Rhein-Neckar, 05. Januar 2016. (red/pro) Heidelberger Polizisten sollen durch übertriebene Polizeigewalt einen farbigen Mann schwer an der Schulter verletzt haben – berichtet die Rhein-Neckar-Zeitung. Die einzige Quelle dafür sind die Aussagen des angeblichen Opfers. Die Botschaft des Berichts ist unterschwellig, aber eindeutig skandalisierend: Nur weil der Mann dunkelhäutig ist, wurde er verdächtigt und durch massive Gewalt geschädigt. Der eigentliche Skandal ist die tendenziöse Berichterstattung. Das gilt auch für einen weiteren Bericht zu einem Vorfall in der Silvesternacht.
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Von Hardy Prothmann
Es gibt eine Grundsatzregel im Journalismus, die lautet: Um Informationen gegenzuchecken braucht es mindestens zwei unabhängige Quellen. Grau ist alle Theorie und im echten Leben lässt sich diese Regel oft nicht durchsetzen, weil Quellen häufig nicht unabhängig sind und es oft nur eine Quelle gibt.
Im vorliegenden Fall berichtet die Rhein-Neckar-Zeitung unter der Überschrift: „Polizeikontrolle endet für Schwarzen mit einer Schulterverletzung“. Bereits die Überschrift suggeriert, dass ein rassistischer Hintergrund vorliegt. Im „Bericht“ wird deutlich, dass der „Schwarze“ selbst den Verdacht des Rassismus aufgebracht hat. Als Polizeibeamte ihn und eine weitere Person zum Verlassen der Straßenbahn auffordern, um eine Personenkontrolle durchzuführen, wird er zitiert:
Warum nur wir beide? Ist es wegen unserer Hautfarbe?
Die Polizisten hätten geschrien, ihn gepackt, seine Arme „hinter dem Rücken verdreht“. Dabei sei seine Schulter verletzt worden. Den ganzen Artikel können Sie hier lesen.
Wesentliche Fragen nicht gestellt
Wesentliche Fragen wurden nicht gestellt – zumindest finden sie sich nicht in dem Artikel. Eine Polizeikontrolle ist keine Diskussionsrunde. Wieso hat der Mann der Polizei sofort implizit Rassismus unterstellt? Wieso ist der Mann der Aufforderung der Beamten nicht umgehend nachgekommen, die Bahn zu verlassen? Woher weiß der Mann, dass es 15 Minuten gedauert hat, bis ein weiterer Streifenwagen gekommen ist? Auf die Uhr schauen konnte er mit Sicherheit nicht, denn die Hände waren hinter dem Rücken gefesselt.
Wie hat sich die andere Person verhalten? Offenbar hatte der Reporter Kontakt zu dieser, wie aus dem Artikel am Ende hervorgeht – eine Schilderung dessen Beobachtung fehlt aber. Ausweislich der Angaben des Mannes habe dieser dem zweiten Mann, „der neu in Deutschland ist“, Deutschbücher übergeben:
Ich hatte noch Deutschbücher, mit denen er vielleicht was anfangen kann.
Am Ende des Artikel heißt es:
Wie dieser aussehen könnte, erklärte einer der Polizisten während des Vorfalls Tigeres Bekanntem. Offenbar hielten die Beamten die beiden für Drogendealer, nachdem ein Kirchheimer die Polizei alarmiert hatte, da er „zwei schwarze Jungs“ gesehen habe, die ein Paket aus dem Busch genommen hätten und in die Bahn gesprungen seien.
In welcher Sprache erfolgte diese „Erklärung“? Der Mann, „der neu in Deutschland ist“, spricht doch offenbar kein Deutsch. Ist das vorstellbar, dass ein deutscher Polizeibeamter auf Englisch genau diese Angaben erklärt?
We took you for drug dealers after a citizen of Kirchheim alerted us because he thought he had observed „two black boys“ take a package from behind a bush and jump onto a tram.
Einer erhält Auskunft – der andere nicht?
Ein Polizeibeamter erklärt also auf Englisch genau die Zusammenhänge für die Kontrolle der einen Person, während die andere, die Deutsch spricht keinerlei Auskünfte erhält? Ist das glaubwürdig? Ist das nachvollziehbar? Darüber kann sich jeder selbst seine Meinung bilden.
Der Mann mit der verletzten Schulter erstattet Anzeige gegen die kontrollierenden Beamten. Im Artikel gibt es genau keine Information, was der Vorgang ausgelöst hat. Bei Anzeigen gegen Polizeibeamte übernimmt die Abteilung „Amtsdelikte“ der K1 der Kriminalpolizei in Heidelberg.
Wir wissen auf Basis unserer gesicherten Recherchen, dass diese Abteilung dafür da ist, „den Laden sauber zu halten“. Das wissen auch Polizeibeamte. Dienstliches Fehlverhalten kann enorme Auswirkungen haben – bis zum Rauswurf aus der Polizei und Beendigung des Beamtenverhältnisses.
Rassismus-Vorwurf – härtet geht es kaum
Der Aufriss, den die Rhein-Neckar-Zeitung hier veranstaltet hat, ist enorm. Ein härterer Vorwurf als Rassismus durch Polizeibeamte mit Schädigung einer Person ist kaum vorstellbar – basieren auf einer einzelnen Aussage.
Dementsprechend verhält sich auch die Pressestelle der Polizei – sie gibt zu laufenden Ermittlungen keine Auskünfte, denn die Sache ist äußerst sensibel und hochpolitisch. Beide Seiten – der angeblich geschädigte Tigere wie auch die Polizei suchen deshalb dringend Zeugen des Vorfalls – eben „unabhängige Quellen“.
Der Vorfall hat sich am 27. Dezember 2016 ereignet – also „zwischen den Jahren“. Bis die Beamten, der angeblich Geschädigte und weitere Zeugen vernommen sind, wird es dauern. Mindestens einige Wochen, womöglich länger. Andererseits wird die polizeiliche Ermittlung wegen des krassen Rassismus-Vorwurfs sehr bemüht sein, den Vorgang möglichst schnell – aber zutreffend – aufzuklären.
Sexuelle Belästigung in einer Bar
Sehr viel einfacher wird sich vermutlich ein anderer Fall aufklären lassen, den ebenfalls die Rhein-Neckar-Zeitung berichtet. In der Silvesternacht soll es in der Heidelberger Bar Boho eine sexuelle Belästigung gegeben haben: „Was geschah an Silvester im Heidelberger Nachtleben?„, heißt hier die reißerische Überschrift am 04. Januar in der Zeitung.
Auf den Bericht der Zeitung antworten die Bar-Betreiber mit einem öffentlichen Post auf Facebook – danach bleibt von der Berichterstattung der Zeitung nicht mehr viel übrig. Den Beitrag lesen Sie hier.
Interessant ist hier insbesondere der Vorwurf, die Polizei habe nicht über den Vorfall informiert – erst auf Nachfrage der Zeitung seien „die Informationen“ bestätigt worden. Um was geht es? Eine Silvesterparty, viel Alkohol, eine 17-Jährige und einen 24-jährigen irakischen Flüchtling. Der soll das Mädchen bedrängt haben. Der Grundton des Berichts – die Polizei habe etwas verschweigen wollen und erst die Recherchen der Zeitung hätten den Fall ans Licht der Öffentlichkeit gebracht.
Liest man die Stellungnahme der Bar-Betreiber, wird deutlich, dass die Zeitung vor allem viel Nonsens berichtet. Obacht: Das eine ist ein journalistischer Bericht, dass andere eine öffentliche Stellungnahme der Betreiber. Beides sind zunächst nur unterschiedliche „Versionen“ – was stimmt und was nicht, können wir nicht mit Sicherheit sagen.
Nachvollziehbare Stellungnahme der Bar-Betreiber
Tatsächlich liest sich die Stellungnahme der Bar-Betreiber aber sehr vernünftig und nachvollziehbar – und enthält Details, die mehr als interessant sind. Beispielsweise, dass sich die 17-Jährige mit dem Ausweis der erwachsenen Schwester ausgewiesen hat – sie wäre sonst nicht in die Bar gekommen. Ebenfalls interessant: Die Zeitung berichtet von „Videobändern“ der Überwachungskameras, „bisher wurde aber noch kein Bildmaterial gefunden“. In der Version der Betreiber liest sich das anders: Demnach hat man noch in der Nacht der durch die Barbetreiber und nicht durch die angeblich Geschädigte alarmierten Polizei die „Videoaufnahmen“ (Bänder gibt es schon lange nicht mehr) gezeigt und diese der Polizei für die Ermittlungen angeboten.
Der implizite Vorwurf, die Polizei wolle irgendetwas „verschleiern“ oder „verheimlichen“ kommt auch hier wieder klar zum Vorschein. Tatsache ist: Der Vorfall ist so banal, dass die Polizei vermutlich keine Meldung gemacht hätte. Eine Analogie zu Übergriffen in der Silvesternacht ist kompletter Blödsinn. Erstens handelt es sich nicht um Gruppen von Männern, zweitens geschah der mutmaßliche Vorfall nicht im öffentlichen Raum und drittens hatten das vermeintliche Opfer und der mutmaßliche Täter wohl mindestens einige Zeit zusammen gefeiert.
Interessant: Die Bar-Betreiber wägen in ihrer Darstellung ab, ob die Zeitung durch ihren Bericht nicht „Vorurteile“ schürt – mal abgesehen von wirtschaftlichen Schäden für die Gastronomie. Wir haben versucht, die Bar-Betreiber zu erreichen. Bislang ohne Erfolg – deshalb stützen wir uns nur auf die Stellungnahme auf Facebook (siehe Link).
Falsche Eindrücke
Auch hier erzeugt die Zeitung wieder einen vollständig falschen Eindruck – die Polizei ist wie andere Behörden überhaupt nicht verpflichtet, irgendetwas zur eigenen Alltagsarbeit zu veröffentlichen. Behörden sind grundsätzlich zur Auskunft gegenüber Medien verpflichtet – aber es gibt keine Publikationspflicht.
Das Polizeipräsidium Mannheim hat täglich weit über 1.000 Vorgänge – in der Spitze bis zu 3.000. Ob Ruhestörung oder Verkehrsunfall, ob Raub oder Einbruch in Mannheim, Heidelberg und dem Rhein-Neckar-Kreis. 2016 wurden nach unseren Informationen weit über 7.300 Pressemitteilungen veröffentlicht – das sind im Schnitt 20 pro Tag. Wurden also täglich 980 oder mehr Vorgänge „verheimlicht“?
Ganz sicher nicht. Sie wurden nur nicht öffentlich gemacht, weil die Pressestelle von einem fehlenden öffentlichen Interesse ausgeht. Und zwar zu Recht. Die Pressesprecher „sieben“ täglich die vielen belanglosen Meldungen und konzentrieren sich auf wesentliche Vorgänge und das, was sie schaffen können. Kapitalverbrechen werden so gut wie immer berichtet – aber auch hier kann was durchrutschen, wenn die Pressestelle wegen Urlaub oder Krankheit oder abhängig von der Tagesform vielleicht etwas übersieht.
Auskunftspflicht ja – Publizitätspflicht nein
Tatsache ist, dass auch wie immer mal wieder Vorgänge anfragen, zu denen es keine Berichte gibt. Dann erhalten wir immer Auskunft, denn dazu ist die Polizei als Behörde verpflichtet – außer, es gibt Gründe, eine Auskunft vorerst zu verweigern, beispielsweise wegen laufender Ermittlungen. Irgendwann sind die aber abgeschlossen und dann muss die Polizei Auskunft geben oder die Staatsanwaltschaft. Ob diese Auskünfte immer zufriedenstellend sind, steht auf einem anderen Blatt.
Die Behörden haben bei der Auskunft nicht nur das öffentliche Interesse zu beachten, sondern auch Persönlichkeitsrechte – konkrete Angaben zu Namen, Wohnadresse oder andere Daten werden nie übermittelt. Bei aller Ermittlungsarbeit gilt insbesondere bei Straftaten zudem immer die Unschuldsvermutung – ein herausragendes Rechtsgut.
Journalistische Redaktionen müssen zudem selbst entscheiden, welche Informationen öffentlich relevant sind und welche nicht. Wir beim Rheinneckarblog wissen oft viel mehr Details als wir berichten. Damit „verschweigen“ wir nichts, sondern wir entscheiden nach rechtlichen und berufsethischen Gesichtspunkten, was öffentlich relevant ist und was nicht. Hat beispielsweise eine „öffentliche“ Person ein Liebesverhältnis, ist das Privatsache und hat die Öffentlichkeit nicht zu interessieren. Außer, dieses Liebesverhältnis hat konkrete Auswirkungen auf das Handeln der Person – beispielsweise, weil Pflichten verletzt werden. Wer mit wem befreundet ist oder Umgang pflegt, ist ebenfalls so lange uninteressant, bis nicht klar Hinweise vorliegen, dass dies Auswirkungen für die Öffentlichkeit hat.
Geschürter Generalverdacht beschädigt die öffentliche Ordnung
Der von manchen Medien ständig geschürte Generalverdacht gegenüber der Polizei ist geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, indem staatliches Handeln ständig als unzuverlässig und gar betrügerisch stigmatisiert wird. Damit leisten diese Medien keinen Dienst für die Öffentlichkeit, sondern beschädigen – ob vorsätzlich oder nur aus Dummheit – die öffentliche Ordnung.
Umgekehrt ist die Kontrolle von Behörden durch Medien wichtig für die Öffentlichkeit, um Missbrauch vorzubeugen oder diesen offen zu legen, wenn er eintritt. Journalismus hat hier eine sehr wesentliche und wichtige Aufgabe – Fehlentwicklungen müssen klar benannt werden. Auch als Skandal – wenn es denn so ist. Es ist aber nicht Aufgabe von Journalismus, „Kleinigkeiten“ zum Skandal hochzujazzen.
Wer unsere Berichte verfolgt, weiß, dass wir Behörden sehr genau „auf die Finger schauen“ – Beispiel Terroranschlag in Berlin. Wir haben hier als eines der ersten Medien bundesweit massive Fehler der Sicherheitsbehörden klar benannt, was sich durch später öffentlich belegbare Informationen bestätigt hat.
Rassismus-Vorwurf? Wir bleiben für Sie dran
Wir behalten diese beiden Vorgänge wie andere auch im Auge und berichten zu gegebener Zeit darüber – wenn valide Informationen vorliegen. Die Boho-Sache halten wir für erledigt – sollte es zu einer sexuellen Belästigung gekommen sein, ist das ein Fall, der geklärt wird. Das vermeintliche Opfer und der mutmaßliche Täter sind den Behörden bekannt. Es gibt viele Zeugen und Videoaufzeichnungen. Welche „erzieherischen Maßnahmen“ die Eltern der 17-Jährigen ergreifen, ist deren Privatsache. Ob sich das Jugendamt einschaltet, ist auch nicht öffentlich relevant.
Der „Rassismus“-Vorwurf hingegen ist hochpolitisch. Es kann sein, dass die Beamten sich falsch verhalten haben. Es kann sein, dass sie rassistisch motiviert waren. Es kann aber auch sein, dass sie korrekt unmittelbaren Zwang ausgeübt haben und die Verletzung infolge des Widerstands gegen Polizeibeamte entstanden ist. Es kann auch sein, dass der Anzeigenerstatter wegen Vortäuschung einer Straftat Probleme bekommen wird.
Wir halten Sie dazu zu gegebener Zeit auf dem Laufenden.