Weinheim, 06. Februar 2020. (red/pro) Im Zentrum der Kritik vieler Feuerwehrleute steht der neue Kommandant Sven Lillig – doch diese Fokussierung greift zu kurz. Bei der Jahreshauptversammlung der Abteilung Stadt wurden jede Menge Probleme bekannt, die für erhebliche Unruhe sorgen und ohne Wenn und Aber als Krisensituation gewertet werden müssen.
Von Hardy Prothmann
Ich kenne den neuen Oberbürgermeister Manuel Just seit gut zehn Jahren aus der Zeit, als er noch in der Nachbargemeinde Hirschberg Bürgermeister wahr. Der Mann fällt nicht nur durch seine Kompetenz auf, sondern auch durch seine verbindliche Aufmerksamkeit, seinen Humor und ein insgesamt freundliches, umgängliches Wesen.
Am vergangenen Samstag hat Herr Just über lange Zeit ein sehr, sehr ernstes Gesicht gemacht, wie ich es derart nicht von ihm kenne.
Deutliche Worte
Als Abteilungskommandant Ralf Mittelbach das Jahr Revue passieren lässt, fallen so deutliche Worte, dass der Ernst der Lage fast zu greifen ist. Nicht anwesend, seit 2018 zum dritten Mal in Folge, ist der neue Kommandant Sven Lillig, dieser sei „Ski fahren“, wie es kolportiert wird.
57 stimmberechtigte Feuerwehrleute sind im Konferenzraum des Feuerwehrzentrums versammelt, dazu Kameraden der befreundeten Feuerwehr Eisleben, die traditionell einen Besuch abstatten. Weiter Vertreter der Gemeinderatsfraktionen und eben nach Verwaltungsverantwortung der „Chef“ der kommunalen Feuerwehr der Freiwilligen, Oberbürgermeister Manuel Just. Der Feuerwehrdezernent und Erste Bürgermeister Dr. Torsten Fetzner hat sich auch entschuldigt.
„Schwärzestes Jahr der Geschichte“
„Wir haben eins unserer schwärzesten Jahre in der 158-jährigen Geschichte des Weinheimer Brandschutzes erlebt. Trauer, Enttäuschung, Verlust und eine weitere Erhöhung des Einsatzaufkommens haben uns 2019 geprägt“, beginnt Abteilungskommandant und stellvertretender Kommandant der Gesamtwehr, seine Begrüßung.
Die Feuerwehrleute gedenken acht Kameraden, die 2019 verstorben sind: Gerhard Kautz, Norbert Kandler-Schmidt, Fritz Weber, Arthur Vogler, Walter Müller, Ulrich Joithe, Peter Odenwälder und Willi Schulz. Und natürlich Reinhold Albrecht, Kommandant a.D. verstarb in der Silvesternacht auf 2019 völlig unerwartet.
Harte Botschaften
Im Jahresbericht hagelt es harte Botschaften: Sascha Dell, stellvertretender Abteilungskommandant, ist zum Jahresende aus der Feuerwehr ausgetreten: „Seinen Dienstpflichten und seinem Engagement für unsere Wehr ist er bis zum letzten Tag vorbildlich nachgekommen. Dieser Verlust hat uns schwer getroffen“, sagt Ralf Mittelbach. Seine Aufgaben übernehmen zunächst die Zugführer und Feuerwehrausschussmitglieder. Dell habe sich für „unsere Interessen“ eingesetzt, er habe viele Missstände „angeprangert, aber keine Verbesserung erzielt“.
Dann folgt ein unerhörter Satz, den man im Zusammenhang mit freiwilligen Feuerwehrleuten, vor allem solchen, die lang bei der „Truppe“ sind, nicht kennt: „Das war sehr demotivierend und sorgte dafür, dass Sascha für sich entschieden hat, seine Zeit sinnvoller zu investieren, seine Gesundheit zu schonen und für sich die Konsequenzen zu ziehen.“

Abteilungskommandant Ralf Mittelbach trug sehr, sehr viele Probleme vor, die den Hausfrieden gefährden.
Herbe Verluste
Und es geht weiter: „Diese Konsequenzen aus dem Nicht-Weiterkommen und aus Sicht der Abteilung Stadt Stillstand der Entwicklung des Weinheimer Brandschutzes zog auch unser ehemaliger Abteilungskommandant und dienstälteste Führungskraft Rolf Tilger.“ Herr Tilger ist aus dem Feuerwehrausschuss zurückgetreten und wird später für 50 Jahre Mitgliedschaft geehrt werden.
Beide bezeichnet Herr Mittelbach als „Urgesteine der Weinheimer Feuerwehr“, die „Feuerwehr leben und viel Lebenszeit für das allgemeine Wohl zurückstellten“.
Beide Entscheidungen seien ein „herber Verlust von Fachwissen und Erfahrung, dessen Konsequenzen nicht nur die Abteilung Stadt, sondern die Weinheimer Feuerwehr tragen muss“. Die Hauptaufgabe sei nun, diesem Trend entgegen zu wirken.
Ein weiterer „herber Verlust“ sei der Tod von Reinhold Albrecht gewesen, dessen Rat „uns sicher, aber gerade seinem Nachfolger Sven Lillig gut getan hätte, um das richtige Fingerspitzengefühl für die Feuerwehr Weinheim zu entwickeln“. Dass er zum dritten Mal in Folge nicht anwesend sei, müsse man „hinnehmen“.

OB Just überreicht die Ehrungsurkunde für 50 Jahre Mitgliedschaft an Rolf Tilger, im Hintergrund die stellvertretenden Kommandanten Ralf Mittelbach und Volker Jäger.
Trotz Kritik viel Lob
Ralf Mittelbach lobt im Anschluss namentlich David Kunerth, Sascha Dell, Dirk Baumann, Klaus Neitzel, Thomas Keller, Rolf Tilger und Stephan Baumann sowie alle aktiven Mitglieder aller Abteilungen wie auch Jugend- und Altersmannschaft.
Er betont, dass nicht nur die Einsatzzahlen enorm hoch waren, sondern auch die Übungsstunden: „Das ist nicht selbstverständlich und auch kein normales Ehrenamt. Dieses Ehrenamt kann man nicht pauschalisieren und mit anderen Ehrenämtern vergleichen. Dienst bei der Freiwilligen Feuerwehr bedeutet Tag und Nacht bereit zu stehen, seine Familie bei Feiern und gemeinsamen Aktivitäten zu verlassen, um Menschen in Not zu helfen und sein eigenes Leben in vielen riskanten Einsätzen zu gefährden.“
Die Feuerwehrleute lauschen sehr aufmerksam und bestätigten Herrn Mittelbach mit Nicken oder Gemurmel: „Oft wird die Feuerwehr als selbstverständlich angesehen und viele denken, wir wären alle hauptberuflich. Das ist nicht so und der Brandschutz könnte ohne Freiwillige nur sehr teuer gestemmt werden.“ Weiter äußerte er sich besorgt, weil die Zahl der Neuzugänge stagniere – auch durch politische Entscheidungen wie die Abschaffung der Feuerwehrabgabe sowie die Abschaffung der Wehrpflicht. Denn seither fehlten die im Schnitt zwei Freigestellte pro Jahr, was bei sechs Freistellungsjahren bereits zwölf Feuerwehrangehörige im Alter zwischen 18 und 24 Jahre ausmache.
Mehr Unterstützung gefordert
Er forderte von der Politik mehr Unterstützung, denn jede Einsatzkraft müsse 40 Übungsstunden im Jahr vorweisen – was einer Woche Urlaub entspreche. Ohne diese Übungsstunden sei die Professionalität, die man bei den Einsätzen zeige, nicht zu leisten. Auch das drücke auf die Personalstärke, denn „eine passive Mitgliedschaft ist bei uns nicht möglich“ – infolge dessen habe man sich von einigen Feuerwehrleuten Gespräche führen und man habe sich auch von einigen trennen müssen.
Andererseits müssten leistungsbereite Feuerwehrleute drei bis vier Jahre auf Führunglehrgänge warten: „Das Land Baden-Württemberg hat zwar die Feuerwehrschule modernisiert und in Bruchsal erweitert, aber bei uns kommt das nicht an. In diesem Jahr haben wir nur Platz für einen Zugführer und einen Gruppenführer, was deutlich zu wenig ist.“
Auch der bereits für 2006 geplante Digitalfunk sei zwar jetzt eingeführt – aber die Sprachqualität sei teils schlecht und es würden keine Statusmeldungen übermittelt.

Immerhin: Bei den Beförderungen und Ehrungen gab es strahlende Gesichter.
Beleidigungen und Gewalt
Hinzu komme ein Phänomen, das man bislang zu wenig im Blick hatte, weil als „normal“ betrachtet: Gewalt und Beleidigungen gegenüber den Einsatzkräften. Zunächst glaubte Herr Mittelbach, „damit haben wir keine Probleme“. „Meine erste Wahrnehmung hat mich getäuscht, wir nehmen das bislang einfach hin.“ Beleidigungen und Beschimpfungen gebe es durchaus vermehrt und zwei Mal musste die Polizei gegen renitente Personen an Einsatzorten mit eingreifen, ein Mal wurde ein Feuerwehrmann fast absichtlich überfahren, als ein Autofahrer eine Absperrung ignorieren wollte: „Er fing sich unverletzt auf der Motorhaube des Autofahrers ab.“
Auch die Baustelle auf der Mannheimer Straße bereitete der Feuerwehr Sorgen, denn die vorgesehen Fahrstraßen für die Feuerwehr „funktionierten nur bedingt bis gar nicht“. Rückstaus durch eine Veränderung der Abbiegespur Weststraße zur Mannheimer Straße – „bei Einsatzfahrt ist das ein großes Problem“. Hier erwartet Herr Mittelbach eine deutliche Verschärfung im Zug der Erschließung „westlich Hauptbahnhof“. Die Viernheimer Straße sei die wichtigste Fahrroute – es gäbe andere Wege, damit würden Ausrücke- und Fahrtzeiten aber deutlich länger: „Man darf einen gesunden Verkehrsfluss nicht noch weiter einschränken.“

OB Just versprach, sich der Probleme schnell und mit Energie anzunehmen.
Hoffen auf „Ende der Schulzeit“
Wie belastet Herr Mittelbach selbst ist, bringt er am Ende seines Vortrags zum Ausdruck: „Viele Aufgaben konnte ich nicht mehr in der gewohnten Qualität und Schnelligkeit abarbeiten. Einige von Euch haben dadurch lange auf Antworten warten müssen. Das tut mir leid und möchte mich dafür entschuldigen.“ Und dann folgt der nächste Schlag in Richtung des Kommandanten Sven Lillig: „Ich hoffe, dass sich das Ganze bessern wird, wenn unser Feuerwehrkommandant Sven Lillig seine Schulzeit beendet hat und ab April vollumfänglich zur Verfügung steht.“
Drei Dinge ständen 2020 auf der Prioritätenliste, die seit 2018 (Amtsantritt Lillig), noch nicht vollzogen seien: Die Neubeschaffung eines VRLF (Vorausrüstlöschfahrzeug), eine Ersatzbeschaffung der Gefahrgutgerätschaften, die Herr Lillig im August 2018 außer Dienst stellte sowie der erhöhte Platzbedarf im Feuerwehrzentrum und die Fortschreibung des Feuerwehrbedarfsplans.
Zwar ständen seit 1. Januar 2019 eine hauptamtliche Vollzeitstelle und seit 1. März 2019 eine auf zwei Jahre befristete Stelle zur Verfügung, die die freiwillige Feuerwehr klar unterstütze – allerdings: „Wir sitzen alle im selben Feuerwehrzentrum in beengten Verhältnissen, daher wollen wir hier keine Debatte auslösen, die auf dem Rücken der Mitarbeiter oder unserer Einsatzkräfte ausgetragen wird – wir brauchen Lösungen, die für die Freiwillige Feuerwehr, die Mitarbeiter und die Stadtverwaltung tragbar sind.“

Oberbürgermeister Just notierte mit ernster Miene die zahlreichen Baustellen.
Oberbürgermeister Manuel Just notierte mit teils steinerner Miene sehr konzentriert, was von Herrn Mittelbach und seinen Kollegen vorgetragen wurde. Bei seiner Rede bedankt er sich für die eindeutigen Worte und sichert der Feuerwehr seine Unterstützung zu. Er nehme das sehr ernst. Vieles sei schon in Arbeit und klar sei, dass es Lösungen brauche.
Immerhin gab es auch erfreuliche Teile – beispielsweise Beförderungen und Ehrungen für zahlreiche Feuerwehrangehörige, die sich am Ende der Jahreshauptversammlung zum Gruppenbild aufstellten.