Heidelberg, 25. Februar 2016. (red/cr) Bisher musste Heidelberg als Standort des Registrierungszentrums Patrick Henry Village keine kommunalen Flüchtlinge aufnehmen. Das gilt laut Integrationsministerium „bis auf Weiteres“. Angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen bereitet sich die Stadt auf „Weiteres“ vor. Sie rechnet mit 1.500 Personen in diesem Jahr. Die Flüchtlingsstrategie 2017 soll die Unterbringung flexibler und vor allem dezentral gestalten. Denn niemand soll in Turnhallen leben müssen.
Von Christin Rudolph
Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.
Sozialbürgermeister Dr. Joachim Gerner präsentierte am Donnerstag den aktuellen Planungsstand der Flüchtlingsunterbringung in Heidelberg. Im vergangenen Jahr haben sich die Flüchtlingszahlen rasant nach oben entwickelt. Innerhalb kürzester Zeit mussten und müssen überall in Deutschland Unterkünfte bereitgestellt werden – nur wo?
Diese Frage beschäftigt auch die Stadt Heidelberg. Notfall-Belegungen von Hallen wie in Spinelli sind dafür Negativbeispiele. Sie bedeuten nicht nur katastrophale Lebensbedingungen für die Bewohner. Provisorische Massen-Unterbringung, die den Entwicklungen hinterherhinken, erschweren nicht nur die Integration. Sie sind menschenunwürdig. Jedenfalls nach den bei uns geltenden Standards.
Das will die Stadt Heidelberg vermeiden. Das Patrick Henry Village wird als zentrale Registrierungsstelle genutzt, von der aus die Menschen weiter verteilt werden.
Heidelberg wurden deshalb bislang keine Flüchtlinge zur Anschlussunterbringung zugewiesen. Laut Integrationsministerium bleibt das „bis auf Weiteres“ so. Vor allem in Hinblick auf die anstehende Landtagswahl will die Stadt allerdings nicht einfach warten, bis „Weiteres“ eintritt und dann im Chaos versinken.
Planungsgröße: 1.500 Flüchtlinge 2016
Sie bereitet sich jetzt darauf vor, dass ihr 2016 rund 1.500 Flüchtlinge zugewiesen werden – so viele bekäme Heidelberg nach dem Verteilungsschlüssel, wenn man von 100.000 Flüchtlingen für 2016 insgesamt in Baden-Württemberg ausgeht.
Seit dem Frühjahr 2015 informieren die Heidelberger Stadtteilvereine in Zusammenarbeit mit der Stadt Heidelberg im Rahmen der Flüchtlingsstrategie 2017 über die Flüchtlingssituation und werben um lokale Unterstützungsmöglichkeiten. Am 10. Dezember 2015 hat der Gemeinderat dem dezentralen Konzept zur Flüchtlingsunterbringung zugestimmt.
Dabei sollen jeweils zwischen 50 und 150 Personen auf 19 Standorte in 14 verschiedenen Stadtteilen verteilt werden. Ob es sich um Familien oder Einzelpersonen handeln wird, wird sich sehr wahrscheinlich erst kurzfristig entscheiden. Sicher ist allerdings, dass nur Asylantragsteller mit einer guten Bleibeperspektive nach Heidelberg kommen werden.
Heidelberg als Zuhause
Personen, deren Asylantrag noch geprüft wird, kommen in eine vorläufige Unterbringung. Wer bleiben darf, kann in eine Anschlussunterbringung. Solch eine Anschlussunterbringung soll in Rohrbach im ehemaligen Sprachheilkindergarten realisiert werden. Auf dem städtischen Grundstück soll noch in diesem Halbjahr der Spatenstich für ein Gebäude in Massivbauweise gesetzt werden.
Bereits Ende des Jahres sollen dann zwischen 100 und 140 Personen einziehen können. Langfristig könne das Gebäude auch anders genutzt werden. Prognosen über die Entwicklung der Flüchtlingssituation in zehn Jahren sind jedoch praktisch sinnlos.
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Die Unterkunft „Im Weiher“ in Handschuhsheim soll mittelfristig genutzt werden. Die Ausschreibung ist bereits erfolgt, mit dem Bau soll im April begonnen werden. Ab Juni sollen somit um die 100 Plätze für die nächsten zehn Jahre gesichert sein. Dabei soll es sich um 2- bis 3-Zimmerwohnungen mit gemeinsamer Nasszelle und Küche handeln – Wohngemeinschaften also.
Durch Erfahrung lernen
Nach Vorgaben des Landes soll ein Zimmer mit zwei Personen belegt werden. Ein Viertel der Kosten erstattet das Land. Dr. Gerner versicherte, der Standort „Im Weiher“ sei kein „Versuchskaninchen“:
Wir haben ja schon lange Menschen auf der Flucht bei uns, in Kirchheim und Pfaffengrund etwa.
Diese Erfahrungen könne man nun nutzen. Auch für den Standort in Ziegelhausen gibt es schon einen Zeitplan. Die Gebäude in der Kleingemünder Straße 19 und 19/2 sollen ab dem Frühjahr saniert und im Spätjahr von 50 bis 60 Personen bezogen werden.
An allen anderen geplanten Standorten sollen zeitlich begrenzt Pavillions aufgestellt werden. Dadurch muss die genutzte Fläche nicht nachhaltig verändert werden und die einzelnen Bauteile können leicht wieder abgebaut werden.
Die Stadt plant mit einer Nutzungsdauer von drei bis vier Jahren. Bei diesen Standorten wird soweit geplant, dass für einen Baubeginn nur noch die Genehmigung fehlt. Besteht dann tatsächlich Bedarf an Unterbringungsmöglichkeiten, kann schnellstmöglich ein Antrag gestellt werden.
In 20 Wochen zur Unterkunft
Ist die Genehmigung erteilt, kann sofort mit dem Bau begonnen werden. Innerhalb von 20 Wochen Bauzeit könnte dann eine Unterkunft fertiggestellt werden. Gleichzeitig könnten die Bewohner der Stadtteile in öffentlichen Sitzungen der Bezirksbeiräte informiert und das Begleitkonzept umgesetzt werden. So könnten sich Stadtteilversammlungen, Kirchen, Vereine und Privatpersonen in der Flüchtlingshilfe bereits im Vorfeld organisieren und effektiv helfen.
Vorschläge der Stadtteile für solche Pavillion-Standorte habe es wenige gegeben, so Sozialdezernent Dr. Gerner. Zusammen mit der Stadt seien dann aber doch noch Lösungen erarbeitet worden. Für Fragen stehen der Bürgerservice und die Informationen der Stadt-Homepage zur Verfügung. Ansprechpartner für die Flüchtlingshilfe ist der Flüchtlingsbeautragte Thomas Wellenreuther.
Begonnen wird in Handschuhsheim. Am 10. März werden die Details zur geplanten Unterkunft „Im Weiher“ erläutert. Dr. Gerner sieht dieses Konzept als optimale Betreuung und Begleitung.
Integration ist mehr als dezentrale Unterbringung.
Die Flüchtlingshilfe vor Ort könne Probleme eher vorhersehen und schneller reagieren. Durch die Verteilung der Flüchtlinge auf die Stadtteile würden Infrastrukturen wie Kinderbetreuung oder Einkaufsmöglichkeiten nicht überlastet und einer Ghettobildung vorgebeugt. Als Ansprechpartner vor Ort sollen jeweils ein Sozialarbeiter und ein Hausmeister eine Unterkunft betreuen.
Für das Schlimmste planen, auf das Beste hoffen
Mit sechs bestehenden, elf bei Bedarf einsetzbaren und zwei Unterkünften, die noch in diesem Jahr fertiggestellt werden sollen, sieht sich Heidelberg gut auf alle Eventualitäten vorbereitet. Falls alle Unterkünfte ausgelastet sein sollten, könne man immer noch auf die Container an der Internationalen Gesamtschule zurückgreifen.
Und was ist, wenn Heidelberg vom landesweiten Verteilungsschlüssel ausgenommen bleibt? Was passiert dann mit den „festen“ Unterkünften in Handschuhsheim und Rohrbach?
Das ist ein Best-Case-Szenario,
so Dr. Gerner. Ob man dann dem Land helfe und sozusagen freiwillig Flüchtlinge aufnehme, sei noch nicht abzusehen. Auf jeden Fall müssten auch diese Menschen auf das Flüchtlings-Kontingent für Heidelberg angerechnet werden – damit Heidelberg auch in Zukunft Zeit hat, erst zu planen und dann zu handeln.
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