Rhein-Neckar, 17. November 2016. (red/me) Nach unseren Recherchen leben fast 1.500 verheiratete minderjährige Ausländer in Deutschland, darunter 400, die unter 14 Jahre alt sind. Wir haben bei den zuständigen Stellen in Mannheim, Heidelberg und im Rhein-Neckar-Kreis angefragt, ob es solche Fälle auch hier gibt. Das Ergebnis zeigt, dass das Problem mit so genannten „Kinderehen“ zumindest unter den Flüchtlingen der Region kein Problem ist.
Von Mathias Meder
Trotz hoher Aufnahmequoten jedoch gibt es in Baden-Württemberg keine Zahlen, die diese Schlagzeilen bestätigen. Unsere Anfrage ans Innenministerium, wurde wie folgt beantwortet:
Dem Innenministerium liegen keine statistischen Erhebungen von Personen vor, die eine Ehe im Ausland geschlossen haben und in Baden-Württemberg leben. Dies gilt somit auch für die Zahl von Ehen, die von Minderjährigen im Ausland geschlossen wurden. Aufgrund der Bestimmungen des Bevölkerungsstatistikgesetzes übermitteln die Standesämter an die statistischen Landesämter allein die in den deutschen Eheregistern eingetragenen Eheschließungen. Dies sind die Daten von in Deutschland geschlossenen Ehen oder die Daten von im Ausland geschlossenen Ehen, wenn diese in einem deutschen Eheregister nach § 34 Personenstandsgesetz nachbeurkundet werden. Die Nachbeurkundung setzt jedoch jeweils einen Antrag der Berechtigten und u. a. die Prüfung der Wirksamkeit der im Ausland geschlossenen Ehe voraus.
Auf unsere Nachfrage bestätigten die Städte Mannheim und Heidelberg und der Rhein-Neckar-Kreis, dass es keine einzige solche Kinderehe gebe. So betreut die Stadt Mannheim derzeit 170 unbegleitete minderjährige Ausländer (UMA), die Stadt Heidelberg aktuell 119 UMA und der Rhein-Neckar-Kreis 392 UMA. Unter letzteren befinden sich gerade einmal 29 weibliche Minderjährige, was einem Anteil von sieben Prozent entspricht. Ähnliche Zahlen gibt es auch in Mannheim, während in Heidelberg gar keine weiblichen UMA registriert sind.
Starker Anstieg der betreuten UMA seit 2015
Zum Vergleich: In Heidelberg waren 2014 insgesamt 9 UMA in Betreuung der Stadt, 2015 waren es 60 UMA, von November bis heute in Summe rund 380, die zumindest kurzfristig in Heidelberg betreut werden mussten. In Mannheim waren es 2014 insgesamt 34 UMA, 2015 insgesamt 343 UMA und aktuell sind es 170 UMA und 78 jungen Volljährige, also 248 Personen. Laut Zuweisungsquote müsste Mannheim aktuell 230 UMA betreuen. Pro UMA rechnet man mit Kosten zwischen 3.-5.000 Euro monatlich.
In dauerhafter Betreuung der Stadt Heidelberg sind derzeit nur männliche Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren. Keiner nach Kenntnis der Stadt verheiratet oder hat selbst Kinder. Die Altersprüfung erfolge im Rahmen einer persönlichen Inaugenscheinnahme durch zwei Mitarbeiter des Kinder- und Jugendamtes sowie einen Dolmetscher.
Schwierige Altersfeststellung
Die Stadt Heidelberg veranlasst wie die meisten anderen Jugendämter keine Röntgentests zur Altersfeststellung. Entsprechend der Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter (BAGLJÄ) erfolgt die Altersfeststellung durch die Fachkräfte des zuständigen Kinder- und Jugendamts, in der Regel nach dem Vieraugenprinzip im Rahmen der Inaugenscheinnahme/ Erstbefragung nach äußeren Merkmalen der befragten Person unter Einbeziehung von möglichen Hinweisen, Widersprüchen, Umständen, die bei der Befragung offenbar wurden, im Hinblick auf eigene Altersangabe, Alter der Eltern/ Geschwister, Daten der Beschulung, Berufstätigkeit, Fluchtwege und -zeiten, Verhalten im Gespräch. Die Gesundheitsprüfung erfolgt durch das vor Ort auf Patrick Henry Village tätige Gesundheitsamt.
Im Jahr 2016 hat die Stadt Heidelberg bislang rund 6 Millionen Euro für die Unterbringung und Betreuung der UMA aufgewendet. Im Rhein-Neckar-Kreis waren es 13,5 Millionen Euro und in Mannheim rund 17 Millionen Euro. Diese Kosten werden durch das Land Baden-Württemberg wieder erstattet. Ausgenommen von der Kostenerstattung sind die Verwaltungs- und Personalkosten.
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden bei ihrer Ankunft umgehend dem zuständigen Jugendamt vorgestellt, auch wenn die Altersangaben angezweifelt werden und auch wenn sie verheiratet sind. In diesem Fall finden sogenannte Clearinggespräche mit Dolmetschern statt. Auch der Frage der Freiwilligkeit einer Eheschließung wird durch die Mitarbeiter der Jugendämter nachgegangen.
Nur vier minderjährige Verheiratete im Rhein-Neckar-Kreis
In der Zuständigkeit des Jugendamts Mannheim befinden sich jedoch aktuell keine verheirateten UMA und im Rhein-Neckar-Kreis waren es in den vergangenen 12 Monaten gerade einmal 4 verheiratete UMAs, darunter eine männliche Person. Alle waren über 16 Jahre alt. Auf die Frage, inwieweit Ehen von Minderjährigen akzeptiert würden, gab es seitens der Stadt Mannheim die folgende Antwort:
Grundsätzlich akzeptiert das Jugendamt Mannheim unter dem Alter der in Deutschland gültigen Altersschwelle der Ehemündigkeit, also 16 Jahre, keine Ehen von Minderjährigen. Das heißt, das Jugendamt wird gegebenenfalls die Minderjährigen in Obhut nehmen und eine Vormundschaft über das Familiengericht einrichten lassen.
So zeigt sich nach Angaben der hiesigen Jugendämter auf unsere Anfrage hin kein größeres Problem im Umgang mit Kinderehen unter den Flüchtlingen. Unter den geflüchteten Minderjährigen sind seelische Probleme, traumatische Probleme und Verletzungen aus Gewalthandlungen häufiger zu beobachten. Die Aussichten werden jedoch als gut eingeschätzt, wie uns seitens der Stadt Heidelberg mitgeteilt wurde:
In Einzelfällen haben die Jugendlichen durch ihre Lebens- und Fluchterfahrungen mit seelischen und/oder körperlichen Folgen zu kämpfen. Sie werden aber umfassend durch das Kinder- und Jugendamt betreut. In Heidelberg haben wir überwiegend sehr positive Erfahrungen mit den jungen Flüchtlingen gemacht, die sich zumeist dankbar für die angebotene Unterstützung zeigen, sich gut in das jeweilige Hilfesystem einfügen, sehr motiviert und engagiert im Hinblick auf Spracherwerb und Bildungsangebote sind und die Hilfen, die ihnen angeboten werden, als Chance für eine bessere Lebensperspektive begreifen.