Rhein-Neckar/Heidelberg/Karlsruhe, 05. November 2018. (red/pro) Die AfD darf nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe weiterhin behaupten, dass die Rhein-Neckar-Zeitung die “Antifaschistische Initiative Heidelberg unterstütze”. Die Tageszeitung sah sich dadurch geschmäht und als “objektives Medium” beeinträchtigt und forderte gerichtlich eine strafbewehrte Unterlassung. Das Oberlandesgericht Karlsruhe folgte dieser Auffassung in einem sehr abgewogenen Urteil überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil betonte das Gericht, dass sich die Zeitung diese Meinung auch wegen tatsächlicher Umstände gefallen lassen muss.
Von Hardy Prothmann
23 Seiten umfasst die schriftliche Urteilsbegründung des Oberlandesgerichts Karlsruhe in der Causa “RNZ vs. AfD Heidelberg”.
Die sehr komplexe Begründung, warum die Rhein-Neckar-Zeitung mit einem Antrag auf Unterlassung von Meinungsäußerungen sowohl vor dem Landgericht Heidelberg wie vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe vollumfänglich gescheitert ist, ist umfassend begründet.
Worum ging es? Der AfD-Stadtrat Matthias Niebel hatte im März auf sozialen Netzwerken behauptet, die seiner Meinung nach “gewaltbereite und verfassungsfeindliche” “Antifaschistische Initiative Heidelberg” werde von Akteuren aus dem “bürgerlichen Lager” unterstützt, darunter die RNZ, aber auch Stadträte aus dem linken Parteienspektrum.
Die RNZ sah darin eine schmähende Herabsetzung ihres “unternehmerischen Persönlichkeitsrechts” als unabhängige und “objektive” Tageszeitung und klagte gegen den Stadtrat und des Kreisverband Heidelberg auf Unterlassung solcher Aussagen, „die RNZ GmbH unterstütze die Antifaschistische Initiative Heidelberg“. Stadtrat Niebel hatte diese Meinungen über Twitter, Facebook und Youtube verbreitet.
Vor dem Landgericht Heidelberg scheiterte die RNZ bereits im Mai (09.05.2018, Az. 1 O 42/18) und dann vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe im Oktober (24.10.2018, Az. 6 U 65/18). Das Landgericht erkannte in den Äußerungen des Stadtrats eine wertende Meinungsäußerung, die dem Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit gemäß Art. 5 GG unterliege. Gegen diese Entscheidung hatte die RNZ GmbH Berufung eingelegt und ausgeführt, bei der Aussage, die RNZ unterstütze die Antifaschistische Initiative Heidelberg (AIHD) handele es sich um eine Tatsachenbehauptung, die objektiv falsch und diffamierend sei. Dazu führt das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) aus:
Der unter anderem für Pressesachen zuständige 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe hat die Entscheidung des Landgerichts Heidelberg mit Urteil vom 24.10.2018 bestätigt. Bei der angegriffenen Aussage handelt es sich nicht um eine Tatsachenbehauptung sondern um ein – pauschales – Werturteil und damit um eine Meinungsäußerung. Meinungsäußerungen sind weitgehend durch das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 GG) geschützt, während unwahre Tatsachenbehauptungen unzulässig sind. Eine konkret greifbare Tatsache, was mit der behaupteten „Unterstützung“ gemeint sein soll, lässt sich der Äußerung nach Auffassung des Senats nicht entnehmen. Die Aussage wurde zudem im Zusammenhang mit weiteren, klar wertenden Aussagen getroffen, so dass die Äußerung insgesamt als pauschales Werturteil, also eine Meinungsäußerung, zu beurteilen ist. Daher war auch nicht darüber zu entscheiden, ob die Äußerung wahr oder unwahr ist.
Unabhängig davon stelle das OLG aber fest, dass es durchaus Belege für diese Meinung gäbe und diese also mindestens in Teilen sogar als wahr anzuerkennen sei. Denn die Zeitung hatte sich “kritisch” mit der AfD auseinandergesetzt, aber wenig bis gar nicht kritisch mit der AIHD. Zudem wurden Aktionen der Antifa-Leute gegen AfD-Veranstaltungen redaktionell angekündigt. Das OLG weiter:
Bei der bei Meinungsäußerungen vorzunehmenden Abwägung des unternehmerischen Persönlichkeitsrechts der RNZ GmbH gegen das Interesse der Beklagten an der freien Rede überwiegt das Interesse der Beklagten. Ein Ausnahmefall, in dem auch eine Meinungsäußerung unzulässig ist, liegt nicht vor. So ist die Grenze zur sog. „Schmähkritik“ – also einer Äußerung, bei der die Diffamierung der Person nahezu alleiniger Inhalt ist – nicht überschritten. Auch in ihrer Pauschalität ist der Unterstützungsvorwurf nicht vorrangig auf eine Diffamierung der RNZ GmbH gerichtet. Für den Erhalt der wichtigen Funktion der Presse im demokratischen Staat als „Wachhund der Öffentlichkeit“ ist es im Übrigen unabdingbar, dass auch Missstände bei der Presse Gegenstand der öffentlichen Diskussion sein können. Ob die geäußerte Kritik berechtigt ist, ist für den Schutz der Meinungsäußerung nicht entscheidend. Bei der Abwägung hat der Senat auch berücksichtigt, dass die Beklagten im Rechtsstreit eine konkrete Berichterstattung – nämlich den Hinweis in der RNZ auf eine (Gegen-)Veranstaltung der AIHD bei gleichzeitigem Hinweis auf die anstehende Veranstaltung der AfD – als Grund für ihre umstrittene Äußerung nennen. Für die Zulässigkeit des vorliegenden Werturteils ist der Tatsachenkern – die RNZ berichtet über eine Veranstaltung der AIHD – hinreichend.
Was heißt das im Kern? Die Meinungsfreiheit bietet nicht nur “der Presse”, also Medienunternehmen, die Möglichkeit, wertende Urteile zu verbreiten, sondern auch Parteien, anderen Interessengruppen oder einzelnen Personen. Eine Meinung kann auch dumm und substanzlos sein – sie bleibt geschützt. Egal, wer sie äußert. Pauschale Urteile dazu gibt es nicht – man muss beim Persönlichkeitsrecht immer den “Einzelfall” abwägen.
Die RNZ hatte zu diesem Rechtsstreit nach den dem RNB vorliegenden Informationen nicht berichtet. Warum, lässt sich nur spekulieren. Möglicherweise war die RNZ überzeugt davon, dass sie die Klage gewinnt und hat nicht damit gerechnet, höchstrichterlich zu scheitern. Anfragen des RNB an den Chefredakteur Dr. Klaus Welzel wurden nicht beantwortet.
Besonders interessant ist das Urteil, weil es klar herausstellt, dass sich Medien, die über erhebliche Möglichkeiten der Meinungsbildung verfügen, umso mehr gefallen lassen müssen, kritisch, sogar polemisch angegangen zu werden in Sachen des “Meinungskampfes”. Und Personen oder Vereinigungen, die besonders “kritisch” angegangen werden, haben ein Recht auf “Gegenschlag”.
Aus dem Urteil:
Denn die Presse nimmt im demokratischen Rechtsstaat als “Wachhund der Öffentlichkeit” eine wichtige Funktion wahr, indem sie die Bevölkerung informiert und gegebenenfalls auf öffentliche Missstände hinweist, womit sie eine bedeutende Rolle im Rahmen der öffentlichen Meinungsbildung übernimmt. Diese Funktion kann sie jedoch nur dann sachgerecht wahrnehmen, wenn die handelnden Journalisten sachlich unabhängig berichten. Für den Erhalt dieser Wächterfunktion ist es danach unabdingbar, dass etwaige Missstände bei den “Wächtern” Gegenstand der Berichterstattung und der öffentlichen Diskussion sein können.
Übersetzt: Auch Medien müssen sich kritische “Berichterstattung” gefallen lassen – auch von Nicht-Medien. Weiter führt das OLG aus:
Ferner berücksichtigt der Senat, dass es für die öffentliche Meinungsbildung von besonderer Bedeutung ist, dass gerade Vertreter politischer Parteien von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse möglichst ungehindert Gebrauch machen können. (…) Die freie Äußerung und Verbreitung von Gedanken eines bestimmten Inhalts im Rahmen einer öffentlichen politischen Auseinandersetzung betrifft die Meinungsfreiheit in ihrer Kernbedeutung als Voraussetzung eines freien und offen politischen Prozesses.
Zum Ende des Urteil stellt die 6. Kammer des OLG unter Vorsitz des Richters Voß (Prof. Dr. Singer, Lehmeyer) fest:
Es würde dem Grundgedanken und der Funktion der Meinungsfreiheit in der verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes widersprechen, wenn öffentliche auch scharfe Kritik in der Presse undifferenziert davon abhängig gemacht würde, dass sie jeweils durch Tatsachen belegt und für den Durchschnittsleser überprüfbar gemacht werden müsste. Denn das Grundrecht der Meinungsfreiheit will nicht nur der Ermittlung der Wahrheit dienen; es will auch gewährleisten, dass jeder frei sagen kann, was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt oder angeben kann.
Das Urteil liest sich wie ein Lehrstück, was Meinungsfreiheit angeht. Die RNZ muss nachsitzen, wie Sie im Kommentar nachlesen können.
Hinweis: Sie können diesen Artikel kostenfrei lesen, was uns um Einnahmen bringt. Wir erhalten keine Zwangsgebühren, aber unser Journalismus kostet Geld. Sie können dazu Ihren Beitrag leisten. So fördern Sie unsere Arbeit und erhalten Zugriff auf unsere gebührenpflichtigen Artikel:
Sie können Steady hier abschließen. (Sie werden dort Kunde, Steady behält eine Gebühr ein und zahlt den Rest an uns aus. Sie haben Zugang zu den kostenpflichtigen Artikeln. )
Sie können hier einen Rheinneckarblog-Plus-Pass kaufen. (Sie werden bei uns Kunde und bei Steady freigeschaltet, sofern Sie mindestens 60 Euro zahlen und haben Zugang zu den kostenpflichtigen Artikeln.)
Sie zahlen per Paypal. (Sie werden bei uns Kunde und bei bei Steady freigeschaltet, sofern Sie mindestens 60 Euro zahlen und haben Zugang zu den kostenpflichtigen Artikeln.)
Sie überweisen direkt aufs Konto. (Sie werden bei uns Kunde und bei bei Steady freigeschaltet, sofern Sie mindestens 60 Euro zahlen und haben Zugang zu den kostenpflichtigen Artikeln.)
Hypovereinsbank
Kontoinhaber: Hardy Prothmann
BIC (BLZ): HYVEDEMM489
IBAN (Kto.): DE25670201900601447835