Rhein-Neckar/Lambrecht/Frankenthal, 06. Januar 2017. (red/pro) Seit Mitte September ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ehemalige Pfleger eines Altenheims im pfälzischen Lambrecht. Drei Personen befinden sich in Untersuchungshaft – zunächst ermittelten die Behörden wegen Misshandlung pflegebedürftiger Bewohner. Im Rahmen der intensiven Ermittlungen ergab sich der Mordverdacht an einer 85-jährigen Frau. Die Polizei muss nun ermitteln, ob die Tatverdächtigen möglicherweise weitere Bewohner ermordet haben. Die Aussichten auf Erfolg sind gering.
Von Hardy Prothmann
Der Leitende Oberstaatsanwalt Hubert Ströber ist nach seiner jahrzehntelangen Erfahrung mit Verbrechen aller Art nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen – aber dieser Mordfall ist anders. Drei Pflegekräften, einer 26-jährige Frau und zwei 23 und 47 Jahren alten Männern, wird vorgeworfen, eine 85-jährige Frau in einem Seniorenheim der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Lambrecht ermordet zu haben. Die Frau und der 23-Jährige wurden am 22. Dezember festgenommen, der 47-Jährige am 31. Dezember 2016. Zunächst sind die Tatverdächtigen also aus dem Verkehr gezogen – doch wird man ihnen den Mord nachweisen können?
Zunächst soll der alten Frau Ende 2015 eine Überdosis Insulin verabreicht worden sein – doch sie starb noch nicht. In der Nacht vom 29. auf den 30. Dezember 2015 soll der 23-Jährige die Frau dann um vier Uhr morgens mit einem Kissen erstickt haben.
Wie aus einer natürlichen Todesursache plötzlich ein Mordverdacht wurde
Niemand bemerkte zunächst den Mord. Die Frau war sehr krank und bettlägerig. 85 Jahre alt. Der Arzt stellte einen natürlichen Tod fest. Alt und krank wie die Frau war, war ihr Tod nicht verdächtig.
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Am 12. September 2016 informierte Oberstaatsanwalt Ströber die Öffentlichkeit, dass gegen eine Pflegerin und einen Pfleger wegen des Verdachts der Misshandlung von pflegebedürftigen Bewohnern eines Altenheims ermittelt werde. Die Kriminalpolizei Neustadt richtete eine Ermittlungsgruppe ein. Alte Menschen sollen durch die Pfleger geschlagen und anders gequält worden sein.
Die umfangreichen und intensiven Ermittlungen brachten die Polizei dann auf eine neue Spur: Es war wohl nicht allein bei Misshandlungen geblieben, die Hinweise auf einen Mord an der 85-jährigen Heimbewohnerin in Lambrecht verdichteten sich. Wie genau die Polizei diesen Tatverdacht erhärten konnte, teilt Oberstaatsanwalt Ströber nicht mit. Da die Tatverdächtigen zunächst schwiegen, wird die Polizei wohl durch die Auswertung von Unterlagen fündig geworden sein.
Mittlerweile belastet der 23-Jährige durch Aussagen sich und die beiden mutmaßlichen Mittäter. Völlig unklar ist das Motiv – auf Nachfrage erklärt Oberstaatsanwalt Ströber, dass es bislang weder Hinweise auf Habgier, also eine wie auch immer geartete Bereicherung gebe noch ein „ideologisches“ Motiv, dass die Tatverdächtigen also die Frau „erlösen“ wollten.
Insulin ist eine fast perfekte Mordwaffe
Mit dem Mordverdacht gehen die Ermittlungen nun auf Hochtouren weiter: Gibt es weitere Opfer? Die Behörden prüfen nun akribisch, ob weitere Menschen scheinbar eines natürlichen Todes gestorben sind, während die drei Pfleger im Dienst waren.
Doch wie ermittelt man das? Muss man möglicherweise Tote exhumieren? Und wenn ja – wie soll die Gerichtsmedizin beispielsweise einen Tod durch Ersticken nachweisen, wenn die Leichen schon stark oder ganz verwest sind? Bei Toten, die eingeäschert wurden, ist gar kein Nachweis mehr möglich.
Insulin als Mordwaffe wurde erstmals 1957 nachgewiesen. Der englische Krankenpfleger Kenneth Barlow war durch akribische Tests von Pathologen an Mäusen und Ratten überführt worden, seine Frau mit Insulinspritzen getötet zu haben. Sie verlor in der Badewanne das Bewusstsein und ertrank. Damals entdeckten die Ermittler Einstiche am Gesäß der Frau, schnitten Gewebe heraus und führten damit Versuchsreihen durch.
Der Verdacht reicht nicht – es braucht Beweise
Seither gab es immer wieder Pfleger, die schutzbefohlene Menschen durch Insulinspritzen ermordet haben. Spektakulär war 2010 ein Fall in Spanien, wo ein Pfleger in einem Zeitraum von zwei Jahren elf Menschen durch Insulinspritzen ermordet hatte. Bei acht Todesfällen ging man zunächst von einer natürlichen Todesursache aus.
Ende 2013 ermittelten Polizei und Staatsanwaltschaft im Freiburger St.Anna-Stift der Caritas. Ein 75-Jähriger war an einer Überdosis Insulin gestorben, eine 83-Jährige überlebte die Insulingabe. Beide waren nicht zuckerkrank. Über 200 Spuren wurden durch eine 30-köpfige Sonderkommission ausgewertet, 60 Zeugen vernommen. Doch ein Jahr später stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein – es ließ sich mangels Beweisen kein Tatverdacht gegen insgesamt sieben Tatverdächtige erhärten.
Es wird also eine enorm schwierige Aufgabe für die Ermittler und die Pathologen. Aber eine, die äußerst wichtig ist – vor allem für Angehörige, deren Mütter und Väter in diesem Altenheim gestorben sind. Starben sie eines natürlichen Todes oder wurden sie Opfer von Mördern?
Die Beweislage beim mutmaßlichen Mord von Lambrecht scheint „besser“ zu sein – und durch die Aussagen eines der Beschuldigten kommt man bei den Ermittlungen möglicherweise entscheidend voran, um den Mordverdacht beweissicher zu machen.
Wird genug zum Schutz der Pflegebedürftigen getan?
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz fordert seit langem, dass eine amtsärztliche Leichenschau bei Todesfällen in Pflegeeinrichtungen Pflicht sein müsste – häufig stellt der herbeigerufene Notarzt den Tod fest und bei alten Menschen wird dann meist eine natürliche Todesursache „festgestellt“. Ein fataler Fehler wie der aktuelle Mordfall von Lambrecht zeigt.
Es kann jeden pflegebedürftigen Menschen treffen – sie sind Mördern in Pflegekitteln schutzlos ausgeliefert. Wie viele Menschen noch sterben müssen, bevor man Schutzmaßnahmen verstärkt, ist eine andere Frage, die wir nicht beantworten können.
Das ist auch nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaft Frankenthal – die ermittelt einen oder mehrere Mordfälle. Hier sind der Gesetzgeber und die Betreiber von Pflegeeinrichtungen gefragt: Tut man wirklich alles, um die alten Menschen zu schützen? Oder sieht man keinen Handlungsbedarf, weil Mordopfer ja „absehbar sterben“?
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