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07. Februar 2011. In der Berichterstattung ist es zu Tunesien ruhiger geworden, seit in Kairo demonstriert wird. Wir haben die tunesische Bloggerin Lina Ben Mhenni (27) gefragt, wie wichtig das Internet für die „arabische“ Revolution war und ist, die in Tunesien ihren Anfang genommen hat. Lina Ben Mhenni arbeitet als Dozentin und Übersetzerin an der Universität Tunis und schreibt das Blog „A Tunesian Girl„, das nicht nur in der arabischen Welt große Aufmerksamkeit findet.
Interview: Hardy Prothmann
Frau Ben Mhenni: Deutsche Medien berichten, dass die Revolution in Tunesien über junge Menschen ausgelöst wurde, die übers Internet verbunden sind. Trifft das Ihrer Meinung nach zu?

Lina Ben Mhenni: Dozentin, Aktivistin, Bloggerin. Foto: privat
Lina Ben Mhenni: „Das Internet spielte eine führende Rolle in der tunesischen Revolution. Weil professionelle und kritische Medien fehlen, haben „Netz-Bürger“ diesen Job über das Internet gemacht. Aber daneben spielt das Internet noch eine andere Rolle: Wir haben darüber die Menschen mobilisiert und die Demonstrationen organisiert. Auch 2008 startete bereits eine soziale Bewegung in Gafsa und Rdeyef, die wurde aber über die Regierung abgeschaltet, weil wir damals das Internet noch nicht effektiv zu nutzen wussten.“
Wie viele Tunesier haben Internetzugang?
Ben Mhenni: „Nach den internationalen Statistiken 3,5 Millionen auf Basis von Dezember 2009.“
Kann man Dienste wie Google, Youtube, Facebook und Twitter nutzen?
Ben Mhenni: „Vor dem 13. Januar 2011 war es nicht möglich Youtube zu nutzen. Auch waren verschiedene Facebook- und Twitter-Accounts gesperrt. Einen Tag bevor der Ex-President Ben Ali das Land verlassen hat, wurde die Zensur auf alle Websites aufgehoben. Er scheint verstanden zu haben, dass die Bürgerrechtler im Netz eine wichtige Rolle spielen und wahrscheinlich sollte diese Geste uns zufriedenstellen. Aber es war zu spät – wir vertrauen ihm nicht mehr.“
Das Internet lässt sich nicht kontrollieren.
Sie sind eine arabische Bloggerin. Was sind Ihre Themen?
Ben Mhenni: „Ich blogge über Zensur, Menschen- und Frauenrechte, über Kultur, soziale Probleme. Seit dem 17. Dezemer 2010 habe ich Berichte über das Geschehen in verschiedenen Regionen Tunesiens geschrieben. Dazu stelle ich Fotos ins Netz sowie Videofilme.“
Wie viele Menschen lesen ihren Blog?
Ben Mhenni: „Ich kümmere mich nicht um die Zahlen. Die hängen immer vom Thema ab und ob ich in arabisch, französisch oder englisch blogge.“
Werden Sie nur in Tunesien gelesen?
Ben Mhenni: „Nein – auf der ganzen Welt.“
Hatten Sie Probleme mit Regierungsbehörden oder der Polizei wegen ihres Blogs?
Ben Mhenni: „Ja. Die Polizei hat mich über Jahre hinweg beobachtet. Sie sind auch in das Haus meiner Eltern eingebrochen und haben meine Computer gestohlen, die Kameras und auch den Schmuck meiner Mutter.“
Gibt es einen Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Bloggern in Tunesien?
Ben Mhenni: „Ich sehe keinen Unterschied.“
Die klassische Presse wird kontrolliert.

Lina Ben Mhenni bei einer Bloggerkonferenz in Kairo, Oktober 2010. Bild: Hardy Prothmann
Deutsche Medien haben berichtet, es gäbe nun Pressefreiheit in Tunesien. Was denken Sie?
Ben Mhenni: „Das glaube ich nicht. Es gibt ein paar Versuche. Tatsächlich habe ich aber den Eindruck, dass konterrevolutionäre Kräfte die Presse weiter manipulieren.“
Zur Zeit schaut die Welt auf Ägypten und die dortige Revolution. Werden die Ägypter durch die Tunesier unterstützt?
Ben Mhenni: „Natürlich. Die Ägypter haben uns unterstützt, als die Revolution begonnen hat und jetzt unterstützen wir sie.“
Gibt es spezielle Themen, die viel diskutiert werden?
Ben Mhenni: „Das hängt von den Personen und den Themen ab. Der Vorteil des Internets ist ja, das man über alles diskutieren kann.“
Wird das Internet die Demokratie in den arabischen Ländern voranbringen?
Ben Mhenni: „Ganz klar ja. Niemand kann das Internet kontrollieren, es ist die beste Form, um Ideen und Gedanken zu streuen und auszutauschen – die klassischen Medien sind zu stark kontrolliert.“
Anmerkung der Redaktion:
Hardy Prothmann hat Lina Ben Mhenni auf der Konferenz „Young Media Summit“ Anfang Oktober 2010 in Kairo kennengelernt, wo sechs deutsche Journalisten und Blogger mit zwölf arabischen Kollegen zusammengetroffen sind, um den interkulturellen Dialog zu fördern.
Eingeladen hatte die Deutsche Welle, finanziert wurde die Veranstaltung über das Auswärtige Amt. Seit dieser Zeit pflegt Hardy Prothmann die Kontakte zu den Kollegen aus verschiedenen arabischen Ländern, was vor durch email und Facebook einfach geworden ist.
Das Interview wurde auf Englisch über Facebook geführt.
Lina Ben Mehenni wird im April an einem von „die tagesszeitung“ und „Der Freitag“ veranstaltetem Kongress in Berlin teilnehmen.
Internet:
Taz und Freitag: Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt.
Young Media Summit 2010 in Kairo
Welt Online: „Wir haben das Gefühl, hereingelegt worden zu sein.“