Mannheim/Rhein-Neckar, 29. Februar 2016. (red/hmb) Sein oder Nichtsein ist nicht mehr die zentrale Frage, viel mehr „was bringt es dir?“. Wie sich Hamlet in unserer heutigen Zeit durchschlagen würde, zeigt das Nationaltheater in einer modernen Fassung des Hamlet nach William Shakespeare. Kein Prinz von Dänemark wüstet und winselt, sondern der Sohn eines erfolgreichen Unternehmers. Das Premierenpublikum am Freitagabend war begeistert.
Von Hannah-Marie Beck
So lustig war Hamlet noch nie: Nach William Shakespeare wird das berühmte Stück aktuell am Nationaltheater in einer Fassung von Elmar Goerden aufgeführt. Und dabei hat dieser eigentlich ein ganz eigenes, neues Stück geschaffen – in der aktuellen Zeit und mit moderner Sprache.
Anfangs ist die Geschichte noch stark an das Original angelehnt, dann entwickelt die Adaption nach und nach immer mehr eine eigene Handlung und bietet letzten Endes einen fulminanten Abschluss, den man so nicht erwartet.
Da ist was faul im Staate Dänemark
Erst vor sechs Wochen ist Hamlets Vater (herrlich diabolisch von Klaus Rodewald dargestellt) unerwartet gestorben. Als Geist erscheint der ehemals erfolgreiche Unternehmer seinem Sohn und fordert diesen auf, Rache zu üben.
Es sei kein Zufall, dass seine Mutter, Gertrud (Anke Schubert), nur sechs Wochen nach dem Tod ihres Mannes schon glücklich mit dessen Bruder Claudius (Stefan Reck) verheiratet ist. Dahinter stecke ein eigennütziges Mordkomplott.
Wie tot muss man sein, dass man mich als Rächer braucht?
fragt der Sohn lässig, doch tief im Inneren ist er schockiert und angewidert von der Tat seiner Mutter. So sehr, dass er verrückt zu werden scheint.
Scheinbar um ihm zu helfen, sendet Gertrud nach Hamlets beiden Freunden (zum Schießen: Matthias Thömmes und Sven Prietz). Doch die kennen ihn kaum und kommen nur, weil seine Mutter dafür bezahlt.
Hass-Liebe, Depression und ein Arschloch
Auch die verzweifelte Hass-Liebe zu der depressiven Ophelia (Katharina Hauter) hilft Hamlet nicht weiter – er stößt sie von sich und verletzt sie immer wieder durch seine arrogante, überhebliche Art.
Für Hamlet kann man kaum mehr Mitleid empfinden. Ob er nun verrückt ist oder nur so tut, eines ist selbst Ophelia klar: Er benimmt sich einfach nur wie ein „Arschloch“.
Während er stichelt, sich über andere lustig macht und alle von sich stößt, zeigt er doch, alleine mit seinem Vater, eine andere Seite: Die des zerbrechlichen, verletzten Kindes, dass sich einfach nur nach der Anerkennung seiner Eltern sehnt. Dann wirkt er wie verloren in der großen Weite des weißen Bühnenbildes.
„Was bringt es dir, das ist hier die Frage“
Einen Hamlet ohne seine schwermütigen, philosophischen Monologe kann man sich kaum vorstellen. Elmar Goerdens Hamlet philosophiert zwar auch vor sich hin, aber auf seine ganz eigene Art und Weise:
Wenn wir Eier hätten, dann würde ich uns Eier mit Schinken machen. Wenn wir Schinken hätten.
Auch ohne Selbstgespräche kommt die tragische Figur kaum aus dem Reden heraus, stellt seine ständig drängenden Fragen und führt Wortwechsel wie Gefechte.
Doch wenn noch nicht einmal der Satz „Sein oder Nichtsein…“ fällt – ist das dann noch Hamlet? Oder einfach nur ein x-beliebiger Sohn eines reichen Unternehmers? Darf man das Original überhaupt derart verändern? Warum das Stück dann noch „Hamlet“ nennen?
Die Antworten auf diese Fragen bietet Elmar Goerden in einer „Kleinen Selbstauskunft“ im Programmheft – aber das Stück scheint sie auch selbst zu beantworten.
Denn immer wieder sprechen Hamlet und Ophelia von einem Buch – Shakespears originalem Hamlet – das sie gelesen haben. Ob es eine Gebrauchsanweisung für das Leben sei, fragt Ophelia Hamlet. Dieser verneint, eine Gebrauchsanweisung gäbe es nicht. Und schließlich gelingt es ihm auch, seine eigene Geschichte zu schreiben und sich von dem Text, in dem seine Zukunft eigentlich schon festgeschrieben steht, zu lösen.
Dasselbe tut auch der Regisseur von „Hamlet“, in dem er sein eigenes Werk daraus macht. Denn auch Shakespears Werk muss für ihn keine Gebrauchsanweisung sein. Passend, dass die Bühne wie ein unbeschriebenes Blatt Papier wirkt.
Um Botschaften wie diese zu übermitteln arbeitet die Inszenierung viel mit Verfremdungseffekten, die die Handlung unterbrechen. Zum Beispiel treten Figuren aus ihren Rollen, wenden sich direkt an das Publikum und kommentieren das Geschehen – episch gebrechtet. Sehr fein.
Warum hast du eigentlich so wenig Text – traut dir der Regisseur nichts zu?,
stichelt Hamlet zum Beispiel einen seiner Freunde.
Ziel dieses theatralischen Mittels ist es, beim Zuschauer jegliche Illusion zu zerstören, sodass man das Stück als Spiel und nicht als Realität wahrnimmt.
In der Theorie ermöglicht das dem Zuschauer eine reflektierte Betrachtung. Diese gibt ihm die Möglichkeit, über das Stück nachzudenken und das Gesehene zu interpretieren, anstatt nur mit den Figuren mitzufühlen.
Voller Witz und bissigem Humor
Das Premierenpublikum klatschte am Freitagabend schon mal begeistert Beifall – mit Sicherheit werden das auch viele weitere Besucher tun: Elmar Goerdens Fassung von Hamlet ist wirklich gelungen – voller Witz, parodierender Elemente und bissigem Humor.
Es wimmelt an Details, zahlreichen, gut durchdachten Kleinigkeiten, die den Zuschauer immer wieder zum Schmunzeln bringen. So steckt Hamlet etwa, im wahrsten Sinne, mit seinem Vater „unter einer Decke“.
Besonders glänzt das Stück aber durch die tolle Besetzung – Julius Forster ist ein großartiger, moderner Hamlet und wirkt unglaublich authentisch. Vieles scheint leicht, spontan und gar nicht einstudiert – so wie im echten Leben.
Weitere Aufführungen finden am 04., 26. und 31. März sowie am 10. und 24. April statt. Der Eintritt kostet 4,25 bis 32 Euro.