Guten Tag!
08. Februar 2011. Gudrun und Hans-Werner Mnich haben neun Kinder. Sie sind Schiffer aus Mannheim und mussten wie über einhundert andere Transportschiffer bange Tage warten, bis sie endlich die Unglücksstelle der havarierten „Waldhof“ an der Loreley passieren konnten. Niemand ersetzt Ihnen den Umsatzausfall – das bringt die Schiffer in Schwierigkeiten, denn das Geschäft ist knapp kalkuliert. „Dafür haben wir uns aber alle lieb und das ist die Hauptsache“, sagt Frau Mnich.
Text: Hardy Prothmann, Fotos: local4u
Die Maultaschen sind lecker. Die klare, heiße Brühe im Teller tut gut. Draußen ist es diesig und kalt.
Gudrun Mnich stellt jedem, der ankommt, einen tiefen Teller hin. Zwei Maultaschen schwimmen in der klaren Brühe.
Sie macht das selbstverständlich. Sie fragt nicht. Alle löffeln die Suppe.
In der guten Stube wird es immer enger. Denn nach und nach treffen immer mehr Kinder ein.
„Wir haben große Schwierigkeiten“, sagt Frau Mnich. „Alle haben große Schwierigkeiten“, sagt sie. „Aber viele sind halt nicht so offen wie wir.“

Die Mnichs – zumindest acht der elfköpfigen Schifferfamilie aus Mannheim.
Die Mutter von neun Kindern räumt die Teller ab und stellt neue hin. Wer an Bord und dann in die gute Stube kommt, wird versorgt. Selbstverständlich. Zwischendurch knarzt der Nautische Betriebsfunk und gibt Meldungen durch. Und die Meldungen sind nicht gut.
Ortstermin auf der MS Salisso. Ein Frachtschiff. 67 Meter lang, 8,20 Meter breit. Es ist ein altes Schiff. Baujahr 1938. Aber es ist das Mnich-Schiff.
Wer vom Tisch aufsteht, nimmt seinen Teller mit, macht Platz für den nächsten. Der oder die bekommt wieder einen Teller. Man „klettert“ übereinander hinweg. Das ist einfacher, als wenn immer alle aufstehen würden. Das ist normal hier. Alltag. Auf dem Herd steht ein Topf, der gut 10 Liter fasst und vor sich hin dampft.
Jeder Tag kostet viel Geld.
André und Elly van der Hoeck, Freunde von Mnichs und ebenfalls Schiffer sind auch da. Und Regina Güntert, als Hafenmeisterin die Chefin des bedeutenden Mannheimer Hafens. Auch die van der Hoecks haben Probleme. Wie alle Schiffer, die festliegen, seit die gekenterte „Waldhof“ die Durchfahrt an der Loreley versperrt.
Die Probleme lassen sich errechnen: „Pro Tonne pro Tag können Sie 75 Cent kalkulieren, die wir verlieren“, sagt André van der Hoeck. Alle nicken. Das Schiff der Holländer, die Rubicon, liegt vor der Feudenheimer Schleuse. Mit Schrott beladen. 2.200 Tonnen fasst das Schiff. Das macht 1.650 Euro Verlust an jedem Tag, den sie festliegen.
Während Sie warten, herrscht draußen auf der Hafenstraße Hochbetrieb – Teile der Ladungen wurden gelöscht und werden jetzt über die Straße mit Lkw transportiert (siehe Fotostrecke unten).

Hans-Werner Mnich, Hafenmeisterin Regina Güntert, die holländischen Schiffer van der Hoeck diskutieren über die Lage.
Die Mnichs, die Hafengesellschaft Mannheim-Ludwigshafen, die evangelische Kirche hatten deshalb am 30. Januar einen Begegnungsnachmittag abgehalten. Über 100 Personen sind gekommen: „Das ist wichtig, dass wir zusammenhalten“, sagt Frau Mnich.
Drei Jahre ist die Rubicon alt: „Wenn ich 128 Jahre alt bin, ist sie abbezahlt“, sagt André und alle lachen, weil das natürlich absurd ist. Vier Millionen Euro hat das Schiff gekostet. 105 Meter lang, 11,4 Meter breit. 6 Meter hoch ist das Führerhaus, das man hydraulisch absenken kann. „Das ist ein perfektes Schiff“, sagt Hans-Werner Mnich (62) anerkennend: „Das kann überall in Europa fahren. Die Holländer bauen perfekte Schiffe.“
Um überall fahren zu können, darf ein Schiff nicht zu lang und nicht zu breit sein, und muss sich „ducken“ können, wegen der Brücken und Schleusen. Dabei spielen der Wasserstand und die Beladung eine Rolle. Viel Wasser hebt die Schiffe an, bei wenig Wasser kann man nicht so viel laden, wegen des Tiefgangs. Man muss viel rechnen: „Bist du zu hoch, reißt Dir was ab“, sagt Herr Mnich. Und er weiß, wovon er redet.

Resolute Frau: Gudrun Mnich nimmt kein Blatt vor den Mund
Die Mnichs verlieren 645 Euro pro Tag, denn ihr „kleines“ Schiff fast nur 860 Tonnen. Es ist nicht perfekt, aber sie lieben es. Neun Tage liegen Sie nun schon. Fast 6.000 Euro sind futsch. Und es ist unklar, wann es weitergeht: „Wir müssen immer rechnen, die Margen sind klein und das hier ist jetzt eine echte Katastrophe“, sagt Frau Mnich. Die Bank macht Probleme – der Kontenrahmen ist ausgeschöpft. Ihr „Gehalt“ als Angestellte ihres Mannes wurde nicht ausbezahlt.
Herzliche Atmosphäre an Bord.
Der Platz auf dem Schiff ist nicht nur wegen der vielen Kinder beengt. „Wohnzimmer“ und „Küche“ haben keine 20 Quadratmeter. Papiere stapeln sich. Unterhalb der Fenster gibt es viele Steifftiere und Topfpflanzen vor den Fenstern, die auf dem Schiff Luken heißen. Jeder Flecken Platz ist genutzt. Es ist urig gemütlich und herzlich. Es ist familiär.
Dafür sorgen die Mnichs selbst. Sie reden laut und gerne auch durcheinander. Aber sie lachen viel und sind sehr freundlich miteinander: „Anders geht das auch gar nicht, wenn es so eng ist“, sagt Frau Mnich, die gerne über ihre Kinder redet und jedem das Gefühl vermittelt, als sei es ein Einzelkind. Sie liebt sie alle. Was sonst.
Stephen (19) ist mit der Suppe fertig und geht raus. Deck schrubben, Maschine kontrollieren. Er geht in Mannheim aufs Moll-Gymnasium. Unter der Woche wohnt er wie die anderen, die noch zur Schule gehen, im Luisen-Stephanien-Heim in einer WG. Es ist eines von bundesweit vier Schifferkinderheimen. Die jüngste, Melissa, ist 13 Jahre alt, die älteste, Manuela, 31 Jahre alt. Die älteren Kinder sind schon alle „aus dem Haus“.
Patentierte Kinder.
Und alle können mit dem Schiff umgehen. Auch die Mädchen haben ein Patent – wer erwachsen ist, kann die MS Salisso fahren, kennt sich mit der „Maschine“ aus, kennt alle notwendigen Handgriffe an Bord.
Auf dem Deck hinter dem Fahrhaus gibt es viele Pflanzen. Fast wirkt das wie ein kleiner Vorgarten. Der Gartenzaun ist die Reling. Was fehlt ist ein Rasen und eine Hofeinfahrt. Aber es gibt Lara, die Retriever-Hündin. Und Lara bewacht den Garten, wedelt mit dem Schwanz und begrüßt jeden, der kommt. Mit tiefem Bellen und Knurren freut sie sich, wen sie geknuddelt wird.
Die MS Salisso liegt im „Päckchen“ ganz außen an der Adresse Werfthallenstraße 23 im Mannheimer Hafen. Eins von über 120 Schiffen, die nicht weiterfahren können, weil bei Koblenz an der „Loreley“ ein Schiff gekentert ist und die Wasserstraße blockiert.
Wenn die Kinder zum Essen kommen, müssen sie eine Leiter herunter steigen, über drei andere Schiffe laufen. Es ist rutschig. Es ist ruhig. Es ist ein wenig trostlos. Wohin man schaut liegen viele Schiffe, die eigentlich fahren sollten.
Die Salisso ist ein Exot – viel kleiner als die richtig großen Transportschiffe. Hans-Peter Mnich und seine Frau Gudrun wissen das. Sie haben sich auf den Transport von Futtermitteln spezialisiert. Das macht rund 90 Prozent ihrer Fracht aus.
„Es ist die Freiheit, die uns gefällt.“ Hans-Werner Mnich
Reich wird man im „Partikulier“-Gewerbe nicht. Warum macht man das? „Es ist die Freiheit, die uns gefällt“, sagt der 62-jährige Herr Mnich und strahlt. „Und die Reise. Man hat Zeit, sich die Landschaft anzuschauen.“ Bei einer Talfahrt – also mit dem Strom – erreichen die Schiffe 20 Stundenkilometer, bei einer Bergfahrt etwa acht. So ein Leben ist sehr entschleunigt.
Rund 1.000 Schiffer gibt es noch in Deutschland, in den Niederlanden sind es 2.800. Ein Generationenberuf. Auch Mnichs Vater war Schiffer, drei seiner Söhne haben schon Pläne für ein eigenes Schiff.
Wieder knarzt das Funkgerät. „Es dauert noch“, sagt Herr von der Hoeck ganz gelassen – aber die Blicke des holländischen Ehepaares verraten die Anspannung.
„So was hat’s noch nie gegeben“, sagt Frau Mnich, die nun 33 Jahre mit ihrem Mann auf der Salisso ist. Nicht ganz, zwei, drei Unfälle gab es schon in der Zeit, „aber die waren schnell behoben.“ „Die Schifffahrt ist günstig, sicher und umweltfreundlich – das ist unser Leitspruch“, sagt Herr Mnich. „Und jetzt das.“

Stephen Mnich im Maschinenraum der MS Salisso macht gerade Abitur, hat aber schon das Kapitänspatent.
Genau 1.035 Kilometer ist die „Rheinautobahn“ lang, von Konstanz 0 km bis Rotterdam. Von Bingen, bei Kilometer 528, bis Bad Salzig, bei Kilometer 566, fährt man durchs „Gebirge“ wie die Schiffer sagen. Das ist der anspruchsvollste Teil der Strecke. Und mittendrin, vor der Loreley bei bei Kilometer 553,5 ist die „Waldhof“ gekentert.
Blöde Geschichten gibt es auch.
Ein Lastwagen bewege pro PS rund 150 Kilo, ein Schiff vier Tonnen. Und bis auf die jetzige unglückliche Situation „gibt es nie einen Stau auf dem Wasser“. Was es aber gibt, sind Idioten, wie überall: „Kanalfahrten sind manchmal schlimm. Die pinkeln auf uns runter, Werfen Gegenstände, versuchen aus Jux und Dollerei auf das Schiff zu kommen“, sagt Frau Mnich und alle nicken. Man erlebt neben der Freiheit eben auch blöde Geschichten.
Manchmal auch an Bord. „Wenn so viele Menschen auf so kleinem Raum zusammenleben, braucht es viel Wärme, aber auch Respekt voreinander“, sagt Frau Mnich und ihre Augen umarmen den 14-jährigen Dominik, der zurück lächelt.
An einer Wand sind Briefe an die Mama angeklebt. Zeugnisse, dass mal was nicht gut gelaufen ist. Man versichert sich Liebe und Zuneigung: „Mama hat Euch lieb. Wir lieben Mama“, steht da drauf.
„An der Loreley ist es mir eiskalt den Buckel runter gelaufen.“
Das Kinderzimmer hat neun Betten. Drei mal Doppelbetten über die Breite des Zimmers und je eine ausziehbare Matratze: „Aber wir brauchen nur selten alle Betten und meist nur am Wochenende oder in den Ferien“, erzählt Frau Mnich. Auf der gegenüberliegenden Seite sind Schränke. Voll mit Büchern und Spielen und Bastelsachen. Die entschleunigte Zeit ist lang auf einem Schiff, „da braucht man was, um sich zu beschäftigen. Aber wir finden immer was“, sagt die 13-jährige Melissa, die gerade ein wenig Keyboard übt und auch Akkordeon spielen kann.
Am Wochenende soll es vielleicht weitergehen – die Mnichs und die van der Stoecks müssen warten, wie alle anderen auch. Bis der Anruf vom Nautischen Betriebsfunk kommt. Am 05. Februar ist es soweit. Die Mnichs machen los. Endlich. Vierzehn Tage haben sie gelegen: „Das ist schlimm für uns, aber wir können ja nichts machen.“ Sie kommen bis Mainz.
Am nächsten Tag passieren sie die Unfallstelle: „Da ist es mir eiskalt den Buckel runter gelaufen“, sagt Frau Mnich. „Ich hätte mir das nicht so vorgestellt, aber wie die 110 Meter Schiff da in der Fahrrinne liegen, das ist schon gewaltig.“
„Das ist zu groß“, sagt sie. Alle in der Familie denken das. „Und niemand ist auf solche Unfälle vorbereitet. Wenn die,“ und damit meint sie die Behörden, „das so zulassen, dann müssen sie sich auch auf Unfälle einrichten.“
Frau Mnich ist sauer. Die 11-köpfige Familie hat viel Geld verloren: „Und wir haben keine Lobby, außer, auf uns aufmerksam zu machen.“ Das ist der resoluten Frau gelungen.
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