Mannheim/Südwesten, 13. September 2016. (red/ms) Die grün-schwarze Koalition will Lücken im Landeshaushalt unter anderem ausgleichen, indem sie sich mehr Geld von den Kommunen holt – doch für viele Gemeinden und Städte sind bereits heute die Mittel knapp. Insbesondere vor dem Hintergrund der Flüchtlingsunterbringung könnten weitere Kürzungen im Budget den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden, befürchtet der Gemeindetag Baden-Württemberg.
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Von Minh Schredle
Mannheims Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz (SPD) sagte einmal im Gespräch mit Journalisten:
In der Verwaltung heißt es oft: Es gibt nur vier Leute in Baden-Württemberg, die den Kommunalen Finanzausgleich wirklich verstehen – davon sind inzwischen drei im Ruhestand.
Stark vereinfacht ausgedrückt handelt es sich beim Kommunalen Finanzausgleich um einen Topf, in den die Gemeinden und Städte einzahlen und aus dem sie Zuweisungen erhalten. 2015 handelte es sich nach Angaben des Finanzministeriums Baden-Württemberg um eine Summe von 3,1 Milliarden Euro, die umverteilt wurde. So soll sichergestellt werden, dass die Unterschiede in der Lebensqualität innerhalb des Südwestens einigermaßen überschaubar bleiben.
Insbesondere profitieren durch den Finanzausgleich Kommunen, die geringe oder keine Gewerbesteuereinnahmen erhalten. Doch nicht nur sie können sich über zusätzliches Geld in den Kassen freuen – sondern auch das Land Baden-Württemberg. Dieses erhält pro Jahr aktuell etwa 300 Millionen Euro aus dem Topf der Kommunen. Und die schwarz-grüne Landesregierung plant, wie durch Nebenabsprachen zu dem Koalitionsvertrag bekannt geworden ist, diese Summe zu verdoppeln.
Für viele Städte und Gemeinden könnten zusätzliche finanzielle Belastungen drastische Konsequenzen bedeuten, denn schon heute sind die Kassen klamm – entsprechend reagiert der Gemeindetag Baden-Württemberg mit klarer Ablehnung.
Pressesprecherin Kristina Fabijancic-Müller sagt gegenüber dem Rheinneckarblog:
Noch mehr geht nicht. Im Gegenteil: Eigentlich brauchen wir dringend zusätzliche Unterstützung.
Das gelte insbesondere bei der Unterbringung von Flüchtlingen:
Die Gemeinden und Städte sind bereit, die Menschen aufzunehmen. Aber alleine schaffen wir das nicht. Und wie sollen wir mehr Aufgaben mit weniger Geld bewältigen?
Für eine gelungene Integration sind nach Einschätzung des Gemeindetags jährlich 500 Millionen Euro an laufenden Kosten nötig – hinzukommen erhebliche Investitionskosten um Unterkünfte zu schaffen.
„Grundsätzlich wären alle betroffen“
Wenn stattdessen weitere Mittel aus dem Finanzausgleich abgeführt würden, wären laut Frau Fabijancic-Müller grundsätzlich alle Kommunen betroffen – denn sie erhalten unter anderem feste Zuweisungen für jeden Einwohner aus dem Pool. Diese würden entsprechend für alle geringer ausfallen. Städte und Gemeinden, die ohnehin mit geringen Gewerbesteuereinnahmen zu kämpfen haben, wären aber wahrscheinlich besonders betroffen, wenn die Ausgleichszahlungen reduziert werden.
Kommunaler Sanierungsstau: 27,2 Milliarden Euro
Auch in unserem Berichterstattungsgebiet könnten weitere Einschränkungen zu massiven Verschärfungen führen. So müssen beispielsweise die Städte Weinheim und Mannheim schon unter den aktuellen Bedingungen erheblich sparen, um langfristig finanziell handlungsfähig zu bleiben. Das wird ohnehin schon schmerzhafte Streichungen freiwilliger Leistungen verursachen.
Wenn mehr Geld von den Kommunen an das Land geht, ist das letztlich ein Griff in die Taschen der Bürger,
sagt Frau Fabijancic-Müller. Denn bei denen würde es sich bemerkbar machen, wenn beispielsweise Schwimmbäder geschlossen oder Kulturförderung gestrichen werden müssen, weil Städte zunehmend unter Sparzwang stehen:
Wenn Wohlfahrt wegfällt und die Lebensqualität sinkt, kann das den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden.
Und zwar nach Einschätzung der Redaktion insbesondere dann, wenn die Ursache dafür allein im Zuzug von Flüchtlingen gesehen wird – was falsch ist. Denn auch wenn sich die finanzielle Lage der Kommunen durch die Unterbringungskosten weiter zuspitzt, sind die strukturellen Haushaltsdefizite nicht erst seit dem Flüchtlingszuzug entstanden, sondern über die vergangenen Jahrzehnte entstanden.
Insgesamt beläuft sich der Investitionsstau – etwa, um Brücken und Straßen zu sanieren oder Schulen zu sanieren – nach Angaben des Gemeindetags allein bei den Kommunen Baden-Württembergs auf 27,2 Milliarden Euro.
Scharfe Kritik
Insgesamt steht der Haushalt Baden-Württembergs nach Aussagen der Landesregierungen vor einem jährlichen strukturellen Defizit von knapp 800 Millionen Euro, das in erster Linie durch Kürzungen bei Kommunen und Beamten ausgeglichen werden soll – gleichzeitig wurden in den vergangenen Jahren Überschüsse erwirtschaftet. Gemeindetagspräsident Roger Kehle kritisiert:
Wenn die Landesregierung wegen eines angeblichen Defizits im Haushalt zum Sparen aufruft, dann solle sie den Rotstift aber bei sich selbst ansetzen, nicht bei den Kommunen.
Stattdessen treffe man laut Herrn Kehle aber geheime Nebenabreden zum Koalitionsvertrag, eine „Wünsch-dir-was-Liste“, die noch mehr laufende Kosten für den Landeshaushalt bedeuten würden.
Kommunen werden mit Sorgen bislang allein gelassen
Frau Fabijancic-Müller betont, dass die Verhandlungen mit dem Land noch liefen und somit noch nichts final entschieden sei. Der Betrag von 300 Millionen Euro, die zusätzlich pro Jahr aus dem Finanzausgleich an das Land fließen sollen, stehe zwar im Raum, sei aber nicht in Stein gemeißelt. Bislang gebe es insgesamt noch keine belastbaren Zahlen zur finanziellen Zukunft der Kommunen – was zu großer Unsicherheit führe.
In einer Pressemitteilung des Gemeindetags heißt es dazu:
Die Rathäuser tappen völlig im Dunkeln, wie ihre finanziellen Belastungen sich in den nächsten Monaten und Jahren entwickeln werden. Insbesondere die Finanzierung der hohen Kosten für die Anschlussunterbringung der vielen Flüchtlinge vor Ort ist noch offen.
Obwohl die Kommunalen Landesverbände die vorherige Landesregierung bereits im November vergangenen Jahres darum gebeten hätten, diese Finanzierung zu klären, würden sie bis heute auf eine Entscheidung warten. Auch die Bitte, den Kommunen einen Finanzfahrplan mit belastbaren Zahlen zur Verfügung zu stellen, auf dessen Basis die gemeinsamen Finanzverhandlungen geführt werden könnten, sei bisher ungehört geblieben.
Laut Herrn Kehle brauche man nun „endlich einen transparenten Überblick über den Finanzfahrplan des Landes“. Daraus werde sich schnell ergeben, dass die Städte und Gemeinden nicht mehr Geld an das Land abgeben können, sondern mehr Geld vom Land benötigen:
Wir werden sonst die vielen Aufgaben und Herausforderungen, die vor uns stehen, nicht bewältigen können.
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