Rhein-Neckar/Weinheim/Schriesheim, 04. März 2016. (red/ms/pro) Der CDU-Landtagsabgeordnete Georg Wacker konnte bislang immer das Direktmandat im (schwarzen) Wahlkreis Weinheim gewinnen – geht es nach aktuellen Prognosen, ist diese Überlegenheit in Gefahr. Im Interview mit dem Rheinneckarblog zeigt sich der CDU-Landtagsabgeordnete „wacker“ – er ordnet ehrlich ein, macht seine Positionen klar und wirbt um Inhalte, nicht um „Slogans“. Die Lektüre lohnt sich für Leser, die mehr verstehen wollen als einen „Knaller“ oder „Aufreger“.
Interview: Minh Schredle
Herr Wacker, wie erleben sie gerade die Stimmung auf CDU-Veranstaltungen?
Georg Wacker: Man darf da nicht nur von den Wahlveranstaltungen selbst und den Gesprächen dort ausgehen. Bei den Wahlveranstaltungen laden wir ja gezielt ein und überwiegend kommen natürlich CDU-Sympathisanten. Das Stimmungsbild ist also nicht unbedingt repräsentativ. Ich bin mit dem Ablauf der bisherigen Veranstaltungen in den meisten Fällen sehr zufrieden, sowohl was den Zuspruch als auch was die Referenten betrifft. Ich finde, dass Guido Wolf seine Haltung auch klar vermitteln konnte. Dass ich bei den Veranstaltungen immer eine Diskussion anschließe, ist natürlich auch zielführend, weil ich ja mit den Bürgern ins Gespräch kommen möchte und keinen Monolog halten will. Weil viele Menschen hinterher aber nur die Presseberichterstattung mitbekommen, und die in der Regel relativ kurz zusammenfasst, muss man auf diesen Veranstaltungen auch ein Stück weit plakativ seine Forderungen und Thesen rüberbringen, um die Dinge auf den Punkt zu bringen. Dann führe ich noch sehr viele Gespräche mit den Bürgerinnen und Bürgern auf der Straße. Da sieht es natürlich anders aus, weil man da auch unterschiedliche Strömungen mitbekommt.
Die Menschen bewegt das Flüchtlingsthema
Sie sagen „auf der Straße“: Laufen Sie durch die Orte und nehmen spontan das Gespräch auf oder wie hat man sich das vorzustellen?
Wacker: Gerade jetzt im Wahlkampf werde ich sehr häufig tatsächlich auf der Straße angesprochen. Bekannte kommen auf mich zu und sagen „Mensch, jetzt sehe ich dich gerade! Ich wollte dir mal sagen…“. Oder auch Bürger, die ich nicht so gut kenne, die mich aber kennen. Je näher die Wahl rückt, desto mehr nimmt das zu. Dazu kommen die Infostände, wo ich natürlich auch gezielte Gespräche führe. Da variiert das Stimmungsbild durchaus. Machen wir uns nichts vor: Es ist ein schwieriger Wahlkampf. Nach wie vor gibt es hohe Sympathie-Werte für Angela Merkel – auf der anderen Seite gibt es aber durchaus sehr viele Enttäuschte, die meinen die Bundeskanzlerin sei an allem Schuld, was in der Politik nicht gut läuft. Da ist dann im Gespräch sehr viel Aufklärungsarbeit notwendig. Die Menschen bewegt vor allem das Flüchtlingsthema, was ja weniger ein landespolitisches Thema ist, aber die Bürger denken nicht in Schubladen oder politischen Zuständigkeiten, sondern sie sprechen das aus, was sie bewegt.
Auch Herr Kretschmann hat hohe Sympathie-Werte…
Wacker: Ja. Da bemühe ich mich in den Gesprächen klar zu machen: Wer Kretschmann wählen will, muss die Grünen wählen wollen. Man wählt ja in erster Linie eigentlich eine Partei und einen Kandidaten und keinen Ministerpräsidenten. Winfried Kretschmann ist durchaus eine sympathische Person – ich kenne ihn seit vielen Jahren. Aber es geht doch eigentlich um die politischen Inhalte der Parteien, und da ist aus meiner Sicht klar: Grüne Politik ist anders, als Kretschmann es auf dem ersten Eindruck vermittelt. Bei Gesprächen braucht man da immer etwas mehr Zeit, aber es gelingt mir oft, die politischen Unterschiede zwischen CDU und Grünen deutlich zu machen.
Diese Landtagswahl entscheidet mehr als die Flüchtlingspolitik – es geht ums Land
Wenn man jetzt nochmal auf Kretschmann und die Unterschiede zur CDU zu sprechen kommt und darauf, dass das wahldominierende Thema die Asylfrage ist: Wie vermitteln Sie den Menschen, dass andere Fragen mindestens genauso bedeutend sind und noch viel deutlicher von der Landespolitik gestaltet werden?
Wacker: Das gelingt nur, indem man erläutert, dass diese Landtagswahl über die gesamte Landespolitik entscheidet. Sie entscheidet über den Kandidaten einer Partei, ist also gleichzeitig Parteienwahl und Persönlichkeitswahl, weil die Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg ja nur eine Stimme haben. Ich sage den Menschen, dass es um innere Sicherheit, um Bildungspolitik, um Verkehrspolitik und um Energiepolitik geht – und dass das die Themen sind, auf die der Landtag einen direkten Einfluss hat. Das zu erklären ist unsere Aufgabe. Darin liegt auch die Chance der CDU: Die landespolitischen Themen wieder aufs Spielfeld zu bringen und so das politische Profil zu erläutern.
In der Bildungspolitik sind die Unterschiede zwischen CDU und Grünen fundamental
Im Interview mit dem Rheinneckarblog hat Ihr Spitzenkandidat Guido Wolf eine mögliche Zusammenarbeit mit den Grünen in der Regierung nicht ausgeschlossen. Insbesondere in der Bildungspolitik oder auch in der Energiepolitik sind die Unterschiede aber massiv. Sie sind der Bildungsexperte der CDU: könnten Sie sich vorstellen, dass man mit den Grünen in bildungspolitischen Fragen auf einen gemeinsamen Nenner kommt?
Wacker: Ja, gerade in der Bildungspolitik sind die Unterschiede fundamental, da haben Sie Recht. Trotzdem sehe ich das wie Guido Wolf: Als Demokrat schließe ich eine Koalition mit einer anderen demokratischen Partei niemals aus. Im Landtag wird es deutliche Verschiebungen geben und eine völlig neue Zusammensetzung als bisher, das zeichnet sich ab. Aber auch wenn am Ende keine Partei ihre Wunschkoalition bilden kann, müssen wir das Votum der Wähler als höchstem Souverän akzeptieren. Deshalb müssen die demokratischen Parteien – und da schließe ich die AfD glasklar aus – auch Verantwortung tragen und in der einen oder anderen Zusammensetzung für fünf Jahre eine funktionsfähige Regierung bilden.
Also ist schwarz-grün vorstellbar?
Wacker: Vor diesem Hintergrund kann ich auch eine Koalition mit den Grünen nicht ausschließen, obwohl meine Präferenzen andere sind: Die größte politische Nähe zur CDU hat nach wie vor die FDP. Aber momentan spricht sehr vieles dafür, dass CDU und FDP gemeinsam keine Mehrheit haben. Deshalb bräuchte man unter Umständen einen dritten oder einen ganz anderen Koalitionspartner. Und dann geht es darum auszuloten, wer das wird. Noch in der vorletzten Legislaturperiode habe ich das anders eingeschätzt, aber ich sehe im Moment eher mehr Gemeinsamkeiten mit der SPD als mit den Grünen. Ich gehe allerdings davon aus, dass Guido Wolf nach der Wahl mit allen drei möglichen Koalitionspartnern sprechen wird, um zu klären, wo die größten Gemeinsamkeiten liegen.
Keine Gespräche mit der AfD
Und mit der Afd…
Wacker: … wird es keine Gespräche zur Regierungsbildung geben. Punkt. Ich kritisiere dabei ausdrücklich die Partei und ihr Programm, nicht die Wählerinnen und Wähler. Ich nehme in Gesprächen wahr, dass die meisten Wähler, die zur AfD tendieren, keine Rechtspopulisten sind – sie haben einfach Sorgen, vor allem in Bezug auf die zu uns kommenden Flüchtlinge. Man muss versuchen, sie mitzunehmen und sie davon zu überzeugen, eben nicht AfD zu wählen. Das versuche ich in Gesprächen klar zu machen: Wer AfD wählt, der begünstigt im Zweifel die Grünen oder eine größere Koalition gegen die CDU, weil diese Stimme der CDU verloren geht.
Wenn man jetzt mal vom Thema Asyl und AfD absieht, haben Sie bei der AfD sonst im Programm irgendwas gefunden, was fundiert ist?
Wacker: Ich habe nicht jeden Satz des AfD-Programms gelesen – aber ich bekomme ja einiges mit, und ich muss sagen, dass diese Partei durch sehr viele Allgemeinplätze versucht, im bürgerlichen Feld zu grasen. Forderungen wie die Abkehr vom individuellen Asylrecht sind für mich nicht akzeptabel. Ich denke, zu den Grundsätzen, die sich auch aus der Entstehungsgeschichte Deutschlands erklären, gehört auch das Asylrecht. Auch manche Äußerungen von Spitzenpolitkern der AfD sind für mich inakzeptabel. Sie gehen mit plakativen Aussagen in den Wahlkampf und versuchen die Menschen mit populistischen Aussagen an sich zu binden. Diese Partei ist einfach kein ernstzunehmender Gesprächspartner und das muss man den Menschen erklären.
Die Mannheimer Erklärung ist unser Konzept
In der Diskussion wird auch ein bisschen die Schnittstelle von Flüchtlingen und Bildung übersehen, dabei müssen massive Anstrengungen unternommen werden, um die Menschen effektiv in die Gesellschaft integrieren zu können. Bis jetzt hört man recht wenig von Konzepten, wie das bewältigt werden kann. Was ist der Ansatz der CDU zur Förderung dieser Menschen, damit sie langfristig selbst produktiv werden können und nicht für weitere soziale Folgekosten sorgen?
Wacker: Ich verweise da gerne auf die Mannheimer Erklärung, über die Sie ja schon berichtet haben. Da haben die bildungspolitischen Sprecher aller Unions-Landtagsfraktionen im Dezember in Mannheim klar beschrieben, was man tun kann, um die Asylberechtigten bestmöglich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Und ja, ich finde es schade, dass das Thema aktuell zu kurz kommt. Die Diskussion um die Zuzugsbegrenzung ist wichtig – weil wir immer wieder – rein kapazitätsmäßig – an Grenzen stoßen, und es sinnvoll wäre, den Menschen bereits frühzeitig Signale zu senden, wer hier eine Bleibeperspektive hat und wer nicht. Aber diese Diskussion überlagert alles andere und ist nur eine Seite der Medaille. Für mich steht unsere humanitäre Verpflichtung, gegenüber den Menschen, die hier sind, außer Frage. Deshalb – und das ist die zweite Seite der Medaille – muss man alles dafür tun, dass diejenigen, die bleiben, bestmöglich integriert werden. Im Wahlkampf kann man zu wenig konstruktiv über dieses Thema sprechen. Ich würde gerne die Landesregierung an der Stelle offen fragen: Was tut ihr? Wir müssen mehr tun im Bereich der Sprachförderung, wir müssen auch mehr für die Sprachförderung nach der Schule, also bei der Integration in den Arbeitsmarkt tun. Und damit nehme ich wieder Bezug auf die Mannheimer Erklärung: Die Sprachförderung ist das allerwichtigste, damit eine Integration gelingen kann und da sind die drei Monate BAMF-Kurse oder die Deutschkurse in den Vorbereitungskursen nur ein Anfang. Hier ist eine enorme Kraftanstrengung notwendig. Da wäre es gut, wenn wir uns bei solchen Themen auch politisch mit Grün und Rot duellieren könnten. Aber leider überschatten andere Aspekte dieses Thema vollkommen.
Wacker: Ich bin zuversichtlich, dass das nach dem Wahlkampf sehr schnell möglich sein wird, weil wir noch vor einigen Monaten auch in der Lage waren, hier konstruktiv zu streiten. Nach dem 13. März sollte es möglich sein, sich auch um diese Themen wieder zu kümmern.
Chancen muss man schaffen und anbieten
Jetzt sagen Sie Sprachkurse und Förderungen sind das allerwichtigste. Auch sonst kann es ja problematisch werden, dass bei jeder Beschäftigung, bei jedem Praktikum, das über drei Monate geht, der Mindestlohn gezahlt werden muss. Meinen Sie, da muss es irgendwelche Vereinfachungen geben, oder dass es durch Sprachkurse und Fortbildungen gelingen kann, einen Stand zu erreichen, dass das kein wirtschaftliches Problem mehr ist?
Wacker: Je früher man die Flüchtlinge mit Bleibeperspektive in die gesellschaftlichen Abläufe integriert, umso besser. Learning by doing trifft hier ganz umfassend zu. Deutsch lernt man am besten, wenn man täglich gezwungen ist, Deutsch zu sprechen. Das ist effizienter als nur in der Theorie aus Büchern zu lernen. Wenn man hier flexibilisieren könnte, zumindest zeitweise, um diesen Menschen einen beruflichen Einstieg zu ermöglichen, dann sollte man bitteschön den Mindestlohn nicht als Dogma betrachten. Deshalb bin ich sehr dafür, dass man damit pragmatisch und flexibel umgeht: Hauptsache es kommt den Menschen zu Gute. Wenn Flüchtlinge die Möglichkeit bekommen, in Arbeitsprozesse integriert zu werden, dann ist das eine Chance für beide Seiten. Es ist eine Chance für den Betroffenen selbst, aber auch für den Arbeitgeber, weil er den Menschen kennenlernt und auch in der Belegschaft Vorbehalte abgebaut werden. Persönliche Kontakte sind die beste Vorstufe für eine gelungene Integration. Deswegen wäre ich hier für eine gewisse Flexibilität.
Bildungspolitik ist Ländersache und es gibt auch gute Argumente dafür, aber gleichzeitig ist vor allem in Bezug auf Flüchtlinge ein Austausch mit anderen Bundesländern sehr wichtig, damit man da gemeinsame Standards schafft. Gibt es da Bestrebungen sich mit Rheinland-Pfalz, Hessen oder Bayern auf gemeinsame Kurse zu einigen, was diese Integrationsbemühungen und Forderungen betrifft?
Wacker: Inwieweit es jetzt eine intensive Kooperation zwischen den Bundesländern gibt, ist mir nicht bekannt. Es wäre natürlich schon zielführend, gerade in der Metropolregion Rhein-Neckar mit ihren kurzen Wegen. Zumindest was die Sprachkurse betrifft gibt es bereits ähnliche Vorgehensweisen. Wir haben ja für junge Flüchtlinge das Instrument der Vorbereitungsklassen. Diese sind flexibel gestaltet, das heißt, das Kind oder der Jugendliche bleibt so lange in der Vorbereitungsklasse, bis die Lehrkraft zu dem individuellen Ergebnis kommt: Du bist so weit, du kannst in einer Regelklasse integriert werden. Das haben wir schon lange so praktiziert, vor allem an Grundschulen und Werkrealschulen. Ähnlich machen es die Hessen, sie nennen es nur anders. Rheinland-Pfalz hat es genauso gemacht und nennt es Willkommensklassen.
Und wie kommen die Leute in Arbeit?
Wacker: Wichtiger als gemeinsame Standards ist der Austausch über offene Stellen, Praktika, Ausbildungsplätze oder sonstige Angebote z.B. in der Metropolregion Rhein-Neckar über die Landesgrenzen hinweg. Warum soll ein Schüler aus Mannheim nicht nach Ludwigshafen gehen, wenn es dort den geeigneten Ausbildungsplatz gibt. Das spricht dafür, dass man in Bezug auf die Berufswelt intensiver zusammen arbeitet – im schulischen Bereich ähneln sich die Systeme ohnehin.
Und wenn es ein Erfolgsinstrument gibt, wird es sich wahrscheinlich auch woanders durchsetzen?
Wacker: Ich halte das Instrument der Vorbereitungsklasse für gut, allerdings muss ich jetzt auch sagen – da darf ich eine Kritik an der Grün-roten Landesregierung anbringen – ich habe die Sorge, dass wir bei weiter steigenden Flüchtlingszahlen gerade hier einen Engpass der Ressourcen bekommen. Denn diese Vorbereitungsklassen sind sehr ressourcenintensiv und dann kann es natürlich passieren, dass Unterrichtsstunden aus dem Regelbetrieb abgezogen werden, um den Unterricht der Vorbereitungsklassen zu versorgen. Es wäre fatal, wenn dann die übrigen Schüler das Gefühl hätten, dass bei ihnen der Unterricht ausfällt zugunsten der Flüchtlinge. Das führt zu Spannungen, die wir vermeiden müssen. Da muss sich die Landesregierung anstrengen, um für eine zuverlässige Unterrichtsversorgung sowohl im Kernbereich der beruflichen Schulen, als auch in den Vorbereitungsklassen zu sorgen. In der Bildungspolitik werden Ausgaben nötig sein, gleichzeitig aber auch beim Wohnungsbau. Die Kommunen, die ja die Hauptlast stemmen müssen, sind oft ohnehin in einer finanziell prekären Lage und werden mehr Unterstützung brauchen, um handlungsfähig zu bleiben.
Wie soll das finanziert werden?
Was sind denn für Sie Punkte im Landeshaushalt, wo man sich vornehmen könnte, mehr Einnahmen zu genieren und gleichzeitig strukturelle Defizite abzubauen? Innere Sicherheit ist auch noch so ein Thema, da braucht man ja eigentlich auch mehr Geld. Wo sehen Sie Möglichkeiten, einzusparen?
Wacker: Vielleicht muss man umzuschichten. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir haben in der Erstunterbringung 70 Prozent der Flüchtlinge in Nordbaden untergebracht. Und es gibt Städte, die aufgrund ihrer Sozialstruktur im Bereich der Anschlussunterbringung wesentlich mehr Anstrengungen unternehmen müssen als andere Kommunen. In der Stadt Weinheim gibt es beispielsweise heftige Diskussionen in Bezug auf die Anschlussunterbringung. Die Situation ist in ländlichen Räumen möglicherweise nicht so angespannt, wie wir das hier im Ballungsraum haben. Auf jeden Fall gibt es unterschiedliche Voraussetzungen. Und da sollte man vielleicht den kommunalen Finanzausgleich so gestalten, dass man die Anschlussunterbringung und sozialen Wohnungsbau allgemein mit einem Faktor mit berücksichtigt. Das ist, wo man umschichten könnte.
Betrifft das nur das Land Baden-Württemberg?
Wacker: Nein. Auch die Bundesländer untereinander. Der Königssteiner Schlüssel, die aktuelle Grundlage für die Verteilung der Flüchtlinge auf die Bundesländer, ist zwar relativ gerecht, weil er die Wirtschaftskraft und Bevölkerungszahl der Bundesländer berücksichtigt. Aber es gibt natürlich Bundesländer, die rein räumlich wesentlich mehr Platz haben als andere. Jetzt kann man nicht einfach sagen, man nimmt die Hälfte der Flüchtlinge und schickt sie nach Mecklenburg-Vorpommern, weil dort Platz ist – das geht nicht. Auf der anderen Seite leistet Baden-Württemberg wirtschaftlich vielleicht mehr als andere Bundesländer, aber die Aufnahmefähigkeit ist nicht unbedingt eine Frage des „mehr Geldes“, sondern auch einer ausgewogenen Verteilung. Ich denke, das Geld sollte dann auch den Menschen folgen, d.h. es sollen dort finanzielle Mittel eingesetzt werden, wo die Menschen wohnen.
Man muss aufpassen, ob Wohnraum da entsteht, wo er gebraucht wird
Für anerkannte Asylbewerber…
Wacker: …gibt es aktuell keine Residenzpflicht mehr – sie können hingehen, wo sie wollen. Zunächst wollen wir durch die Residenzpflicht während des Asylverfahrens eine zügige Bearbeitung ermöglichen, um schnell Klarheit zu schaffen: diejenigen die abgelehnt werden müssen gehen, aber die anderen dürfen hier bleiben. Nur darauf bezieht sich die Residenzpflicht bisher. Aber die anerkannten Asylbewerber können z.B. der Stadt Weinheim den Rücken kehren und nach Mannheim gehen. Insofern muss man da auch aufpassen, dass man nicht zu viel in Immobilien investiert, die am Ende vielleicht leer stehen.
Wie schafft man es, das so zu organisieren, dass der Wohnraum dort entsteht, wo er gebraucht wird?
Wacker: Das ist natürlich schwierig. Man muss auch versuchen, Leerstände zu akquirieren, statt neu zu bauen – da ist man flexibler. Um Gottes Willen nicht durch Enteignung wie der grüne Oberbürgermeister Palmer in Tübingen das fordert. Um das ganz klar zu sagen, diese Diskussion ist unsäglich. Das verunsichert nur, wenn Wohnungseigentümer Angst haben müssen, nur weil sie einen Leerstand haben. Die Menschen sind ohnehin verunsichert. Allerdings finde ich auch, dass man bei den Eigentümern Anreize schaffen sollte, dass sie nicht oder nur teilweise genutzte Immobilien vermieten – oder auch Anreize zur Schaffung von zusätzlichem Wohnraum. Man muss von dem Gedanken weg kommen, dass man nur durch Neubauten Raumkapazitäten schafft, sondern man muss auch bestehende Flächen und Immobilien nutzen, bevor man neue Flächen für Neubauten in Anspruch nimmt.
Die Landesbauordnung hat völlig überflüssige Regelungen
Es gibt ja im Baurecht eine zunehmende Bürokratisierung und ständig ansteigende Mindeststandards – könnten Sie sich da vorstellen sowas vorübergehend auszusetzen, um mehr Handlungsfähigkeit zu erhalten?
Wacker: Es gibt in der Landesbauordnung einige Dinge, die die grün-rote Landesregierung eingeführt hat, die meines Erachtens völlig überflüssig sind. Die Verpflichtung der überdachten Fahrradstellplätze oder auch die Begrünung der Fassaden. Hier entscheidet der Landesgesetzgeber selbst und ich finde es muss eine der ersten Aufgaben sein, unmittelbar nach der Landtagswahl nach Möglichkeiten zur Entbürokratisierung zu suchen. Ich denke das geht auch beim Thema Bodenschutz und Landschaftsverbrauch. Es gibt in Baden-Württemberg ohnehin schon einen Bedarf an zusätzlichem Wohnraum und dieser Bedarf wird verstärkt durch den Bedarf an Anschlussunterbringung. Wir haben in Nordbaden trotz des demografischen Wandels einen Bevölkerungszuwachs, der vor allem in den Ballungsräumen spürbar ist. Und die Flüchtlinge kommen noch hinzu. Da muss man schon ein Auge darauf werfen, dass man das Problem nicht nur durch Ausweisung von neuen Baugebieten löst, sondern auch bestehende Flächen nutzt, bevor man auf die grüne Wiese geht. Das ist mir in dem Zusammenhang auch ein wichtiges Anliegen.
Grün-Rot hat Chaos in der Bildung geschaffen
Zurück zur Bildung: Die CDU äußert regelmäßig den Vorwurf, dass die Reformen eher ein Chaos verursacht haben. Gleichzeitig würde man das Chaos vermutlich verschlimmern, wenn man alles wieder rückgängig machen würde. Punkte wie die Gemeinschaftsschule scheinen ja bei den Wählern gut anzukommen. Was stellt sich die CDU vor, wie man das ändert ohne gleich wieder alles auf den Kopf zu stellen?
Wacker: Grün-Rot hat durch die Umwälzungen tatsächlich zu großen Verunsicherungen geführt und das wurde an Schulen auch lange als Chaos wahrgenommen. Die plötzliche Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung hat zu größten Verunsicherungen an den weiterführenden Schulen geführt, vor allem an den Realschulen und Gymnasien, weil sie von heute auf morgen sehr viele Schülerinnen und Schüler bekommen haben, die nicht die passende Bildungsempfehlung hatten und damit sind die Schulen bis heute überfordert. Man sieht das ja auch an der nochmaligen Steigerung der Sitzenbleiberquote. Das Problem ist nicht gelöst. Das ist ein Problem, das Grün-Rot verursacht hat.
Und Sie sind nach wie vor kein Freund der Gemeinschaftsschule?
Wacker: Vor allem stört mich das rasante Tempo. Man hat eine neue Schulform ohne jegliche Vorbereitung eingeführt. Ich stehe dem pädagogischen Konzept nach wie vor nicht unkritisch gegenüber, das wissen Sie. Aber selbst aus Sicht der Befürworter hätte man sagen müssen: Nicht so schnell und nicht zu viel. Wenn Sie heute mit Lehrkräften an Gemeinschaftschulen reden, nehmen Sie eine massive Überforderung wahr. Selbst das Gutachten, das die Landesregierung selbst – übrigens bei einem Befürworter der Gemeinschaftsschule – in Auftrag gegeben hat, belegt die extrem hohe Überforderung der Lehrkräfte. Deshalb ist die Gemeinschaftsschule auch kein Erfolgsmodell. Etwa 30 bis 50 Prozent der Gemeinschaftsschulen haben mittlerweile rückläufige Schülerzahlen. Es gibt also Gemeinschaftsschulen, die nach wie vor sehr nachgefragt sind, aber es gibt auch viele, die an Akzeptanz verlieren. Viele Standorte fallen inzwischen unter die Grenze von 40 Schülern, die die Landesregierung selbst erst festgelegt hat – und müssten eigentlich geschlossen werden. Das ist in hausgemachtes Chaos der grün-roten Landesregierung.
Und wenn die CDU drankommt, wird das alles wieder rückgängig gemacht? Das wäre kein Chaos?
Wacker: Wenn wir die Regierungsverantwortung übernehmen, können wir nicht einfach unser Regierungsprogramm von 2011 aus der Schublade ziehen, sondern wir müssen an dem anknüpfen, was wir vorfinden. Die Schullandschaft hat sich verändert. Das ist so, auch, wenn wir davor gewarnt haben. Die Eltern, Schüler und Lehrkräfte verdienen aber Vertrauensschutz. Ebenso wie die Kommunen, die ja in den allermeisten Fällen wie in Heddesheim mit der Gemeinschaftsschulen ihren Schulstandort retten wollten und sie nicht wegen des pädagogischen Konzepts beantragt haben. Deshalb sind auch über 90 Prozent der genehmigten Gemeinschaftsschulen ehemalige Werkrealschulen, die vorher ums Überleben gekämpft haben. Und deshalb sagen wir, dass die Kommunen und die Schulen wieder ein hohes Maß an Verlässlichkeit erfahren. Vor 2011 lief auch nicht alles rund, um das auch klar zu sagen. Aber die letzten fünf Jahre waren wirklich extrem verunsichernd. Deshalb besteht jetzt eine hohe Sehnsucht nach Ruhe und Verlässlichkeit. Vor diesem Hintergrund machen wir selbstverständlich keine Rückabwicklung. Wenn es jetzt irgendwo heißt, wir wollten wieder zurückkehren zum alten System, dann ist das ein völliger Blödsinn. Wir wollen an der Qualität ansetzen. Differenzierte Bildungsgänge gehen auch an den bestehenden Schulen. Deshalb sagen wir bezogen auf die Gemeinschaftsschulen: Wir stellen den Standort als Gemeinschaftsschule nicht in Frage. Wir wollen allerdings auch keine Privilegierung dieser Schulart, das kann man durchaus abstellen. Wir wollen in Bezug auf die Ressourcenausstattung eine gerechte Balance zwischen allen Schularten – und wir wollen auch die Realschule wieder stärken, weil sie in der Vergangenheit ein Erfolgskonzept war und es noch heute ist.
Bildungshäuser haben sich bewährt
Wenn man den Aspekt der frühkindlichen Bildung ins Spiel bringt – gibt es auch hier Schnittmengen in Fragen, bei denen es um Asyl und Flüchtlinge geht. Es scheint nachgewiesen, dass der Spracherwerb in den frühkindlichen Jahren am leichtesten fällt. Wie wollen Sie sicherstellen, dass ein Spracherwerb erreicht wird, der ein Mithalten mit allen anderen möglich macht?
Wacker: Nicht nur bei der Integration, sondern generell ist die frühkindliche Phase die wichtigste Bildungsphase. Die wichtigsten Grundlagen werden vor dem zehnten Lebensjahr gelegt. Elternhaus, Kindertagesstätte und Grundschule sind die wichtigsten Bezugsorte in dieser Phase. Deswegen wollen wir eine intensive Kooperation zwischen den Kindertagesstätten und Grundschulen und einen nahtlosen Übergang. Deshalb hat das Kultusministerium damals unter meiner Federführung das Konzept der Bildungshäuser entwickelt. Schülerinnen und Schüler, die die Grundschule besuchen, arbeiten in dieser festen Kooperation von Kindergarten und Grundschule auch mit den Kindern im Kindergarten zusammen. Und natürlich umgekehrt die Kinder im dritten Kindergartenjahr mit Kindern im ersten oder zweiten Grundschuljahr. Die wissenschaftlichen Begleitung hat belegt, dass sowohl die Kleinen im Kindergarten als auch die Grundschulkinder in gleichem Maße profitieren. Dieses Bildungshaus haben wir in unserem Wahlprogramm wieder in den Mittelpunkt gestellt.
Das geht sicher gut, wenn die Kinder dieselbe Sprache sprechen…
Wacker: Ein zentraler Inhalt ist dabei natürlich die Sprachförderung. Die grün-rote Landesregierung hat zwar Geld in die Sprachförderung gesteckt, aber zu wenig in die Qualifizierung der Fachkräfte. Da muss noch mehr getan werden.
Wie soll das finanziert werden? Die Kinder, die Sprachförderung brauchen, kommen oft aus prekären Familienverhältnissen. Und da stellen allein die Gebühren für Kindergärten schon eine große Herausforderung dar. Wie stellt man sicher, dass diese Kinder nicht ausgeschlossen werden?
Wacker: Da haben wir im Regierungsprogramm eine klare Aussage formuliert: Die ist nicht billig, aber wir wollen das kostenlose dritte Kindergartenjahr. Das würde auch die Kommunen spürbar entlasten, die ja in der Regel die Gebühren für diejenigen bezahlen, die dazu nicht selbst in der Lage sind. Das geht natürlich nicht zum Nulltarif. Aber diese politische Aussage haben wir bewusst formuliert, gerade weil wir jedem Kind, unabhängig vom Elternhaus, den optimalen Schulbeginn ermöglichen wollen. Die andere Seite sind die Fortbildungsmittel für die Träger, um die Erzieherinnen und Erzieher zu qualifizieren. Hier muss man mehr investieren, damit alle Fachkräfte den Bedürfnissen der Kinder gerecht werden können. Die Sprachförderung ist extrem wichtig, übrigens nicht nur für Kinder mit Migrationshintergrund. Das Erlernen der deutschen Sprache muss so gestaltet werden, dass die Kinder, wenn sie in die Grundschule kommen, schon die notwendige Sprachkompetenz haben.
Sorge ums Direktmandat?
Ok – nochmals zur aktuellen Wahlkampfsituation. Nach den Prognosen und unserer Analyse müssen Sie sich ein wenig Sorgen um das Direktmandat machen…
Wacker: Ich bin schon zu lange in der Politik, um nicht zu wissen, dass Wahlen auf der Zielgerade entschieden werden. Ich sage Ihnen ein Beispiel: 2001 war meine erste Wiederwahl. Da kam genau 13 Tage vor der Landtagswahl der damalige Ministerpräsident in den Wahlkreis und an diesem Tag wurden Umfragewerte von einem renommierten Institut veröffentlicht, die einen Regierungswechsel voraussagten – einen deutlichen Vorsprung von Ute Vogt gegenüber Erwin Teufel. Ich hatte vorher in Heidelberg ein Gespräch mit ihm. Er sagte, er könne die Welt nicht verstehen. Er leiste hervorragende Arbeit und dennoch seien die Umfragewerte im Keller. Acht Tage vor der Wahl gingen die Umfragewerte wieder hoch und die CDU hat am Ende einen souveränen Wahlsieg erzielt.
Sie hoffen auf eine Wiederholung der Geschichte?
Wacker: Nein. Diesmal werden wir nicht souverän gewinnen – wir werden keine 40 Prozent erzielen, um das mal klar zu sagen. Aber ich merke in den Gesprächen, dass mindestens noch ein Drittel der Wählerinnen und Wähler unentschlossen ist. Und ich glaube, dass gerade auch manche CDU-affine Wähler verunsichert sind: Gehen sie in Richtung AfD? Gehen sie in Richtung FDP? Gehen sie Richtung Kretschmann? Da ist einfach noch viel Musik drin. Und wenn wir auf der Zielgeraden einen vernünftigen Wahlkampf machen und ich persönlich meinen Einsatz erbringe – und den bringe ich – dann brauche ich mir um das Mandat keine Sorgen machen. Ich bin da zuversichtlich. Ich weiß, ich muss alles geben. Und ich gebe alles. Ich mache seit 20 Jahren Politik und habe mich immer intensiv um den Wahlkreis Weinheim gekümmert. Früher als Abgeordneter der Regierungsfraktion, jahrelang als Mitglied der Landesregierung, mit der ich auch einiges für die Region durchsetzen konnte. In den Gesprächen merke ich, es kennen mich viele Menschen aufgrund dieser langen Laufzeit und ich setze auf meinen Persönlichkeitsbonus. Auf dem Stimmzettel steht nicht Angela Merkel, steht nicht Guido Wolf – da steht Georg Wacker. Und mal ganz offen: Man muss in der Politik immer wissen, dass ein Mandat ein Mandat auf Zeit ist. Ich habe dieses Mandat nicht auf alle Zeit gepachtet. Deswegen muss ich gegebenenfalls das Votum der Wähler akzeptieren. Das muss man als Demokrat immer können. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir auf der Zielgeraden noch ein paar Prozentpunkte holen können.
Ein Plus könnten Sie bei der Windkraft holen?
Wacker: Da übe ich massiv Kritik an Grün-Rot – vor allen Dingen an Grün: Dass man hier die Kommunen über die Ausweisung von Konzentrationszonen, eine eigentlich fast perfide Methode, faktisch zwingt, Flächen für die Windkraft auszuweisen. Ich bin kein fundamentaler Gegner der Windkraft, aber ich sage: Windkraft da, wo sie sich lohnt. Und wir wissen nun mal, dass es sich hier an der Bergstraße nicht lohnt, erst recht nicht in der Ebene. Deshalb sollten wir wieder zur Regionalplanung zurückkehren: Die Metropolregion Rhein-Neckar sollte entscheiden, wo sich Windkraftanlagen lohnen und wo nicht. Ich selbst werde dafür kämpfen, dass keine Windkraftanlagen in unserer Region entstehen.