Mannheim, Rhein-Neckar, 24. Januar 2014. (red/ms) Wer kennt sie nicht? Sprüche wie: „Wer and’ren eine Grube gräbt, fällt selbst hinein“, „Morgenstund hat Gold im Mund“ oder „Der Weg ist das Ziel“. Sprichworte, Zitate, Alltagsweisheiten, die in jedermanns Munde sind. Aber woher kommt das? Weswegen prägen sich manche Formulierungen schier unwiderruflich ins Volksgedächtnis ein? Und warum werden andere schnell wieder vergessen? Diesen Fragen geht Dr. Kathrin Steyer nach. Sie arbeitet am Institut für Deutsche Sprache in Mannheim, das dieses Jahr sein 50. Jubiläum feiert. In diesem Rahmen findet eine Vortragsreihe statt, die gestern mit den Erläuterungen und Ausführungen von Frau Dr. Steyer ihren Auftakt hatte.
Von Minh Schredle
Sie sind nicht nur auffallend häufig in unserem Sprachgebrauch vertreten – sie sind sogar essenziell für unser Zurechtkommen im Alltag. Darüber herrscht bei Sprachforschern weitestgehend Konsens. Diese Formulierungen, die jeder kennt. Diese Formulierungen, die in so vielen Situation zutreffend sind. Die in so vielen Situationen kurz und prägnant auf den Punkt bringen, was man denkt. Und genau das macht sie so wichtig, findet Frau Dr. Steyer:
Feste Wendungen helfen uns, die Welt etwas vorzuordnen. Das ist eine große Erleichterung im Alltag.
Etwa 40 Besucher sind gekommen, um ihren Ausführungen zuzuhören. Ein paar Nachzügler sind auch dabei – bestraft werden sie nicht. Der Großteil der Hörerschaft ist vierzig und älter, Jugendliche sucht man leider vergeblich. Schade. Denn was Frau Dr. Steyer zu sagen hat, hätte bestimmt auch sie interessiert.
Denn der Vortrag ist hoch aktuell: Es gibt etlich Bezüge darauf, wie das Internet, Social Networks und die Jugend den Sprachgebrauch verändern, selbst prägen. Jedes Milleu hat seinen Jargon. Und in jedem Jargon finden sich diese griffigen Weisheiten: Sport, Politik, Akademie und Jugend, jeder hat seine etwas eigene Art, etwas auszudrücken – ein Phänomen, das sich in ausnahmslos allen Kulturen und zu jedem Zeitpunkt in der Geschichte beobachten lässt.

„Der frühe Vogel kann mich mal.“ Frau Steyer stellt eine Facebook-Gruppe vor, in der es ausschließlich um abgewandelte Sprichworte handelt.
Doch warum schaffen es manche Sätze, sich als Sprichwort im Sprachgebrauch festzusetzen – und andere nicht? Originalität ist nicht unbedingt wichtig. Denn viele Redewendungen sind sich bei genauer Betrachtung inhaltlich frappierend ähnlich:
Man soll denn Tag nicht vor dem Abend loben.
oder
Noch ist nicht aller Tage Ende.
oder auch
Der Ball ist rund und ein Spiel dauert 90 Minuten.
Alle sagen sie im Grunde aus: Freu dich nicht zu früh – da kann noch Einiges passieren. Aber diese Ähnlichkeit zeigt eines: Es ist wichtig, für eine solche Situation einen passenden Spruch parat zu haben. Oftmals bezieht man sich auf eine große Autorität, jemand der allgemein als weise und gebildet anerkannt ist. Etwa, wenn man mit „Der Weg ist das Ziel“ Konfuzius zitiert. Aber in vielen Fällen ist der Urheber unbekannt. Oder in Vergessenheit geraten.

Frau Dr. Steyer spricht über ihre Forschungsmethoden, in Vergessenheit geratene Urheber und gewisse Muster und Regelmäßigkeiten, die sich bei vielen bekannten Redewendungen feststellen lassen.
Auf diesem Weg befindet sich gerade „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Kaum einer kennt diese Redewendung nicht. Aber nicht allzu viele wissen noch, auf wen die Aussage zurückzuführen ist. Genaugenommen weiß es niemand mehr. Feststeht, dass Gorbatschow einmal etwas inhaltlich sehr ähnliches gesagt hat:
Wenn wir zurückbleiben, bestraft uns das Leben sofort.
Daraus machte die deutsche Presse irgendwann das, was jetzt so fest in unseren Köpfen verankert ist. Doch wer genau es war, ist nicht mehr zu ermitteln. Interessant ist, dass in beiden Fällen eine Wenn-Dann-Beziehung ausgedrückt wird – aber in der geläufigen Ausdruckweise ist es persönlicher. Und dieses Wer-Der-Muster lässt sich auffallend häufig finden:
Wer and’ren eine Grube gräbt, [der] fällt selbst hinein.
oder
Wer rastet, [der] rostet.
oder
Wer die Finger hält nicht still, der wohl länger sitzen will.
Doch lange nicht alle Sätze nach diesem Schema setzen sich so hartnäckig fest. Das hängt immer auch vom Zufall ab. Davon, wie bereit eine Gesellschaft ist, die Formulierung weiterhin zu verwenden. Oft sind auch Kontext und Emotionaliät ausschlaggebend, dass sich ein Ausruf Jahrzehnte im Gedächtnis hält – auch wenn er nicht einmal besonders originell oder stilistisch herausragt.

Kennedys „Ich bin ein Berliner“ – auch in meiner Generation noch vergleichsweise präsent.
Noch nach über einem halben Jahrhundert sind Kennedys Worte „Ich bin ein Berliner“ auch in meiner Generation noch jedem relativ gebildeten absolut präsent. Obwohl sie dreißig Jahre vor meiner Geburt ausgesprochen wurden.
Kennedy war garantiert nicht der erste, der diese Worte in dieser Reihenfolge ausgesprochen hat. Doch die Art, wie er es präsentierte und die Art, wie man in den frühen 60er Jahren Amerikas Ideale verehrte, sorgten dafür, dass sich ein Volk in den Präsidenten verliebte. Ähnlich ist es mit Martin Luther Kings Worten „I have a dream“, die aufgrund ihrer immensen historischen Bedeutung nach wie vor unvergessen bleiben.
Was wird bestehen, was geht unter?
Einige dieser Formulierungen werden noch Jahrhunderte überdauern, was aus unserer Zeit übrig bleibt, ist momentan nicht abzusehen. Sprache lebt, verändert sich, ist schwer vorauszusagen. Doch auch daran arbeitet das Institut für Deutsche Sprache: So gelinge es mittlerweile recht gut, mittels Statistik vorherzusagen, wie lange sich ein bestimmtes Modewort noch ungefähr im allgemeinen Sprachgebrauch halten wird.
Auch dieses Thema wird in der Vortragsreihe behandelt werden. Gestern wurde der Auftakt gemacht, noch acht weitere Vorträge werden folgen. Eine Übersicht zu den Terminen finden Sie hier.