Rhein-Neckar, 31. Dezember 2013. (red) Jahresrückblicke sind beliebt. Warum eigentlich? Ganz klar, weil die Zeit hinter uns Geschichte ist. Vorbei. Vergangen. Manches möchte man gerne noch einmal erleben. Anderes nie mehr. Die alte und neue Bundeskanzlerin Angela Merkel appelliert an unseren Bürgersinn. Das ist ein guter, gesellschaftlicher Vorsatz für das neue Jahr 2014. Persönlich wünscht sie sich mehr frische Luft. Auch das ein guter Vorsatz.
Von Hardy Prothmann
Wie war das Jahr 2013? War es ein gutes oder ein schlechtes Jahr oder solala? Was war das bedeutendste Ereignis? Darauf hat jeder Mensch seine eigene Antwort. Was wählt man als Redaktion aus? Die schönsten, die tollsten Ereignisse? Oder die traurigsten? Die, die man versteht oder die, die einen bis heute fassungslos machen? Oder die, die am meisten gelesen worden sind, also am meisten Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben? Gibt man der Ökonomie den Vorrang vor der Kultur? Oder dem Sport?
Ich erinnere mich sehr, sehr gerne an ein besonderes Erlebnis: Karsu. Die niederländische Jazz-Sängerin und Pianistin mit türkischen Wurzeln hat sich mir eingebrannt. Wunderschöne eineinhalb Stunden lang. Ihre Freude, ihre Energie, ihr Spiel, ihr Lächeln, ihr Humor. Und ihre Natürlichkeit. Sie ist zum Abschluss des Türkfilmfestivali im Oktober aufgetreten und war einfach nur mitreißend.
Knapp drei Wochen zuvor war die litauische Studentin Gabriele Z. Opfer eines brutalen Sexualverbrechens geworden. Auf Mannheim und der Region lastete das Verbrechen schwer. Die Polizei hatte mit Hochdruck ermittelt und konnte schließlich den mutmaßlichen Mörder verhaften, der nun auf sein Verfahren wartet und bis heute schweigt. Er hatte auch andere Frauen überfallen, die vermutlich nur mit sehr viel Glück überlebt haben.
Der Trauermarsch in Gedenken an Gabriele Z. mit rund 5.000 Menschen hatte eine unglaubliche Kraft. Still und leise zogen die Menschen am Tatort vorbei. Nahmen Abschied. Fassungslos und doch voller Haltung.
Gerade mal zwei Monate zuvor erschoss ein Rentner zwei Menschen in Dossenheim und dann sich selbst. Fünf weitere Menschen verletzte er schwer. Der Tod kam plötzlich, grausam und sinnlos. Abgefeuert aus einer „Sportwaffe“, einer großkalibrigen, halbautomatischen Pistole. Im Januar hatte ein Mann ein Ehepaar in Eberbach erschossen und dann sich selbst. Auch er ein „Sportschütze“. Fassungslosigkeit in den Gemeinden.
Die größte Bedrohung für die allermeisten Menschen in der Region ging im Jahr 2013 vom Großbrand in Ludwigshafen aus. Einzig eine „günstige“ Wetterlage hat verhindert, dass es keine wesentlichen Schäden an Leib und Leben der Anwohner gegeben hat. Die Gefahr war enorm – auch für zehntausende Menschen in der weiteren Umgebung. Als Brandursache sehen die Ermittler die Photovoltaik-Anlage auf dem Dach – Details konnten nicht ermittelt werden.
In Schriesheim feiert eines der landesweit größten Verkehrsprojekte den „Durchbruch“. Der Branichtunnel kommt gut voran. Und im Dezember wurde Bürgermeister Hansjörg Höfer wiedergewählt, überzeugend, nachdem der Kandidat von CDU, Freien Wählern und FDP sind als Windei mit „rechten“ Tendenzen entpuppt hatte. Auch Weinheim hat eine Bürgermeisterwahl. Der Beigeordnete Dr. Torsten Fetzner wurde mit fast allen Stimmen des Gemeinderats wiedergewählt.
Weinheim wird ebenfalls von einem Mord erschüttert. Begangen im Saukopftunnel. Die hessische Polizei kommt den Mördern schnell auf die Spur, sie werden Monate später verurteilt. Das Top-Thema aber ist der Bürgerentscheid in Sachen Breitwiesen. Oberbürgermeister Heiner Bernhard verliert „sein“ Projekt und muss sich der Bürgerinitiative geschlagen geben.
Anders in Mannheim und Hirschberg. Mit einem hauchdünnen Vorsprung entscheiden sich die Mannheimer für eine Ausrichtung der Bundesgartenschau 2023. Dagegen klagen Buga-Gegner. In Hirschberg entscheidet eine Mehrheit, dass man die Haupt- und Werkrealschule nicht zu einer Gemeinschaftsschule entwickeln will. Der Schulzweckverbandpartner Heddesheim ist verkrätzt und will das nun selbst in die Hand nehmen.
Ladenburg und Schriesheim drücken enorme Sanierungskosten. In Schriesheim ist noch alles offen – die in den Raum gestellten Summen von 40-70 Millionen Euro sind gigantisch. In Ladenburg kostet das „CBG“ mindestens zehn, eher zwölf Millionen Euro. Vielleicht auch mehr.
Ladenburg wird von der NPD heimgesucht, ebenso wie Weinheim und Hemsbach und andere Gemeinden im Rhein-Neckar-Kreis. Der Grund: Die Kriege dieser Welt treiben Deutschland vermehrt Flüchtlinge zu. In Ladenburg werden sie für ein paar Monate in der alten Martinsschule untergebracht, um im Januar 2014 nach Schwetzingen in Containern untergebracht zu werden. Im Herbst 2015 werden rund 200 Asylbewerber nach Weinheim kommen. Dort rumort es jetzt schon. Im Sommer wurde der NPD-Bundesparteitag im Weinheimer Stadtteil Sulzbach abgehalten. Gegen die Partei läuft ein Verbotsverfahren. Einer der „führenden“ Köpfe, der Weinheimer Kreisvorsitzende Jan Jaeschke, wird vor kurzem von einem Parteikameraden zusammengeschlagen.
Die NPD bleibt bei der Bundestagswahl eine Splitterpartei, verliert, aber ist überall dort auffällig stark, wo Asylbewerber unterkommen. Die CDU dominiert alle Wahlkreise in der Region und holt die Direktmandate. Die FDP wird aus dem Bundestag gewählt, auch die Mannheimer Kandidatin Dr. Birgit Reinemund. Ebenso wie Bundesminister Dirk Niebel in Heidelberg.
Mannheim hat mit Felicitas Kubala eine fünfte Bürgermeisterin bekommen, die frühere Bürgermeisterin Gabriele Warminski-Leitheußer schmiert als neue Kultusministerin nach kurzer Zeit ab und muss gehen. In Heidelberg wählen die Grünen einen Herausforderer der GenerationHD zu ihrem Spitzenkandidaten gegen den Amtsinhaber Dr. Eckart Würzner, in Mannheim kündigt OB Dr. Peter Kurz an, dass er ab 2015 weitermachen will.
400 Jahre Maimarkt sind ein großes Jubiläum, das aber ohne Glanz zurückbleibt. Der Maimarkt findet keine Aufmerksamkeit über die Region hinaus. Das Deutsche Turnfest ist gigantisch groß – so sehr, dass allen der Überblick fehlt. Die Gemeinden haben hohe Kosten zu tragen.
Und im Sommer verschont das Hochwasser die Region weitestgehend. In anderen Regionen Deutschlands sind die Schäden enorm. Überhaupt: Das Wetter. Straßenbahnen und Züge fallen wegen Kälte und Eis aus. Doch nicht nur deswegen – auch Streiks müssen die ÖPNV-Pendler geduldig ertragen.
Dauerthema im Sport ist Hoffenheim. Leidiges Thema bleiben die Gewaltausschreitungen in Zusammenhang mit dem Waldhof.
Die Schillertage in Mannheim sind ebenso wie die Medici und die Wittelsbacher kulturelle High-Lights. Nur Jonathan Meese mit seinen blödsinnigen Hilter-Grüßen brauchte kein Mensch. Die Zukunft der Musikhochschule sorgt für Diskussionen, das BASF-Hochhaus ist Geschichte und der Billing-Bau (Kunsthalle) wird neu eröffnet. Das Collini-Center ist ein Sanierungsfall mit unklarer Zukunft.
Wir haben rund 4.000 Texte im Jahr 2013 veröffentlicht. Hinter allen Texten stehen die klassischen Fragen nach Wer, wann, was, wo, wie, warum. Es ist unmöglich, diese Vielzahl in einem „Rückblick“ gebührend zu erwähnen. Denn es gibt viele Geschichten wie den Viehzüchter in Ilvesheim oder die erfolgreiche BI Bahnlärm in Weinheim oder das herausragende Kulturprogramm in Hemsbach, die nicht so viel Aufmerksamkeit erlangt haben wie „Großereignisse“, die uns aber alle wichtig sind. Weil wir diese Geschichten für die Menschen vor Ort aufschreiben. Nach bestem Wissen und Gewissen.
Und der Top-Text, also der mit den meisten Zugriffen, ist ein Interview mit einem Berliner Rechtsanwalt über Abmahngefahren bei Facebook. Der Text wurde bundesweit und international gelesen, also über unser Berichtsgebiet hinaus – ohne Internet nicht vorstellbar.
Ebensowenig vorstellbar sind die Ausforschungen der NSA und weiterer Geheimdienste. Erst als „Exotenthema“ abgetan, wurde es ein Mega-Thema, als klar wurde, dass auch Angela Merkel, Bundes- und EU-Behörden abgehört werden. Glaubt jemand wirklich, dass die NSA vor dem Hirschberger Rathaus oder einer Familie in Edingen-Neckarhausen Halt macht?
2014 werden viele der Themen aus 2013 wiederkommen. Denn im Mai sind Kommunal- und Europawahlen. Mit Sicherheit wird das Thema Asyl eine Rolle spielen, neben allen örtlichen Besonderheiten. In Heddesheim ist zudem Bürgermeisterwahl und der Amtsinhaber Michael Kessler will wiedergewählt werden. Obwohl er mit dem Pfenning-Projekt ein Desaster zu verantworten hat.
Schriesheim, Weinheim und Lorsch feiern Stadtjubiläen. Die Polizeireform muss sich beweisen.
Unsere kleine Redaktion gibt sich mit hohem journalistischem Aufwand alle Mühe, die Besonderheiten vor Ort und die Zusammenhänge in der Region darzustellen. Das war 2013 so und das bleibt auch 2014 so. Zu all den oben genannten Themen haben wir berichtet – meist sehr ausführlich, manchmal nur knapp, weil die Kapazitäten fehlten. Wir haben uns für einen Beitrag ohne Fotos, ohne Links, ohne Zwischenüberschriften entschieden. Einfach mal anders. Einfach nur Text.
Wissen Sie eigentlich, dass Text und das Internet viel gemeinsam haben? Textus heißt übersetzt „Gewebe“. Textilie leitet sich davon ab. Und das WWW ist das weltweite Netz, das wir weltweit nutzen, um lokal zu informieren. Lokal ist überall vor Ort. Weltweit.
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Für das Jahr 2013 möchte ich mich stellvertretend für meine Mitarbeiter bei der überwiegend guten bis sehr guten Zusammenarbeit mit sehr vielen Menschen bedanken – Privatpersonen, Vereinsvertretern, Behördenmitarbeitern, Künstlern, Wissenschaftlern, Experten. Ganz besonders aber bei den Leser/innen, die uns immer aktiv mit Tipps, Infos und auch Hinweisen auf Fehler unterstützen. Dieser Austausch macht den Beruf sehr wertvoll und motiviert enorm, gut und zuverlässig, kritisch und deutlich zu informieren.
Rutschen Sie gut ins Neue Jahr.
Wir wünschen Ihnen vor allem Gesundheit und Liebe – alles andere ist nebensächlich.