Weinheim, 06. Februar 2020. (red/pro) Der Haussegen bei der Feuerwehr Weinheim hängt schief – als Buhmann ist der seit 2018 im Amt befindliche Kommandant Sven Lillig ausgemacht. Doch ganz so einfach ist es nicht. Klar ist, dass es schnell Lösungen für verschiedene Probleme braucht, ob diese tatsächlich schnell gefunden werden können, ist allerdings fraglich.
Kommentar: Hardy Prothmann
Abteilungskommandant Ralf Mittelbach hat bei der Jahreshauptversammlung einen sehr wichtigen Satz gesagt:
Das ist kein normales Ehrenamt. Dieses Ehrenamt kann man nicht pauschalisieren und mit anderen Ehrenämtern vergleichen. Dienst bei der Freiwilligen Feuerwehr bedeutet Tag und Nacht bereit zu stehen, seine Familie bei Feiern und gemeinsamen Aktivitäten zu verlassen, um Menschen in Not zu helfen und sein eigenes Leben in vielen riskanten Einsätzen zu gefährden.
Alle Freiwilligen Feuerwehren haben Nachwuchsprobleme – diese ergeben sich aus einem gesellschaftlichen Wandel. Die Ortsgebundenheit vieler Bürger nimmt ab. Manche ziehen weg, andere zu. Mit denen, die in einer Gemeinde aufwachsen und wegziehen, verliert sich die vernetzte Ortsgebundenheit. Die, die in einer wachsenden Stadt wie Weinheim Neubürger werden, sind noch nicht verwurzelt. Das gilt ganz offensichtlich auch für den neuen Kommandanten Sven Lillig, der aus dem hessischen Bad Schwalbach kommt.
Causa Lillig
Nicht jeder Feuerwehrangehörige arbeitet noch in seiner Gemeinde, sondern pendelt. Damit ist der Weg im Einsatzfall zu weit, um schnell vor Ort zu sein. Andererseits hat die technologische Entwicklung die Feuerwehren einsatzstärker gemacht – doch diese Technik muss man auch bedienen können, was zahlreiche Übungseinheiten notwendig macht. Jede Einsatzkraft muss 40 Übungsstunden nachweisen – das ist eine Arbeitswoche oder eine Woche Urlaub, weil nicht jeder Arbeitgeber seine Mitarbeiter dafür freistellt.
Die Personalie Sven Lillig ist längst zu einer politischen Angelegenheit geworden. Der damals 38-Jährige wurde 2018 als Nachfolger der Feuerwehrlegende Reinhold Albrecht eingestellt – offenbar mit Wissen der Verantwortlichen, dass dem neuen Kommandanten noch einige Qualifikationen fehlten.
Die Stadtverwaltung bedauert die aktuelle Kritik an der Personalie Lillig: „Ich bedaure, dass von Seiten der Freiwilligen Feuerwehr diese Personaldiskussion öffentlich geführt wird. Wir werden zunächst gemeinsame Gespräche mit der Feuerwehrführung der Abteilung Stadt sowie dem Feuerwehrausschuss führen und danach das weitere Vorgehen abstimmen“, teilt der Erste Bürgermeister und Feuerwehrdezernent Dr. Torsten Fetzner den Medien mit.
Lillig ist nicht an allem schuld
Man wolle „atmosphärische Störungen ausräumen“ und: „Wir müssen ehrlich alle Vorwürfe aufnehmen und aufbereiten, aber auch zur Versachlichung beitragen, persönliche Animositäten dürfen dabei nicht im Vordergrund stehen sondern die gute Arbeit unserer Feuerwehr.“ Mit diesem Appell haben Oberbürgermeister Manuel Just und Bürgermeister Dr. Torsten Fetzner auf teilweise sehr emotionale Diskussionen bei der Jahreshauptversammlung der Freiwilligen Feuerwehr am Wochenende reagiert.
„Es ist keine Frage, dass es im Moment bei unserer Feuerwehr atmosphärische Störungen entstanden sind, die wir ausräumen müssen, wir werden diese Verantwortung auch wahrnehmen“, sagt Oberbürgermeister Manuel Just, der die greifbaren Spannungen selbst bei der Jahreshauptversammlung am vergangenen Samstag spüren konnte.
Dass sich die Bürgermeister hinter den Kommandanten Sven Lillig stellen, geht gar nicht anders. Das ist eine Top-Führungspersonalie und selbstverständlich lässt man so jemanden nicht fallen wie eine heiße Kartoffel. Menschlich nicht und auch aus „geschäftlichen Gründen“, der Mann hat einen unbefristeten Arbeitsvertrag und wird, wie jemand aus der Verwaltung sagt, „weiter auf der Payroll stehen“.
Dass Sven Lillig einige Qualifikationen fehlten, war offenbar den für die Einstellung Verantwortlichen bekannt. Damit ist eine Kritik an Herrn Lillig in dieser Sache unangebracht. Denn man hätte sich ja für einen anderen Kandidaten entscheiden können – hat man aber nicht. Herr Lillig erwirbt über Schulungen seit August 2018 diese fehlenden Qualifikationen und im April 2020, nach 16 Monaten, soll er voll einsatzfähig sein.
Die erforderlichen Weiterbildungen hätten sich aber nicht auf den aktiven Feuerwehrdienst bezogen, sondern auf eine geforderte Zusatzausbildung zum Rettungssanitäter nach neuen Vorschriften und auf Qualifikationen für die vorbeugenden Brandschutzgutachten in Verwaltungsverfahren, teilt die Stadtverwaltung mit. „Na und?“, fragen sich viele Feuerwehrfreiwillige, denn die Führung fehlte, egal aus welchen Gründen.
Ab April muss Vieles anders werden – ob das funktioniert, ist offen
Und bis kommenden April läuft die Zeit ab – denn die Erwartungen sind hoch und wurden in der Vergangenheit oft enttäuscht. Offenbar ist es Sven Lillig bislang überhaupt nicht gelungen, mit der Basis, den Freiwilligen, in guten Kontakt zu kommen und sich Respekt zu verschaffen.
Hinzu kommt, dass sein Vorgänger, der leider zum Jahreswechsel 2019 verstorbene Kommandant a. D., Reinhold Albrecht, verstorben ist. Der deutschlandweit bekannte Feuerwehrmann hat enorm große Fußstapfen hinterlassen, in die ein Nachfolger, egal, wer das ist, nicht so schnell passgenau eintreten kann. Völlig unmöglich.
Hier muss man also fairerweise Zeit lassen – andererseits drängt die Zeit, weil es eben viele Baustellen gibt und eine Fundamentalkritik ist zutreffend: Herr Lillig kann nicht wie ein Angestellter agieren, der er bei seinem früheren Arbeitgeber Siemens war. Eine freiwillige Feuerwehr ist kein Konzern und die Führung verlangt, dass er sich das Vertrauen der Basis erwirbt und die Mannschaften aller Abteilungen motiviert, statt zu frustrieren.
Oberbürgermeister Just und Feuerwehrdezernent Dr. Fetzner betonen: „Die Schlagkraft der Freiwilligen Feuerwehr ist sehr gut. Das zeigt sich an den gestiegenen Einsatzzahlen und den hoch motivierten Feuerwehrangehörigen aller Abteilungen.“ Über diesen besonders wichtigen Aspekt, so ihr Appell, sollten die aktuell geführten Diskussionen nicht hinwegtäuschen.
Diese Einschätzung ist einerseits richtig, allerdings wohnt ihr ein fatales Missverständnis inne: Die Feuerwehr hat geleistet und geliefert, ist aber mit 665 Einsätzen 2019 (2018: 650 Einsätze) am Anschlag. Ohne eine entsprechende Motivation wird vielen die Puste ausgehen, wie das Beispiel Sascha Dell zeigt. Und wenn ein Rolf Tilger meint: „In den vergangenen zwei Jahren geht es nur noch bergab“, muss man die Alarmsignale als solche sehr ernst nehmen.
Schwieriges Erbe
Auch den OB trifft keine Schuld – er ist erst ein knappes Dreivierteljahr im Amt und hat mit vielen Baustellen zu kämpfen, die ihm sein Vorgänger Heiner Bernhard (SPD) hinterlassen hat. Doch die Causa Feuerwehr ist besonders „brenzlig“, denn ohne einen motivierten und funktionierenden Brandschutz gibt es eine erhebliche Gefährdung von Leib und Leben.
Die Gespräche sollen nun „so schnell wie möglich anberaumt werden“. Grundsätzlich stehe die Verwaltungsspitze aber hinter der aktuellen Führung der Feuerwehr und dem hauptamtlichen Kommandanten Sven Lillig, teilen die Bürgermeister mit. Diese Botschaft ist unglücklich formuliert, es muss heißen: Grundsätzlich steht die Verwaltungsspitze hinter der Freiwilligen Feuerwehr Weinheim und ist stolz auf deren Einsatzbereitschaft, die sie jedes Jahr aufs Neue beweist. Selbstverständlich nehmen wir uns der Probleme an und unterstützen auch den hauptamtlichen Kommandanten Sven Lillig, damit Führung und Mannschaft eine Einheit bilden.
Dabei ist die Verstärkung der Feuerwehr durch hauptamtliche Verwaltungskräfte absolut notwendig gewesen, weil das Ehrenamt sonst völlig überfordert wäre. Wenn aber die Unterstützung dazu führt, dass es keine Büros mehr für die Abteilungsleitung gibt, dann hat man einen Vorteil mit einem Nachteil beschädigt.
Wenn ein Ralf Mittelbach, den ich nun schon gut zehn Jahre als engagierte Führungskraft innerhalb der Feuerwehr Weinheim kenne, derart hart vorträgt, dann nicht, weil er zum Stänkern neigt, sondern weil die Hütte brennt. Seine Brandrede müssen alle Verantwortlichen sehr ernst nehmen.
Dazu gehört auch ein politisches Einwirken aufs Land Baden-Württemberg, damit leistungswillige Feuerwehrfreiwillige sind weiter qualifizieren können. Und es ist überhaupt nicht einzusehen, wieso die Feuerwehr über einsatzfähige Technik für Gefahrguteinsätze verfügt, diese aber außer Dienst gestellt ist, weil der Abrollbehälter defekt ist. Auch ist nicht zu verstehen, wieso man immer noch auf das VRLF (Vorausrüstlöschfahrzeug) verzichten muss. Wie Ralf Mittelbach richtig sagt: Die Feuerwehr hat keine „Wünsche“, sondern einen dringenden Bedarf, um technisch und personell leistungsfähig bleiben zu können – in einer Stadt, die wächst, während die Feuerwehr um Aktive kämpfen muss und der Nachwuchs stagniert, trotz eines erheblichen und vorbildlichen Engagements bei der Kinder- und Jugendfeuerwehr.
Dass Oberbürgermeister Just ein Problemlöser ist, hat er in seiner Bürgermeisterzeit in Hirschberg bereits bewiesen: Hier wurden die Ortswehren aus Großsachsen und Leutershausen fusioniert und sind nun von einem neu gebauten gemeinsamen Feuerwehr- und Hilfeleistungszentrum aus im Einsatz. Das ging nicht ohne Querelen ab, aber unterm Strich verlief die Fusion sehr erfolgreich.
Man muss die Feuerwehr neu denken
Die Feuerwehr Weinheim muss neu gedacht werden, um auch zukünftig schlagkräftig zu sein – jeder, der im Thema ist, weiß das seit Jahren. Je länger man rumdoktert oder denkt, „ging doch bislang gut, wird es auch in Zukunft“, wird ein „blaues Wunder“ erleben, wie es ist, wenn die Blauen eben mal nicht mehr wie gewohnt schnellstens und kompetent vor Ort sind, um für andere ihre Freizeit und möglicherweise auch Gesundheit zu opfern.
Insbesondere dem Gemeinderat muss klar sein, dass die Feuerwehr Weinheim nicht nur eine beteuernde Unterstützung mit wohlfeilen Worten braucht, sondern eine ebenfalls tatkräftige. Neben der Beschaffung von benötigter Technik gilt es, dieses einzigartige Ehrenamt ganz besonders zu würdigen und zu fördern.
Die einzige Alternative wäre eine Berufsfeuerwehr – die wird sich Weinheim weder jetzt noch in Zukunft leisten können. Und wenn es ganz eng wird, müsste der Oberbürgermeister zum letzten Mittel greifen und Bürger zum Dienst verpflichten. Doch das ist nur theoretisch denkbar, denn ohne Qualifikationen wie beispielsweise Lkw-Führerschein oder Atemschutzgeräteschein oder Funkerqualifikationen blieben die Einsatzwagen in den Hallen stehen.
Neue Herausforderung: Klimawandel
Wer sich zudem anschaut, welche Einsätze die Feuerwehr Weinheim leistet, weiß, dass Brandschutz längst nicht mehr oben steht. Im vergangenen Jahr waren das 102 Einsätze sowie 131 Fehleinsätze. An der Spitze stehen „technische Hilfeleistungen“ mit 245 Einsätzen, auch Notfalleinsätze sind mit 123 Fällen stark vertreten. Das sind Einsätze bei Verkehrsunfällen, nach Unwettern müssen Straßen von umgestürzten Bäumen befreit werden, die unter erheblicher Spannung stehen oder bei starken Regenfällen kämpft die Wehr gegen Wasser. Angesichts zunehmend heftigeren Wetterlagen wird die Herausforderung für die Feuerwehr deutlich wachsen. Der Klimawandel wird dafür sorgen.
81 Menschenleben gerettet
Im vergangenen Jahr konnten 11 Personen nur noch tot geborgen werden – aber 81 Menschenleben wurden gerettet. Leider wurden bei den Einsätzen vier Feuerwehrangehörige verletzt. Gleichzeitig ist das bei der Vielzahl der Einsätze eine eindrucksvolle Zahl, da der Selbstschutz offenbar sehr hoch ist – auch das ist nur möglich bei qualifizierter Ausbildung und einer Mannschaft, die Hand in Hand arbeitet und sich auf den Kameraden verlassen kann.