Rhein-Neckar, 21. September 2017. (red/pro) Der “Rassismus-Skandal” bei der Rhein-Neckar-Verkehr GmbH (rnv) ist aufwändig untersucht worden. Die Ergebnisse sind ernüchternd. Bei insgesamt sechs Mitarbeitern wurden Konsequenzen gezogen, aber die eigentliche Arbeit beginnt erst jetzt. Mit einem Bewusstseinswandel. Und das ist der richtige Weg, der nicht nur für die rnv, sondern alle Betriebe gilt, insbesondere die der öffentlichen Hand.
Kommentar: Hardy Prothmann
Ende April war ein Video auf Youtube aufgetaucht, das in schlechter Qualität heimlich gefilmte Szenen in Pausenräumen der rnv zeigte. Zunächst berichte die Bild-Zeitung darüber. Auch ein Hitlergruß war zu sehen – so begann der “Rassismus-Skandal” bei der rnv. War das der Beginn? Nein, der lag davor. Ab dann wurde bekannt, dass es ein massives Fehlverhalten einiger Mitarbeiter gab. Das wurde untersucht und aufbereitet. Die eigentliche Arbeit hat das Unternehmen noch vor sich.
Alarmierend ist die Selbstverständlichkeit
Die Rechtsanwältin Ruhan Karakul berichtete als Ombudsfrau am Mittwoch auf einer Pressekonferenz über die Untersuchungsergebnisse. Der Bericht erschüttert mich nicht. Weder der Hitlergruß, der durch den Mitarbeiter als “Römergruß” abgetan wurde, noch Sätze wie “Ausländer im KZ eliminieren”, noch “Nigger” oder andere rassistische Äußerungen. Rassistische Einstellungen gab es immer, überall auf der Welt und das wird sich niemals ändern.
Alarmierend ist, was Frau Karakul sehr gut herausgearbeitet hat: Die Selbstverständlichkeit, mit der es zu diesen Äußerungen und Verhaltensweisen kam. Und, dass andere es zuließen. Sie stellte eine “Kultur des Wegschauens und Weghörens” fest.
Kein Unrechtsbewusstsein
Wie massiv sich hier eine “Unkultur” im Unternehmen festgesetzt hat, zeigen ihre Erfahrungen: Die Aufarbeitung wurde als “Hexenjagd” begriffen. Ein Unrechtsbewusstsein bei den betreffenden Mitarbeitern war nicht zu erkennen, die Vorfälle wurden bagatellisiert und bestritten. Selbst der Betriebsrat soll eine Blockadehaltung eingenommen haben.
2015, als die Aufnahmen wohl gemacht worden sind, war keine einfache Zeit für viele Mitarbeiter der rnv, insbesondere das Personal in den Zügen und Bussen. Übervolle Bahnen, auch durch viele Flüchtlinge, die häufig schwarz gefahren sind, waren der Alltag. Eine Strecke wurde von den rassistischen Mitarbeitern “Asylantenexpress” genannt.
Frau Karakul betonte, dass Stress und eine hohe Belastung keine Rechtfertigung für rassistisches Verhalten seien. Damit hat sie eindeutig recht. Aber es können die Gründe dafür seien, dass sich zunächst Ablehnungen entwickeln, die sich zunehmend in Abwertungen entwickeln, bis es offen zum Rassismus kommt. Und wenn dies “allgemein” bekannt war, aber niemand eingeschritten ist, dann hat man ein Problem – auf der Führungsebene.
Problem auch der Führungsebene
rnv-Geschäftsführer Martin in der Beek war der Stress anzusehen. Er wirkte aufgewühlt und verärgert. Auch er hat sicherlich viel Stress und eine hohe Belastung – nicht nur durch das Alltagsgeschäft, sondern auch durch diesen “Rassismus-Skandal”, der für sehr viele negative Schlagzeilen sorgte.
Richtig ist, dass das Unternehmen nicht, wie das häufig der Fall ist, einem ersten Impuls treu blieb, alles herunterzuspielen und abzuwehren, sondern sich durch die Unternehmensberatung “Ernst&Young” und Frau Karakul, die sich als Deutsch-Türkin und als Justiziarin des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma (Heidelberg) berufsbedingt mit Rassismus auskennt, Hilfe von außen geholt hat.
Krisenkommunikation muss offensiv erfolgen und sich Fragen mit Antworten statt Ausflüchten stellen. Klingt einfach? Ist es für die meisten betroffenen Unternehmen nicht – weil es dafür kein Bewusstsein und keine Kultur gibt. Auch die “Profis” in den Pressestellen können hier häufig nicht helfen, weil sie eben Krisenkommunikation nicht beherrschen.
Auch Klaus Dillinger, Beigeordneter (Bürgermeister) im Dezernat 4 der Stadt Ludwigshafen und Aufsichtsratsvorsitzender der rnv (Eigentümer sind die Städte Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg) hat Recht, wenn er meint, die eigentliche Arbeit beginne jetzt. “Wir wissen schon jetzt, das wird ein langfristiger und schwerer Prozess.”
Stand der Dinge
Der aktuelle Stand ist: Fünf Mitarbeiter wurden entlassen, einer abgemahnt versetzt. Doch wie viele zuschauten und zuhörten, wie viele vom Fehlverhalten der Kollegen wussten, es bagatellisierten, ignorierten oder innerlich gut hießen, ist nicht bekannt. Klar ist: Viele Personen, an die 80, mit denen Gespräche geführt worden sind, nahmen eine Blockadehaltung ein und es herrschte teils sogar eine ablehnende bis feindselige Stimmung. Das Unternehmen hat rund 2.100 Mitarbeiter aus fast 50 Nationen.
In jedem größeren Unternehmen gebe es Mitarbeitende mit rassistischem Gedankengut, eine andere Sichtweise wäre naiv, sagte Frau Karakul:
Der rnv kann das nicht per se zum Vorwurf gemacht werden. Das Unternehmen stellt hier einen Spiegel der Gesellschaft dar. Rassismus ist kein Problem am Rand der Gesellschaft, sondern in unserer Mitte. In puncto Rassismusbekämpfung muss jedoch konstatiert werden, dass das Unternehmen nicht konsequent genug gehandelt hat. Wie so oft, geschah dies nicht deshalb, weil man die rassistischen Auffassungen teilte, sondern vielleicht aus Konfliktscheue, Bequemlichkeit und falsch verstandener Kollegialität.
Offenbar hat die Unternehmensleitung das verstanden. rnv-Geschäftsführer in der Beek sagte:
Wir werden künftig mit aller Entschlossenheit gegen Diskriminierung jeder Art vorgehen. Dies sind wir unseren Fahrgästen und Mitarbeitern schuldig. Die Untersuchung mag einmalig gewesen sein, unsere eigentliche Arbeit beginnt erst jetzt. Wo kulturelle Vielfalt Alltag ist, hat Rassismus wenig Chancen.
Diese Einsicht ist richtig – Tatsache ist aber auch, dass Herr in der Beek das vorher “nicht für möglich hielt”. Das lässt aufhören, denn es gab genug negative Entwicklungen, die eine solche Entwicklung geradezu vorhersehbar machten.
Die Zahl der Vorfälle in Bussen und Bahnen hat enorm zugenommen, ebenso an und um die Haltestellen. Und häufig sind Ausländer mindestens beteiligt, häufig Auslöser von Konflikten. 173 Millionen Personen werden pro Jahr befördert – selbstverständlich sind darunter auch solche, die sich nicht benehmen, die andere belästigen, die vandalieren und auch Gewalt ausüben.
rnv ist nicht alleine betroffen
Es gibt genau eine gute Seite an dem “Rassismus-Skandal” – man kann nicht mehr wegschauen, sondern muss zur Kenntnis nehmen, dass es immer wieder zu solchen Fehlentwicklungen kommen kann, die sich am Ende in Rassismus, Menschenfeindlichkeit äußern. Gebietet man keinen Einhalt, folgen auf die Äußerungen Taten.
Mit dieser Fehlentwicklung bleibt die rnv nicht alleine. Auch andere Behörden, Ämter und Unternehmen können davon betroffen werden, wenn nicht frühzeitig und konsequent Maßnahmen getroffen werden. Die rnv hat die Mannheimer Erklärung unterzeichnet. Im Leitbild steht unter Punkt 7:
Wir verpflichten uns zu einem am Mitarbeiter orientierten Führungsstil. Dazu gehören der faire Umgang, der gegenseitige Respekt und die Wertschätzung des Individuums. Feedback ist ein wichtiger Faktor für offene Kommunikation untereinander und mit unseren Partnern.
Solche schönen Formulierungen stehen sicher in vielen Leitbildern – sie müssen aber auch gelebt und damit umgesetzt werden. Und auch kontrolliert. Dabei geht es nicht um eine bedingungslose Kontrolle, sondern Überzeugungsarbeit, aber auch, wie aktuell, um klare Konsequenzen.
Die rnv will nun einen Vielfaltsmanager einstellen – das wird meines Erachtens nach nicht reichen. Die Mitarbeiter draußen brauchen aktive Unterstützung, um Konfliktsituationen nicht nur mit Fahrgästen, sondern auch mit sich selbst aufarbeiten zu können. Und auch die Kunden müssen mit einbezogen werden, indem Beschwerden verlässlich angenommen und auch konsequent hinterfragt werden. Klar gibt es immer unzufriedene Kunden, die immer was zu meckern haben, aber es gibt auch die aufmerksamen und redlichen, die auf Probleme hinweisen.
Rassismus ist ein Prozess
Und davon gab es seit 2015 immer mehr, die aber möglicherweise mehr und mehr wegsehen, weil sie keine Änderungen feststellen konnten. Die Sicherheitskräfte müssen präsenter und nicht nur für die Fahrgäste, sondern auch fürs Personal da sein. Weiter muss mit den Fahrgästen aktiver kommuniziert werden und problematischen Fahrgästen – egal welcher Herkunft, müssen ebenfalls Konsequenzen aufgezeigt werden. Denn Rassismus entsteht immer als Prozess. Niemand kommt als Rassist auf die Welt. Das soll nichts entschuldigen, aber den Blick schärfen, wo die Gefahren lauern.
Warnschuss für alle
Nach meinem Eindruck hat die rnv den Warnschuss gehört und ist entsprechend sensibilisiert. Fraglich ist, ob das in anderen Behörden und Betrieben auch der Fall ist. Die Stadt Mannheim hat über 8.000 Mitarbeiter, viele davon kommen auch mit Menschen in Kontakt, die, sagen wir mal, nicht einfach sind. Das gilt auch für die Mitarbeiter der Städte Ludwigshafen und Heidelberg. Das gilt auch für die 2.400 Beamten und Angestellte bei des Polizeipräsidiums Mannheim, des Polizeipräsidiums Rheinpfalz und auch des Polizeipräsidiums Hessen. Eigentlich gilt es für alle.
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Nicht überzeugend war die Einschätzung von Frau Karakul, dass die rnv ein “Spiegel der Gesellschaft” ist, denn es ist eher ein männlich dominierter Betrieb, nur 25 Prozent der Mitarbeiter sind Frauen. Auch Frauen können Rassistinnen sein, treten aber weniger provokant auf als Männer. Richtig ist – wir haben das mehrfach berichtet – dass quer durch die Gesellschaft eine latente Ausländerfeindlichkeit gibt, die zwischen 20 und 30 Prozent liegt. Das muss sich nicht aktiv äußern oder darstellen – es ist eine latente Einstellung, die sich konkretisieren kann.
Sanktionen allein helfen nicht
Klar muss sein, dass ein solch offensiv provokantes Fehlverhalten mit klar menschenverachtenden Äußerungen und Gesten wie der Hitlergruß nicht geduldet werden können und sofort hart sanktioniert werden. Doch das betrifft nur das äußere Verhalten und nicht das innere Verhältnis und Denken. Sich ändernde Einstellungen kann man nicht durch Verordnungen bestimmen, sondern nur durch Aufklärung und Unterstützung. Die Erfolge der rechtspopulistischen AfD finden nicht nur in der Politik statt, sie werden durch immer mehr Menschen mit zumindest problematischen Haltungen getragen.
Problematisch ist aber auch, wenn es keine Ventile gibt, wenn man Frust nicht loswerden kann. Wenn politische Korrektheit als “Hexenjagd” und “Maulkorb” verstanden werden, wenn jeder zum Nazi gemacht wird, der Probleme benennt und andere Fehlentwicklungen übersehen und überhört werden.
Viele Menschen, darunter viele Fahrgäste der rnv, äußern sich unzufrieden – andere Menschen nehmen das auf, ob Fahrgast oder Mitarbeiter. Wer böse Erfahrungen, diese aber nicht benennen kann, wird selbst irgendwann böse – gegenüber denen, bei denen er die Schuld sieht.
Es ist und bleibt eine komplexe Aufgabe – innerhalb der rnv, aber auch innerhalb der Gesellschaft insgesamt. Interessant ist dieser Vergleich: Wenige Mitarbeiter, möglicherweise nur die Spitze eines Eisbergs, haben für erhebliche Probleme und negative Schlagzeilen für die rnv gesorgt. Ähnlich ist das bei den neu nach Deutschland gekommenen Flüchtlingen – im Verhältnis gesehen reichen kleine Gruppen, deren Fehlverhalten zur pauschalen Verurteilung von vielen führt.
Kampf den Extremen
Die rnv ist mit Sicherheit kein Betrieb, in dem Rassisten das Sagen haben – aber es gab eine Fehlentwicklung, die glücklicherweise als solche erkannt worden ist.
Ich werde nicht müde darauf hinzuweisen, dass die Gesellschaft sich gegen jede Art von Extremismus stellen muss und immer wachsam sein muss gegenüber Fehlentwicklungen. Wer Freiheiten ausnutzt, um anderen Freiheit einzuschränken, zeigt ein Fehlverhalten. Ob Ausländer oder Inländer, die sich nicht an die Regeln halten. Regeln werden nicht selbstverständlich eingehalten, sonst bräuchte es keine Aufsichten, keine Polizei und auch keine Schiedsrichter auf dem Fußballplatz.
Wer beispielsweise – und das tun Teile der Gesellschaft, die sich zu den Demokraten zählen – Gewalt gegen Andersdenkende aktiv oder passiv legitimiert, muss sich nicht wundern, wenn andere ebenfalls Gewalt legitimieren. Wer Menschen aus Ländern ohne Regeln ins Land holt, muss sich nicht wundern, wenn diese gegen unsere Regeln verstoßen. Wenn es immer mehr Regelverstöße gibt, verstoßen auch immer mehr gegen Regeln.
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Eigentlich leben wir in einer beispiellos freien Gesellschaft. Genau deshalb muss auf Regeln geachtet werden. Wer mit Freiheit unverantwortlich umgeht, schafft sie irgendwann ab. Das Mittel der Wahl muss Kommunikation sein. Auch das muss die rnv begreifen – sie ist nicht nur ein Verkehrsbetrieb, sondern ein öffentlicher Raum, auch, wenn in den Bussen und Bahnen natürlich Hausrecht gilt. In diesen Fahrzeugen findet, verbal und nonverbal Kommunikation statt. Und die scheint mir seit langer Zeit belastet zu sein.
Die Debatte um Burkas zeigt das gut auf. Eigentlich kann doch jeder rumlaufen, wie er will – aber man kommuniziert auch mit der Kleidung und auf viele Menschen wirken Schleier befremdlich, weil vor allem unkommunikativ. Das ist auch deren Sinn – es soll keine Kommunikation stattfinden. Auch wer provozierend auftritt, kommuniziert. Wenn man seine Empörung nicht kommunizieren kann, sorgt das für Wut, die irgendwann ins Extreme umschlagen kann.
Frau Karakul hat Recht, (beruflicher) Frust darf keine Entschuldigung für Rassismus sein. Ein Baustein für einen Erklärungsansatz aber schon. Es gilt, den Frust früh abzuholen, zu entschärfen oder besser erst nicht entstehen zu lassen.