Mannheim, 25. Oktober 2013. (red/aw) Ein großes Jubiläum steht an: Das Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim feiert 2014 sein 50jähriges Bestehen. Doch auch nach fünf Jahrzehnten gilt es, die deutsche Sprache in ihrem gegenwärtigem Gebrauch und der neueren Geschichte wissenschaftlich zu erforschen und zu dokumentieren. Über die Bedeutung der Arbeit des IDS, geplante Feierlichkeiten und die Faszination unserer Sprache sprachen wir mit dem Direktor, Professor Dr. Ludwig Eichinger. Der 63-Jährige steht dem Institut seit fast 14 Jahren vor und erzählte auch von den Herausforderungen in der Sprachforschung.
Interview: Alexandra Weichbrodt
Herr Professor Eichinger, im nächsten Jahr steht für Ihr Institut ein großes Jubiläum an.
Professor Eichinger: Ja genau, 2014 feiert das Institut für Deutsche Sprache sein 50-jähriges Bestehen.
Wie kam es zu der Gründung im Jahr 1964?
Eichinger: Vor der Gründung im Jahr 1994 gab es in Deutschland keine derartige Einrichtung, die sich mit dem deutschen Sprachgebrauch beschäftigte. In der DDR gab es entsprechende Ansätze, die Westdeutschland dann natürlich auch aufgreifen wollte. Mannheim bot sich damals als Standort an, da der Duden-Verlag schon ansässig war und hier zu Beginn eine sehr enge Zusammenarbeit entstehen sollte und auch entstand. Aber auch jetzt, mittlerweile ohne den Duden-Verlag, fühlen wir uns hier ganz wohl.
100 Sprachwissenschaftler forschen
Was genau macht das IDS?
Eichinger: Unsere Aufgaben liegen in der Erforschung der deutschen Gegenwartssprache und dem Kontakt mit Wissenschaftlern aus aller Welt, die sich in irgendeiner Art und Weise mit der deutschen Sprache beschäftigen. Unsere Aufgabe ist also die Forschung und ihre Vernetzung.
Mittlerweile sind wir ein recht großes geisteswissenschaftliches Institut, mit etwa 100 Sprachwissenschaftlern. Wir sind Teil der Leibniz-Gemeinschaft und forschen im nationalen Interesse. Die Finanzierung erfolgt durch öffentliche Mittel, jeweils zur Hälfte durch Bund und Land.
Welche Entwicklung durchlief das IDS in den vergangen fünf Jahrzehnten?
Eichinger: Am Anfang wurden an unserem Institut natürlich nur eine Reihe kleinere Projekte durchgeführt. Übrigens auch nicht nur in Mannheim. Zu Beginn gab es noch viele kleinere „Außenstellen“ die dem Institut zugearbeitet haben, beispielsweise gab es in Innsbruck eine Stelle zur deutschen Wortbildung oder in Freiburg eine Einrichtung zur gesprochenen Sprache. In Mannheim arbeitete das IDS zunächst gemeinsam mit dem Goethe-Institut nur im Bereich der Grammatikforschung. Ab 1970 begann man diese Stellen dann in Mannheim zusammenzuführen.
Im Laufe der Jahre gab es verschiedene Phasen, in denen sich unser Institut mit besonderen Entwicklungen beschäftigt hat. Eine Zeit lang spielte die EDV eine sehr große Rolle. Heute haben wir eine sehr große Textkorpora, also eine Datensammlung von schriftlichen Texten oder schriftlich aufgezeichneten, mündlichen Äußerungen unserer Sprache, die es mit der Einführung von EDV zu bewältigen galt. Der „Deutsche Referenzkorpus“ (DeReKo) an unserem Institut verfügt derzeit über sechseinhalb Milliarden laufender Wörter, was relativ viel ist.
Ab den 80-er Jahren etwa hatte sich dann die ganze breite Thematik der Sprachwissenschaft in Mannheim angesiedelt. Die Strukturreform wurde nach der Vereinigung Deutschlands und dem Auflösen des Sprachinstituts der DDR gestärkt, da sowohl die Stellen als auch fast alle der damaligen Angestellten zu uns stießen. So entwickelte sich das breite Aufgabenfeld, welches wir heute kennen. Zurzeit gibt es im IDS eine Abteilung für Grammatik, eine Lexik-Abteilung, eine für Pragmatik sowie eine Stelle für die EDV-orientierten Inhalte.
Mitarbeiterstamm seit 2002 verdoppelt
Sie sind seit 2002 Direktor am IDS. Welche Veränderungen haben Sie maßgeblich mit auf den Weg gebracht?
Eichinger: Zu Beginn meiner Tätigkeit wurde mir schnell bewusst, dass wir uns für eine gewisse Arbeitsfähigkeit vergrößern müssen. Wir sollen ja nicht die gleiche Forschung betreiben, wie die Lehrstühle an den Universitäten. Daher müssen die Projekte insgesamt größer sein, wofür man wiederum ausreichend große Abteilungen braucht.
Früher lag der Mitarbeiterstamm bei etwa 50 Personen. Heute sind es doppelt so viele. Die Abteilungen haben nun mehr Kapazität und können auch zwei Großprojekte gleichzeitig stemmen.
Neben der Vergrößerung war aber auch die stärkere nationale und internationale Vernetzung eines meiner Anliegen. Wir arbeiten aktuell sehr gut mit den großen deutschen und europäischen Einrichtungen zusammen, vor allem in der Korpora-Forschung.
Unabhängig von der Grundlagen-Forschung, die das Institut ja bereits lange vor meinem Dienstantritt betrieben hat, habe ich auch dazu beigetragen, dass wir uns mehr den Forschungsbereichen öffnen, die eine größere Öffentlichkeit ansprechen und interessieren. In diesem Bereich haben wir beispielsweise eine nationale repräsentative Umfrage zur Spracheinstellung der Deutschen durchgeführt.
Das klingt aber auch nach vielen Herausforderungen. Ich könnte mir vorstellen, dass eine Verdopplung des Personalbudgets nicht einfach war. Wie rechtfertigten Sie diese Vorhaben gegenüber den Geldgebern?
Eichinger: Nun, das ist natürlich immer eine Frage, die man sich vorher stellen sollte. Bei der Größe des Instituts gibt es meiner Meinung nach eine „optimale“ Größe. Dabei geht es nicht um mein persönliches Bedürfnis, sondern um die Bewältigung unserer Aufgaben. Wie beschrieben, braucht man für große Projekte eine gewisse Anzahl an Mitarbeitern. Aber Größe ist kein Wert an sich, wir müssen nicht beliebig weiter wachsen.
Wir sind den Finanziers dankbar, dass sie unsere Argumente für bestimmte Vorhaben angenommen haben. Die Bundesrepublik Deutschland hat in den vergangenen zehn Jahren aber auch den Bereich der Forschung deutlich gefördert. Unsere Arbeit hat davon natürlich profitiert und nur so konnten wir den aktuellen Stand erreichen.
Denn Sprache ist wichtig und sie entwickelt sich. Mit der elektronischen Entwicklung kamen neue Aufgabenbereiche auf uns zu. Durch den Sprachwandel tauchen immer wieder andere Bedürfnisse auf. Es gibt viele Entwicklungen, die ein Institut wie unseres rechtfertigen. Alle großen Sprachen dieser Welt werden wissenschaftlich mit solch einer Einrichtung erforscht, also auch bei uns.
Der Bund fördert die Forschung
Viel zu tun, auch für weitere 50 Jahre?
Eichinger: Ja, auch weil manche Forschungsprojekte nur langfristig umgesetzt werden können. Zum Beispiel arbeiten wir derzeit am deutschen Fremdwörterbuch, einer Art Handbuch der deutschen Kulturgeschichte auf der Basis von Fremdeinflüssen. Das ist eine Dokumentation kulturgeschichtlicher Einflüsse Europas auf die deutsche Sprache, die Zeit und Sorgfalt benötigt.
Und von solchen Projekten gibt es zahlreiche. Man braucht einen Ort, an dem man so etwas über längere Zeiträume betreut, evaluiert und auch präsentiert. Erkenntnisse, die wir in den letzten 50 Jahren gewonnen haben, können wir mit den Mitteln von heute überprüfen, widerlegen oder ergänzen.
Haben Sie Feierlichkeiten für das Jubiläum geplant?
Eichinger (lacht): Ja, aber wie sich das für ein wissenschaftliches Institut gehört nur so mittel-feierlich. Diese finden im März im Rahmen unserer Jahrestagung statt. Im Kontext wird sich diese natürlich mit der Geschichte und Entwicklung des IDS beschäftigen. Aber wir veranstalten auch einen Festakt im Mannheimer Schloss, für den wir die ehemalige Präsidentin des Goethe-Instituts, Jutta Limbach, als Rednerin gewinnen konnten. Geplant sind auch die musikalische und visuelle Untermalung des Ganzen, ich stelle mir einen kleinen Film über unsere Arbeit vor und ähnliches.
Aber wir wollen uns auch das übrige Jubiläumsjahr ein bisschen mehr für die breite Öffentlichkeit öffnen. Beispielsweise mit einer Vortragsreihe, die populäre Themen behandelt, welche dann nicht nur Sprachwissenschaftler interessieren oder aber einem Tag der offenen Tür in unserem Institut.
Das IDS öffnet sich
Sind auch Publikationen zu diesem Anlass in Arbeit?
Eichinger: Ja, wir werden eine Art „Festbuch“ drucken. Ein Lesebuch über das IDS, mit vielen Bildern und Anekdoten rund um die Geschichte und die Arbeit des IDS. Dieses sollen dann auf jeden Fall die Gäste unseres Festakts erhalten, aber auch Interessierte, die uns im Institut besuchen. Aktuell umfasst es rund 600 Seiten, mal sehen, wie dick es am Ende wird.
Das Festbuch wird zeigen, dass wir auch eine Mannheimer Institution sind. Ich habe persönlich recherchiert und die Anfänge des IDS im Stadtarchiv erforscht. Besonders die ersten Jahre sind nicht sehr ausführlich dokumentiert. Das haben wir versucht aufzuarbeiten, um die Geschichte des IDS vollständig darzustellen.

Professor Eichinger war u.a. Gastprofessor und -dozent in Burkina Faso, China, Finnland, Mali und Indien.
Sie würden in Mannheim gerne ein “Haus der deutschen Sprache” eröffnen. Was genau stellen Sie sich darunter vor?
Eichinger: Ein Haus, in dem etwas über die deutsche Sprache gezeigt wird, also eine Art Museum. Ich war gerade in der Hauptstadt Brasiliens, Sao Paulo, und habe dort das modernste und weltgrößte Sprachmuseum besucht. Das war sehr inspirierend.
In unserem Museum könnte man beispielsweise darstellen, wie stark die deutsche Sprache von Variation geprägt ist. Die verschiedenen sprachlichen Zentren könnten dokumentiert und visuell aufbereitet werden. Mit den medialen Möglichkeiten von heute ließe sich so etwas sicherlich interessant umsetzen. Ich stelle mir zum Beispiel Projektionen der deutschen Landkarte vor, die bei Berührung bestimmter Regionen Informationen über die jeweilige Sprachkultur der Region zeigen oder abspielen.
Aber auch zeithistorische Dokumente könnten dort ausgestellt werden. Wir haben uns nach Auflösung des Duden-Verlags in Mannheim beispielsweise das Duden-Archiv gesichert. Historisch gesehen sicherlich sehr interessant, das kann man gut herzeigen. Man kann aber auch dokumentieren, wo überall in der Welt die deutsche Sprache vertreten ist. Das lässt sich sowohl optisch als auch akustisch darstellen.
Mannheim als Heimat des ersten deutschen Sprachmuseums?
Das wäre das erste Musuem dieser Art in Deutschland, oder?
Eichinger: Ja, so ein Museum gibt es noch nicht. Aber die Stadt Mannheim hat ihr Interesse an solch einer Einrichtung bereits bekundet. Ein Museum dieser Art bereichert ja auch die Stadt und stärkt den Wissenschaftsstandort.
Wie ist denn der aktuelle Stand? Das Thema wurde bereits im Sommer mit Wissenschaftsministerin Theresia Bauer diskutiert, sie zeigte sich nicht abgeneigt.
Eichinger: Richtig, nur die Finanzierung muss noch geklärt werden. Da es für mich das erste Museum ist, welches ich plane, muss ich mir zunächst über den Kostenrahmen klar werden. Ich arbeite derzeit an einer realistischen Kostenschätzung für den Bau und die Erstausstattung, um diese auf der nächsten Sitzung des Stiftungsrates im November präsentieren zu können.
Im Prinzip hat der Stiftungsrat die Idee auch schon gut geheißen, aber man weiß ja nie. Vielleicht kommen noch einmal Zweifel oder Bedenken auf. Nach Zustimmung müssten dann noch Bund und Land eine Einigung zur Finanzierung finden. Wenn es beim aktuellen Zeitplan bleibt, erfolgt diese Besprechung im März nächsten Jahres. Erst dann kann ich mich darum kümmern, ob ich die Betriebskosten auftreiben kann und so weiter. Wenn alles glatt geht, könnten wir vermutlich in einem Jahr wissen, ob es ein Museum geben wird oder nicht.
Man merkt Ihnen an, mit wie viel Leidenschaft Sie sich mit der deutschen Sprache auseinander setzen. Was macht unsere Sprache so besonders?
Eichinger: Mich würde wahrscheinlich jede Sprache derart faszinieren. Aber die deutsche Sprache ist eine Sprache mit ganz eigenem Charakter. Weil sie so mitten in Europa sitzt, präsentiert sie wunderbar die Einflüsse anderer europäischer Sprachen und Länder. Auch, weil das so genannte „Hochdeutsch“ eine Art Kompromissform verschiedener kultureller Räume ist.
Deutsch war und ist auch historisch eine wichtige Sprache. Deutsch gehört zu den drei großen Sprachen, in der sich die europäische Wissenschaft des 19. Jahrhunderts bewegt hat. Neben Französisch und Englisch, war es auch die deutsche Sprache die maßgeblich zur Verbürgerlichung und Demokratisierung der Gesellschaft beigetragen haben.
Heute ist die deutsche Sprache vor allem vor dem Hintergrund interessant, dass die Welt sich verändert hat. Es stehen nicht mehr nur die europäischen Sprachen im Mittelpunkt, sondern das Englische steht über allem. Hier zu konkurrieren, wäre aber eine sinnlose Idee. Für uns geht es jetzt mehr darum, dahinter eine starke Nummer zwei zu werden.
Deutsch hat einen eigenen Charakter
Wie ist denn das generelle Interesse vom Ausland an der deutschen Sprache?
Eichinger: Generell gar nicht so schlecht. In der Naturwissenschaft ist sie zwar fast verschwunden, eben weil alles viel internationaler ist und Wissenschaftler aus aller Welt an einem gemeinsamen Projekt arbeiten und dann in der Regel Englisch die Verständigungssprache ist.
Was man beobachten kann ist, dass in Ländern wie Polen, Tschechien oder auch Russland die Wahl der ersten Fremdsprache seltener auf Deutsch fällt, sondern mittlerweile eher Englisch gelernt wird. Was aber auch verständlich ist, bei der Rolle, die beispielsweise Amerika heute spielt.
Wir verzeichnen aber im Gegensatz dazu einen merklichen Zuwachs im asiatischen Raum. In China wurden beispielsweise eine Reihe germanistischer Institute gebildet, etwa 40.000 Chinesen lernen dort Deutsch. Was in Anbetracht der Bevölkerung zwar keine Masse ist, aber es sind doch einige. Es ist also eine gemischte Entwicklung, in manchen Regionen der Welt geht das Interesse zurück, anderswo steigt es.
Sie beschäftigen sich auch viel mit Soziallinguistik, einem sehr spannendem Thema. In Ballungsräumen mit einem hohen Migrationsanteil beispielsweise, entwickeln sich immer häufiger auch ganz eigene Sprachvarianten. Wie würden Sie diese Entwicklung beurteilen?
Eichinger: Es gibt auf jeden Fall stadt- und jugendsprachliche Formen der deutschen Sprache, die sich in einem gewissen Umfang stabilisiert haben. Vor allem in der Sprechsprache. Einfluss auf das geschriebene Deutsch können wir derzeit noch nicht feststellen. Auch, weil das Schriftdeutsch durch den Schulunterricht sehr gefestigt und die Grammatik klar geregelt ist.
Gewisse sprechsprachliche Eigenheiten, die sich über einen längeren Zeitraum halten oder in gewissen Gruppen etablieren, sollte man nicht als allzu große Gefahr betrachten. Es ist viel mehr ein natürliches Phänomen der Sprachmischung und der städtischen Kulturen.
Überrascht Sie in diesem Zusammenhang noch etwas? Oder haben Sie schon alles gehört?
Eichinger: Nein. Aber ich bin neugierig. Das ist vielleicht auch die Voraussetzung für meine Tätigkeit. Es gibt sicherlich Dinge, über die ich noch nie nachgedacht habe und die mich deswegen dann überraschen. Es überrascht mich aber nicht mehr, dass es solche Entwicklungen und Variationen im deutschen Sprachgebrauch gibt.
Zur Person:
Der aus Niederbayern stammende Direktor des Instituts für deutsche Sprache ist außerdem Ordinarius für Germanistische Linguistik an der Universität Mannheim. Er wurde 1980 mit einer Arbeit zur Adjektivwortbildung promoviert und 1986 mit einer Arbeit zu “Raum und Zeit im deutschen Verbwortschatz” habilitiert.
Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Syntax und Wortbildung des Deutschen, Sprachgeschichte, Regionalsprachforschung, Soziolinguistik, Sprachwissenschaftsgeschichte, Stilistik und Textlinguistik. Insgesamt hat Professor Ludwig Eichinger etwa 250 Publikationen veröffentlicht. Er besitzt Ehrendoktorate an Universitäten in Ungarn und Rumänien und ist Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz. Professor Eichinger ist verheiratet und hat zwei Kinder.