14. Oktober 2020. (red/pro) Die Stadt Weinheim braucht einen neuen hauptamtlichen Feuerwehrkommandanten, den der aktuell noch im Amt befindliche Sven Lillig (41) gibt seinen Posten nach nicht einmal drei Jahren zum Jahresende auf, weil er sich beruflich anders orientieren wolle, wie es in einer offiziellen Mitteilung der Stadt hieß. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Der Abgang beendet eine lang andauernde Krise der Feuerwehr nicht, sondern kann die Chance auf einen Richtungswechsel sein.
Von Hardy Prothmann
“Den größten Akzent hat der “Kommandant” dadurch gesetzt, keine Akzente gesetzt zu haben”, ist nur einer von eher nicht freundlichen Kommentaren aus den Reihen der Freiwilligen Feuerwehr Weinheim. Die Anführungszeichen werden mitgesprochen.
Der Nachfolger für die Feuerwehrlegende Reinhold Albrecht (der überraschend Ende 2018 verstarb) musste in große Fußstapfen treten – die auszufüllen würde nicht leicht sein, das war 2018 klar, als Sven Lillig zum Jahresanfang angestellt wurde und dann ab März die Führung übernahm. Dass dem neuen Kommandanten aber in erheblichem Umfang Qualifikationen fehlten, wusste man offenbar nur stadtintern. Was folgte, war ein Zeitraum über rund 16 Monate, in dem Herr Lillig viel Zeit außerhalb Weinheims bei Fortbildungen verbrachte.
Zu wenig Präsenz
Doch statt ein klares Zeichen zu setzen, dass er sich nicht nur aus eigenen Notwendigkeiten anstrengt, sondern darüber hinaus einbringt, fehlte. Die Erwartungshaltung vieler Kameradinnen und Kameraden, dass er sich auch mal bei Veranstaltungen der verschieden Abteilungen zeigt, wurden enttäuscht.
Anfang Februar 2020 knallte es dann bei der Jahreshauptversammlung der Abteilung Stadt – wer fehlte? Sven Lillig. Dafür war Oberbürgermeister Manuel Just anwesend – die Besetzung dieser Personalie lag vor seinem Amtsantritt. Mit stocksteifem Rücken verfolgte der Oberbürgermeister die Rede von Abteilungskommandant Ralf Mittelbach und den Auftritt einer anderen Feuerwehrlegende – Rolf Tilger, der noch seine Ehrung für 50 Jahre Mitgliedschaft entgegennahm und dann hinwarf. Eindeutig wegen Sven Lillig. (siehe hierzu unseren Bericht “Kommandant Lillig in der Kritik” sowie “Feuer unterm Dach“)
“Es ist keine Frage, dass es im Moment bei unserer Feuerwehr atmosphärische Störungen entstanden sind, die wir ausräumen müssen, wir werden diese Verantwortung auch wahrnehmen”, sagte Oberbürgermeister Manuel Just damals. Unklar ist, ob der Weggang nun wegen der “wahrgenommenen Verantwortung” durch den OB, auf eigenen Wunsch von Herr Lillig oder einer Kombination aus beidem geschah.
Was alles nicht in der städtischen Mitteilung zur Personalie Lillig steht
Die Mitteilung der Stadt Weinheim zur Personalie am Wochenende ist einem freundlichen Ton gehalten. Oberbürgermeister Just wie auch der Erste Bürgermeister Dr. Torsten Fetzner, der auch Feuerwehrdezernent ist, betonten ebenso das gegenseitige Vertrauen wie Herr Lillig.
Auffällig an dieser Meldung ist, was alles nicht drin steht. Offenbar gab es kein Vertrauensverhältnis des Kommandanten zu den Abteilungen – zumindest ist dies nicht ansatzweise erwähnt, sondern nur, dass der Gemeinderat und die Abteilungskommandanten am Wochenende über dessen Kündigung informiert worden seien.
Es gibt nicht ein Beispiel für irgendein erreichtes Ziel für die Feuerwehr Weinheim in der knapp dreijährigen Amtszeit von Herrn Lillig, dafür aber die Information, er habe “im Verlauf seiner Tätigkeit in Diensten der Stadt Weinheim weitere Qualifikationen erlangt”. Teile der Fortbildungskosten, die nun einem neuen Arbeitgeber zugute kämen, würde er an die Stadt zurückbezahlen. Den größten Teil der Ausbildung habe die Landesfeuerwehrschule (LFS) übernommen, hier seien der Stadt keine Kosten entstanden – wem aber dann? Natürlich dem Steuerzahler, den die LFS gehört zum Innenministerium. Und Achtung: “Dies sei sogar vertraglich vereinbart”, teilt die Stadt Weinheim mit. Nicht mitgeteilt wird, ob Herr Lillig mit der Kündigung auch einen “goldenen Handschlag” für die Trennung erhielt.
Weiter teilten der OB und der Feuerwehrdezernent mit, die “Einsatzstärke der Weinheimer Feuerwehr bleibt selbstverständlich auch in der Übergangsphase in vollem Umfang erhalten”. Vermutlich ist die Einsatzfähigkeit gemeint. Richtig ist: Diese bestand auch in den langen Abwesenheitsphasen von Herrn Lillig – wahrgenommen von dessen Stellvertretern Ralf Mittelbach (Abteilungskommandant Stadt) Volker Jäger (Werkfeuerwehr Naturin) sowie den anderen Abteilungskommandanten.
Die Stelle wird nun erneut ausgeschrieben und eine Neubesetzung durch den Hauptausschuss des Gemeinderats beschlossen. Doch das wird kein einfacher Ritt werden, denn mit dem frühen Abgang von Sven Lillig sind die hinterlassenen “atmosphärischen Störungen” beileibe nicht erledigt. Hier mit einem Hü-Hott schnell mal auszuschreiben, Hauptsache um die Stelle wieder zu besetzen, wird es nicht getan sein – ganz im Gegenteil, das ist ein sehr heißes Eisen.
Schwierige Aufgabe
Die Besetzung fällt in den Verantwortungsbereich von Dr. Torsten Fetzner – doch der ist auch verantwortlich für die demnächst vakante Stelle. Aktuell hat der Erste Bürgermeister bekannt gemacht, dass er erneut kandidieren will. Doch steht nicht nur Herr Lillig in der Kritik der Feuerwehrleute – ebenso der Feuerwehrdezernent. Auch hier steht das Gefühl im Raum, zu wenig Beachtung zu finden.
Diese Stelle ist nicht einfach ein Verwaltungsposten als Stadtbrandmeister, verantwortlich auch für Brandschutzsachen, sondern es handelt sich zwar um eine hauptamtliche Stelle, aber der Kommandant ist eben auch der Kommandant der Ehrenamtlichen, die sich von diesem respektiert und ernst genommen fühlen wollen.
Allein diese Konstellation ist schon schwierig – hinzu kommt die Organisation der Freiwilligen Feuerwehr Weinheim mit seinen sechs Abteilungen, der großen Abteilung Stadt und den kleinen Abteilungen Sulzbach, Lützelsachsen-Hochsachsen, Oberlockenbach, Rippenweier und Ritschweier. Hier bestehen unterschiedlichen “Traditionen und Kulturen” und teils ein durchaus eigenwilliges Selbstbewusstsein.
Wer nicht weiß, wie die Abteilungen ticken, wird es sehr schwer haben, hier Fuß zu fassen. Dabei ist das eine wesentliche Qualifikation, den wie viele Wehren ist eines der Probleme der Zukunft, genug einsatzbereite Freiwillige im Ehrenamt zu halten und zu werben, damit die Einsatzfähigkeit erhalten bleibt.
Hinzu kommt, dass die Feuerwehrhäuser teils sehr in die Jahre gekommen sind, es geht beengt zu, es braucht in regelmäßigen Abständen neue Technik und entsprechende Schulungen sowie Leistungsnachweise, was den Ehrenamtlichen viel abverlangt – aber auch dem kommunalen Etat, der dafür Geld aufbringen muss. Und es nicht unbedingt so, dass sich die Kameradinnen und Kameraden hier im Gemeinderat immer gut verstanden und respektvoll behandelt fühlen – aber ohne Anerkennung wird die Bereitschaft zum Einsatz für andere erwartbar sinken.
Dazu kommen jährlich wachsende Einsatzzahlen und immer mehr Aufgaben im Katastrophenschutz – durch den Klimawandel kommen hier neue Herausforderungen auf die Wehr zu, nicht nur in Weinheim.
Eine Qualifikation wird es sein, sich Respekt zu verschaffen
Neben aller fachlichen Qualifikation braucht es also vor allem eine Persönlichkeit, die einerseits ein Ohr für Befindlichkeiten hat und Vertrauen schafft, aber anderseits Führungsqualitäten zeigt – nicht nur gegenüber den Mannschaften, sondern auch gegenüber dem Gemeinderat und der Stadtspitze.
Ob dies durch einen “auswärtigen” Bewerber geleistet werden kann, ist mehr als fraglich. Vermutlich gibt es geeignete Kandidaten – die Frage ist nur, ob dies sich auch bewerben, insbesondere mit Blick auf die vielen Baustellen, die Herr Lillig nicht nur hinterlässt, sondern auch geschaffen hat.
Hinzu kommt eine verwaltungsinterne Konstellation: Der neue Oberbürgermeister Manuel Just hat als früherer Bürgermeister der Nachbargemeinde Hirschberg an der Bergstraße das Kunststück vollbracht, die dortigen Ortsteilwehren zu fusionieren und ein gemeinsames Hilfeleistungszentrum für viel Geld zu bauen. Das war alles, nur keine einfache Übung.
Damit hat der neue OB aber erhebliche Kompetenz gezeigt und weitere erworben – Feuerwehrdezernent ist aber Dr. Torsten Fetzner, der mit der Auswahl von Herrn Lillig kein gutes Händchen gezeigt hat. Wie werden die beiden Bürgermeister in der Sache zusammenarbeiten? Und welches Wörtchen wird der Hauptausschuss mitreden wollen?
Klar ist, dass der nächste Kommandant entscheidende Weichen für die Freiwillige Feuerwehr Weinheim wird stellen müssen – bei der Organisation, der Ausstattung, den Standorten und vor allem beim Teamgeist der Kameradinnen und Kameraden. Das ist einerseits ein Top-Job, es kann aber auch ein Schleudersitz sein.
Wenn die Suche nach einem Nachfolger von Herrn Lillig nun im Hauptaugenmerk darauf liegt, ob der Kandidat auch alle benötigten Qualifikationen hat, wäre das ein Fehler. Ebenso wichtig sind ausgeprägte “Softskills”, also die Fähigkeit zur Menschenführung und die Bereitschaft, auch am Wochenende für die Kameradinnen und Kameraden da zu sein, ebenso wie bei Einsätzen. Das ist kein normaler Job, sondern eine Lebensaufgabe, für die man “brennen” muss.
“Immerhin hat Herr Lillig nun seine Ausbildungsstation bei uns beendet”, heißt es innerhalb der Feuerwehr. Und lakonisch: “Reisende soll man nicht aufhalten.”