Rhein-Neckar/München, 23. Juli 2016. (red/pro) Aktualisiert. Am späten Freitagnachmittag hat es ein Attentat im Olympia-Einkaufzentrum in München gegeben. Dabei sollen mindestens acht Menschen getötet worden sein. Über ein Dutzend Menschen sollen teils schwer verletzt worden sein. Die Polizei entdeckte eine neunte Leiche, die vermutlich der oder einer der Täter ist. Die gesicherte Nachrichtenlage war minimal. Die ARD sendete über Stunden nur zu diesem Thema ohne wesentliche Informationen übermitteln zu können. Auch andere Medien reagierte mit „Live-Tickern“, die ebenso wenig gesicherte Informationen anboten. Damit bekommt „Terror“ eine Aufmerksamkeit, die er nicht verdient. Schon gar nicht, wenn es sich vermutlich um einen Amoklauf eines „Gestörten“ handelt.
Von Hardy Prothmann
Vor allem sprechen wir zunächst den Opfern und ihren Familien unser Beileid aus. Mindestens acht Menschen wurden an einem schönen Sommertag getötet. Einfach so. Wie fürchterlich. Wie entsetzlich.
Wir informieren unsere Leser/innen zu dem, was wir wissen, obwohl wir andere Medien für deren Berichterstattung kritisieren. Ein Widerspruch? Nein.
Viele von Ihnen haben die Ereignisse in München live verfolgt. Das ist nicht unser Berichtsgebiet. Warum informieren wir Sie dann? Weil München auch Mannheim sein könnte – die Thematik „Terror“ und „Amok“ sind Themen, mit denen wir uns immer wieder befassen.
Wenige gesicherte Fakten
Wir haben am Abend über Stunden Informationen aus zahlreichen Quellen gecheckt. Nach unserem Eindruck gibt es diese einigermaßen gesicherten Informationen:
- Mindestens ein Mann hat Schüsse aus einer Pistole abgegeben. Eine „Langwaffe“ war auf zwei Videos im Internet, die den Täter vermutlich zeigen, nicht zu sehen.
- Die Polizei hat erst 3, dann 6 Tote genannt, dann wieder 5. Dann definitiv 8 Tote. Die Zahl der durch Schüsse verletzten Personen ist unklar. Die Polizei nennt eine Zahl von 10 Personen und rund 100 Personen, die betreut werden.
- Es gibt einen massiven Polizeieinsatz sowie von Rettungskräften um das Olympia-Einkaufszentrum, der in der Nacht andauert.
- Der öffentlichen Nahverkehr in München ist eingestellt. Der Hauptbahnhof geräumt.
- Alle Aufnahmen, die wir gesehen haben, deuten nicht auf den Einsatz von Maschinengewehren hin.
- Es fehlt jede Bestätigung, dass es drei Täter sind.
- Es gibt wohl nach den Schüssen keinen Kampfkontakt mit dem/den Schützen und der Polizei.
- Die Person, die auf einem Video zu erkennen ist, wirkt nicht wie ein Terrorist mit einem islamistischen Hintergrund. Unser Eindruck ist, dass es sich um einen Europäer handelt. Markante Symbole oder irgendwelche Botschaften sind nicht zu erkennen. Der Mann ist Linkshänder. Die Form der Schussabgabe erinnert an jemanden, der ein Schießtraining absolviert hat oder dieses nachahmt. Ob der Schütze in dieser Situation flüchtende Menschen trifft, ist nicht zu sehen – wir gehen aber davon aus. Die Waffe ist nicht zu erkennen. Nach unserem Eindruck handelt es sich um eine großkalibrige Pistole, vermutlich 9mm. Diese Waffen haben meist Magazine bis zu 15 Patronen. Auf kurze Distanz sind diese sehr treffsicher.
- Gerüchte, dass es weitere Tatorte gegeben haben soll, sind nicht bestätigt.
- Auf einem zweiten Video ist vermutlich der Schütze vom ersten Video auf dem Dach einer Parkgarage zu sehen. Der Mann spricht deutsch, ist aggressiv, schießt, wirkt planlos und frustriert. Wir halten beide Videos für authentisch. Die Äußerungen legen nahe, dass der Mann psychologische Probleme hat.
- Ein weiterer Toter wurde in einem nahe gelegenen Park entdeckt. Vermutlich handelt es sich um den Schützen, der auf den Videos zu sehen ist. Er soll eine Kopfschusswunde haben. Die Polizei nähert sich mit technischen Mitteln, weil der Rucksack eine Sprengfalle sein könnte.
Diese Liste haben wir um 22:32 Uhr nach zwei Stunden Recherche zunächst bei Facebook veröffentlicht und in Details hier im Artikel angepasst.
Die vorliegende Liste hat den Stand 23. Juli, 0:15 Uhr. Alle Fakten stammen von der Polizei, die eine ganz hervorragende Informationsarbeit geleistet hat. Ein großes Lob an den Sprecher der Münchner Polizei, Marcus da Gloria Martins, sowie das Presseteam, das mehrsprachig über Twitter und Facebook informierte. Die Beschreibung der Videos stammt von uns.
Das Attentat von München ist eher ein Amoklauf, denn Terror
Aufgrund dieser Informationen kommen wir zu dem Zwischenergebnis, dass es äußerst zweifelhaft scheint, dass es sich um einen Terrorakt von Islamisten handelt. Wir gehen bislang eher von einem Amoklauf aus, an dessen Ende sich der Schütze selbst getötet hat. Möglicherweise liegt ein ausländerfeindlicher Hintergrund vor. Auch einen rechtsradikalen Anschlag wie vom NSU verübt, halten wir für unwahrscheinlich. Dies ist unsere Einschätzung auf Basis der wenigen faktischen Informationen und kein gesichertes Wissen.
Viel mehr, als Sie in diesem Artikel zum Stand der Veröffentlichung erfahren, wissen andere Medien auch nicht. (Wir haben den Text um 0:17 Uhr begonnen und um 1:48 Uhr beendet – dazwischen wurde die Nachrichtenlage überprüft.) Die ARD hat allerdings über mehrere Stunden mit einem unglaublich enormen Aufwand live „berichtet“ und immer wieder nur die sehr wenigen Informationen wiederholt. Weiter wurde teils wild spekuliert. Es wurden verschiedene Politiker aufgeschaltet, immer wieder „Schalten“ zu Reportern, die nur sagen konnten, dass sie eigentlich nicht viel wissen. Wie oft das Wort „Terror“ gefallen ist, haben wir nicht gezählt, aber es fiel sehr, sehr oft.
Auch andere Medien haben „Live-Ticker“ aufgeschaltet mit genauso dürftigen Inhalten. Die allermeisten haben den „dpa-Ticker“ publiziert. Also nur die Kopie von dürftigen Nachrichten ausgeliefert.
Tatsache ist, dass mindestens acht Menschen ermordet worden sind. Und dies in Zusammenhang mit internationalem Terrorismus gestellt worden ist. Dies halten wir zum jetzigen Zeitpunkt für eine eklatante Fehlleistung. Möglicherweise müssen wir das korrigieren, wir gehen aber nicht davon aus.
Terror=Schrecken
Terror heißt lateinisch „Schrecken“. Natürlich verbreitet jeder versuchte oder erfolgte Massenmord „Schrecken“. Es gibt aber eklatante Unterschiede zwischen einem Beziehungsmord, einem Raubmord, einem Amokmord und einem Terrormord. Jeder Angriff auf Menschen mit Tötungsabsicht ist eine Form von Attentat. Sowohl Terror als auch ein Amoklauf versuchen nicht, einen Mord geheim zu halten, sondern suchen Öffentlichkeit. Der Amoktäter hat aber kaum „übergeordnete Ziele“, sondern will sich nur inszenieren.
Terrorismus ist eine Form der Kriegsführung zur Erreichung militärischer, politischer, wirtschaftlicher oder religiöser wie ideologischer Ziele – häufig sollen mehrere dieser Ziele zusammen erreicht und vor allem öffentlich bekannt und verbreitet werden.
Bislang gibt es keinerlei Informationen, dass der oder die Täter von München eines dieser Ziele verfolgt haben. Der primäre Terror ist der Terrorakt an sich. Der sekundäre Terror ist die „psychologische“ Verbreitung von Angst und Schrecken in der Bevölkerung und auch beim „Staat“, um Handlungen zu provozieren.
Tatsächlich haben aber viele Medien „Angst und Schrecken“ verbreitet, indem sie ohne klare Fakten von „Terror berichteten“. Es gibt unserer Auffassung nach weder Gründe, die schreckliche Tat in München mit Paris, Brüssel, Nizza oder Würzburg zu vergleichen. Auch nicht mit dem Massenmord von Utoya in Norwegen vor auf den Tag genau fünf Jahren, bei dem der rechtsradikale Terrorist Anders Behring Breivik 77 Menschen tötete.
Berichterstattung über Terror ist ein Dilemma
Medien haben eine hohe Verantwortlichkeit, weil sie „Wahrheiten“ übermitteln, die möglicherweise keine sind, aber zu solchen werden, wenn Massen diese als „wahr“ übernehmen.
Insbesondere die Berichterstattung über Terror ist sehr schwierig und oft ein Dilemma. Wird Terror berichtet, kann er sich über die Tat hinaus verbreiten. Wir nicht berichtet, kommen Medien nicht ihrer Informationspflicht nach. Deswegen ist die Art und Weise der Berichterstattung entscheidend. Man sollte die Fakten berichten, aber dem Terror keinen weiteren Raum geben. Sonst erhält er eine Wirkungsmacht, die man ihm nicht geben sollte.
Es handelt sich im Kern ganz profan um Mord – aus einer Vielzahl von niederen Motiven. Mord ist verabscheuungswürdig und verdient Verachtung. Mord mit dem Ziel, Terror zu verbreiten, ist das menschenverachtenste Verbrechen der Welt.
Wer dem Terror in der Berichterstattung mehr Beachtung schenkt, als nötig ist, gibt ihm eine erschreckende Bedeutung, die ihm nicht zusteht und stärkt unverantwortlich dessen Wirkung. Auch hier zeigt sich die Münchner Polizei vorbildlich, indem sie mahnt, was selbstverständlich sein sollte:
An alle, die Bilder von Opfern veröffentlichen: HÖRT AUF DAMIT!
Habt Respekt vor dem Leid der Angehörigen.#Schießerei #münchen— Polizei München (@PolizeiMuenchen) 22. Juli 2016
Aktualisierung, 2:28 Uhr:
- Der Tatverdächtige soll ein 18-jähriger Deutsch-Iraner sein.
- Um 20:30 Uhr wurde sein Leiche entdeckt.
- Im Einsatz waren 2.300 Polizisten.
- Der ÖPNV ist wieder angelaufen.
- Die Schießerei begann in einem Schnellrestaurant und wurde im Einkaufszentrum fortgesetzt.
- Der Tatverdächtige wurde von einer Zivilstreife beschossen – unklar ist, ob er getroffen worden ist.
- Der Tatverdächtige hatte eine Pistole.
- Der Tatverdächtige hat sich selbst getötet.
- Das Motiv für die Tat ist unklar.
- Der Tatort wird in der Nacht und am Tag untersucht.
- Die Zahl der Opfer ist auf 9 gestiegen. Mit dem Tatverdächtigen sind zehn Menschen tot.
- Es gibt 16 verletzte Personen, 3 davon schwer. In der Nacht korrigiert die Polizei auf 16 Verletzte, nachdem sie zuvor 21 Verletzte gemeldet hatte.
Aktualisierung, 13:45 Uhr:
- Der 18-jährige Täter ist iranischer Herkunft und in Deutschland aufgewachsen. Er soll beide Staatsbürgerschaften besessen haben. Er war Schüler.
- Bei der Waffe handelt es sich um eine Glock 17, 9mm. Der Täter hatte im Rucksack weitere 300 Schuss dabei. Sie Seriennummer der Waffe ist weggefeilt. Das Landeskriminalamt wird die Nummer mit technischen Maßnahmen wiederherstellen und versuchen, die Herkunft zu ermitteln.
- Der Täter wurde durch eine Zivilstreife durch einen Beamten beschossen. Der Kontakt kam auf dem Dach des Parkhauses zustande. In einem Video sieht man den Täter dort schießen. Die Obduktion ergab keine Treffer. Der Täter verstarb an einem aufgesetzten Kopfschuss, der dazu passt, dass der Täter Linkshänder war.
- Es gibt keine Hinweise auf einen „politischen“ Hintergrund. „Überhaupt keine“ in Bezug auf Daesh oder andere Terrororganisationen.
- Der Täter war polizeilich unauffällig. Es ist körperliche Auseinandersetzung bekannt, sowie ein Raub, bei dem der Täter Opfer war. Beides liegt Jahre zurück.
- Der Täter hat sich mit Amokläufe beschäftigt. Unter anderem wurde ein Buch gefunden „Wenn Schüler töten“
- Eine psychiatrische Behandlung ist möglich, aber noch nicht klar.
- 4.310 Notrufe zwischen 18 und 24 Uhr. „Normal“ sind täglich 1.000 Notrufe.
- Alle toten Opfer stammen aus München. Drei waren 14, zwei 15, ein 17, ein 19, ein 20 und ein Opfer 45 Jahre alt. Drei sind Frauen.
- Es gibt bislang keine Hinweise, die auf die Tat im Vorfeld hingewiesen hätten.
- Es gibt keine Hinweise auf weitere Täter.
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Hier die Pressemitteilung der Polizei München:
„Schießerei in München
Am 22.07.2016 gg. 17.50 Uhr riefen mehrere Zeugen bei der Polizei an und meldeten eine Schießerei im Bereich der Hanauer Straße in der Umgebung des Olympia Einkaufszentrums in Moosach. Aufgrund von Zeugenaussagen musste in der Anfangsphase von bis zu drei verschiedenen Personen mit Schusswaffen ausgegangen werden.
Die Polizei ist mit über 2.300 Einsatzkräften im Einsatz. Darunter befinden sich alle verfügbaren Kräfte des Polizeipräsidiums München, Spezialeinheiten aus Bayern, Baden-Württemberg, und Hessen sowie die GSG 9 der Bundespolizei und die Cobra aus Österreich. Weitere Kräfte der Bundespolizei, die Bayerische Bereitschaftspolizei incl. der Hubschrauberstaffel, das BLKA und die Präsidien Oberbayern Nord und Süd sind auch im Einsatz eingebunden.
Am Tatort arbeitet die Spurensicherung mit umfangreichen Maßnahmen und die Kriminalpolizei hat die Ermittlungen zum Tatablauf aufgenommen.
Zehn tote Personen sind momentan bekannt. Darunter befindet sich ein 18-jähriger Deutsch-Iraner aus München, der im Rahmen der Fahndung im Olympiapark gg. 20.30 Uhr aufgefunden wurde. Er hat sich nach derzeitigem Ermittlungsstand selbst getötet. Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich nach Zeugenaussagen und Hinweisen aus Videos um den Täter.
Es gibt momentan keine Hinweise auf weitere Tatbeteiligte. Der Hintergrund und ein Motiv der Taten sind noch nicht gesichert.
21 Transporte von Verletzten wurden vom Münchner Rettungsdienst erbracht und fünf Personen wurden mit privaten Fahrzeugen zu Notaufnahmen transportiert. Drei Schwerverletzte und 13 Leichtverletzte werden noch in Krankenhäusern behandelt. Weitere leichtverletzte Opfer haben sich selbständig zur medizinischen Behandlung begeben.
Kurz nach den Ereignissen in Moosach wurden der Polizei auch weitere Schussabgaben und sogar mögliche Geiselnahmen aus dem Stadtbereich gemeldet, die sich aber nicht bestätigten.
Auch vom Flughafen München wurde ein Einsatz gemeldet. Ein Zusammenhang mit den Ereignissen im Stadtgebiet hat sich nicht bestätigt.
Der Betrieb der öffentlichen Verkehrsmittel wurde eingestellt und ab 01.00 Uhr wieder freigegeben. Nach momentaner Lageeinschätzung wird der MVV voraussichtlich in den Morgenstunden mit dem regulären Fahrplan wieder beginnen.
Verschiedene Veranstaltungen im Stadtgebiet wurden abgebrochen.
Ca. 100 Personen haben im Polizeipräsidium Schutz gesucht.
Foto-, Video- oder Audioaufnahmen vom Ereignisort bzw. aus der weiträumigen Umgebung des Olympiaeinkaufzentrums, die ab dem 22.07.2016, 17:30 Uhr gemacht wurden, können über ein Upload-Formular der Polizei zur Verfügung gestellt werden:
https://medienupload-portal01.polizei.bayern.de/
Es wurden bereits mehrere Aufnahmen übermittelt, die von der Kriminalpolizei ausgewertet werden.
Sobald weitere Informationen vorliegen, wird nachberichtet.“