint.
Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger kam dann mit der Frauenbewegung – auch aus Amerika – die sogenannte feministische Sprachkritik auf. Da haben dann plötzlich die Frauen gesagt: “Moment, ich bin eigentlich eine Lehrerin und kein Lehrer”. Besonders bei Berufsbezeichnungen und Tätigkeiten wollten Frauen deutlich machen, dass es nicht nur ein grammatisches Geschlecht gibt, sondern auch ein tatsächliches Geschlecht. Das war zwar immer mit gemeint, ging aber unter.
Aufgrund dieser Kritik an der generischen Maskulin-Verwendung, also dem Standard immer den Mann zu nennen, gab es viele Vorschläge in den vergangenen dreißig Jahren, wie man das handhabt, um auch die Frauen anzusprechen. In manchen Fällen ist das gar gesetzlich geregelt worden, beispielsweise für Stellenausschreibungen. Die müssen erkennbar die weibliche und männliche Form enthalten, eben damit sich auch die Frauen angesprochen fühlen.
Es ist daher erstaunlich, dass dieses Thema, welches eigentlich seit dreißig Jahren diskutiert wird, jetzt so hochge“hyped“ wird, nur weil die Uni Leipzig das generische Femininum verwenden will.
Generisches Femininum als Signal für eine ungerechte Gesellschaft?
Könnten Sie sich vorstellen, dass die Regelung der Uni Leipzig Nachahmer findet?
Trabold: Nein, das generische Femininum ist etwas, dass ich in dieser Form nicht für zukunftsträchtig halte. Diese Regelung ist mehr als eine Art Signal zu verstehen. Denn für das generische Femininum gilt das Gleiche, wie für das generische Maskulinum. Die Kritik von Männern an dieser rein weiblichen Personenbezeichnung ist genauso berechtigt, wie die von Frauen am generischen Maskulinum. Mit beiden Positionen kommt man nicht weiter. Da hilft nur ein reflektierter Sprachgebrauch.
Was verstehen Sie unter einem reflektiertem Sprachgebrauch?
Trabold: Je nach Kontext, vorher darüber nachdenken. Will ich eine Ansprache halten und in dem Saal sitzen Männer und Frauen, dann sage ich “Liebe Bürgerinnen und Bürger” und nicht nur “Liebe Bürger” oder nur “Liebe Bürgerinnen”. Das würde einen Teil unserer Gesellschaft ausgrenzen. Daher den eigenen Sprachgebrauch reflektieren und nicht nur etwas, das sich in unserem Kopf aus Gewohnheit eingeschlichen hat, ohne Überlegung nachplappern.
Manchmal geht die Forderung nach einer Feminisierung der deutschen Sprache über die Personenbezeichnung hinaus. Dann hört man plötzlich Ausdrücke wie “Bürgerinnensteig”. Was halten Sie davon?
Trabold: Die “Benennung von Frauen” oder die “Sichtbarmachung von Leistungen von Frauen”, dient oft dazu, sich darüber lustig zu machen. Oft auch in der Quoten Diskussion der Berufswelt. Da hört man: “Kann die das denn überhaupt? Die hat doch Kinder.” Das würde man bei einem Mann nie sagen. Das ist einfach eine ungleiche Behandlung. Es gibt gewisse sexistische Vorurteile gegenüber Männern und Frauen.
Ich kann, um gesellschaftliche Missstände deutlich zu machen, ironischerweise überspitzt “Bürgerinnensteig” sagen. Aber Gegner der feministischen Sprachkritik wählen solche Beispiele, um berechtigten Anliegen lächerlich zu machen.
Der “Bürgerinnensteig” wird zwar manchmal ironisch in der feministischen Sprachkritik genannt, aber letztlich geht es nicht darum. In unserer Sprache arbeiten wir viel mit sogenannten “verblassten” oder “metaphorischen” Bedeutungen. Ein gutes Beispiel ist der “herrenlose Hund”. In diesem Zusammenhang denkt man bei “herr” nicht unbedingt gleich an einen Mann. Das Gleiche gilt für den Bürgersteig: Niemand denkt sofort an den Bürger als männliche Person. Solche Beispiele treffen nicht den Kern der Sache.
Sprache abhängig von Interpretation und Perspektive
Mal abgesehen von der überspitzen Ironie: Kann Sprache tatsächlich zu einer verbesserten Gleichberechtigung von Männern und Frauen beitragen?
Trabold: Man kann nicht die Sprache verändern und dann sagen, dadurch wird die Gesellschaft besser. Denn auch nicht jeder der politisch korrekt spricht oder Männer und Frauen gleichermaßen benennt, ist auch dieser Überzeugung. Sprache kann aber die Sicht auf die Welt beeinflussen. Das ist allerdings immer eine Wechselwirkung. Unsere Vorstellungen der Welt sind nun mal sprachlich. Das erkennt man gut an einem Beispiel, wenn man sich fragt: Wer sagt in einer identischen Situation „Terrorist“ und wer sagt „Freiheitskämpfer“? Das ist eine Frage der Interpretation, bzw. Perspektive.
Aber der Autor prägt damit die Vorstellung des Lesers. So ist das auch mit der weiblichen und männlichen Bezeichnung. Wir entwickeln Assoziationen, durch sprachliche Formulierungen entstehen Bilder. Wenn also immer nur Männer erwähnt werden und gar keine Frauen, dann besteht die Gesellschaft in manchen Handlungsbereichen nur aus Männern.
Inwieweit ist unser Sprachgebrauch reine Gewohnheit?
Trabold: Unser Sprachverhalten ist zu großen Teilen Gewohnheit. Sie schleicht sich über Jahre in unseren Sprachgebrauch ein. Deswegen sollte man ab und zu mal über seinen eigenen Sprachgebrauch nachdenken und nicht nur gewohnheitsmäßig gewisse Wörter oder Formulierungen verwenden.
Diese Gewohnheit ist in manchen Fällen sogar kritisch zu sehen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Wort “Ehrenmord”. Diese Bezeichnung für das Töten eines Familienmitglieds, weil dieses angeblich Schande über die Familie brachte, ist ein geläufiger Ausdruck geworden.
Doch betrachtet man die Wörter “Ehre” und “Mord” mal getrennt, halte ich es für zweifelhaft, beide in einen zusammenhängenden Betreff zu setzen. Es wäre daher öfter mal angebracht, sich über das eigene Sprachverhalten Gedanken zu machen und darüber, ob Sprachgewohnheiten, die man einfach so nachplappert, überhaupt das Gewünschte meinen.
Denn so war das auch mit der männlichen Form der Personenbezeichnung. Es war Gewohnheit, nur das generische Maskulinum zu verwenden. Bis man sich aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung und der gesellschaftlichen Kritik dazu entschieden hat, die weibliche Benennung zu etablieren.
Gegen die goldene Regel, für Sprachkreativität
Nun gibt es ja verschiedene Schreibweisen. Häufig verbreitet sind die BinnenI-Großschreibung, also “LehrerInnen und PressesprecherInnen” oder aber die Schrägstrich-Lösung. Welche Variante würden Sie empfehlen?
Trabold: Ich bevorzuge das Splitten, also das Ausschreiben beider Geschlechterformen. So viel Zeit muss in einer Demokratie sein. Vor allem dann, wenn die Personen direkt angesprochen werden.
Eine andere mögliche Variante ist die Partizipialform, also die geschlechtsneutrale Ansprache, wie “Studierende” oder “Auszubildende”. Aber auch da kann man feststellen, dass neutrale Formulierungen, wie “Haushaltshilfe” oder “Führungskraft”, bereits mit gewissen Bildern im Kopf verknüpft sind. Welchen Typus Mensch würde man sich unter dem jeweiligen Begriff wohl vorstellen?
Auch neutrale Formulierungen sind also nicht immer eine Gewähr dafür, dass man eine gewisse Art von prototypischem Denken aufgrund unserer Erfahrung ablegen kann. Das fängt ja auch schon ganz früh an. Selbst in Lehrbüchern wurde dieses Bild früher oftmals geprägt: “Vater liest Zeitung. Mutter liest Erbsen.” Wir müssen uns auch Gedanken darüber machen, welche Bilder in unserer Gesellschaft vermittelt werden.
Ich empfehle, die Sprache immer situationsbezogen anzupassen. In der Regel bin ich für das Splitten, die Partizipialform und die neutrale Form. In manchen, einfachen Fällen – wie z.B. in Wahlordnungen oder Vereinssatzungen – kann man auch mal Schrägstriche machen oder aber das Binnen-I anwenden. Es gibt keine goldene Regel. Das ist immer eine Frage der Sprachkreativität.
Ich empfehle allen, die sich mit dem Thema weiter auseinandersetzen wollen, den “Leitfaden zur geschlechtergerechten Formulierung im Deutschen” von der Schweizer Bundeskanzlei. Ein sehr reflektiertes Schriftstück aus dem Jahr 2009, welches verschiedene Vorschläge macht.
Denken Sie denn, wir brauchen eine “goldene Regel“? Sollten sich die Landesregierungen oder gar der Bund in die Diskussion einmischen und eine konkrete Schreibweise ausweisen?
Trabold: Es gibt ja bereits gewisse Vorschriften in Bereichen, in denen es von hoher Relevanz ist. Beispielsweise bei der Gleichberechtigung in Berufsbezeichnungen. Da gibt es die Rechtsprechung, dass diese so formuliert sein müssen, dass sich Männer und Frauen gleichermaßen angesprochen fühlen.
Bei allen anderen Sachen, halte ich eine gesetzliche Regelung von Sprache für absolut nicht zielführend. Das wird einer kreativen Sprachentwicklung nicht gerecht. Es geht viel mehr darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen und Empfehlungen auszusprechen, ohne Normen einzuführen.
Zur Person:
Dr. Annette Trabold ist seit Oktober 1994 Leiterin der Arbeitsstelle “ Öffentlichkeitsarbeit und Dokumentation“ am Institut für Deutsche Sprache in Mannheim. Sie studierte Germanistik und Politik-Wissenschaft in Heidelberg, war u.a. langjährige Mitarbeiterin in der Pressestelle der Universität Heidelberg und Lehrbauftragte an der Uni Mainz/Germersheim sowie Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Frau Dr. Trabolds Forschungsinteressen liegen in den Fragen der Sprachkultur und der Sprachkritik.