Mannheim, 21. Januar 2016. (red/ms) Crystal Meth gilt als eine der gefährlichsten Drogen überhaupt. Die Folgen für Konsumenten können verheerend sein. Bislang war dieses Problem in der Region kaum verbreitet. Aktuell laufen vor dem Landgericht Mannheim allerdings Verhandlungen gegen eine mutmaßliche Dealer-Bande. Einem 34-Jährigen wird vorgeworfen, mit mehreren hundert Gramm gehandelt zu haben. Zum Prozessauftakt legte der Beschuldigte ein Geständnis ab.
Von Minh Schredle
Die Bilder sind bekannt: Verrottende Zähne, blutunterlaufene Augenhöhlen und eine faulige Haut. Die „Faces of Meth“ zeigen Menschen am Ende. Wie Konsumenten berichten, hat es oft nur wenige Wochen seit dem ersten „Ausprobieren“ bis zum völligen Kontrollverlust gedauert. Die Folgen für die körperliche und geistige Gesundheit können verheerend sein.
Dem 34-jährigen L. Nguyen sieht man seinen exzessiven, täglichen Konsum zumindest nicht direkt an. Das hellblaue Hemd sitzt ordentlich, die schulterlangen Haare sind gepflegt zurückgekämmt, Haut und Zähne sind gesund und rein.
Nicht gerade das Klischeebild, das man sich von einem hochgradig Drogensüchtigen vorstellt. Doch auch wenn oberflächlich wenig zu erkennen ist – die Schäden liegen tiefer. Vor Gericht sagt Nguyen:
Die Droge hat mich endgültig kaputt gemacht.
Schon vorher habe er Probleme gehabt, sein Leben auf die Reihe zu kriegen, erzählt er rückblickend. Dann kam Crystal Meth dazu. „Probier es aus und du wirst all deine Sorgen vergessen,“ habe man ihm gesagt. Und tatsächlich:
Berauscht war ich wie ein anderer Mensch. Euphorisch, energiegeladen, selbstbewusst.
Die Vorsitzende Richterin Bettina Krenz lässt den Angeklagten lange ausholen und seine Lebensgeschichte erzählen. In den Pausen stellt sie Rückfragen, um den Redefluss am Laufen zu halten. Stellenweise wirkt das weniger wie ein Verhör als ein therapeutisches Gespräch.
Leben im Quadrat
Nguyen wurde in Mannheim geboren, ist in den Quadraten aufgewachsen und hat sie nie verlassen. Die Eltern waren beide Vietnamesen, zu dem leiblichen Vater hatte er sein ganzes Leben kein einziges Mal Kontakt, erzählt der Angeklagte.
Schließlich habe sich seine Mutter noch in seiner Kindheit auf eine neue Beziehung eingelassen. Mit den Jahren habe er ein sehr gutes Verhältnis zum Stiefvater aufgebaut, den er vor Gericht konsequent als „Vater“ bezeichnet.
Nguyen hat mit 34 Jahren noch nie Vollzeit gearbeitet, wie er vor Gericht angibt. Berufsausbildungen hat er angefangen, aber nie abgeschlossen. In der Gastronomie habe man ihn trotzdem als Aushilfskraft beschäftigt. So habe er sich 400 bis 600 Euro im Monat dazu verdienen können und „wenn es richtig gut gelaufen ist, sogar hin und wieder 800 Euro“.
Arbeiten? Ne, lass mal sein..
Die Richterin erkundigt sich, warum der Angeklagte „als gesunder junger Mann“ nie acht Stunden am Tag, sondern immer nur als Teilzeitkraft gearbeitet habe. Der antwortet:
Weil ich keine Lust hatte, so viel zu arbeiten. Das Geld hat gereicht, um über die Runden zu kommen.
Nguyen ist in einer Wohnung in den N-Quadraten aufgewachsen. Dort ist er noch heute gemeldet, zusammen mit seiner Mutter. Um seine Versorgung habe er sich nie sorgen müssen, sagt der Angeklagte.
Die Mutter habe den Haushalt übernommen und „Vater brachte das Geld heim.“ Zusammen lebten sie in drei Zimmern auf etwa 95 Quadratmetern. 2010 verstirbt der Stiefvater. Die Situation von Mutter und Sohn verschlechtert sich deutlich:
Der Tod meines Vaters war der Moment, ab dem es nur noch bergab ging.
Und schon zuvor ist es nicht besonders rund gelaufen: Schon mit 14 Jahren hat der Angeklagte angefangen, zu trinken. „Heftig?,“ will die Richterin wissen. „Nein, nicht besonders,“ antwortet der Angeklagte. Frau Krenz runzelt die Stirn: „In den Akten heißt es zumindest, sie hätten öfter mal bis zum Erbrechen und zum völligen Filmriss getrunken.“ Verdutzt sagt Nguyen:
Ja, aber das ist doch ganz normal unter Jugendlichen.
Auch mit Cannabis habe er in der Jungend ein paar Mal „experimentiert“ – aber schnell festgestellt, dass ihm das nicht gut bekomme. Bis auf den Alkohol hätten Drogen ihm nie besonders gefallen: „Ich habe auch Kokain, Speed und Extasy ausprobiert, aber das war einfach nichts für mich.“ Schließlich habe ihm jemand Meth angeboten: „Da habe ich meine Droge gefunden“.
Höchstleistung: Sechs Tage Pause
Es dauert nicht lange, bis aus „gelegentlichem Konsum am Wochenende“ eine Abhängigkeit erwächst: „Etwa zwei Monate nach dem ersten Probieren habe ich Meth fast täglich konsumiert,“ sagt Nguyen. Auch auf Arbeit stand er unter Drogeneinfluss – und das habe am Anfang noch „sehr gut“ funktioniert:
Ich war immer hellwach und hoch konzentriert. Aber nach ein paar Wochen war ich einfach zu erschöpft.
Crystal Meth wirkt als starkes Aufputschmittel. Konsumenten können nach Einnahme der Droge oft mehrere Tage nicht mehr schlafen. Nüchtern fühlen sich Abhängige schwach und kraftlos, lethargisch und unmotiviert. Der Angeklagte berichtet:
Nach der Geburt meines dritten Sohnes habe ich versucht, aufzuhören. Ich habe sechs Tage durchgehalten.
Ein bisschen Stolz liegt in seiner Stimme. Für einen Schwerstabhängigen ist das wohl eine bemerkenswerte Leistung – auch wegen der Entzugserscheinungen. Als Nguyen inhaftiert wurde, habe er ohne Beruhigungsmittel nicht schlafen können. Erst nach drei Monaten konnte er auf die Medikation verzichten, sagt er.
„Das war ein Fehltritt“
Die drei Kinder des Angeklagten stammen von drei verschiedenen Müttern. „Die ersten zwei Kinder waren Fehltritte,“ sagt der Angeklagte. Beide wurden 2002 geboren. Da habe er „Erfahrungen gesammelt“. Zu keiner der beiden geburtsgebenden Frauen habe er je eine Beziehung gepflegt. Und: „Um keines der Kinder habe ich mich jemals gekümmert,“ sagt er, als wäre das normal.
Sein drittes Kind bedeute ihm allerdings etwas, sagt der 34-Jährige. Doch da habe er seine Sucht schon nicht mehr im Griff gehabt. Um sich den eigenen Konsum zu finanzieren, habe er angefangen zu dealen.
Über Kontakte ist er zum Mitglied einer Bande mit einem knappen Dutzend Komplizen geworden, die sich vorm Landgericht in gesonderten Verfahren verantworten müssen. Sie haben das Meth überwiegend in Tschechien für 20 bis 40 Euro pro Gramm gekauft, über die Grenze geschmuggelt und zu Grammpreisen zwischen 50 und 150 Euro in Deutschland weitervertrieben.
Konsumenten zahlen rund 30 Euro für einen Rausch
Um welche Menge es sich insgesamt handelt, ist der Redaktion nicht bekannt und wird Gegenstand weiterer Verhandlungen sein. Doch allein Nguyen hat laut Anklage mehrere hundert Gramm verkauft. Dem Gericht sind 63 einzelne Fälle bekannt, die vom Angeklagten bereits gestanden wurden. Momentan ist noch unklar, wann das Urteil verkündet wird.
Wie groß der Handel mit Crystal Meth in Mannheim und Umgebung ist, lässt sich nur schwer abschätzen. Offenbar sind aber sowohl Angebot als auch Nachfrage in denkwürdigem Ausmaß vorhanden. Konsumenten sind anscheinend bereit, bis zu 150 Euro für ein einzelnes Gramm der Droge auszugeben. Das reicht für etwa fünf bis sechs Konsumeinheiten.
Auch wenn bislang nur eine recht überschaubare Anzahl an Fällen publik geworden ist – offensichtlich ist Crystal Meth auch in Mannheim und der Metropolregion ein Problem, das die Behörden unbedingt im Blick behalten müssen.