Mannheim, 20. Januar 2016. (red/pro) Die Polizei feiert einen Erfolg. Der Einsatz vom Dienstagmorgen in der Mittelstraße (Neckarstadt-West) war deswegen spektakulär, weil er massiv war. Und weil er für Unruhe sorgt. Südosteuropäische Banden spüren Druck. Ob die Verbrecher und ihre Netzwerke sich nachhaltig beeindrucken lassen, bleibt abzuwarten.
Von Hardy Prothmann
Es ist 6 Uhr morgens. Es hat fünf Grad minus. Jetzt beginnt die heiße Einsatzphase. Polizisten stürmen das Anwesen Mittelstraße 119. Ein hochkriminelles Haus. Über der Szenerie kreist ein Hubschrauber. Ein Scheinwerfer wirft seinen Spot auf den Zugriff.
Zugriff mit Show-Einlage
130 Beamte sind im Einsatz. Beamte des Polizeireviers Neckarstadt, mehrere Dutzend Beamte der Bruchsaler Bereitschaftspolizei, die Mannheimer Verkehrspolizei, mehrere Hundeführer und auch die örtliche Kriminalpolizei. Auch die Stadt Mannheim (Fachbereich 31, Sicherheit und Ordnung sowie das Amt für Baurecht) und die Steuerfahndung des Finanzamts Mannheim-Neckarstadt waren in das Einsatzgeschehen eingebunden, teilt die Polizei mit.
Die Straßen um den Zugriffsort sind abgeriegelt – überall stehen Streifenwagen quer. Hier kommt niemand raus. Die Falle schnappt zu.
Wir brauchen diese Einsatzstärke, wir wissen, warum wir da rein gehen, aber nicht, was uns drin erwartet,
kommentiert Peter Albrecht, Leiter des Neckarstädter Reviers, kurz und trocken.
Die massive Einsatzstärke ist taktisch „berechnet“. Rund 40 Personen erwartet man im Haus, letztlich sind es 38 und drei Kinder. Im Schnitt also 3:1 für die Polizei. Angesichts der Übermacht muckt kein Hehler, Dieb, Räuber, Zuhälter mehr auf. Die Lage ist klar und unmissverständlich.
Wohnung für Wohnung, 20 sind es, werden die „Bewohner“ zur erkennungsdienstlichen Behandlung nach draußen zur „Straße“ geführt. Straße ist in diesem Fall eine Reihe von Einsatzwagen, wo Beamte Daten erfassen, Fingerabdrücke nehmen, Verhöre durchführen. Viele Personen sind so beeindruckt, dass sie mehr Angaben machen als erwartet, was die Polizei später ausdrücklich erwähnen wird.
Auch klar: Viele sind nicht unbedingt Täter, oft Opfer der „Landsleute“. Manchen sind beides zugleich.
Gegen 06:15 Uhr will eine Frau ausgerechnet in dieses Haus hinein. Bildhübsch. Südländischer Typ. Gepflegte Erscheinung. Mitte 20.
Die Dame kam aus der „Lupi“, hatte Schichtende und war müde. Ich habe sie von einem Kollegen begleiten lassen, damit sie schlafen kann,
sagt Peter Albrecht. Übersetzt: Die Prostituierte kommt aus der Lupinenstraße 100 Meter weiter, muss schlafen, weil sie bald wieder Freier bedienen muss. Viele Frauen, die von Beamten aus dem Haus begleitet werden, sind Anfang bis Mitte 20. Bildhübsch mit sehr guten Figuren. Ihre „Begleiter“, meist ebenfalls junge Männer aus Südosteuropa, sind die, die für das „Geschäftliche“ zuständig sind.
Beamte laufen in das Gebäude, Personen werden herausgeführt „zur Straße“. Mehrere Drogenspürhunde kommen zum Einsatz. Beamte tragen vermutlich gestohlene Fahrräder auf die Straße. Beifang.
Dann kommen Kripo-Beamte in zivil aus dem Haus. Sie tragen eine Kiste mit Unterlagen. Treffer. Zahlreiche Dokumente deuten eine vielversprechende Aufklärungsarbeit an. Die Beamten gucken zufrieden. Sie haben „Beute“ gemacht.
An diesem kalten Morgen geht es um eine große Bandbreite krimineller Hintergründe: Drei Haftbefehle werden vollstreckt. Es geht um Steuerhinterziehung. Prostitution. Dokumentenfälschung und zahlreiche andere Verstöße.
Gut eineinhalb Jahre hat das Revier Neckarstadt diesen Einsatz vorbereitet. Die „Feindaufklärung“, die Ermittlungsarbeit war intensiv, kleinteilig, mühselig. Jetzt „fährt man die Ernte ein“.
Story hinter der Story
Aus polizeilicher Sicht ist dieser Einsatz ein großer Erfolg. Gratulation!
Bis hier liest sich die Story gut. Doch es gibt eine Story hinter der Story.
Bereits in den Tagen zuvor gab es mehrere polizeiliche Einsätze. Einer“GER“ (gemeinsame Ermittlungsgruppe Rauschgift) gelingt ein empfindlicher Schlag gegen einen Drogenhändlerring. Nur ein paar Häuser entfernt.
Auf Nachfrage verneint die Staatsanwaltschaft Mannheim „Verbindungen“ zwischen dem Schlag gegen die Drogenbande und der Aktion gegen das „hochkriminelle Haus“ in der Mittelstraße.
Unsere Recherchen bringen andere Ergebnisse. Ein Fahnder sagt uns im Vertrauen:
Das ist wie ein mittelständischer Betrieb organisiert. Die Frauen gehen anschaffen, nehmen selbst Drogen und vertickern die als Zusatzgeschäft an Freier. Salopp formuliert: Mit dem Fuck ist mehr Geld zu machen als mit einem Fick. Sie beschaffen auch Informationen. Diebesgut aus Einbrüchen und Diebstählen wird über die geschaffene Infrastruktur verteilt. Viele Drogen kommen über die Niederlande, aber auch über Südosteuropa. Das „Personal“ wird häufig gewechselt, die meisten sind Handlanger, die dringend Geld brauchen und deren Abhängigkeit gnadenlos ausgenutzt wird.
Weiter ergeben unsere Recherchen, dass das Landeskriminalamt nur so erfolgreich vor Ort „zuschlagen“ konnte, weil das Revier Neckarstadt sehr gut vorgearbeitet hat:
Ohne diese Vorarbeit wäre dieser Einsatz unmöglich gewesen. Hut ab. Saubere, solide Polizeiarbeit,
sagt uns eine andere Quelle. Und weiter erfahren wir:
Der Schlag in Mannheim hat der Szene weh getan. Aber ich glaube nicht, dass wir da ein System trockenlegen werden. Wir haben einen Arm der Hydra abgeschlagen. Das Netzwerk ist international und extrem gut durchorganisiert. Deswegen sind wir hier auch erfolgreich – weil jede Organisation Spuren hinterlässt, die wir offen legen können. Den Kopf haben wir noch lange nicht.
Wie unsere weiteren Recherchen ergeben, gibt es in der Neckarstadt-West noch vier bis sieben weitere „hochkriminelle Häuser“. Wie dort der Ermittlungsstand ist – da schweigen unsere Quelle. „Aus ermittlungstaktischen Gründen“. Die Frage ist offenbar zu konkret.
Auskünfte gerne bis zur Grenze
Der „Durchsatz“ von Personen ist hoch. Die Ermittlungsarbeit extrem arbeitsintensiv, weil ständig neue „Bewohner“ vor Ort sind. Revierleiter Peter Albrecht bestätigt auf Nachfrage unsere Recherche zu weiteren Objekten, hält sich aber ansonsten bedeckt:
Gehen Sie davon aus, dass wir hier jede Menge Arbeit haben.
Weitere Antworten auf Fragen blockt er ab:
Sie sind ja anscheinend ganz gut informiert. Sie waren beim Einsatz dabei und ich habe Ihnen erläutert, warum wir mit dieser Stärke aufgefahren sind. Wir haben eine Erwartungshaltung, wissen aber konkret nicht, was uns erwartet. Das ist ein hochkriminelles Milieu, eine Person galt als gefährlich, diese haben wir nicht angetroffen. Was die LKA-Ermittlungen angeht, müssen Sie das LKA fragen. Ich mache mit meinen Leuten hier vor Ort meine Arbeit.
Merkwürdig ist, dass der als sonst eher meinungsfreudige Beamte eher kurz angebunden ist. Möglicherweise waren die Fragen unangenehm, weil sie die Ermittlungen stören könnten. Kein Kommentar von Herrn Albrecht. Nur soviel:
Ich bin mit diesem Einsatz sehr zufrieden. Wir haben uns wie geplant durchgesetzt und aus polizeilicher Sicht mehrere Erfolge erzielt.
Die Stadt Mannheim wird das Gebäude unter die Lupe nehmen. Wie so oft gibt es illegal verlegte Stromleitungen – möglicherweise wird das Haus als „unbewohnbar“ aus baupolizeilicher Sicht stillgelegt.
Es ist nur eins von vielen Häusern dieser Art in der Neckarstadt-West. Nach unseren Recherchen gibt es viele stimmige Hinweise, dass der Stadtteil längst durch hochkriminelle Strukturen derart durchsetzt ist, wie ein Schimmelpilz Brot befällt.
Das zuständige Revier hält die Ordnung so gut es geht im öffentlichen Raum aufrecht. Hinter den Kulissen hat sich längst eine kriminelle Parallelgesellschaft eingenistet.
Südosteuropa hat die Neckarstadt-West übernommen
Südosteuropäische Banden haben den Stadtteil übernommen. Man kooperiert mit Türken und Italienern sowie mit „russischen“ Kontakten. Geschätzt 15.000 Menschen aus Bulgarien und Rumänien leben hier.
Von den Rändern her wird die Neckarstadt-West von Schwarzafrikanern in die Zange genommen, die das Kleindealergeschäft betreiben. Bislang gibt es keine „Reibereien“, die auffallen.
Aktuell wächst eine neue Gruppe heran, die ebenfalls hochkriminell ist: Araber, die ähnlich wenig zu verlieren haben wie Südosteuropäer und als mindestens so skrupellos gelten. Vielleicht sogar noch härter. Die meisten sind noch sehr jung und noch nicht „auf der Höhe ihrer Möglichkeiten“, wie unsere Quelle sagt.
Wenn diese Gruppen gegeneinander um die Vorherrschaft kämpfen, was der Fall sein wird, wenn man das Revier nicht „reinigt“, gibt es „Ramba-Zamba“,
so der Fahnder.
Und weil der Mann Auslandserfahrung hat, sagt er noch:
Das hier ist nur am Rande wie in Neapel. Dort hätte es längst sehr viele Tote gegeben.
Gefallen Ihnen unsere Artikel?
Dann machen Sie andere Menschen auf unser Angebot aufmerksam. Und wir freuen uns über Ihre finanzielle Unterstützung als Mitglied im Förderkreis – Sie spenden für informativen, hintergründigen Journalismus. Hier geht es zum Förderkreis.