Stuttgart, 30. April 2016. (red/ms/pro) Die AfD gibt sich in Stuttgart basisdemokratisch und erlebt einen mühsamen, zähen 5. Bundesparteitag ohne echte Ergebnisse. Der Medienrummel ist enorm, mehrere Dutzend Fernsehteams, Radio-Reporter, Zeitungsjournalisten sind anwesend. Es gibt einen Live-Stream, Social-Media-Kanäle werden bedient. Der technische Aufwand ist enorm, funktioniert aber nicht reibungslos – ebenso wie die inhaltliche Suche nach dem, was die AfD sein will. Eine Alternative für Deutschland.
Von Hardy Prothmann und Minh Schredle
Dieser Parteitag soll den Grundstein für die Bundestagswahl bilden, erklärte der stellvertretende AfD-Bundessprecher Dr. Alexander Gauland. Deutschland habe große Erwartungen – und brauche nun dieses Programm. Und wie so oft folgt unmittelbar und unter großem Jubel der Anhänger die Abgrenzung von den „Konsens-Parteien“:
Wir sind eine Graswurzelbewegung, bei der jeder mitentscheiden darf. Nicht wie andere Parteien, bei denen von oben herab entschieden wird.
Die Forderung nach mehr direkter Demokratie ist eines der Kernthemen der AfD – erhält aber nicht ansatzweise so viel mediale Aufmerksamkeit wie die Positionen zu Asylpolitik, Eurorettung und Islamfeindlichkeit.

Dr. Alexander Gauland. Der erfahrenste Politiker der AfD.
Direkte Demokratie und ein Bundespräsidentenkandidat
In Stuttgart will sich die AfD auf ihr Bundesprogramm einigen und dabei direkte Demokratie vorleben – das ging so gründlich schief, dass es stellenweise an Realsatire grenzte: Es gehe nicht um Personen und deren Befindlichkeiten, sagte die Bundesvorsitzende Dr. Frauke Petry dann in ihrem Grußwort – sondern um Inhalte. Nach etwa sieben Stunden waren inhaltlich allerdings kaum Ergebnisse zu vermelden, weil die AfD-Mitglieder mit ihren Befindlichkeiten befasst waren. Immerhin: Mal will Albrecht Glaser als Kandidat für das Bundespräsidentenamt ins Rennen schicken.
Während es bei den „etablierten Parteien“ üblich ist, dass Delegierte etwaige Ortsvereine auf Landes- oder Bundesparteitagen vertreten, war beim „Programmparteitag“ jedes der rund 20.000 AfD-Mitglied eingeladen. So wolle man basisdemokratisch arbeiten. Allerdings erschienen nach Informationen der Redaktion etwa 3.000 Mitglieder – Platz bot der Sitzungssaal nur für etwa 2.400 Menschen.
Um 10:00 Uhr hätte das Programm eröffnet werden sollen. Tatsächlich begann der Parteitag um 11:00 Uhr. Teils standen Parteimitglieder zu diesem Zeitpunkt immer noch in langen Schlangen – der Unmut über die „schlechte“ Abfertigung bei der Anmeldung war groß. Die Einlasskontrollen waren unübersichtlich aufgeteilt, langwierig und teils chaotisch. Später wurden Mitglieder wegen Überfüllung und feuerrechtlichen Auflagen abgewiesen. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Zäher Ablauf
Gegen 12:00 Uhr verwies das Sitzungspräsidium darauf, dass die 2.400 potenziell zur Verfügung stehenden Sitzplätze nicht nur von AfD-Mitgliedern, sondern auch von „Presse, Gästen und Förderern“ besetzt würden. „Gästen und Förderern“ wurde daraufhin angeraten, gelegentlich den Saal zu verlassen, sodass möglichst viele AfD-Mitglieder „mal reinschnuppern könnten“.
Ein paar Zwischenrufer fordern unter großer Zustimmung, es solle doch lieber die Presse gehen. Einer rief: „Die Junge Freiheit darf bleiben“ – und auch dafür gibt es teils energisches Kopfnicken.

Elekronische Stimmgeräte.
Jedes Mitglied hat ein gleiches Stimmrecht – zumindest in der Theorie. Einige Abstimmungen wurden nicht über Handzeichen durchgeführt, sondern per Elektronik, wenn nicht erkennbar war, ob erforderliche Mehrheiten klar waren. Allerdings standen nicht genügend Geräte für alle Anwesenden zur Verfügung. Das Sitzungspräsidium riet daher dazu, die Geräte zu teilen und weiterzureichen, nachdem man sie selbst mit einer Art individueller Scheck-Karte benutzt hatte.
Dieser Bundesparteitag sollte Inhalte bringen – daraus wurde am ersten Tag allerdings wenig bis nichts. Die Verachtung und Überheblichkeit, mit der auf andere Parteien herabgeblickt wird, erscheint für diesem Hintergrund reichlich unangebracht. Ziel des Parteitags ist es, sich auf ein Programm zu einigen. Am Ende des ersten Bundesparteitags sieht es nicht danach aus, als könne das am Sonntag noch gelingen.
Langatmige und redundante Diskussionen über Geschäftsordnungsanträge zogen sich. Schließlich gelang es gegen 13:12 Uhr sich auf eine Tagesordnung – also die Punkte, die man im Verlauf des Parteitages beraten will – zu einigen. Im Grunde handelt es sich dabei um eine reine Formalität, denn für gewöhnlich wird die Tagesordnung vorberaten und abgesprochen.
„Worum geht es?“
Insgesamt sind gut 1.600 Seiten an Anträgen zum Bundesparteitag eingegangen. Wie will man das auch nur ansatzweise bis zum Sonntagabend zur Diskussion stellen und beschließen? Überhaupt Diskussion: Die Mitglieder beschweren sich über die Langatmigkeit der Debatten. Die Redezeit für Wortmeldungen wurde schließlich auf eine Minute reduziert – wenn auch selten eingehalten.
Plötzlich geht es um einen bedeutenden Punkt: Ein Mitglied beantragt, AfD-Kandidaten für Bundes- und Landtagswahlen sollten durch Mitgliederversammlungen gewählt werden müssen und nicht durch Delegierte festgelegt werden. Für einen Beschluss ist eine zwei Drittel Mehrheit erforderlich, da es sich um eine Änderung der Parteisatzung handelt.
Diese Entscheidung hätte weitreichende Konsequenzen: Denn sollten tatsächlich nur noch Mitgliederversammlungen über Kandidaten entscheiden können, wäre das zwar basisdemokratisch – aber gleichzeitig ein immenser organisatorischer und finanzieller Aufwand.

„Gesicht“ der AfD – Dr. Frauke Petry
Doch kaum einer der Anwesenden scheint an diesem Thema interessiert. Der Großteil des Vorstands hat zu diesem Zeitpunkt sogar die Bühne verlassen. Eine Frau, die sich schon seit geraumer Zeit mit ihrem Sitznachbarn unterhält, hält kurz inne und fragt: „Worum geht es gerade?“ Der Nachbar zuckt mit den Schultern. Dann stimmen beide dagegen. Der Antrag erreicht nicht die nötige Mehrheit.
Und so setzt sich das fort. Immer wieder gibt es Geschäftsordnungsanträge, immer wieder versuchen Mitglieder langatmige Ausführungen, werden zur Räson gerufen. Weiter geht es. Technik hat Probleme, draußen wird viel geraucht.
Emotional. Nadelstreifen. Stammtisch
Was komplett anders ist als bei anderen Parteitagen: Die Stimmung ist emotionaler, Nadelstreifenträger treffen auf Stammtischler, der Männeranteil ist hoch, die Teilnehmer sind vom Alter her gut gemischt – eine Altherrenpartei ist das nicht. Wir treffen auch viele Personen, die wir früher bei CDU, SPD und Grünen getroffen haben. Sie sind jetzt bei der Alternative für Deutschland und meinen das ernst.
Immer wieder gibt es Applaus, wenn jemand sagt, dass die Partei nicht rassistisch sei und man Menschen helfen müsse – aber nicht den „Illegalen“. Noch mehr Applaus, wenn jemand appelliert, dass man Stolz auf Deutschland sein dürfen sollte. Noch mehr Applaus, wenn es gegen Links geht und gegen die Medien, die nur Gerüchte verbreiten.
Auffällig ist, dass die AfD neben vielen Mitgliedern, die früher bei den „Altparteien“ waren, offensichtlich sehr viele Mitglieder hat, die sich mit politischen Prozessen und langwierigen Parteitagen nicht auskennen. Also eine Basis, die neu entstanden ist – und fragil. Vereint werden sie als kuriose „Identitätsgemeinschaft“ in der Überzeugung, sich vom „Konsens“ abgrenzen zu wollen – was genau der eigene Konsens ist, bleibt offen.
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Was die AfD so gar nicht von anderen Parteien unterscheidet: Viele Rechthaber und Wichtigtuer meldeten sich zu Wort, die offenbar nur um der Diskussion Willen diskutieren wollen. Diese werden vom Tagungspräsidium schnell und entschieden die Schranken gewiesen. Ob das gut bei diesen Mitgliedern ankommt?
Alternative zur „rotgrünlinken Verseuchung“ – Standing ovations
Dr. Alexander Gauland hält häufiger Mal die Hände vors Gesicht – man merkt ihm die Anstrengung an. Nur die Nerven behalten. Und Dr. Frauke Petry redet in ihrem Vortrag dann von wir und ihr – also von den Repräsentanten, die das Gesicht der Partei sind und dem überfüllten Saal, der Basis.

Bundessprecher Prof. Dr. Jörg Meuthen äußerte erstmals einen Frontalangriff auf die „rotgrünlinke Verseuchung“ der Alt-68er. Standing ovations der Mitglieder.
Ihr Bundessprecherkollege Prof. Dr. Jörg Meuthen betont, dass andere die AfD spalten wollten und ruft zur Geschlossenheit auf – das Dilemma, wieso er und „Frauke“ keine Redebegrenzung haben und wieso die Graswurzler nur eine Minute haben, löst er nicht auf.
Dafür trifft er diesen Ton, der die AfD für viele so suspekt macht, für den er aber mit den größten Applaus an diesem ersten Chaostag erhält. Er redet davon, wogegen die AfD antritt, wozu sie eine Alternative sein will: Zur „rotgrünlinken Verseuchung“ durch die Alt-68er. Standing ovations. Minutenlang.
Das gefällt den Graswurzlern – aber das ist alles, nur kein Bundesprogramm.
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- Begeisterungssturm während der Rede des Bundesvorsitzenden Meuthen, der auch Fraktionsvorsitzender in Baden-Württemberg ist, wo die AfD 15,1 Prozent bei der Landtagswahl holte.
- Andreas Frohnmaier von der Jungen Alternative gilt als Spezialist für Haudrauf-Rhetorik.
- Frauke Petry.