Mannheim/Rhein-Neckar, 17. Februar 2018. (red/pro) Die Stadt Mannheim hat erst am vergangenen Wochenende erfahren, dass der Bund plane, hier ein Modellprojekt für einen kostenlosen Öffentlichen Personennahverkehr zu starten – per Telefonanruf. Damit wird deutlich wie absurd dieses angebliche Zukunftsprojekt ist. Ebenso die umfassende Berichterstattung zum Thema.
Von Hardy Prothmann
Wie das Rheinneckarblog bereits gestern kommentiert hat – der „Plan“, in Mannheim ein kostenloses ÖPNV-Projekt einzuführen, um die Schadstoffbelastung der Luft zu reduzieren, ist bislang nur eine Luftnummer und geeignet, politischen Schaden anzurichten.
Per Anruf Modellstadt
Das Dezernat 1 des Ersten Bürgermeisters Christian Specht (CDU) teilte uns auf Anfrage mit, dass die Stadt erst am Wochenende telefonisch informiert worden ist:
Die Stadt Mannheim hat am vergangenen Wochenende telefonisch davon erfahren, dass sie Modellstadt werden soll und dies in einem Brief an die EU-Kommission entsprechend formuliert wird.
Dieser Brief der geschäftsführenden Minister Minister Barbara Hendricks (SPD, Umwelt), Christian Schmidt (CSU, Verkehr) und Peter Altmaier (CDU, Kanzleramt) wurde am Dienstag vom Politmagazin „Politico“ dem Inhalt nach öffentlich gemacht:
In Bonn, Essen, Herrenberg, Reutlingen und Mannheim gilt womöglich bald freie Fahrt für freie Öffi-Nutzer. In diesen fünf Städten sollen die Maßnahmen für sauberere Luft getestet werden, die die Bundesregierung der Kommission verspricht, bevor die erfolgreichen dann bundesweit ausgerollt werden. (…) Die Minister kündigen weiter an: Die neue Regierung “wird sofort einen neuen gesetzlichen Rahmen vorschlagen, mit dem Zweck, Bundesländer und Städte zu ermächtigen, bindende Anforderungen und Emissionsgrenzwerte für Busse und Taxis zu erlassen.” Dies soll “so bald wie möglich, spätestens zum Jahresende in Kraft treten.” (…) “Wenn nötig, werden wir unsere Städte dabei unterstützen, wirksame Verkehrsbeschränkungen in ausgewiesenen Straßen einzuführen.” Mitte März will die Kommission entscheiden, ob sie Deutschland (und andere) wegen mangelnden Respekts vor Luftschutz-Grenzwerten vor den Europäischen Gerichtshof bringt, sagte Sprecherin Mina Andreeva. Ihre Aktionspläne haben wie Deutschland alle betroffenen EU-Länder demnach brav und wie verlangt bis vergangenen Freitag eingereicht. Beruhigend zu sehen, dass die Verrichtung laufender und zukunftsgerichteter Amtsgeschäfte noch nicht dem allgemeinen Tohuwabohu zum Opfer gefallen ist.
Der letzte zitierte Satz kann getrost als Ironie aufgefasst werden – denn dieser Brief erzeugt ein „allgemeines Tohuwabohu“.

Wann kommt die kostenlose Straßenbahn? Gleich oder nie?
300 Millionen Euro Ticketeinnahmen im Verkehrsverbund
Denn allein in Mannheim betragen die Fahrgeldeinnahmen für Stadtbahnen und Busse rund 80 Millionen Euro jährlich, teil das Dezernat 1 mit. Für den Verkehrsverbund Rhein-Neckar seien es Einnahmen in Höhe von rund 300 Millionen Euro pro Jahr. Durch diese Einnahmen würden rund 50 Prozent der laufenden Kosten gedeckt. Bei einem kostenlosen ÖPNV würden diese Einnahmen wegfallen und müssten von anderer Seite kompensiert werden. „Die Kommunen könnten diese Kosten nicht tragen“, teilt Sprecherin Désirée Leisner unmissverständlich mit.
Darüber hinaus müssten weitere Millionen Euro für dann notwendige neue Busse, Bahnen und Personal hinzugerechnet werden, denn:
Durch kostenlose Tickets würden sich die Fahrgastzahlen abrupt vervielfachen.
Keine Aussagen zu erforderlichen Investitionen möglich
Angaben zu einzelnen, erforderlichen Investitionen kann die Stadt auf Anfrage keine machen, denn „das setzt voraus, dass man weiß, wie viele Personen auf welchen Verkehrsträger zu welcher Zeit umsteigen würden.“ Ebenso könne man keine Angaben zu veränderten Taktzeiten machen – auch hier müsste man erst mal wissen, was man denn wie investieren kann und danach könnte die Planung erst erfolgen.
Die Fahrgastzahlen wurden bereits in den vergangenen Jahren gesteigert, von 169,6 Millionen 2013 auf 173,4 Millionen Fahrgäste 2016. Wobei es hier von 2015 auf 2016 einen deutlichen Sprung von 3,6 Millionen Fahrgästen gab.
Die Stadt Mannheim hätte nichts gegen ein solches Projekt – doch eher im Verbund mit den Städten Ludwigshafen und Heidelberg:
Zunächst geht es für Mannheim darum, in der Funktion als Modellstadt Lösungen zu erarbeiten, die langfristig auf das Ziel einer Verbesserung der Luftqualität in Mannheim sowie der gesamten Metropolregion Rhein-Neckar einzahlen. Der Jahresmittelwert für die Stickstoffdioxid-Belastung in Mannheim lag 2017 bei 45 µg/m³ Luft. Da auch die Nachbarstädte Ludwigshafen und Heidelberg zu den bundesweit circa 90 Kommunen zählen, die den Jahresgrenzwert von 40 µg/m³ Luft überschreiten, halten wir gemeinsame Maßnahmen für absolut sinnvoll und notwendig.
Klar gegen Fahrverbote
Bereits jetzt biete man im ÖPNV mit dem VRN und der rnv im Verbund gemeinsam verschiedene Modelle an, um die Mobilität in der Metropolregion Rhein-Neckar weiter zu stärken und zu verbessern. Hier sei unter anderem der eTarif zu nennen, der den tatsächlich zurückgelegten Luftweg erfasst und nur diesen berechnet, so dass dies für den Fahrgast ein attraktives Angebot darstelle – dafür braucht es also kein Modell, das ist längst Realität.
Was Fahrverbote angeht, ist die Stadt Mannheim nicht entzückt. Man habe drei Ziele formuliert:
- Vermeidung von Fahrverboten in deutschen Städten.
- Zur kurzfristigen Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs ist der ÖPNV das wirksamste Mittel. Der Bund muss die Förderung für den Ausbau und Sanierung der Netze und die Beschaffung von Bussen und Bahnen steigern und verstetigen.
- Ein entgeltfreier ÖPNV ist nur dann vorstellbar, wenn der Bund die Kosten über einen längeren Zeitraum gänzlich übernimmt.
Unser oberstes Ziel ist es, Fahrverbote in den Städten zu vermeiden. Daher werden wir uns in unserer Funktion als Modellstadt nun mit dem Bund zusammensetzen, um zielführende Maßnahmen zu besprechen, die wir kurzfristig insbesondere durch Verbesserungen im ÖPNV sehen.
Wenn, dann, sonst
Doch was, wenn ein solches Modellprojekt nicht die erhoffte Lösung der Luftverunreinigung bringen würde? Hier meldet sich das Dezernat V der Bürgermeisterin Felicitas Kubala (Grüne) zu Wort
Wenn ein Modellprojekt nicht zu einer deutlichen Senkung der Luftschadstoffe führen würde, müssten weitere Maßnahmen geprüft und umgesetzt werden. Aktuell läuft die Fortschreibung des Luftreinhalteplans.
Wie schon kommentiert, sind überregionale Medien und auch andere, lokale Medien, dieser Luftnummer vollständig auf den Leim gegangen. Selbst „Modellprojekte“ erfordern den „sozialistischen Gang der Dinge“. Das bedeutet den Gang durch alle notwendigen Verwaltungsinstanzen und Planverfahren, was immer ein langwieriger Prozess ist – außer, man setzt die rechtsstaatliche Ordnung außer Kraft.
Wer sich allein die Zeitverzögerungen des Ausbaus der S-Bahn Rhein-Neckar anschaut, weiß, wovon die Rede ist. Dabei verweisen wir noch nicht einmal auf „Stuttgart 21“ oder den neuen Berliner Flughafen – beides riesige Projekte, die angesichts eines bundesweiten Umbaus des ÖPNV eher Kleinstprojekte sind.
Die Fortschreibung des Luftreinhalteplans finden unsere Leser/innen im Netz unter:
https://rp.baden-wuerttemberg.de/rpk/Abt5/Ref541/Luftreinhalteplan/lrp_mannheim_massnahmenbew17.pdf
https://www.mannheim.de/de/service-bieten/umwelt/immissionsschutz/luftqualitaet-in-mannheim
Allgemeine Infos des Regierungspräsidiums zu den Luftreinhalteplänen im Regierungsbezirk Karlsruhe:
https://rp.baden-wuerttemberg.de/rpk/Abt5/Ref541/Seiten/Luftreinhalteplaene.aspx
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