Mannheim/Rhein-Neckar, 07. September 2017. (red/pro) Das Rheinneckarblog steht für transparenten Journalismus, der Sie im Leben abholt. Aktuell lesen Sie eine Story, die der Redaktionsleiter Hardy Prothmann am Mittwochnachmittag selbst erlebt hat. Er ist auch Akteur, “Anwohner”, Teil der Gesellschaft wie andere Bürger in Mannheim. Typischerweise berichten wir “aus der Distanz” über andere. In diesem Text lesen Sie eine autobiographische Sicht. Der Text ist länglich, Sie müssen sich Zeit nehmen, um ihn zu lesen und zu verstehen. Unsere RNB-Leserschaft schätzt das. Es gibt kein anderes Medium, das solche Transparenz bietet.
Anm. d. Red.: Sie lesen nur Text. Es gibt keine Bilder. Keine Zwischenüberschriften. Wir fordern Sie. Sie können aber auch auf andere Angebote mit fetten Textzeilen und Fotostrecken ausweichen. Ihre Entscheidung. Ab 15 Uhr wird der Text kostenpflichtig.
Von Hardy Prothmann
Unser Redaktionsräume liegen gegenüber einer großen evangelischen Kirche. Jeden Morgen können wir hier die Mama-Taxis beobachten, denn zur Kirche gehört ein Kindergarten, der im Souterrain untergebracht ist. Vor dem Eingang zur Kirche gibt es einen gewaltigen Kirchturm und einen beidseitigen Treppenaufgang zum Eingang der Kirche mit einer geräumigen Fläche davor.
Ich hätte nie gedacht, dass die Nachbarschaft zu einer Kirche so stressig sein kann. Ist sie aber.
Erstens läutet der Kirchturm sehr oft und oft viel zu laut. Zweitens gibt es noch zwei weitere Kirchen in unmittelbarer Nähe, eine katholische und eine orthodoxe. Die katholische läutet auch laut, die orthodoxe hat kein Geläut, dafür einen sehr großen Einzugsbereich. Regelmäßig sind die Straßen um unsere Redaktion vollständig mit teils an die Hundert Fahrzeugen chaosmäßig zugeparkt, obwohl ein beidseitiges Parkverbot auf der lange Straße zwischen Kirche und unseren Räumlichkeiten gilt. Strafzettel gibt es nie, denn am Wochenende hat der kommunale Ordnungsdienst frei. Doch darum geht es in dieser Geschichte nicht.
Es geht um “die Jugend”, exemplarisch an dem Vorfall von Mittwochnachmittag und darüber hinaus exemplarisch um eine Entwicklung, die häufig Thema ist: Respekt.
Es ist etwa 17 Uhr. Ich arbeite konzentriert in der Redaktion. Die Fenster sind noch auf, weil die Temperaturen das zulassen. Immer wieder höre ich eine laute Stimme. “Fuck”, “Scheiß”, “Leck mich”, “Fotze”, höre ich heraus.
Nichts Außergewöhnliches also, denn der Raum vor der Kirche ist groß und irgendwie magisch anziehend für viele Kinder und Jugendliche und junge Erwachsene. Daran musste ich mich in der Zeit seit Ende 2012, seit wir diese Räume nutzen, gewöhnen.
Immer wieder kommen Kinder, die die Treppen rauf- und runterrennen. Oder rutschen, denn neben den Geländern gibt es eine Rinne, die man als Rutsche nutzen kann. Geht in Ordnung. Es sind Kinder.
Vollständig faszinierend fand ich mal eine Gruppe von “Skatern”. Allesamt Jungs zwischen 12 und 18 Jahren. Die kamen mit ihren Boards und BMX-Rädern und haben auf den Treppen und den Geländern echte Stunts hingelegt, die teils atemberaubend waren. Natürlich war auch das laut. Aber ehrlich? Respekt – um diese Geschicklichkeit hinzubekommen, muss man echt oft auf die Fresse fliegen und wieder aufstehen. Dafür braucht es Ausdauer, Mut, Training, Geschick. Respekt!
Für ein paar Wochen kam mal ein junger Erwachsener. Hübscher Junge, so 17-19 Jahre alt. Der trainierte Karate auf dem Deck vor dem Eingang der Kirche. Irgendwann brachte er andere mit und machte ein Video. Das war nicht laut, die Teilnehmer besprachen sich ruhig und konzentrierten sich auf die Choreografie. Aufstellung, langsamer “Schlagabtausch”. Dann Action, Kampfszene.
Irgendwann brachte er eine Faustfeuerwaffe mit. Wieder gab es “Actionszenen”. Die waren jäh zu Ende, als zwei Streifenwagen auftauchten und die Beamten ihre Pistolen zogen. Es gab ein Gespräch, die “Waffe” wurde beschlagnahmt, Personalien festgestellt, seitdem habe ich Karate-Kid nicht mehr gesehen.
Immer wieder sind die Treppen der Kirche einladend, um auch spät am Abend noch was zu trinken oder einen Joint zu rauchen. Manche flüstern miteinander, manche meinen, sie müssten die Umgebung beschallen. In der ersten Pokemon-Welle war die Kirche auch dabei – ständig fuhren Wagen vor oder kamen Leute zu Fuß oder mit dem Fahrrad und checkten irgendwas auch immer.
Zur Geschichte von heute, die wie Sie feststellen, nur eine von sehr vielen ist. Der Junge war laut und abfällig in seine Äußerungen. Aggressiv. Ich kenne ihn vom Sehen über die vergangenen Jahre. Langsam wird er groß. Seit einiger Zeit hat er einen auffälligen Haarschnitt, erster Bartflaum ist erkennbar und er hat seit ein paar Wochen eine Freundin.
Manchmal ist er mit der alleine unterwegs, manchmal auch mit anderen Jugendlichen und auch Kindern. Wenn er alleine mit der Freundin ist, ist er meistens nur bemüht, besonders stelzig zu laufen. Wenn andere dabei sind, wird der Schritt noch breiter, der Rücken noch gereckter und irgendwie stehen ihm die Arme ab. Dabei ist er eher ein schmal und schlank gewachsener Kerl, der nicht an Oberarmmuskelüberdruss leidet.
Ich gehe ans Fenster der Redaktionsküche und schaue auf den erhöhten Platz vor der Kirche. Dort sitzt der Junge, an den Eingang der Kirche gelehnt, vor ihm ein kleines Mädchen, an seiner Seite jemand anderes, den ich nicht sehen kann.
Er sieht mich. Schaut weg. Dann greift er dem Mädchen, das vor ihm sitzt, an den Hals und stößt sie nach hinten. Sie kullert auf den Rücken. Nicht wirklich brutal, aber die Geste, der Griff an den Hals, der Impuls ist aus meiner Sicht absolut grenzwertig.
Wieder schaut er kurz zu mir. Er hat mich bemerkt und spuckt über die Schulter in meiner Richtung aus. Unmittelbar neben dem Eingang der Kirche. Er redet mit der Person, die ich nicht sehe.
Plötzlich steht er auf und schreit:
Was glotzt Du so blöde, Du Penner, hä?
Es ist etwa 18 Uhr. Er ist von der einen auf die andere Sekunde vollständig aggressiv. In der Stimme. In seiner Haltung. Fixierend, nach vorne gebeugt, die Arme abgespreizt und angespannt. Ok, das ist lächerlich ob seiner Statur, aber er macht den “Hulk”.
Ich reagiere sofort, schnappe den Schlüssel, ziehe die Schuhe an und bin auf dem Weg nach draußen. Denn mir ist klar, dass er eine Entscheidung will und bekommen muss. Gelingt ihm das Manöver vor seiner Freundin, wird er denken, dass er gewonnen hat, der Platz ihm gehört und er sich so verhalten kann, weil es keine Konsequenzen gibt. Ich habe keinen Bock auf so einen Typen, der immer grenzwertiger werden wird, wenn man ihm keine Grenzen zeigt. Lebenserfahrung.
Mittlerweile ist die andere Person aufgestanden, die ich nicht gesehen habe. Es ist die Freundin. Etwa im selben Alter. Das kleine Mädchen ist weggerannt. Ich verlasse das Haus, gehe über die Straße, die Stufen hoch und auf den Jungen zu:
Das reicht jetzt Freundchen. Du bist zu frech und Du das weißt Du und damit ist jetzt Schluss,
sage ich und gehe weiter auf ihn zu.
Und weiter?,
sagt er. Er baut sich vor mir auf. Ich laufe ungebremst auf ihn zu. Er erkennt, dass ich nicht vorhabe anzuhalten, dreht sich weg und bekommt von mir mit beiden Händen einen Schupser an die Schulter. Er stolpert ein paar Schritte. Ich weiter hinter ihm her. Der nächste Schupser:
Für wen hältst Du Dich eigentlich? Das reicht jetzt. Ab mit Dir,
sage ich und eigentlich denke ich, dass die Sache vorbei ist.
Doch weit gefehlt.
Er läuft die Treppe herunter. Dicke Hose ist nicht mehr. Ich sehe, was in ihm vorgeht. Seine Freundin beobachtet die Szene. Sagt nichts. Aber offensichtlich erwartet sie etwas von ihm. Ihre Blicke zeigen:
Du bist doch der Mann. Tu was.
Eigentlich hatte ich erwartet, dass der Junge sich trollt. Das wäre ein normales Verhalten. Über die Strenge geschlagen, provoziert, aber letztlich doch erkannt, wann Ende ist.
Er bleibt mitten auf der Kreuzung stehen, rafft sich zusammen und brüllt:
Was willst Du Depp, Du kannst mir gar nichts. Ich bin erst 13,
kreischt er. Das Mädchen guckt und beobachtet.
Stellen Sie sich die Szene vor. Was würden Sie machen?
Ich laufe wieder auf ihn zu:
Ich kann Dir gar nichts? Erst 13? Interessant. Irgendwann bist Du 14 und dann geht das volle Programm für Dich los, nix mehr mit dicke Hose, sondern jede Menge Konsequenzen, von denen Du noch keine Ahnung hast. Du bist der Depp, weil Du genau gar nichts weißt und hier auf dicke Hose machst. Willste Deiner Freundin imponieren? Dann mal los,
sage ich und schupse ich noch zwei Mal an der Schulter im Rückenbereich, weil er sich so abwendet, als würde er Schläge erwarten. Mittlerweile bin ich echt sauer. Wer mich kennt, weiß, wie ich wirke, wenn ich sauer bin. Der Junge ist unbeeindruckt.
Ab hier wird es lustig und auch nicht. Ich denke, er hat seine Lektion gelernt und gehe zurück zum Haus. Er kreischt:
Sie bleiben jetzt stehen, ich rufe meine Mutter an.
Uff. Ich drehe mich wieder um, denn diese Wendung ist überraschend. Dieser ganze Kerl mit dicker Hose, der mich mehrfach beleidigt hat, der im öffentlichen Raum denkt, sich “ausleben” zu können, ruft seine Mutter an.
Mami, Mami, bitte komm schnell. Mama, Mama, ich brauche Dich. Sag mal, Du Held, merkst Du eigentlich, wie lächerlich Du bist,
frage ich den Jungen. Seine Freundin guckt mehr als irritiert. Irgendwie ist ihr Held sonst selbstbewusster, ein ganzer Mann. Das mit Mami versteht sie – die würde sie auch anrufen, aber irgendwie hat sie Zweifel. Das sieht man.
Wieder gehe ich auf ihn zu, schupse ihn erneut und meine: “Auf zu Mama.”
Es hält ein Auto an, zwei Frauen steigen aus und stellen sich dazwischen:
Bitte, machen Sich sich nicht unglücklich. Wir haben das gerade beobachtet. Sie sind im Recht, aber Sie werden verantwortlich gemacht, nicht der da. Denn genau das wollen solche Typen doch und wenn der wirklich erst 13 Jahre alt ist, dann haben Sie die schlechteren Karten,
sagt die eine Frau zu mir. Ihre Mitfahrerin meint:
Wissen Sie, ich bin Straßenbahnfahrerin. Ich weiß genau, was in Ihnen vorgeht. Das erlebe ich fast jeden Tag teils mehrfach. Das kann man nur aushalten, wenn man dagegen geht, hat man schlechte Karten.
Ich bedanke mich bei den Frauen, erkläre die Situation und auch, wer ich bin. Die Fahrerin sagt:
Rheinneckarblog, ja das lese ich oft. Aber nur das, was nichts kostet.
“Na super”, denke ich und weise darauf hin, dass unsere Arbeit anstrengend ist und sie das am nächsten Tag auch nachlesen kann. Was ihr das “wert” ist, müsse sie natürlich selbst wissen.
Dann taucht die Mutter auf, mit Lebensgefährten und anderen. Warum ich ihren Sohn geschubst hätte. Ich erzähle ihr den Ablauf. Sie meint:
Deswegen müssen Sie meinen Sohn doch nicht schupsen, darüber kann man doch reden.
Ich antworte:
Sie erfahren eine Ruhestörung, werden mehrmals massiv beleidigt und reagieren dann mit darüber reden? Den Erfolg können wir ja direkt am Verhalten Ihres Sohnes nachvollziehen.
Daraufhin erklärt der Lebenspartner:
Sie wissen doch gar nicht, wie der noch vor einigen Monaten war. Ich habe da Sachen erlebt, das glauben Sie nicht. Ich sage jetzt nicht was, aber der hat sich positiv entwickelt.
Wow. Der Mann meint das ernst. Was darauf antworten ohne dessen Bemühungen und Hoffnungen zu erschüttern, denke ich. Der Junge ist aggressiv, beleidigt mich mehrmals ohne Grund – und ich bekomme erklärt, dass das eine positive Entwicklung sei. Durchatmen.
Dieser Junge ist frech und hat mich mehrfach beleidigt, weil ich mit seinem Fehlverhalten nicht einverstanden bin, was jeder vernünftige Mensch nachvollziehen kann,
sage ich, weil ich kein Interesse am Privatleben dieser Familie habe, sondern es um den öffentlichen Raum und das despektierliche Verhalten eines Jugendlichen geht. Und weiter:
Ich sage Ihnen voraus, dass, wenn Sie sich nicht sehr anstrengen, Ihr Junge eine Karriere machen wird, die eindeutig endet.
Dann ist plötzlich Ruhe. Offensichtlich habe ich einen Nerv getroffen. Der Blick in die Gesichter belegt das. Ich sehe die Augen der Mutter, die das nicht will. Die Augen des Freundes, der das auch nicht will. Und die Augen des Jungen, der noch nicht weiß, was die Mutter und der Freund nicht wollen, wie er sich entwickelt, aber große Sorge haben. Alle Augen sehen hilflos aus.
Sie kenne ich doch,
sagt eine andere Frau, die mitgekommen ist. Aus dem Aldi, meint sie. Ich erinnere mich. Der Vorfall ist schon mehrere Monate her. Ich war dort einkaufen und beobachtete einen Jungen, etwa zwölf Jahre alt, der an den Kühltruhen vorbeiging und dabei jede Lade aufzog. Ich ging hinter ihm her, schloss die Laden und als ich identifizieren konnte, zu wem er gehört, sagte ich zu der Frau:
Passen Sie bitte mal auf Ihren Jungen auf, der hat gerade alle Kühlboxen geöffnet, das ist kein Spaß.
Die Antwort kam prompt und giftig:
Wer sind Sie überhaupt? Meinen Sie, ich könnte meinen Jungen nicht erziehen? Haben Sie nichts anderes zu tun, als andere Leute zu kontrollieren?
Der beistehende Lebensgefährte machte auch auf dicke Hose, ebenfalls wieder in der aktuellen Szene anwesend.
Damals sagte ich:
Entschuldigen Sie, ich habe genau nichts zu Ihrer Erziehung gesagt, sondern lediglich darauf hingewiesen, dass Ihr Sohn die Kühlboxen aufgezogen hat, in der Hoffnung, dass Sie ihm vermitteln, dass das nicht in Ordnung ist.
Die Frau kreischte:
Für wen halten Sie sich eigentlich? Ich kann mein Kind selber erziehen und brauche Sie nicht dafür.
Im Aldi sagte die Kassiererin nach der Szene zu mir:
Danke, dass Sie sich einmischen, das lohnt sich aber nicht. Wir schmeißen lieber was weg. Sie glauben gar nicht, was wir so alles erleben müssen. Der Kunde, auch die, hat immer Recht.
Was meinen Sie? Hat der Kunde immer Recht? Muss man sich alles gefallen lassen und im Zweifel lieber was “wegschmeißen”?
Ich meine nicht. Ich bin dafür, dass man sich präsent zeigt, sich einmischt und Grenzen aufzeigt. Ich bin dafür, in die Konfrontation zu gehen, wenn Grenzen ausgereizt und überschritten werden. Und zwar auch persönlich. Man muss nicht immer die Polizei rufen und andere verantwortlich machen, sondern kann selbst die Initiative ergreifen.
Diese Mutter meinte auf die Kehlenszene bezogen:
Meine Tochter hat das als Spaß empfunden.
Ich antwortete darauf:
Es interessiert mich nicht, was Ihre Tochter möglicherweise als “Spaß” einordnet. Und noch weniger, was Ihre Tochter sonst so als Spaß erleben muss. Abgesehen davon, denken Sie tatsächlich, dass Sie auf die Einschätzung einer Achtjährigen vertrauen sollten, die es sich mit “Freunden” nicht verscherzen will?
Das empörte die Frau sehr:
Das wird ja wohl unverschämt gerade.
Kann sein. Tatsache ist, dass diese Mutter einen Kehlengriff an den Hals ihrer achtjährigen Tochter als “Spaß” akzeptiert hat. Sorry, wer Menschen in meinem Umfeld an den Hals geht, muss mit ernsten Konsequenzen meinerseits rechnen.
Andererseits zeigen diese Erlebnisse – es geht nicht nur um den Fall von Mittwochnachmittag -, dass viel durcheinander geht.
Wenn ein 13-Jähriger denkt, er könne einem 50-Jährigen klar machen, dass dieser “ihm gar nichts könne”, zeigt das, dass der 13-Jährige ein Hohlkopf ist, der aber zumindest über seine Strafunmündigkeit informiert ist und dies bewusst einsetzt. Dieser “Strafunmündige” weiß also genau, glaubt also genau zu wissen, dass er keine Grenzen fürchten muss. Seine Strafunmündigkeit versteht er also als “Recht”, sich über Gesetz und Ordnung stellen zu können. Über Respekt und Anstand sowieso.
Wenn Eltern nicht ansatzweise bereit sind oder schon viel eher gar kein Bewusstsein haben, sich für das Fehlverhalten ihres Nachwuchses zu entschuldigen und Konsequenzen zu ziehen und andere Eltern mit verhaltensauffälligen Kindern meinen, mir ADHS unterstellen zu müssen und ein “mickriges Selbstbewusstsein”, wie die Mutter des Jungen aus dem Aldi, dann wird es echt streng.
Die Mutter des Jungen mit der dicken Hose wirkte auf mich deutsch. Die Mutter des Jungen aus dem Aldi soll eine Türkin sein, wie eine Nachbarin meinte, die diese als “vollständig dumm” und “arbeitsscheu” bezeichnete, die sei mal kurzfristig eine “Kollegin” gewesen und lebe von Hartz IV. Die Lebensgefährten der Frauen waren eindeutig deutsch.
Unsere Redaktion befindet sich in einem Stadtteil im Mannheimer Norden. Wir erleben Gesellschaft nicht abseits in einem edlen Glasfassadengebäude oder bei Borschardts in Berlin, sondern mittendrin.
Wir berichten über die Ruhestörungen und Zumutungen in der Neckarstadt und anderswo, die härter sind, als in unserer Umgebung.
Es gibt Leute, die meinen, unser Nachrichtenangebot sei konservativ und rechts. Wenn das Aufzeigen von Missständen, von nicht nur mangelndem Respekt, sondern massiver Respektlosigkeit, von Aggression und Fehlverhalten “rechts” sein sollte, dann sind wir sehr streng rechts. Denn wir möchten uns nicht vorstellen, wie solche Verhaltensweisen sich bunt entwicklen.
Und nein, damit sind wir genau nicht AfD oder sonst eine Partei. Wir berichten, wir zeigen Entwicklungen auf, die auch Polizeipräsidenten umtreiben, die Sorge haben, was in zehn Jahren los sein wird, wenn die Kinder auf der Straße sind, die aktuell noch klein sind, aber “Potenzial” haben.
Was heute anders ist? Vor 20 Jahren hätte ich dem Jungen möglicherweise sehr schnell sehr eindeutig deutlich machen können, dass sein Verhalten nicht in Ordnung ist. Heutzutage klärt mich der Junge voller Inbrunst auf, dass ich ihm gar nichts kann. Natürlich könnte ich ihm was. Doch er weiß, dass er zwar Täter ist, aber als Opfer rauskommen würde. Ich könnte ihm was, aber ich kann es nicht, weil ich das auch gar nicht will. Ich will Ruhe, mehr nicht.
Wenn er es drauf anlegt, kann er mich und andere “terrorisieren”, bis er 14 Jahre alt ist. Danach werden Behörden darauf achten, dass ihm keine Chancen verbaut werden. Da er keiner Überwachung unterliegt, wird er immer wieder anderen, auch kleinen Mädchen an die Kehle fassen können und Eindruck erzielen. Bei anderen Jungs, die lernen, dass das ja nur Mädchen sind, denen man an die Kehle fassen kann, die man erniedrigen kann und insgesamt, dass man als “ich bin 13 und du kannst mir gar nichts du depp” seine jugendliche Entwicklung voll “ausleben” kann.
Waren die Zeiten früher besser? Ich glaube nicht. Dazu erzähle ich Ihnen eine Episode aus meiner Jugend.
Ich bin in Frankenthal zur Schule gegangen. In der vierten Klasse hatten wir einen neuen Mitschüler bekommen, der zwei Jahre älter war als wir. Zwei Jahre in diesem Alter bedeuten ein absolute körperliche Überlegenheit.
Eines Tages fiel dieser Mitschüler, der mehrfach sitzen geblieben war, über “Frankie” her. Der war dünn, hatte aber ne große Klappe. Ich war bis zu dem Mitschüler der stärkste Junge. Der fiel über Frankie her, würgte ihn und kloppte dessen Kopf immer wieder auf den Tisch. Ich war in Panik, wollte helfen, fühlte mich aber machtlos.
In diesem Moment betrat Pfarrer Bruder, unser Religionslehrer den Raum, machte einen Schritt, riß den Mitschüler von Frankie runter und verpasste dem Mitschüler zwei schallende Ohrfeigen und als der meinte, “ich zeige Dich Arschloch an”, noch eine. Der Mitschüler blutete.
Wir waren alle vollständig verängstigt. Es gab Konferenzen und ernste Gespräche. Herr Bruder blieb weiterhin unser Religionslehrer – heutzutage wäre er gefeuert worden.
Der Mann hat mich sehr geprägt – durch diese Szene, aber vor allem durch den Religionsunterricht und die sonntäglichen Gottesdienste und Kindergottesdienste, an denen ich durchgehend freiwillig teilgenommen habe. Meine Eltern mussten mich nicht schicken, ich bin da voller Freude selbständig hingegangen. Das war für mich Erfüllung. Pfarrer Bruder hat mir als Kind die Welt geöffnet, den Blick geschärft und alle Grundlagen meiner Urteilsfähigkeit mitbestimmt.
Pfarrer Bruder hatte als junger Mann im 2. Weltkrieg gekämpft, wurde durch Granatsplitter verletzt, ein Bein blieb steif und fand durch diese Erlebnisse zu seiner Profession. Er hat uns oft davon erzählt. Von der Unwürde der Gewalt, vom entsetzlichen Tod ohne Sinn, von der Liebe und dem Glauben an das Gute, für das man aber einstehen muss, weil es niemals von alleine kommt.
Möglicherweise empfindet der Pfarrer der gegenüberliegenden Kirche das jetzt als Affront. Ich habe aber in den vergangenen Jahren noch niemals erlebt, dass dieser Pfarrer sich mal am Abend oder in der Nacht eingefunden hätte, um mit Jugendlichen das Gespräch zu suchen – oder auch um Verständnis bei den Anwohnern zu bitten. Das hat dieser Pfarrer nicht auf dem Schirm. Er hat aber immer eine besondere Frisörfrisur, fährt schicke Autos, hat hippe Klamotten an und ist tätowiert. Vermutlich fühlt er sich als “moderner” und “hipper” Pfarrer.
Ich bedaure sehr, dass ich den Jungen, der zunehmend auffällig wird, schupsen musste. Denn ich möchte grundsätzlich niemanden schupsen müssen. Musste ich das? Ich meine ja, weil meine reine “Beobachtung” dessen Fehlverhaltens zu einer aggressiven Beleidigung, also einer Eskalation führte.
Selbst meine Präsenz hat diesen Jungen nicht beeindruckt. Auch die ersten zwei Schupser nicht. Darauf reagierte er noch aggressiver und empfand sind noch mehr “im Recht”.
Ein 13-Jähriger, der im Brustton der Überzeugung zu einem 50-Jährigen meint: “Du Depp kannst mir gar nichts.”
Wie entwickelt sich so ein Junge weiter? Wie reagiert er in drei Jahren? In zehn Jahren?
Lassen Sie den Text wirken, denken Sie nach und bilden Sie sich Ihre Meinung. Wenn Sie Fragen stellen möchten, gerne an redaktion (at) rheinneckarblog.de
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