Mannheim/Stuttgart/Rhein-Neckar, 23, Juli 2013. (red) Der Amoklauf in Dossenheim, das Beziehungsdrama in Eberbach, drei Tote in Sinsheim – alle Taten wurden mit legalen Schusswaffen ausgeübt. Insbesondere die Grünen kritisierten zu lasche Kontrollen, sind jetzt aber selbst am Ruder und die Kontrollen bleiben lasch. Der SWR-Autor Claus Hanischdörfer zeigt eine überforderte Behörde, traumatisierte Opfer und stellt viele Fragen, auf die es wenn, dann oft nur unzureichende oder fassungslos machende Antworten gibt. Klar ist: Waffen sind nicht nur Sport-, sondern auch Tötungsgeräte. Bessere Kontrollen könnten mehr Schutz bieten – bis dahin bleibt ein tödliches Risiko. Filmtipp heute Abend, 20:15 Uhr, SWR-Fernsehen.

Der SWR zeigt in seinem Film, dass das Landratsamt bei Waffenkontrollen überfordert ist – und die meisten Menschen durch legale Waffen zu Tode kommen. Foto: SWR
Interview: Hardy Prothmann
Anm. d. Red.: Wir haben den Film schon sehen können und uns sofort entschlossen, mit dem Autoren des sehr sehenswertes Stückes ein Interview zu machen, da wir ebenfalls sehr umfangreich über die Morde von Eberbach und Dossenheim berichtet haben.
Ihr Film „Tödliches Risiko“ zeigt auf, dass die Behörden, insbesondere das Landratsamt des Rhein-Neckar-Kreises, das Thema zu lasch angeht. Haben Sie eine Erklärung, warum?
Claus Hanischdörfer: Die offensichtlichste Erklärung ist meiner Ansicht nach, dass es an Personal, vor allem an qualifiziertem Personal mangelt. Die zuständigen Behörden sind mit der täglichen Bürokratie- und Arbeitsbelastung schon am Limit, Waffenkontrollen scheinen nur eine Nebenrolle zu spielen, so nach dem Motto: „wird schon schief gehen“. Das mag zwar in der Regel zutreffen, weil die überwiegende Mehrzahl der Waffenbesitzer unbescholtene und anständige Bürger sind, aber ich vertrete die Meinung: lieber einmal zu viel kontrolliert, als einmal zu wenig.
Ist die Waffenlobby zu stark? Es haben doch nur gerade mal 5 Prozent der Bevölkerung im Kreis die Erlaubnis, Waffen zu besitzen.

SWR-Autor Claus Hanischdörfer. Foto: privat
Claus Hanischdörfer: Das ist schwierig zu beurteilen. Allerdings hatte ich bei meinen Recherchen schon den Eindruck, dass Waffenbesitzer teilweise mit Samthandschuhen angefasst werden. So wurde meine Anfrage eine Waffenkontrolle mit der Kamera zu begleiten, vom Landratsamt Heidelberg mit folgender Begründung abgelehnt: „Das ist ein hochsensibler Bereich und wir wollen die Waffenbesitzer mit so einer Aktion (also in Begleitung eines Kamerateams) nicht provozieren. Die Waffenbesitzer könnten sonst den Eindruck bekommen, wir wollten damit unsere Macht über sie demonstrieren.“ Hallo!?!?? Das sagte übrigens der Stellvertreter des Landrats. Da fragt man sich schon, ob hier die Kontrollmechanismen etwas verschoben sind!?
Der Doppelmord von Eberbach und die Tragödie von Dossenheim sind schreckliche Taten von Sportschützen. Sie weisen nach, dass nicht etwa illegale Waffen am häufigsten bei Tötungsdelikten verwendet werden, sondern legale Waffen. Gleichzeitig sind die Kontrollen unzureichend. Was müsste Ihrer Meinung nach geändert werden?
Claus Hanischdörfer: Ich habe den Eindruck gewonnen, dass die Waffengesetze durchaus in Ordnung sind. Allerdings mangelt es am Vollzug. Im Bewusstsein und in Kenntnis, dass die Verfügbarkeit von Schusswaffen das Risiko steigen lässt, vor allem in emotionalen Ausnahmezuständen, müssen Kontrollen häufiger durchgeführt werden. Die Gesetze lassen das zu. Eine Schusswaffe ist nicht nur Sport- oder Jagdgerät, sie ist auch ein Tötungsinstrument, deshalb müssen die Kontrollen so gründlich durchgeführt werden, wie es das Gesetz zulässt. Im Übrigen gibt es auch da noch Spielraum: Ich war beispielsweise sehr überrascht, dass die „Eignung“ und die „Zuverlässigkeit“ eines Waffenbesitzers nur per Aktenlage geprüft wird. Allerdings scheint es eher unrealistisch, dass man alle Schützen und Jäger laufend vom Psychologen checken lässt, aber hier könnte, beispielsweise innerhalb der Vereine, eine bessere Selbstkontrolle stattfinden. Was ich allerdings unfassbar finde: dass eine Vielzahl der Aufbewahrungskontrollen von den Behörden angemeldet werden! Wie bitte!?? Das ist genauso unsinnig und wirkungslos, wie wenn man Waffenbesitzer bittet, ein Foto von ihrem Tresor zu schicken.

Der Film zeigt Opfer der Morde in Dossenheim, Betroffene der Morde in Eberbach – die Menschen sind verstört bis traumatisiert. Foto: SWR
Insbesondere Sportschützen bestehen darauf, dass die Lagerung von Waffen in Schützenheimen nicht praktikabel ist. Wie sehen Sie das nach Ihren Recherchen?
Claus Hanischdörfer: Schwierige Frage. Vor meiner Recherche war ich der Meinung, dass Waffen im Privathaushalt nichts verloren haben. Die Argumente von Seiten der Schützen haben mich aber nachdenklich gemacht. Ein riesiges Waffenlager in einem Schützenhaus birgt durchaus die Gefahr von Diebstählen. Ich halte es allerdings für sinnvoll, dass Schützen ihre Munition nicht privat lagern dürfen. Warum sollte ein Schütze die Munition zu Hause haben? Daheim darf er eh nicht schießen! Natürlich könnte dadurch ein geplanter Mord nicht verhindert werden, weil er im Schützenhaus immer noch Zugriff auf die Munition hätte. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass man mit dieser Maßnahme das Risiko für Taten im Affekt erheblich mindern könnte.
Haben Sie den Eindruck, dass die derzeitige Landesregierung ernsthaft bemüht ist, für mehr Sicherheit zu sorgen? Was sollte dringend verändert werden?
Claus Hanischdörfer: Ich hatte den Eindruck, dass man im Innenministerium das Problem erkannt hat und privatem Waffenbesitz sehr kritisch gegenüber steht. Allerdings weiß man dort auch, dass viele Wähler in Schützen- oder Jagdvereinen organisiert sind, und denen will man offensichtlich nicht zu sehr auf den Schlips treten. Kurz: Ich finde, dass bisher zu wenig passiert ist. Innenminister Reinhold Gall hat zwar versprochen, auf die zuständigen und sich im Rückstand befindlichen Waffenbehörden Druck auszuüben (es gibt übrigens Waffenbehörden, die sind noch viel weiter im Rückstand als im Rhein-Neckar-Kreis, da hat man erst fünf Prozent der Waffenbesitzer kontrolliert!), aber da ist sicherlich noch Luft nach oben. Letztlich muss es im Interesse der Regierung sein – vor allem einer Grün-Roten – dass das Waffengesetz nicht zu einem Papiertiger verkommt.

Risiko Sportschütze? Eindeutig ja – auch wenn die allermeisten sorgfältig mit Waffen umgehen. Doch wie minimiert man die Gefahr? Foto: SWR
Sie konnten nachweisen, dass in beiden Mordfällen „Anzeichen“ vorhanden waren, dass es zu gewaltvollen Auseinandersetzungen kommen könnte. Glauben Sie, dass Hinweise an die Polizei die Tragödien hätten verhindern können?
Claus Hanischdörfer: Auch das ist eine schwierige Frage, so nach dem Motto, „nachher ist man immer schlauer.“ Beim Amoklauf in Dossenheim glaube ich allerdings schon, dass der spätere Täter der Polizei hätte gemeldet werden müssen (vor allem, dass er einer Nachbarin im Streit den Finger gebrochen hatte). Dadurch hätt er seine Waffenbesitzerlaubnis verloren und man hätte die Tat verhindern können. Beim Doppelmord in Eberbach ist die Situation schwerer zu beurteilen. Ich glaube zwar, dass eine Meldung bei der Polizei etwas in Gang gesetzt hätte, aber vermutlich zu spät, um die Tat zu verhindern. Der Sohn des Mordopfers hat angeblich am 28.12.2012 von den Sorgen seines Vaters erfahren. Wäre er zur Polizei, hätten die erst einmal die Waffenbehörde eingeschaltet. Ob die aber zwischen den Weihnachtsfeiertagen noch aktiv geworden wären, vor allem bei einem eher „vagen“ Verdacht, das wage ich zu bezweifeln. Der Doppelmord geschah bereits am Neujahrstag 2013, also schon vier Tage später – so schnell mahlen unsere Behördenmühlen meiner Erfahrung nach leider nicht.
Information des SWR:
„Die Sendung „betrifft“ geht am 23. Juli um 20.15 Uhr im SWR Fernsehen der Frage nach, ob die Kontrollen von Waffenbesitzern zu lasch sind. Autor Claus Hanischdörfer ist im Rhein-Neckar-Kreis unterwegs, spricht mit Hinterbliebenen der Opfer, mit Sportschützen, einem Waffensachverständigen und mit den Kontrollbehörden. Zwar wurde 2009 nach dem Amoklauf von Winnenden das Waffenrecht verschärft, doch beim Landratsamt im Rhein-Neckar-Kreis kommt der Gesetzvollzug nur schleppend voran. Obwohl seit fünf Jahren verdachtsunabhängig kontrolliert werden darf, wurde erst bei 20 Prozent der Waffenbesitzer überprüft, ob sie ihre Schusswaffe ordnungsgemäß aufbewahren. Das Waffengesetz droht zu verpuffen, weil die Behörden überfordert sind. In Deutschland sind 5,5 Millionen Schusswaffen registriert, verteilt auf 1,45 Millionen Besitzer. Waffenliebhaber behaupten, dass legaler Waffenbesitz ungefährlich sei, wissenschaftliche Studien dagegen belegen: Die Verfügbarkeit von Waffen, gepaart mit emotionalen Ausnahmezuständen, erhöhen das tödliche Risiko.“