Rhein-Neckar, 17. Dezember 2014 (red/ms) Wenn Flüsse über ihr Bett treten, kann Wasser eine ungeheure Zerstörungskraft entfalten. Im vergangenen Jahr haben Hochwasser in Deutschland einen Sachschaden im Milliardenbereich verursacht, mindestens acht Menschen haben ihr Leben verloren. Dennoch spielen Maßnahmen zum Hochwasserschutz kaum eine Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung – und das muss sich ändern, findet Ralph Schlusche vom Verband Region Rhein Neckar. Denn durch Investitionen könnten die Risiken radikal reduziert werden. Doch das ist kostspielig. Und der öffentliche Druck auf die Politik ist noch nicht groß genug, dass die erforderlichen Gelder bereitgestellt werden.
Von Minh Schredle
Acht Milliarden Euro. Mit diesem Betrag beziffert Ralph Schlusche die Summe der Schäden, die innerhalb der Bundesrepublik im vergangenen Jahr entstanden sind. Er ist der Direktor des Verbands Region Rhein Neckar (VRRN) und hat sich zum Ziel gesetzt, die Bevölkerung für dieses Problem zu sensibilisieren, das in seinen Augen „viel zu sehr vernachlässigt wird“.
Herr Schlusche sagt, dieses Jahr habe man Glück gehabt. Ein Jahrhunderthochwasser habe es nicht gegeben. Aber:
Das nächste kommt garantiert. Jahrhunderthochwasser sind keine Seltenheit!
Und diese Aussage kann er belegen: 1993 und 1995 am Rhein, 1997 und 2010 an der Oder, 1999, 2005 und 2009 an der Donau, 2002 und 2006 an der Elbe. Und dann 2013: Ein 500-Jahre-Rekord-Hochwasser an der Donau und noch nie gemessene Höchstwerte an der Elbe.
„Auf Statistiken ist kein Verlass“
„Statistisch gesehen würden solche Hochwasser zwar nur alle hundert Jahre auftreten“, sagt Herr Schlusche. „Aber auf die Statistik kann man sich leider nicht verlassen“. Mal gebe es ein paar hundert Jahre Ruhe, dann käme vieles geballt. Außerdem gehe nicht nur von einem, sondern von vielen Flüssen in Deutschland eine große Gefahr aus.
Und trotzdem werden Hochwässer häufig erst dann als Bedrohung wahrgenommen, wenn die Straßen geflutet sind und die Keller unter Wasser stehen. Herr Schlusche bezeichnet das als „Hochwasserdemenz“:
Immer wieder wird Menschen vor Augen geführt, über was für eine zerstörerische Kraft Wasser verfügen kann. Und immer wieder scheinen sie das zu vergessen und machen viel zu wenig, um dem vorzubeugen.
Einmal im Jahr veranstaltet der VRRN in Zusammenarbeit mit der Industrie- und Handelskammer (IHK) ein Hochwasserschutzforum, um diese Hochwasserdemenz zu bekämpfen. Am 04. Dezember hat dieses zum zwölften Mal stattgefunden, etwa 100 Besucher sind erschienen.
Eine Veranstaltung für Verwalter
„Es freut mich, dass die Resonanz so groß ist“, sagte Herr Schlusche bei der Begrüßung – in der breiten Öffentlichkeit ist die Veranstaltung allerdings noch nicht angekommen. Denn nur die allerwenigsten besuchten die Veranstaltung als Privatpersonen. Es handelte sich überwiegend um Personen des öffentlichen Lebens.
Mehrere Polizisten, Bauamtsleiter aus verschiedenen Gemeidnen, vier Vertreter des Regierungspräsidiums Darmstadt, sieben Bürgermeister, die Kreisrätin Elfriede Benedix (CDU), die Mannheimer Stadträtin Gabriele Baier (Grüne) und der Schriesheimer Stadtrat Sebastian Cuny (SPD) hatten sich angemeldet.
Genau auf diese Personen war die Veranstaltung auch zugeschnitten. Denn viele Inhalte waren sehr spezifisch und nicht gerade zugänglich für den Normalbürger, wie etwa der Vortrag des Rechtsanwalts Prof. Dr. Hans-Jörg Birk. Dieser sollte einführen in „die Untiefen des Überschwemmungsrechts“ und befasste sich mit baurechtlichen Auflagen für Hochwassergebiete, die beim Aufstellen von Bebauungsplänen in hochwassergefährdeten Gebieten befasste.
Informationsflut
Neben Prof. Dr. Birk kamen noch vier andere Redner zu Wort: Dr. Mingyi Wang, der darlegte, wie Hochwasserschutz aus der Perspektive von Versicherungen betrachtet wird. Michael Seibel vom Technischen Hilfswerk (THW), der erklärte, wie Einsätze im Extremfall ablaufen können und Dr. Peter Heiland, der zeigte, wie man „hochwasserangepasst“ bauen und planen kann.
Außerdem stellte Dr. Bernd Worreschk vom Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten Rheinland-Pfalz das Nationale Hochwasserschutzprogramm vor, das Ende Oktober 2014 auf einer Umweltministerkonferenz in Heidelberg beschlossen worden ist.
In diesem Programm sind Schutzmaßnahmen mit Gesamtkosten in Höhe von 5,4 Milliarden Euro eingeplant, die über einen Zeitraum von bis zu 20 Jahren umgesetzt werden sollen. Laut Dr. Worreschk wolle man erreichen, dass sich der Bund mit 70 Prozent an diesen Kosten beteiligt.
Wie sollen die Schutzmaßnahmen finanziert werden?
Nach dem aktuellen Stand der Verhandlungen plane Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble jedoch maximal 1,2 Milliarden Euro für das Programm bereitzustellen. Man werde darum kämpfen, mehr Mittel zur Verfügung gestellt zu bekommen, kündigte Dr. Worreschk an.
Es sei in erster Linie die Aufgabe des Bundes, für die Sicherheit der Bürger zu sorgen. Außerdem seien auch Milliardenbeträge nur ein kleiner Teil des Bundeshaushalts und man könnte eigentlich ohne größere Probleme die geforderten Beträge bereitstellen, wenn man diese auf mehrere Jahrzehnte verteilt. Hinzu komme, dass viele Kommunen aktuell unter Engpässen leiden und sich Investitionen in diesen Größenordnungen schlichtweg nicht leisten können.
Auch in unserem Berichterstattungsgebiet sieht die Zukunft vieler Gemeinden nicht besonders rosig aus, denn Großprojekte wie Schulsanierungen, geplante Sportanlagen oder der angestrebte Erhalt von Freibädern belasten die Haushalte im mehrstelligen Millionenbereich. „Der Sparzwang muss aufrecht erhalten bleiben“, heißt es etwa in Ladenburg, wo die Straßenbeleuchtung in der Nacht abgeschaltet wird, weil die Stadt dadurch ungefähr 16.000 Euro einspart.
„Langfristig zahlen sich die hohen Investitionen aus“
Dr. Worreschk und Herr Schlusche machten unter anderem ein unzureichendes Bewusstsein in der Bevölkerung dafür verantwortlich, dass seitens der Bundespolitik wenig Bereitschaft besteht, größere Summen bereitzustellen. Würde der öffentliche Druck steigen, würden entsprechende Mittel bereitgestellt werden. Und diese Investitionen seien nur vernunftig, wie Herr Schlusche sagte:
Die Schadenssumme eines einzelnen Jahres betrug acht Milliarden Euro – und trotzdem will der Bund über zwei Jahrzehnte nicht einmal die Hälfte dieses Betrages bereitstellen?
Herr Schlusche betonte eindeutig und unmissverständlich, dass ein Restrisiko immer verbleiben wird, egal wie gut die Schutzmaßnahmen sind. Allerdings ließen sich Schutzmaßnahmen durchführen, die mögliche Schäden minimieren. Und abgesehen, dass sich diese Investitionen langfristig auch aus wirtschftlicher Perspektive lohnen – im Zweifelsfall können sie Leben retten. Und das ist unbezahlbar.