Ladenburg/Rhein-Neckar, 04. August 2013. (red) Landrat Stefan Dallinger (CDU) und Bürgermeister Rainer Ziegler (SPD) müssen die Bürger/innen schnell und umfassend einbeziehen und die Sprachregelung verändern – sonst drohen möglicherweise enorme Probleme für die Stadt, wie Beispiele in anderen Orten zeigen. Ladenburg hat eine Chance, tatsächlich anders zu sein, als andere Gemeinden.
Von Hardy Prothmann
In Donaustauf soll die ehemalige Pension Walhalla in ein Flüchtlingslager umgewandelt werden. Der Besitzer des Gebäudes gilt den Gegnern als „Saubär“, „Arschloch“ und „elender Hund“.
So beginnt ein Artikel bei unserer Partnerseite Regensburg-Digital.de am 12. November 2012. Verursacher für den Ärger vor Ort: Ein FDP-Gemeinderat, der seine Pension als Unterbringung für Asylbewerber an den Kreis Regensburg vermietet und vorurteilsbehaftete Bürger/innen, die den kleinen Nazi in sich rauslassen.
Überrumpelungen allerorten – Angst um Kinder und Autos
Der kleine Ort Donaustauf wird schnell als eine der ausländerfeindlichsten Gemeinden Deutschlands bekannt. In Berlin Helldersdorf werden ebenfalls Asylanten untergebracht, Spiegel Online berichtet am 13. Juli 2013:
Ein Bewohner, der gegenüber der Schule wohnt und anonym bleiben will, formuliert es so: „Jetzt kommt da so was rein – der Asylant.“ Alle im Block hätten Angst, um ihre Kinder, ihre Autos, sagt er, als er Hundefutter und Brot aus seinem grünen Kleinwagen lädt. „Die haben uns überrumpelt“, schimpft er.
Das Problem in beiden Fällen ist dasselbe wie immer, sagt der Chefredakteur von Regensburg-Digital, Stefan Aigner:
Da kommen fremde Menschen. Die ansässigen Menschen haben diffuse Ängste. Rechtsradikale Scharfmacher nutzen das, bedienen eine latende Ausländerfeindlichkeit, die man aber beheben kann. Mit Informationen. Der Schlüssel, damit es nicht zu Ressentiments oder Schlimmerem kommt, ist Kommunikation. Donaustauf ist das beste Beispiel – erst ging es ab ohne Ende und nachdem dann viel informiert und kommuniziert worden ist, hat sich die Situation gedreht.
Für die Fremden ist auch alles fremd
Die „Neu-Ladenburger“, die meisten aus Tschetschenien und Syrien, sprechen (noch) kein Deutsch, sind erst seit kurzem in Deutschland und beginnen, ihre neue Wohnstätte zu organisieren. Vor allem die, die schon mal einen Asyl-Antrag gestellt haben, deutsch sprechen und den Ablauf kennen, organisieren die Dienste. Die Menschen hier werden wie in einer Art großen Wohngemeinschaft zusammenleben müssen. Man stimmt sich ab, wer wann Putz- oder Waschdienst hat. Man organisiert sich bei der Kinderbetreuung, tauscht, sofern das über die Sprachgrenzen hinweg möglich ist, Informationen aus.
Als die Teilnehmer des Pressetermins vor Ort sind, ist die Küche gerade gewischt und pikobello sauber – nach der Besichtigung müssen die Frauen nochmals wischen. Alle Menschen sind freundlich und lächeln zur Begrüßung, mit einigen ist eine Unterhaltung auf englisch möglich. Die Kinder gucken mit großen Augen – für sie ist alles fremd hier und wir sind die Fremden. Sie wissen nicht, warum wir hier sind und was passiert, wenn wir wieder weggegangen sein werden.
Wer erklärt den Kinder die „Russen-Welle“?
Wird Ihnen jemand erklären, dass sie Teil einer „Russen-Welle“ sind? Die das „Ausmaß einer Völkerwanderung“ hat? Die den Landrat vor große Probleme stellen und dieser sagen wird, „wir stehen mit dem Rücken zur Wand“. Wird den Kindern jemand erklären, dass der Landrat den Bürgermeister und die Stadt wegen ihnen „überrumpelt“ hat?
Wer wird ihnen erklären, warum Menschen mit Fingern auf sie zeigen oder böse gucken? Oder, falls das so kommen sollte, sie die Schule nicht besuchen dürfen. Oder warum sie nach fünf Monaten wieder „umziehen“ müssen, wo sie sich doch dann vielleicht gerade mal eingelebt haben und sich zurecht finden.
In welcher Sprache sollen die Kinder aus Tschetschenien mit denen aus Syrien sprechen, wenn sie zusammen spielen? Wer erklärt den Kindern, dass gewisse Kinder unter Umständen traumatisiert sind? Durch Krieg, eine überstürzte Flucht. Oder durch ein geheimes Leiden, weil die Eltern so sorgenvoll oder ebenfalls traumatisiert sind?
Lässt Ladenburg die fünf Monate mit den „Asylanten“ über sich ergehen oder nutzt die Stadt die Chance, den Menschen ein gutes Gefühl zu geben. Und nimmt die auf, die hierbleiben dürfen und gibt denen was mit, die wieder gehen müssen?
Wie geht die Stadt damit um, wenn die 160 Asylbewerber hier sind? Es geht dann nicht mehr um eine Förderklasse, ein paar Jugendliche in weiterführenden Schulen und acht Kindergartenkinder. Insgesamt sind 28 der 71 Personen Kinder und Jugendliche. Wenn dieses Verhältnis auch bei 160 Personen gleich bleibt, sind es 60 Kinder und Jugendliche, die in eine Betreuung oder zur Schule gehen müssen. Ist es tatsächlich vorstellbar, dass man für alle schulpflichtigen Kinder amtlich feststellt, dass diese nicht zur Schüle müssen, weil man ja nur fünf Monate in Ladenburg sei? Wer übernimmt die Verantwortung dafür, dass 60 Kinder von Bildung und notwendigem Unterricht, um vor Ort ein Teil der Gesellschaft sein zu können, abgeschnitten werden?
Probleme durch eine problematische Sprache
Ist es tatsächlich angebracht, abzuwarten, ob man in ein, zwei oder drei Monaten, falls es „Schwierigkeiten“ geben sollte, die Menschen in einer Bürgerinformationsveranstaltung zu informieren und zum Dialog einzuladen? Wozu noch in drei Monaten, wenn die Asylbewerber dann sowieso nur noch zwei Monate da sein werden? Dann kann man es auch lassen. Oder ist es eher nicht fahrlässig nach dem Motto „Augen-zu-und-durch“ zu hoffen, dass das so schon passen wird?
Schmarotzer, Kriminalität – Asylbewerber werden schamlos diffamiert
Schaut man sich die Kommentare zu den Berichten zum Thema bei Facebook oder den Websites der Medien an, geht es schon los: Hier wird Angst geschürt, vor Kriminalität und Gewalt durch die Asylbewerber. Sie werden als Schmarotzer diffamiert, die komplette Palette der Fremdenfeindlichkeit und Rechtsradikalität wird bedient. Und das Angebot der öffentlichen Hand ist tatsächlich, man könne sich jederzeit ans Rathaus oder Landratsamt wenden?
Der RNZ-Mitarbeiter Axel Sturm fragt, ob man die „Sorgen, Ängste, ja sogar Wut“ der Bevölkerung über die kurzfristige Maßnahme „nicht verstehen könne“ und macht mit bei dem Hetzspiel.
Nein, hier gibt es keine „Sorgen, Ängste, ja sogar Wut“ zu „verstehen“. Es gibt nämlich keinen Grund dafür. Man muss aber davon ausgehen, dass es solche Reaktionen gibt und man muss damit verantwortlich umgehen. Vor allem durch aktive Kommunikation und große Transparenz.
Debatten über Willkommenskultur gehen nicht immer gut aus
Ende September sind Bundestagswahlen. Die NPD Rhein-Neckar ist in den vergangenen Jahren durch vermehrte Aktivitäten aufgefallen. In Weinheim wurden der Bundesparteitag und andere Veranstaltungen abgehalten. Was, wenn die NPD aktiv wird und die Situation für sich nutzen will? Im benachbarten Schriesheim fällt ein CDU-Stadtrat verbal über eine Stadträtin her, die früher Türkin war und seit 13 Jahren eingebürgert ist. Und das im Rahmen einer Debatte über eine „Willkommenskultur“. Glauben Landrat und Bürgermeister tatsächlich, dass alles „einfach so“ reibungslos funktioniert?
Man kann die „Weltoffenheit“ und „Toleranz“ der Ladenburger Bevölkerung bei einem Pressetermin herunterbeten und hoffen, dass alles ohne Probleme über die Bühne geht. Alternativ kann man aber auch kommunikativ alles dafür tun, dass dies nicht nur „gehofft“ wird, sondern aktiv gestaltet wird.
Argumente zur Beruhigung gibt es viele. Die Polizeidirektion Heidelberg sagt auf Nachfrage, dass keine besonderen Vorkommnisse im Umfeld von Asylbewerber-Unterkünften festzustellen sind, schon gar nicht dort, wo Familien untergebracht sind.
Man kann argumentieren, dass die Asylbewerber die Stadt nichts kosten und mit großer Sicherheit sogar wirtschaftlich einen Nutzen bringen. Das Geld, das die Menschen für den Lebensunterhalt erhalten, fließt in lokale Geschäfte. Das werden gut 40.000 Euro pro Monat sein, gut 200.000 Euro über den Zeitraum.
Aufklärungsarbeit nötig
Man kann politische Aufklärung leisten und die Zusammenhänge erklären. Vom Grundgesetz angefangen – Die Würde des Menschen ist unantastbar -, über die Bedeutung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts, dass Asylbewerber ein Recht auf eine angemessene Unterhaltszahlung haben bis hin zu Informationen über die Gründe der Flucht. (Hinweis: Sehr lesenswerter Beitrag von Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung.) Ein bestialischer Krieg in Syrien, die aktuelle Situation in Tschetschenien, den Krieg in Afghanistan unter deutscher Beteiligung. Man kann sich der Menschen annehmen, statt sie nur fünf Monate zu dulden. Und man kann über Würde reden.
Man kann über Aufnahme-Quoten und den Königssteiner Schlüssel informieren oder über das „Kofferträger-Problem„. Und warum Flüchtlinge nichts mit unserer Rente zu tun haben oder den Beleuchtungsregeln in Ladenburg
Man kann statt von einer „Russen-Welle“ und einem „dramatischen Anstieg“ der Asylbewerber (86 Prozent mehr im Vergleich zum Vorjahr) eine ordentliche historische Einordnung leisten. 1992 wurden in Deutschland nicht 50-100.000 Menschen aufgenommen, sondern über 438.000. Der Grund: Der damalige Jugoslawienkrieg. Wieso sollte man heute nicht ein Viertel davon „bewältigen“ können? Weil damals die Menschen in riesigen „Auffanglagern“ verwaltet wurden und heute „mitten in der Stadt“? Wie kommt es, dass sich ein Bundesinnenminister „besorgt zeigt“ und die konservative Zeitung Die Welt das genauso transportiert? Worüber muss man sich mehr Sorgen machen – um Flüchtlinge in Deutschland oder Zustände in der Welt außerhalb des im Vergleich sorgenfreien Alltags in Deutschland? Oder ein „neues, deutsches Asylbewerber-Problem?
Chance für Ladenburg
Man kann sich aus erster Hand ein Bild machen und in Erfahrung bringen, was Familien dazu treibt, ihre Heimat zu verlassen, um irgendwo im Ausland, wo sie niemanden haben, weder Kultur noch Sprache kennen, Schutz und Unterschlupf zu finden. Man kann sich in Donaustauf informieren und sich orientieren.
Insbesondere die Verteidiger einer „christlich-abendländischen Kultur“ haben die (einmalige?) Chance zu zeigen, was diese Kultur ausmacht: Gastfreundschaft und Nächstenliebe, Aufmerksamkeit und Respekt.
Man kann nicht nur darüber reden, wie gastfreundlich man ist, sondern es aktiv zeigen. Man kann den Menschen, die in Deutschland nach dem Antrag Asyl erhalten, zeigen, dass sie Glück hatten, in ein wunderbares Land zu kommen und man kann denen, die Deutschland wieder verlassen müssen, eine gute Erinnerung geben. Sowie Werte und Einstellungen, die sie in ihre Länder zurücktragen – damit sie diese dort vielleicht einbringen können.
Landrat Stefan Dallinger sagte:
Außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Maßnahmen.
Diese fünf Monate mit 160 Asylbewerbern, davon sehr vielen Minderjährigen, ist eine große Chance für Ladenburg und seine Bevölkerung – wenn man sich aktiv darum kümmert. Wenn nicht, könnten enorme Probleme die Folge sein.
Der junge Bub auf dem Foto am Anfang des Artikels schaute erst neugierig, aber auch ein wenig ängstlich, bis er von seinem Vater erklärt bekam, dass wir gerne ein Foto machen möchten, von ihm und seinen frisch gepflanzten Blumen. Da freut er sich und lacht – wenngleich ein wenig verlegen.