Heidelberg, 24. Februar 2016. (red/cr) Das Chansonfestival in Heidelberg bietet einen Überblick über die unterschiedlichen Spielweisen des Genres. Am Freitagabend traf im Kulturfenster ein offenes Publikum beim „Urknall – Platz für Neuentdeckungen“ auf junge, weitgehend unbekannte Musiker.
Von Christin Rudolph
Am Freitagabend knallte es im ausverkauften Kulturfenster. Hundert Besucher summten, klatschten, pfiffen, trompeteten – und verlangten lautstark nach Zugaben. Der „Urknall – Platz für Neuentdeckungen“ war allerdings nicht nur laut, sondern vor allem spannend. Denn die drei Musikacts des Abends sind jung und weitgehend unbekannt.
Beim 15. neuen deutschen Chansonfest können junge Künstler bei einem „Urknall“-Konzert zeigen, was das Genre zu bieten hat. Wie Bernhard Bentgens, Mitveranstalter des Chansonfestes und Moderator des Abends, durch Befragen des Publikums zeigte, hatte kein Besucher alle drei auftretenden Musiker-Formationen vorher gekannt.
Einen bestimmten Musiker-Typen kennt jeder: Den verträumten Jungen mit einer akustischen Gitarre und poetischen Liedtexten. Ganz nett, aber man vergisst ihn meistens schnell wieder.
Lebendig und poetisch
Die Stuttgarter Band DIA wirkt wie ein Upgrade davon. Nur, dass man sie nicht so schnell vergisst. Denn Schlagzeug, Keyboard, Gitarre und eine gesunde Portion Bass sind mehr als eine Begleitung des Gesangs. Diese fünf jungen Menschen spielen wirklich zusammen, mit kleinen persönlichen Noten.
Das Keyboard zum Beispiel beschränkt sich nicht wie so oft bei Radio-Pop auf Akkorde, sondern wächst über die reine Begleitung hinaus. DIA haben poetische deutsche Texte – aber sie klingen gar nicht deutsch. Wenn man nicht auf den Text achtet könnte man meinen, der Text sei englisch oder mit einem starken Akzent.
Der Sänger hat bei tiefen Tönen zwar noch Nachholbedarf, die Vokale verfälscht er aber so, dass der Klang des Gesangs lyrisch anmutet.
Der Junge von nebenan singt
Man merkte, dass DIA noch unerfahren sind. Sie wirkten nervös. Am Ende aber spielten sie sogar noch eine Zugabe, und das Publikum sang mit.
Lennart Schilgen hingegen hatte seine Band Tonträger zuhause gelassen. Solo begeisterte er mit kabarettistischen Songs. Ob rockiger Protestsong am Klavier, gefühlvoll-komisches Geständnis an der Akustik-Gitarre, Mund-Trompete-Einlagen oder „Liegenbleiben-Blues“, immer schauspielerte der Sänger übertrieben dramatisch.
Und brauchte keine halbe Minute, um die Sympathie des Publikums zu gewinnen.
Witz und Depression
Seine witzigen Texte bieten viel Raum zur Identifikation, zum Beispiel bei der immer beim Mathelernen plötzlich eintretenden Schläfrigkeit oder den Bemühungen, einmal wirklich aufzustehen wenn der Wecker klingelt. Schilgen begeisterte die Zuhörer und kam ebenfalls ihrem Klatschen um eine Zugabe nach.
Ein richtiges Kontrastprogramm!
nannte das Alex Mayr. Die Absolvemtin der Mannheimer Popakademie zerschlägt jedenfalls selbst schon einmal die Erwartungen, die man bei „Alex Mayr und Band“ hat. Die Band besteht aus Schlagzeuger, Drumcomputer und elektronischen Keyboard-Sounds. Nur einzelne Lieder spielte sie ohne Samples und Elektronik. Eine E-Gitarre und ihre Stimme erzählen die Geschichten ruhigerer Lieder.
Wir bringen euch die Depression zurück,
kündigte sie mit Verweis auf den humorvollen Auftritt von Lennart Schilgen an. Tatsächlich sind ihre Lieder ganz überwiegend melancholisch.
Bei sich selbst anfangen
Während des Konzerts wirkte sie konzentriert und in sich gekehrt. Textlich setzt sie Themen wie Erwachsenwerden, Zukunftsangst und Entfremdung um. Die minimalistischen Arrangements haben starke Rhythmen, aus denen sich Spannungen bei der Textverteilung ergeben.
Beim Zuhören fällt man manchmal in ein Loch ohne Text. Dort fängt man an, selbst zu denken.
Alex Mayr durften die dritte Zugabe des Abends spielen. Damit beendeten sie einen gelungenen Auftakt des 15. neuen deutschen Chansonfestes im Kulturfenster. Das Chansonfest in Heidelberg läuft noch bis zum 23. März. Es bespielt außer dem Kulturfenster die hall02 und die Stadthalle.
Kulturfenster Heidelberg | ||||||||||||||
|