Mannheim/Schriesheim/Heddesheim, 18. April 2012. (red/cr) Ob eine Beleidigung, der Schlachtruf „Heddesheim fickt alles“ oder einfach nur sinnlose Streitlust die Ursachen für die Prügelei auf der Schriesheimer Kerwe 2011 waren, konnte auch der dritte Prozesstag nicht klären. Bei der Schlägerei wurde ein Schriesheimer von einem Heddesheimer niedergestochen. Viele Zeugenaussagen waren ungenau und lückenhaft. Sicher scheint bisher nur zu sein, dass der geständige Patrick N. den Geschädigten Evren D. am 04. September 2011 mit einem Einhandmesser niedergestochen hat. Und es ist nicht die erste Messerstecherei, an der der Heddesheimer beteiligt war.
Von Christian Ruser
Verteidiger Ulrich Neumann wartet auf die Ankunft seines Mandanten Patrick N.. Ihm gegenüber Staatsanwalt Dresel, Anwalt des Nebenklägers Rechtsanwalt Franz, Nebenkläger Evren D., die Jugendgerichtshilfe und eine Expertin der Gerichtsmedizin. Als die Vorsitzende Richterin Frau Krenz mit den Beisitzerinnen Frau Beck und Frau Becker, so wie zwei Schöffen erscheinen, erhebt sich das Publikum.
Mit leichter Verspätung beginnt der dritte Prozesstag. Verhandelt wird eine gefährliche Körperverletzung mit bedingtem Tötungsvorsatz. Ein Streit zwischen einer Gruppe Jugendlicher aus Heddesheim und einer anderen Gruppe eskalierte in einer Schlägerei mit rund 10 beteiligten Personen. Hierbei verletzte Patrick N. den Nebenkläger Evren D. mit einem Messer schwer. Er stach ihm die Klinge fünf Zentimer tief in den Bauch und verletzte die Leber. Evren D. musste notoperiert werden.
3.000 Euro Schmerzensgeld gefordert
Zunächst reicht der Anwalt des Nebenklägers Herr Franz einen Adhäsionsantrag ein. Er fordert von Patrick N. 3.000 Euro Schmerzensgeld. Auch soll er die Kosten des Adhäsionsverfahrens tragen. Im Adhäsionsverfahren werden im laufenden Strafprozess zivilrechtliche Ansprüche, die aus der Straftat erwachsen geltend gemacht. Die erspart ein zivilrechtliches Verfahren im Anschluss. Patrick N. stimmt, nach kurzer Absprache mit seinem Anwalt, der Forderung zu.
Nachdem das geklärt ist, wird der erste Zeuge in den Sitzungssaal gerufen. Herr S. war bereits vergangene Woche geladen worden, aber zum festgesetzten Termin nicht erschienen. Auf Nachfragen meint er, er habe Fieber gehabt und vergessen, dem Gericht seine Krankheit mitzuteilen. Richterin Krenz ist sehr verstimmt. Sie belehrt ihn, dass er ein Attest vorzulegen habe, sonst droht ein Ordnungsgeld.
Mühselige Vernehmung
Die folgende Vernehmung gestaltet sich als äußerst mühselig. Der Zeuge berichtet vom Tatabend, kann sich aber kaum an die Namen seiner Begleiter erinnern. Die vielen Unbekannten korrespondieren mit viele Lücken in den Aussagen. Von elf Jugendlichen mit denen er unterwegs war, behauptet er nur zwei namentlich gekannt zu haben. Im Protokoll der Polizei spricht er jedoch mehrmals von Freunden. Da Herr S. sich wohl nicht mehr so ganz an die Geschehnisse des 04. September 2011 erinnern kann oder will, beschließt Richterin Krenz die Aussage im Polizeiprotokoll laut zu verlesen und vom Zeugen auf seine Richtigkeit bestätigen zu lassen.
Auch wenn sich der Zeuge vor allem bei den beteiligten Personen unsicher ist, weder den Angeklagten, noch das Opfer erkennt er wieder, sieht er die Anstifter deutlich in den Jugendlichen aus Heddesheim. Sie sollen einen, wiederum nicht näher bekannten, aus der anderen Gruppe beschimpft haben. Der Schlachtruf „Heddesheim fickt alles“ soll mehrfach gefallen sein. Als die Gruppe die Heddesheimer zur Rede stellen will, greifen diese an. Bei tieferem Nachfragen gibt der Zeuge an, den eigentlichen Stich nicht gesehen zu haben. Seine eigene Motivation und Beteiligung an dem Vorfall bleiben unklar.
Messer und Canabis
Erfrischend informativ hingegen ist die Aussage des Polizeihauptmeisters Hilmar F.. Routiniert gibt er seine Personalien an und schildert die Festnahme von Patrick N. Der Angeklagte hatte schon geschlafen, als die Beamten an der Haustür klingelten. Die Eltern des Angeklagten waren sichtlich überrascht, er selbst gestand seinem Vater gegenüber aber bereits ein, dass die Polizisten wegen der Messerstiche in Schriesheim gekommen waren. Widerstandslos lies er sich verhaften.
In Patrick N.s Zimmer wurden drei Messer und Cannabis sichergestellt. Anders, als im Protokoll angegeben, handelte es sich hierbei aber nicht um Sprung-, sondern um Einhandmesser. Dies wird noch einmal nach Ansicht der Beweisstücke deutlich. Ein Irrtum, der an den Tatumständen nicht wirklich etwas ändert.
Unklare Zeugenaussagen
Anschließend wird der Zeuge Björn M. gehört. Er hat selbst mit einem Verfahren zu rechnen und könnte deshalb von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen. Er verzichtet und schildert den Tathergang. Nach eigenen Angaben, ist er mit seinem Bruder und zwei Freunden auf der Schriesheimer Kerwe gewesen. An der Grundschule hatten sie sich gelangweilt und beschlossen zu gehen. Auf dem Weg zur OEG Haltestelle kamen sie an den Jugendlichen aus Heddesheim vorbei. Diese beschimpften Björn M. und seine Begleiter.
Als Björn M. auf Patrick N. aufmerksam gemacht wurde, rief dieser den Freund Dani J. auf dem Schulhof der Grundschule zu Hilfe. Björn M. glaubte durch zahlenmäßige Überlegenheit eine Eskalation verhindern zu können. Kaum war die Verstärkung erschienen, stürzten sich die Heddesheimer willkürlich auf den Geschädigten Evren D.. Bei der resultierenden Prügelei sollen sich sieben Heddesheimer mit zwei bis drei anderen Jugendlichen geschlagen haben. Nach Patrick N.s Messerstich hatte Björn M. mit dem Verwundeten noch bis zum Eintreffen der Rettungssanitäter gewartet und war dann geflüchtet.
Staatsanwalt Dresel befragte den Zeugen vor allem hinsichtlich seines eigenen Antriebs. So kam die Frage auf, ob Björn M. nicht gezielt Streit gesucht habe und durch seinen Anruf mehr Männer für die Schlägerei mobilisieren wollte. Björn M. verneint dies. Er habe weder Streit gesucht, noch habe er sich an der Schlägerei beteiligt.
Richterin Krenz hakt auch bei der polizeilichen Aussage nach. So hat Björn M. ausgesagt, Patrick N. habe mit einem Springmesser zugestochen. Dieses habe er aus der Hosentasche geholt. Wie der Zeuge jedoch einräumt, hat er den Stich selbst nicht wirklich gesehen.
Direkt im Anschluss wird der Bruder, Sven M., gehört. Dieser bestätigt das Vorhaben die Kerwe verlassen zu wollen. Selbst als es zu Beschimpfungen durch die Heddesheimer kommt, rät er zum Gehen, wir aber ignoriert. Die Gründe für sein eigenes Bleiben sind unklar. Vielleicht geschah es Loyalität zu seinem Bruder und den Freunden.
Bewährungsstrafe in Aussicht
Die Richter und Schöffen stehen nun vor der Aufgabe ein Urteil zu fällen. Patrick N. ist kein unbeschriebenes Blatt. Bereits 2010 war er in eine Messerstecherei verwickelt. Wegen Körperverletzung wurden ihm bereits Sozialstunden auferlegt. In der Haft mache er, ebenso wie bei der Verhaftung, einen kooperativen Eindruck und verhalte sich unauffällig.
Die Gerichtsmedizin konnte anhand der Blutuntersuchung und des Drogenkonsums keine verminderte Schuldfähigkeit feststellen. Die Jugendgerichtshilfe rät im Fall einer Bewährungsstrafe zu klaren Auflagen. Durch Sozialstunden könnte er an einen geregelten Arbeitsalltag herangeführt werden. Auch sollte er sich in ambulante Drogentherapie begeben. Gegen seine Gewaltbereitschaft wird ein Anti-Aggressionstraining von mindestens sechs Monaten dringend angeraten.