Rhein-Neckar, 03. März 2022. (red/pro) Wir haben seit der Invasion der russischen Armee am 24. Februar 2022 mehrfach in unseren Facebook-Live-Sendungen mit dem Krieg in der Ukraine beschäftigt – von Anfang an mit dem Thema “Flüchtlinge”. Bis zu sieben Millionen oder mehr Flüchtlinge werden erwartet. Wie viele nach Deutschland kommen, ist noch unklar. Klar ist, es werden sehr viele sein und eine erhebliche Herausforderung. Das RNB analysiert die Flüchtlinge als “eine der stärksten Waffen” Russlands.
Von Hardy Prothmann
Überall kochen die Emotionen hoch. Das ist verständlich, hat aber im Journalismus nichts verloren. Wir recherchieren Informationen, analysieren diese nach journalistisch-wissenschaftlichen Methoden, bereiten sie auf und veröffentlichen sie.
Auch, wenn diese Haltung vielleicht herzlos erscheint, trifft das nicht zu. Ein kühler Kopf verlangt ein kühles Herz – um einen klaren Blick zu behalten.
Den friedlichen Zivilisten aus der Ukraine muss geholfen werden – aber diese Aufgabe wird gigantisch und damit erhebliche gesellschaftliche, wirtschaftliche, kulturelle und damit politische Folgen haben. Wer das nicht erkennen will, wird nicht verstehen können, was die Folgen sind und diese werden gigantisch sein.
Am Dienstagmorgen haben wir das Ministerium für Justiz und Migration Baden-Württemberg um Auskunft gebeten. Die Antworten wurden für Mittwoch zugesagt, kamen dann aber erst am Donnerstagmittag. Die lange Antwortdauer zeigt, dass man offenbar auf viele unserer Fragen nicht vorbereitet war und ist. Das könnte ein Indikator sein, dass dieses Ministerium (wie andere) schon jetzt möglicherweise überfordert ist. Diese Einschätzung ist eine These, keine Tatsachenbehauptung.
Anbei unsere Fragen und die Antworten der Pressestelle. Am Ende finden Sie eine Pressemitteilung. Hierzu fügen wir an: Es ist kein guter Stil, dass Fragen einer Redaktion in einer Pressemitteilung beantwortet werden, die Fragen selbst aber erst später in einer Antwort. Auch das ein Indikator für eine bevorstehende oder schon eingetretene Überforderung. Mit dieser Einschätzung machen wir uns das Ministerium nicht “zum Freund”. Das ist auch nicht unsere Aufgabe. Wir machen Journalismus. Unabhängig.
In einem Facebook-Live werden wir diesen aktuellen Informationsstand erörtern: Die Flüchtlingswaffe
Das sind unsere Fragen an das Ministerium für Justiz und Migration Baden-Württemberg (Marion Gentges, CDU):
Über welche freie Aufnahmekapazitäten für Flüchtlinge verfügt das Land BW zur Zeit?
In welchem Zeitraum (bis wann jeweils) sind weitere Kapazitäten geplant/können realistisch eingerichtet werden?
Liegt der Verteilungsschlüssel aktuell noch bei gut 13 Prozent?
Laut AA wird durchaus mit sieben Millionen Menschen und mehr gerechnet. Wenn Deutschland davon zwei Millionen aufnimmt, sind das 260.000 Personen für BW. Kann das Land das leisten?
Mit wie vielen Personen, insbesondere aus der Ukraine, rechnet das Land BW?
Welche Prognosen hat das Land ab Beginn des Frühjahrs, wenn auch wieder möglicherweise mehr Menschen über andere Routen (Balkan/Mittelmeer) in die EU und nach Deutschland streben?
2015/2016 hat Nordbaden, hier insbesondere Mannheim/Heidelberg/RNK im Landesvergleich den größten Anteil an Flüchtlingen aufgenommen – was sehen die aktuellen Planungen vor, nachdem hier viele Kapazitäten (Franklin et al.) nicht mehr zur Verfügung stehen?
Welche Planungen für Unterbringungen gibt es für den Standort Patrick-Henry-Village in HD?
Welche Regelungen werden für Flüchtlinge aus der Ukraine gelten, was Registrierung und Gesundheitsvorsorge angeht?
Mit welchen kurz-, mittel-, langfristigen Kosten rechnet das Land BW?
Das RKI hat die Ukraine nicht mehr zum Risikogebiet für Corona erklärt – welche Folgen hat das für BW?
Wie viele ukrainisch/russisch-sprachige Dolmetscher hat das Land zur Verfügung?
Wie viele russisch-stämmige Personen leben in BW? (Hier bitte Gesamtzahl und möglichst alle Gemeinden mit mehr als 500 Personen) Rechnet die Landesregierung mit Sicherheitsproblemen durch ethnische Konflikte vor Ort?
Sieht die Landesregierung im zu erwartenden Zugang von Ukrainiern auch ein terroristisches Bedrohungspotenzial?
Mit wie vielen schulpflichtigen Kindern rechnet die Landesregierung und ab welcher Übergangszeit werden diese zum Schulbesuch verpflichtet sein? Welche Infrastruktur muss hier geschaffen werden?
Wird das Land BW bei nicht ausreichenden Kapazitäten der Unterbringung Beschlagnahmungen durchführen? Wer macht das im Speziellen und welche Immobilien, Gelände kämen dafür in Frage?
Das sind die Antworten.
Die Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes Baden-Württemberg verfügen über eine Regelkapazität von 6.440 Plätzen und sind jahreszeitlich bedingt mit rund 2.600 Personen belegt. Selbst unter Pandemiebedingungen bestünden dort somit aktuell weitere Kapazitäten für mindestens 1.250 Personen, ohne diese Beschränkungen wären es 4500 freie Plätze.
Welche Leistungen ukrainische Staatsangehörige erhalten, hängt insbesondere davon ab, ob die EU-Innenminister die sog. Massenzustromrichtlinie aktivieren.
Von den insgesamt in Deutschland ankommenden Flüchtenden aus der Ukraine entfallen grundsätzlich nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel rund 13 Prozent der Menschen auf Baden-Württemberg. Innerhalb Baden-Württembergs erfolgt die landesweite Verteilung im Anschluss an die Unterbringung in den Erstaufnahmeeinrichtungen nach einer Quote, die sich nach den Bevölkerungszahlen berechnet.
In Baden-Württemberg sind seit Kriegsbeginn 244 ukrainische Flüchtlinge in den Landeserstaufnahmestellen angekommen. Dazu kommen noch rund 200 Kinder und Betreuer aus einem ukrainischen Waisenheim. Prognosen, wie viele Flüchtende aus der Ukraine nach Baden-Württemberg kommen, sind aus unserer Sicht derzeit noch nicht möglich.
In Baden-Württemberg ist für Haushaltsrisiken auch im Falle eines Anstiegs von Flüchtlingszahlen vorgesorgt worden, für Einzelheiten dazu müsste ich Sie jedoch an das zuständige Finanzministerium verweisen. Zu den aktuellen Maßnahmen verweisen wir zudem auf die angehängte Pressemitteilung.
Das Land beschäftigt selbst keine eigenen Dolmetscher. Im Rahmen der Erstaufnahme von geflüchteten Menschen erfolgt die Verständigung insbesondere über eigenes Personal bzw. Personal der externen Dienstleister mit entsprechenden Sprachkenntnissen, Drittsprachen oder Familienangehörige. Sollte eine Verständigung nicht möglich sein, wird auf bestehende externe Dolmetscherpools zurückgegriffen. In der Regel kann durch diese unterschiedlichen Maßnahmen eine Vielzahl von Sprachen, darunter auch die Sprachen Russisch bzw. Ukrainisch, abgedeckt werden.
In Baden-Württemberg lebten Ende 2020 rund 31.100 Personen aus der Russischen Föderation und etwa 16.200 ukrainische Staatsbürger. Bei beiden Staatsangehörigkeiten sind jeweils rund zwei Drittel Frauen.
Bei der Ankunft erfolgt jeweils eine Testung auf Corona. In Zusammenarbeit mit dem Sozialministerium werden vor Ort jeweils Impfangebote unterbreitet.
Hinsichtlich der Fragen zu Sicherheitsaspekten sowie zu schulpflichtigen Kindern sind aufgrund der dynamischen Lage derzeit keine Prognosen möglich.
Weiter wurde uns diese Pressemitteilung übermittelt.
„Seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine sind inzwischen rund 130 Flüchtende aus der Ukraine in den Erstaufnahmeeinrichtungen Baden-Württembergs angekommen“, berichtet Baden-Württembergs Ministerin der Justiz und für Migration Marion Gentges am heutigen Mittwoch (2. März 2022). Hinzu kämen zahlreiche Menschen, die zunächst bei Freunden und Bekannten untergekommen sind. „Derzeit ist noch nicht absehbar, wie viele Menschen vor Putins Krieg nach Deutschland und nach Baden-Württemberg flüchten werden“, so die Ministerin. Vor dem Hintergrund des augenscheinlich immer brutaler werdenden Vorgehens Russlands sei jedoch mit einem Anstieg der Zahlen in den kommenden Tagen zu rechnen. Darauf bereitet sich das Ministerium der Justiz und für Migration mit allen Partnern der an der Flüchtlingsaufnahme Beteiligten im Land, insbesondere im Stab „Flüchtende aus der Ukraine“ vor.
Baden-Württembergs Ministerin der Justiz und für Migration Marion Gentges sagte weiter: „Die Bilder, die uns aus der Ukraine erreichen, sind grausam. Hunderttausende Menschen, vor allem Frauen mit Kindern, bringen sich vor Putins Bomben in Sicherheit. Diesen Menschen eine sichere Bleibe zu bieten, ist unsere moralische Verpflichtung. Ein Lichtblick in diesen dunklen Tagen ist die überwältigende Hilfsbereitschaft der Menschen in Baden-Württemberg. Zahlreiche Menschen haben bereits Freunde und Bekannte aus der Ukraine aufgenommen. Für diese haben wir eine Informationsseite mit Antworten zu den wichtigsten Fragen erstellt und freigeschaltet. Diese wird fortlaufend aktualisiert. Viele Rechtsfragen hängen davon ab, ob die EU zum ersten Mal die so genannte Massenzustrom-Richtlinie auslöst. Ein solcher EU-Beschluss wäre zu begrüßen, weil er die Aufnahme und den weiteren Aufenthalt der ukrainischen Geflüchteten auf eine belastbare Rechtsgrundlage innerhalb der gesamten EU stellen wird. Daher hoffen wir auf eine schnelle Entscheidung auf EU-Ebene.“
Zur Verteilung der in Baden-Württemberg ankommenden Flüchtlinge erläuterte Migrationsstaatssekretär Siegfried Lorek, der den Stab „Flüchtende aus der Ukraine“ im Ministerium der Justiz und für Migration leitet: „Im Stab arbeiten alle an der Unterbringung von Flüchtenden im Land Beteiligte eng und partnerschaftlich zusammen. Uns allen geht es darum, schnell und unkompliziert eine sichere Bleibe zur Verfügung zu stellen. Für Flüchtende aus der Ukraine übernehmen die Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes die Funktion einer Erstanlaufstelle für alle Ankommenden, die nicht bei Verwandten oder Freunden unterkommen. Soweit ukrainische Geflüchtete gleichwohl direkt vor Ort ankommen und ein Bezug zu örtlichen Gegebenheiten besteht, kommt auch direkt eine Aufnahme in der vorläufigen Unterbringung in einem Stadt- oder Landkreis in Betracht. Eine Meldung dieser Personen soll anschließend durch die Ausländerbehörden an das Regierungspräsidium Karlsruhe erfolgen. Von den insgesamt in Deutschland ankommenden Flüchtenden aus der Ukraine entfallen nach dem so genannten Königsteiner Schlüssel rund 13 Prozent der Menschen auf Baden-Württemberg. Innerhalb Baden-Württembergs erfolgt die landesweite Verteilung im Anschluss an die Unterbringung in den Erstaufnahmeeinrichtungen nach einer Quote, die sich nach den Bevölkerungszahlen berechnet.“
Adresse der Informations-Seite:
www.migration-bw.de/ukraine